UdSSR/Russland
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»Arm« und »Reich« waren keine dominierenden zeitgenössischen Klassifizierungen, um die soziale Ordnung der späten Sowjetunion zu beschreiben. Zumindest sind sie dies in den rückblickenden Erzählungen ehemaliger Sowjetbürger nur selten explizit. Da die Repräsentationen der sowjetischen sozialen Ordnung unmittelbar mit Bewertungen der gegenwärtigen Gesellschaft verbunden sind, rücken sie ganz überwiegend den Aspekt der verlorenen sozialen Gleichheit in den Mittelpunkt. Den Repräsentationen liegen rückblickende Klassifizierungen zugrunde, die von nostalgischen Erzählstrategien geprägt werden. Von den drei Idealtypen nostalgischer Erzählstrategien – restaurativ, reflexiv und synthetisierend –, die hier den analytischen Bezugsrahmen bildeten, dominierte die restaurative. Sie konstruiert traditionale Zugehörigkeiten und knüpft an das erinnerungspolitische Narrativ der »Goldenen 70er Jahre« an. Es lässt weniger Raum für ambivalente Wahrnehmungen der vergangenen sowjetischen Gesellschaft und betont den Verlust der alten Werteordnung.
»Arm« und »Reich« waren keine dominierenden zeitgenössischen Klassifizierungen, um die soziale Ordnung der späten Sowjetunion zu beschreiben. Zumindest sind sie dies in den rückblickenden Erzählungen ehemaliger Sowjetbürger nur selten explizit. Da die Repräsentationen der sowjetischen sozialen Ordnung unmittelbar mit Bewertungen der gegenwärtigen Gesellschaft verbunden sind, rücken sie ganz überwiegend den Aspekt der verlorenen sozialen Gleichheit in den Mittelpunkt. Den Repräsentationen liegen rückblickende Klassifizierungen zugrunde, die von nostalgischen Erzählstrategien geprägt werden. Von den drei Idealtypen nostalgischer Erzählstrategien – restaurativ, reflexiv und synthetisierend –, die hier den analytischen Bezugsrahmen bildeten, dominierte die restaurative. Sie konstruiert traditionale Zugehörigkeiten und knüpft an das erinnerungspolitische Narrativ der »Goldenen 70er Jahre« an. Es lässt weniger Raum für ambivalente Wahrnehmungen der vergangenen sowjetischen Gesellschaft und betont den Verlust der alten Werteordnung.
Die Computerindustrie entwickelte sich in den USA und der UdSSR sehr unterschiedlich. Während in den Vereinigten Staaten der Konzern IBM nahezu ein Monopol erlangte, herrschte in der Sowjetunion ein Konkurrenzkampf. Mehrere Akteure verfolgten an unterschiedlichen Standorten eigene Entwicklungslinien; ein Austausch fand kaum statt. Als Reaktion auf eine von IBM 1963 vorgestellte neue Modellreihe kam es in der UdSSR zu einer Diskussion über die Computerindustrie, die den hartnäckigen Widerstand lokaler Entscheidungsträger bei der Durchsetzung zentraler Direktiven offenbarte. Es bedurfte mehrerer Machtworte von führenden Vertretern der Rüstungsindustrie, um das IBM System /360 als Vorbild einer eigenen Reihe durchzusetzen. Dabei berief man sich vor allem auf die Erfolge, die beim Nachbau von IBM-Rechnern in der DDR erzielt worden waren. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Entwicklungsdokumente aus dem Westen beschafft, und diese Wirtschaftsspionage trug wesentlich dazu bei, den innersowjetischen Konflikt zu entscheiden. Der technologische Rückstand der UdSSR gegenüber den USA blieb gleichwohl bestehen.
