Gedächtnis
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Zwei Männer sitzen beim Frühstück. Einer trägt Hausjacke mit Monogramm, der andere einen dunklen Zweireiher. Man diskutiert Weltpolitik und wird sich nicht einig: Gustav Stresemann (Werner Wölbern) und Regierungsrat Wendt (Benno Fürmann). Am Ende der Szene liegt Stresemann am Boden und Wendt schaut tatenlos zu, wie dessen Atem endgültig aussetzt. Während die historische Person Gustav Stresemann zu den wichtigsten deutschen Politiker*innen des 20. Jahrhunderts gehört, ist Regierungsrat Wendt eine fiktive Figur, die die Filmemacher Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten als Antagonisten ihrer Serie Babylon Berlin erschaffen haben. Wahrheit und Fiktion gehen in der Serie Hand in Hand. Während die Ausstattung bis ins kleinste Detail stimmt, werden historische Ereignisse an dramaturgische Anforderungen angepasst, um ins Geschichtsbild einer sterbenden Demokratie zu passen.
Der vorliegende Beitrag untersucht das Spannungsverhältnis zwischen dem historischen Abbild im engeren und dem Geschichtsbild im weiteren Sinne. Hierfür untersuchen wir erstens die „Oberflächengenauigkeit“(Friedrich Knilli) auf der Abbildungsebene, bei der der Schauwert der historischen Inszenierung der historischen Authentisierung der Serie dient und die Authentizitätserwartung des Publikums befriedigt. Zweitens diskutieren wir, wie beim Geschichtsbild von Babylon Berlin Abstriche von der historischen Genauigkeit gemacht werden und wie hierbei Geschichtsvergessenheit und Geschichtsversessenheit aufeinandertreffen. Drittens untersuchen wir die Produktion von Geschichtsbildern im innerdiegetischen Bildgebrauch der Serie, in der die Produktion von Bildern ständig thematisiert wird. Uns geht es also um Bilder als Teil der Filmhandlung und somit um das Bild im Bild einer Serie, die unser Geschichtsbild von der Weimarer Republik nachhaltig prägt.
Margaret Thatcher soll einmal gesagt haben, dass die Menschen alle dreißig Jahre etwas radikal Neues wollen. In dieser Lesart wäre es folgerichtig, dreißig Jahre nach dem letzten großen historischen Einschnitt auch Deutungen der Geschichte neu zu kontextualisieren. Nicht ohne Grund erleben wir aktuell, dass die Ereignisse der Friedlichen Revolution, der Deutschen Einheit und der ersten Jahre nach der Wiedervereinigung auch in den Fokus historischer Betrachtungen geraten. Der Abstand von einer Generation bedeutet, dass wir nunmehr allmählich von der Perspektive der Erinnerung in die Perspektive des Historisierens übertreten.
Wagen wir einmal einen Blick zurück: Auch der Umgang mit der NS-Geschichte verlief in verschiedenen Etappen. Es brauchte über zehn Jahre, bis es etwa mit Filmen wie „Rosen für den Staatsanwalt“ erste Formen der Auseinandersetzung gab. Die Auschwitz-Prozesse, der Umgang mit der Erstausstrahlung der Reihe „Holocaust“ oder auch die Frage nach dem Umgang mit dem 8. Mai – all dies waren Episoden in einem jahrzehntelangen Ringen um den Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Was allgemein als Errungenschaft von „68“ gewertet wird, nämlich ein Wandel im Umgang mit der Vergangenheit, um daraus auch ein neues Selbstverständnis für die Gegenwart abzuleiten, war in Wirklichkeit ein mühsamer Prozess, der bereits früher begann und länger als einen Protestsommer andauerte. Die Debatten um die Weizsäcker-Rede zum 8. Mai 1985 oder der Historikerstreit der 1980er Jahre zeigten, wie hart selbst fast zwei Generationen nach Kriegsende noch um ein Geschichtsbild gerungen wurde. Die Auseinandersetzung über das Selbstbild, den Umgang mit Geschichte und den Folgerungen daraus sind eine jahrzehntelange Arbeit ist, die mit dem Abstand einer Generation eher beginnt, als das sie endet.
Das Liederbuch der Bundeswehr war von Beginn an umkämpft. Diese offizielle Liedersammlung, 1958 in erster Auflage erschienen, sollte – und soll bis heute – den „Geist der Truppe“ widerspiegeln. Symbolisch wurde und wird in Debatten um die Liedauswahl verhandelt, was Soldatentum nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus bedeuten und welche Rolle Militarismus in der westdeutschen Gesellschaft einnehmen darf.
