UdSSR/Russland
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Am Beispiel des Russischen Bürgerkriegs untersucht der Aufsatz kollektive Gewalthandlungen in staatsfernen Räumen. Gewalt war dort nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch sinnstiftendes Medium. Die Aufzeichnungen des ehemaligen zarischen Offiziers Govoruchin bieten ungewöhnlich detaillierte Einblicke in die Geschehnisse in der ukrainischen Kleinstadt Gajsin. Bei mehreren Pogromwellen des Jahres 1919 ermordete die Truppe des Atamanen (Warlords) Volynec fast die gesamte jüdische Bevölkerung des Ortes. Antisemitismus war dafür nur ein Faktor neben anderen - die neuartige Pogromgewalt hatte vor allem Sinn und Bedeutung für die Kämpfergemeinschaft selbst, die eine Kultur der Gewalt ausbildete. Gewalthandlungen können als Kommunikationsformen verstanden werden, die Gemeinschaft, Autorität und Identität konstituieren. In der historischen Situation des Russischen Bürgerkriegs reproduzierte sich die Gewalt selbst und tendierte zur Entgrenzung. Der 25-jährige Volynec verdankte seine Führungsrolle einem gewissen Organisationsgeschick, vor allem aber einer schrankenlosen Gewaltbereitschaft.
Ein Museum lässt Migranten sprechen. Die Wege jüdischer Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland
(2011)
Die Ausstellung „Ausgerechnet Deutschland!“ dokumentierte die Geschichte von 20 Jahren jüdischer Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Gleichzeitig ging sie über ein rein historisches Projekt hinaus: Das Jüdische Museum Frankfurt hat gezeigt, dass eine museale Darstellung nicht nur dokumentieren, sondern auch lebendige Gegenwartskulturen zum Sprechen bringen kann.
Der untergegangene Staatssozialismus war eine Gesellschaft der Gleichen. Mit ihrer Gleichheit war es aber so eine Sache. Wie es in Orwells „Farm der Tiere“ heißt: „Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher.“ Trotz dieses Einwandes erscheint manchem die Unterscheidung zwischen vergangener Gleichheit und heutiger Ungleichheit plausibel, weil es seit 1989/90 eine rasante soziale Ausdifferenzierung gab. Sie hat den Staatssozialismus nachträglich in ein milderes Licht getaucht. Der vorliegende Essay wird sich mit dem sozialen Wandel und der Entstehung der gegenwärtigen Ungleichheit in Osteuropa beschäftigen – die einigen als gerecht, anderen aber als ungerecht erscheint. Um genauer verstehen zu können, was die Ungleichheit für die Politik und den Alltag in diesen Gesellschaften bedeutet, soll gefragt werden: Wie stand es mit Gleichheit und Ungleichheit im Spätsozialismus? Welche Art von sozialer Ungleichheit bildete sich nach 1989 heraus, und welche Aufgaben für deren politikwissenschaftliche und zeitgeschichtliche Analyse lassen sich identifizieren?
Erst seit der im Februar 2022 erfolgten großflächigen Ausweitung des Angriffskriegs, den Russland seit acht Jahren gegen die Ukraine führt, hat das Land einen Platz auf der Mental Map vieler Menschen in Deutschland erhalten. Was vorher allenthalben als Teil einer vermeintlich weit entfernten, als fremd erscheinenden Welt, bestenfalls als ein unter Russland subsumiertes "Niemandsland" bzw. Reservoir billiger Arbeitskräfte galt, rückte ins Zentrum des öffentlichen Interesses.
Darauf, dass auch der Blick in deutsche Familiengeschichten Bezüge zur Ukraine liefern könnte, wiesen Demonstrierende aus der ukrainischen Diaspora einen Tag nach Beginn der russischen Großinvasion auf einer Demonstration in Berlin hin.