Der Zusammenbruch der UdSSR lässt sich als Ergebnis einer zweifachen Dynamik beschrei-ben: zum einen die Implosionsdynamik des Systems in Gestalt der Staatspartei. Die KPdSU, die Kommunistische Partei der UdSSR und das Herz der Föderation, wurde im August 1991 vom Obersten Sowjet aufgelöst. Ihre ideologischen Ziele hatten sich erschöpft und die ein-geleiteten Reformen zahlreiche Widersprüche hervorgebracht, was die Starrheit und den Kräfteverfall der Partei deutlich machte. Zum anderen ging die Implosion der Zentralmacht mit einer beeindruckenden Explosionsdynamik der Nationalitäten einher, die vielfältige Formen annahm.
Zur Zeitgebundenheit von Politsimulationen. Perspektivwechsel in Crisis in the Kremlin (1991/2017)
(2017)
Das ursprünglich 1991, im Jahr des Zusammenbruchs der Sowjetunion, entstandene PC-Spiel Crisis in the Kremlin, das dem Genre der Politsimulationen zuzurechnen ist, erreichte mit einer 2017 neu erschienenen Edition eine weitere Generation von ComputerspielerInnen.Die Spiele wurden allerdings jeweils von unterschiedlichen Entwicklerstudios herausgegeben. Die im Jahr 1991 erschienene Version ist eine Produktion des seinerzeit großen US-amerikanischen Studios Spectrum HoloByte, wohingegen die im März 2017 veröffentlichte Edition vom russischen Indie-Entwicklerstudio Kremlingames stammt.
Mit grandiosem Erfolg war 1995/96 am gleichen Ort die Vorgängerausstellung „Berlin - Moskau 1900-1950“ gezeigt worden. Diesen Begeisterungsvorschuss haben die Veranstalter nun entschlossen aufs Spiel gesetzt. Die Fortsetzung erinnert daran, was damals so faszinierte: Als eine Art Zeitmaschine machte „Berlin - Moskau 1900-1950“ den Besuchern die politischen und ästhetischen (Alb-)Träume der ersten Jahrhunderthälfte sinnlich-intellektuell erfahrbar. Anstatt aber auch unsere posttotalitären Nachkriegszivilisationen durch ein solches Prisma zu betrachten, präsentierte man im Herbst 2003 eine umfangreiche Zusammenstellung moderner Kunst aus sechs Jahrzehnten.Über Bord geworfen wurde alles andere, was das öffentliche Leben dieser Zeit geprägt hat: Architektur, Kino, Radio, Theater, Presse, Fernsehen, Denk- und Mahnmäler, Freizeitparks, Werbung, Wohnkultur, Sport und Städtebau. Übrig blieben rund 500 Kunstwerke, von denen die meisten zu den Städten Moskau und Berlin in keiner erkennbaren Beziehung stehen.
Drei Bücher haben im 20. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Bild der Deutschen über die Sowjetunion geprägt: René Fülöp-Millers „Geist und Gesicht des Bolschewismus“ aus dem Jahr 1926, Klaus Mehnerts „Der Sowjetmensch“ aus dem Jahr 1958 und Lois Fisher-Ruges „Alltag in Moskau“ aus dem Jahr 1984. Allen drei Publikationen ist gemeinsam, dass sie kaum auf die historischen Ereignisse oder das politische Tagesgeschäft zu sprechen kommen, sondern einen Einblick in die sowjetische Alltagskultur zu geben versuchen. Den Autoren der drei Bücher war von Anfang an klar, dass sie eigentlich Unmögliches vorhatten: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, alle Facetten einer Gegenwartskultur zu erfassen und darzustellen. Im Fall der Sowjetunion kam erschwerend dazu, dass man kaum auf verlässliche Quellen zurückgreifen konnte: Die Kultur teilte sich in einen offiziellen Betrieb und einen verbotenen Untergrund, soziologische Daten waren nicht erhältlich oder manipuliert, die Gesprächspartner mussten immer auf der Hut vor den staatlichen Überwachungsorganen sein. So blieb den Autoren nichts anderes übrig, als sich auf ihre persönliche Erfahrung zu stützen, die naturgemäß nur einen beschränkten Radius aufwies. Der Erfolg der genannten Bücher verdankte sich nicht nur ihrem Inhalt, sondern auch dem Erscheinungsdatum, das jeweils eine Wendezeit markierte: Fülöp-Miller lieferte nach zehn Jahren Sowjetregime eine erste Bilanz, Mehnert dokumentierte das Ende des Stalinismus, Fisher-Ruge gab einen Einblick in die gesellschaftlichen Startbedingungen der Perestrojka.