Die jüngste Zeitgeschichte hätte dafür auch vorher zahlreiche Anlässe geliefert; die Voraussetzungen für Reisen in die ehemaligen "Ostblockländer" sowie der kulturelle, politische und zivilgesellschaftliche Austausch haben sich seit den 1990er Jahren wesentlich vereinfacht. Einwander:innen aus der ehemaligen Sowjetunion, die in den 1990er Jahren – vor allem als "Spätaussiedler:innen" und "Kontingentflüchtlinge" – nach Deutschland kamen, werden nur zögerlich von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen. Die Lebensrealitäten und Geschichten ost(mittel)europäischer – darunter ukrainischer – Arbeitsmigrant:innen in der deutschen Landwirtschaft und der Altenpflege wurden kaum in den Blick genommen.
Dieses oft überdeckte und dennoch prägende Wissen – ein unweigerlich immer wieder hervorstechendes Erbe – ist Gegenstand des folgenden Artikels. Es wird danach gefragt, wie der allgemeine Wissensstand zum Zweiten Weltkrieg und zur deutschen Besatzung in Ostmitteleuropa eingeschätzt werden kann und aus welchen Quellen sich der teils verdeckte bzw. verdrängte Wissensschatz speist.
Der Kalte Krieg ist zu Ende. Unabhängig davon, auf welches Jahr man seinen Beginn datiert - auf 1943, 1945, 1946 oder das Jahr der „offiziellen Kriegserklärung“ 1947: Der Untergang der Sowjetunion 1991 markiert das Ende eines fast fünfzigjährigen Konflikts. Man kann sich wohl am ehesten darauf einigen, dass dieser Konflikt primär eine Auseinandersetzung zwischen zwei unvereinbar erscheinenden Weltanschauungen mit jeweils konkurrierenden Gesellschaftsentwürfen war, die rasch den Charakter einer „totalen“ Auseinandersetzung annahm und nahezu alle Bereiche des öffentlichen und zum Teil auch des privaten Lebens okkupierte. Mit Ausnahme der atomaren Waffen, die sich aufgrund ihres langfristigen Zerstörungspotenzials als nicht einsetzbar erwiesen, kam alles Verfügbare zur Anwendung, um diesen Konflikt zu gewinnen. Der Kalte Krieg, so kann man zusammenfassen, war eine weltweite politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte. Nur in der „Dritten Welt“ wurde der Kalte Krieg schließlich auch als konventionelle militärische Auseinandersetzung geführt.
Virtual Reality. Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als Erinnerungskontrolle in den 1930er-Jahren
(2010)
Am Beispiel eines zur Bild-Ikone geratenen Lenin-Fotos aus dem Jahr 1920 untersucht der Beitrag die Praxis manipulativer Eingriffe in das visuelle Gedächtnis der UdSSR vom Stalinismus bis zur Perestrojka. Die Aufnahme, die im Original Lenin und Trotzki vor sowjetischen Truppen in Moskau zeigte, wurde massiven Geschichtsfälschungen unter-zogen, an denen sich prototypisch die Intentionen, Mechanismen und politischen Strukturen der sowjetischen Bild- und Medienzensur seit den 1930er-Jahren rekonstruieren lassen. Die UdSSR gab sich ein neues ideologisches wie visuelles Design, das den Staat im In- und Ausland als Erfolgsmodell darstellen sollte. Dieses Design erforderte nicht nur eine nachträgliche „Optimierung“ der Vergangenheit; in ihm manifestierten sich zugleich stalinistische Visualisierungsstrategien, mit denen Staat und Partei politische Sichtbarkeiten zu kontrollieren versuchten. Trotz des enormen Aufwands war dieser Versuch indes nur teilweise erfolgreich: Es erwies sich letztlich als unmöglich, die Unperson Trotzki flächendeckend aus dem kulturellen Gedächtnis zu eliminieren.
Der Aufsatz setzt die Massenerschießungen von Katyn, bei denen der NKWD 1940 Tausende polnischer Kriegsgefangener tötete, in den Kontext einer deutsch-sowjetischen Verflechtungsgeschichte, um die abstrakten Gewalthierarchien früherer Diktaturvergleiche zu überwinden. Dass Goebbels’ sonst wenig glaubwürdige Propaganda 1943 die wirklichen Täter nannte, prägte die langfristigen Kommunikationsmuster ebenso wie Stalins Versuch, Zweifler an der angeblichen deutschen Täterschaft als Kollaborateure des „Dritten Reichs“ zu diskreditieren. In den Deutungen von Katyn während des Kalten Kriegs wirkten die konträren Sichtweisen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs folgenreich nach. Analysiert werden das Beschweigen, die Verrätselung und die Boulevardisierung Katyns vor allem in der westlichen Rezeption; so trägt der Aufsatz dazu bei, die Geschichtskultur des Kalten Kriegs zu historisieren. Katyn ist ein Lehrstück über die Selektivität historischer Narrationen, das bis in aktuelle Debatten um eine europäische Weltkriegserinnerung hineinreicht.
Ol’ga Šparaga hat die belarusischen Untersuchungsgefängnisse von innen gesehen. Sie erzählt vom Schmutz und von der Kälte, von den Verhören – und von der Angst der Wärter. Um einem drohenden Strafverfahren wegen angeblicher Organisation von Massenunruhen zu entgehen, ist sie nach Litauen geflohen, wo sie Bildungsbeauftragte des Koordinationsrats der belarussischen Gesellschaft wurde. Trotz der massiven Repressionswelle, mit der das Regime die Gesellschaft überzieht, bleibt sie optimistisch: An dem Versuch, die Zeit anzuhalten, ist bisher noch jeder gescheitert.
Der Krieg in der Ukraine ist nicht der erste in den Sozialen Medien. Doch kein anderer ging bisher so viral: 62 Milliarden Aufrufe für den Hashtag #ukraine auf der Social Media Plattform TikTok allein deuten die Dimension der Reichweite an, die schon zu der Bezeichnung „TikTok Krieg“ führte. Die verschiedenen Akteur:innen stehen sich nicht nur physisch-militärisch gegenüber, sondern ringen in einem steten Kampf um Likes in den Sozialen Netzwerken, um die Aufmerksamkeit eines weltweit wachsenden Publikums und die Hoheit der Narrative. Inzwischen ist die Rede von einem „LikeWar“, in dem es allerdings nicht um Likes, sondern über Leben und Tod geht. Dieser Bereich der Cognitive Warfare, bei der das Denken und Handeln von Individuen und Kollektiven das Schlachtfeld bildet, zieht sich durch alle Bereiche des Krieges in der Ukraine und darüber hinaus. Dabei zeigt sich der weltanschauliche Gegensatz zwischen Diktatur und Demokratie auch im Umgang mit und Einsatz von Sozialen Medien.
Es ist eine alte Frage, ob Berija, der nach Stalins Tod eine für sowjetische Begriffe ungewöhnliche Innen- und Außenpolitik einzuleiten sich bemühte, dabei auch eine Vereinigung Deutschlands auf demokratischer Basis ins Auge faßte. Entsprechende Mutmaßungen nahmen ihren Ausgang von dem Vorwurf der siegreichen Mehrheit der sowjetischen Führung an den gestürzten Berija, er habe den Sozialismus in der DDR „verraten“. Das war freilich eine Anklage, die deutlich rechtfertigende Funktion hatte, so daß ihr Wahrheitsgehalt zweifelhaft blieb. Als wichtiges Indiz für die Berija zugeschriebene Absicht gilt vielfach der von Moskau den SED-Führern Anfang Juni 1953 aufgenötigte „Neue Kurs“, der die harte Sowjetisierungspolitik vom Vorjahr teilweise revidierte. Als weitere Belege werden damalige Stellungnahmen angeführt, die deutsche Frage müsse auf die Tagesordnung gesetzt werden, sowie spätere öffentliche Anschuldigungen Chruschtschows und Ulbrichts. Der SED-Chef benutzte die Anklage im innerparteilichen Kampf gegen Kritiker und Rivalen. Bei den ostdeutschen Kadern fand sie allgemein Glauben, schien sie doch den alten Verdacht zu bestätigen, die UdSSR könnte die DDR um höherer politischer Zwecke willen fallenlassen.