Das im Jahr 1985 veröffentlichte Computerspiel Balance of Power des amerikanischen Entwicklers Chris Crawford ist eine Simulation der globalen geopolitischen Auseinandersetzungen im Zeitalter des Kalten Krieges. Das Spiel wurde selbst von einem Diplomaten in einer Besprechung in der New York Times als realistische und detailgetreue Simulation gelobt.
Protagonist des Films ist der Teenager David, der beim Versuch, den Computer eines Spielunternehmens zu hacken, unbeabsichtigt in die elektronische Steuerung des Nuklearwaffenarsenals der USA gerät. Im Glauben, ein neues Spiel zu testen, startet er das Programm Global Thermonuclear War. In der Folge geht der Computer des US-amerikanischen Verteidigungskommandos von einem nuklearen Angriff der Sowjetunion aus und leitet einen Gegenschlag ein. Nur mit der Hilfe des bekannten Spieleklassikers Tic-Tac-Toe gelingt es, das System von der Sinnlosigkeit eines Atomkriegs zu überzeugen und eine militärische Auseinandersetzung zwischen den verfeindeten Supermächten zu verhindern.
Die Spielvorlage geht hingegen von einem tatsächlichen sowjetischen Raketenangriff aus; die Aufgabe der SpielerInnen ist dementsprechend die Verteidigung der USA.
Mit Stalins „Revolution von oben“ seit 1928 und dem Beginn der Fünfjahrespläne wandte sich die UdSSR von Europa ab. Während die Bolschewiki im Jahrzehnt nach ihrer Machtübernahme Europa revolutionieren wollten, erklärten sie nun die radikale Umgestaltung des eigenen Landes zur Priorität. Um die verschiedenen Nationen und Ethnien des Vielvölkerreiches für den „Aufbau des Sozialismus“ zu mobilisieren, bediente sich der Propagandastaat seit 1935 der Metapher der „Großen Freundschaft“ der sowjetischen Völker. Seit Ende der dreißiger Jahre betonte die Propaganda außerdem die Vorreiterrolle des russischen Volkes - seine Verdienste um die Revolution und seine historischen Leistungen in der Staatsbildung erhoben es zum primus inter pares, zu dem die kleineren Brudervölker der UdSSR in „Liebe und Dankbarkeit“ aufblicken sollten. Der Diskurs der Völkerfreundschaft war Bestandteil eines bolschewistischen Nationalismus, der die politische Kultur der Sowjetunion bis zu ihrem Ende prägte und die russische Gesellschaft bis in die Gegenwart beeinflusst.
Wie mehrere aktuelle Konferenzen zeigen, ist das Forschungsfeld der Umweltzeitgeschichte Ost(mittel)europas derzeit stark in Bewegung.1 Dabei werden zum einen Debatten geführt, die sich auf die Entwicklung der einzelnen sozialistischen Gesellschaften, die jeweilige Regimepolitik und die Periodisierung der Zeitgeschichte beziehen. Zum anderen werden Vergleiche zu den westlichen Staaten angestellt. Darüber hinaus steht der Platz Ost(mittel)europas in einer globalen Umweltgeschichte zur Debatte. Die Einordnung in globale Kontexte und eine stärker vergleichende Perspektive versprechen unter anderem eine Relativierung (wenn vielleicht auch nicht Aufhellung) des bislang vorwiegend düsteren Bildes, das von der Sowjetunion und den Ostblockstaaten in Bezug auf deren Umweltprobleme und -politik gezeichnet wurde.
Virtual Reality. Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als Erinnerungskontrolle in den 1930er-Jahren
(2010)
Am Beispiel eines zur Bild-Ikone geratenen Lenin-Fotos aus dem Jahr 1920 untersucht der Beitrag die Praxis manipulativer Eingriffe in das visuelle Gedächtnis der UdSSR vom Stalinismus bis zur Perestrojka. Die Aufnahme, die im Original Lenin und Trotzki vor sowjetischen Truppen in Moskau zeigte, wurde massiven Geschichtsfälschungen unter-zogen, an denen sich prototypisch die Intentionen, Mechanismen und politischen Strukturen der sowjetischen Bild- und Medienzensur seit den 1930er-Jahren rekonstruieren lassen. Die UdSSR gab sich ein neues ideologisches wie visuelles Design, das den Staat im In- und Ausland als Erfolgsmodell darstellen sollte. Dieses Design erforderte nicht nur eine nachträgliche „Optimierung“ der Vergangenheit; in ihm manifestierten sich zugleich stalinistische Visualisierungsstrategien, mit denen Staat und Partei politische Sichtbarkeiten zu kontrollieren versuchten. Trotz des enormen Aufwands war dieser Versuch indes nur teilweise erfolgreich: Es erwies sich letztlich als unmöglich, die Unperson Trotzki flächendeckend aus dem kulturellen Gedächtnis zu eliminieren.
Der Beitrag untersucht Motive und Voraussetzungen des Engagements west- bzw. gesamtdeutscher zivilgesellschaftlicher Initiativen in Belarus nach der Katastrophe von Tschernobyl. Gefragt wird, welche Wahrnehmungen und Maßstäbe von Sicherheit und Verunsicherung die Akteure leiteten. Die Fundamente des Engagements lagen in den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre – vor allem in der Anti-AKW- und der Friedensbewegung. Die zunehmende Sensibilisierung für ökologische Schäden, das sinkende Vertrauen in die schützende Rolle des Staates und wachsende Zweifel an der Autorität von „Experten“ verbanden sich mit einem Wandel in der Kommunikation von Emotionen. Angst und Verunsicherung wurden in der Spätphase des Kalten Krieges zum Mobilisierungspotenzial für ein zivilgesellschaftliches Handeln, das zum Teil bis heute andauert und vielfältige Kontakte zwischen Deutschland und Belarus etabliert hat.
Ol’ga Šparaga hat die belarusischen Untersuchungsgefängnisse von innen gesehen. Sie erzählt vom Schmutz und von der Kälte, von den Verhören – und von der Angst der Wärter. Um einem drohenden Strafverfahren wegen angeblicher Organisation von Massenunruhen zu entgehen, ist sie nach Litauen geflohen, wo sie Bildungsbeauftragte des Koordinationsrats der belarussischen Gesellschaft wurde. Trotz der massiven Repressionswelle, mit der das Regime die Gesellschaft überzieht, bleibt sie optimistisch: An dem Versuch, die Zeit anzuhalten, ist bisher noch jeder gescheitert.
Bei der Entwicklung konventioneller und atomarer Waffen nahmen die verantwortlichen Politiker und Militärs der Vereinigten Staaten, Chinas, Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion keine Rücksicht auf soziale und ökologische Folgen. Bereits vor dem Kalten Krieg richteten sie militärische Testgelände ein, für die ganze Bevölkerungsgruppen umgesiedelt werden mussten. Indianer, Nomaden und andere Menschen, die in den Augen der Behörden unwichtig waren oder sogar der Landesverteidigung im Wege standen, wurden ihrer Dörfer, Begräbnis- und Kulturstätten, ja letztlich ihrer Lebensweise beraubt.
Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl erschütterte im Mai 2019 die Welt ein zweites Mal. Die Miniserie Chernobyl[1] rief den Reaktorunfall, der sich am 26. April 1986 nahe der ukrainischen Stadt Prypjat ereignete, ins Gedächtnis und fesselte bei Sky und HBO ein Rekordpublikum an die Bildschirme. Im Westen erntete die britisch-amerikanische Produktion reichlich Lob und Preise – in Russland dagegen stieß die Serie auf teils harte Kritik. Politiker*innen und Medien bezeichneten sie als US-Propaganda, forderten ein Verbot und warfen den Filmemacher*innen vor, den sowjetischen Machtapparat zu diffamieren. Am Beispiel der US-britischen Serie Chernobyl und des russischen Kinofilms Tschernobyl 1986 zeigt der Beitrag, wie an den ehemaligen Fronten des Kalten Krieges um die „richtige“ Geschichtsdeutung gekämpft wird.
How will Russia’s war of aggression in Ukraine end? What kinds of political scenarios could stop the suffering and bring stability to the region? Of all the different future scenarios none is particularly encouraging. In particular, the prospect of a ›Finlandized‹ Ukraine has met with near universal rejection. Yet, ever since Russia’s illegal annexation of the Crimea, ›Finlandization‹ of Ukraine has been discussed as a potential solution.
During the first five-year plan, the Soviet state turned to an unusual source to cope with the challenge of factory-induced deafness and disability: the deaf community. From 1930 to 1937, deaf activists, alongside specialist doctors, organised a yearly, three-day event known as Beregi slukh! (Take Care of Your Hearing!) to propagandise the prevention of deafness. During these years, more than 46,600 lectures were held in venues across the Soviet Union and 7,900,000 brochures, leaflets and posters printed. While the event reflected the Soviet belief that disability was a relic of the ›backward‹ past that would be eliminated as communism approached, the deaf activists involved in these events used them to make the alternative case for their own identity as a legitimate part of the Soviet body politic. By foregrounding their labour capacities and demonstrating aspects of deaf cultural practices (including sign language) to a hearing audience, Beregi slukh! became a powerful means to advocate for the centrality of the deaf community to Soviet visions of self and society.
Während des ersten Fünfjahresplans griff der sowjetische Staat auf eine ungewöhnliche Ressource zurück, um das Problem der fabrikbedingten Taubheit und Behinderung zu bewältigen: die Gehörlosengemeinschaft. Von 1930 bis 1937 organisierten Gehörlosenaktivist:innen zusammen mit Fachärzt:innen jährlich eine dreitägige Veranstaltung mit dem Titel Beregi slukh! (»Schützen Sie Ihr Gehör!«), um für die Prävention von Gehörlosigkeit zu werben. In diesen Jahren wurden in der gesamten Sowjetunion mehr als 46.600 Vorträge gehalten sowie 7.900.000 Broschüren, Faltblätter und Poster gedruckt. Während die Veranstaltung die sowjetische Überzeugung widerspiegelte, dass Behinderung ein Relikt der »rückständigen« Vergangenheit sei und mit dem Herannahen des Kommunismus beseitigt werden würde, nutzten die gehörlosen Aktivist:innen das Ereignis, um ihre eigene Identität als legitimen Teil der sowjetischen Gesellschaft zu verteidigen. Indem sie ihre Arbeitskraft in den Vordergrund stellten und einem hörenden Publikum Aspekte ihrer kulturellen Praktiken demonstrierten (einschließlich der Gebärdensprache), wurde Beregi slukh! zu einem wirkungsvollen Mittel, um die Relevanz der Gehörlosengemeinschaft für die sowjetischen Visionen des Selbst und der Gesellschaft zu betonen.
In den über 60 Jahren, die seit den Ereignissen bei Stalingrad von 1942/43 vergangen sind, ist das Geschehen in den Erinnerungskulturen zahlreicher Länder immer wieder neu entworfen, umgewandelt und mit unterschiedlichen Deutungsebenen verknüpft worden. Die Muster der Erinnerung waren und sind eng verbunden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zum Zeitpunkt ihrer Verbreitung, und sie standen bzw. stehen noch immer in einem gespannten Verhältnis zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über „Stalingrad“: So ging der Krieg für die Deutschen bereits im Winter 1941 verloren, und es folgten für Deutschland verlustreichere Kriegsphasen. Dass „Stalingrad“ in der deutschen und sowjetischen Erinnerungskultur bis heute eine herausragende Bedeutung einnimmt, steht dazu in offensichtlichem Widerspruch und kann nur gedächtnisgeschichtlich erklärt werden.