Ein Blick auf die Veränderung des Liedguts im Laufe der Jahrzehnte zeigt, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Demokratie verändert haben. Während die Liedsymbolik in der frühen Bundesrepublik mit positivem Kriegsbezug und „Soldatenehre“ brach, fanden entsprechende Lieder im Zuge der Neuauflagen von 1963 und 1976 wieder Eingang in das Liederbuch. Die Entwicklung liegt damit quer zum postulierten Durchbruch demokratischer Vorstellungen nach den langen 1960er Jahren. Sie zeigt auch, dass die aktuellen Vorfälle und Debatten um rechtsextreme Soldaten und Wehrmachts-Memorabilia in den „Traditionsräumen“ der Truppe in eine längere Geschichte des Umgangs mit Vergangenheit in der Institution Bundeswehr eingeordnet werden müssen.
Ursprünglich anlässlich der Eröffnung des Humboldt-Forums geplant, fiel die Konzeption dieses Themenschwerpunkts in ein Jahr, das, bereits während es noch stattfand, zum einschneidenden Epochenjahr, ja zur historischen Zäsur erklärt wurde. Geprägt von der Lebens- und Arbeitswirklichkeit, den öffentlichen und akademischen Debatten dieses Ausnahmejahres, dehnte sich auch dieses Dossier aus, und sollte nicht länger allein (zeitgeschichtliche Perspektiven auf) postkoloniale Restitution in Deutschland thematisieren, sondern die Besonderheiten und Schwerpunkte seines Entstehungsjahres spiegeln, das postkoloniale Fragen immer wieder und auf mannigfaltige Weise in den Vordergrund spielte. An dieser Stelle möchte ich den unter erschwerten Bedingungen arbeitenden Autor:innen, deren Texte ich im Folgenden einzeln vorstellen werde, herzlich danken.
Anlässlich des 80. Geburtstages von Franz Kafka hatte vom 27. bis 29. Mai 1963 im barocken Schloss von Liblice die inzwischen legendäre Kafka-Konferenz unter der Federführung von Eduard Goldstücker und seiner Prager Germanistenkollegen stattgefunden. Ein Jahr danach, im Sommer 1964 berichtete der Budapester Korrespondent der Associated Press über die kulturpolitische Situation in den osteuropäischen Ländern. Unter dem Titel „Wer wird sich schon vor Kafka fürchten?“ diagnostizierte der Autor ein „kulturpolitisches Tauwetter“, das insbesondere in Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen zu spüren sei.
Obwohl der Begriff „Erinnerungskultur” erst seit den 1990er-Jahren Einzug in die Wissenschaftssprache gefunden hat, ist er inzwischen ein Leitbegriff der modernen Kulturgeschichtsforschung. Während er in einem engen Begriffsverständnis als lockerer Sammelbegriff „für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit – mit den verschiedensten Mitteln und für die verschiedensten Zwecke” definiert wird, erscheint es aufgrund der Forschungsentwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte insgesamt sinnvoller, „Erinnerungskultur” als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse zu verstehen, seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0) Obwohl der Begriff „Erinnerungskultur" erst seit den 1990er-Jahren Einzug in die Wissenschaftssprache gefunden hat, ist er inzwischen ein Leitbegriff der modernen Kulturgeschichtsforschung.[1] Während er in einem engen Begriffsverständnis als lockerer Sammelbegriff „für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit – mit den verschiedensten Mitteln und für die verschiedensten Zwecke" definiert wird,[2] erscheint es aufgrund der Forschungsentwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte insgesamt sinnvoller, „Erinnerungskultur" als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse zu verstehen, seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur. Der Begriff umschließt mithin neben Formen des ahistorischen oder sogar antihistorischen kollektiven Gedächtnisses alle anderen Repräsentationsmodi von Geschichte, darunter den geschichtswissenschaftlichen Diskurs sowie die nur „privaten" Erinnerungen, jedenfalls soweit sie in der Öffentlichkeit Spuren hinterlassen haben. Als Träger dieser Kultur treten Individuen, soziale Gruppen oder sogar Nationen in Erscheinung, teilweise in Übereinstimmung miteinander, teilweise aber auch in einem konfliktreichen Gegeneinander.
Drei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 rücken deren oft nur schwer überschaubare Nachgeschichten mit Macht wieder ins Blickfeld von Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Fortbestehende Ost-West-Differenzen sowie populistische Wahlerfolge werden als Symptome einer noch immer nicht erreichten „Inneren Einheit“ gedeutet. Dementsprechend finden sich Behauptungen und Vermutungen über „Ostdeutsche“ derzeit wieder gehäuft – sei es in Talkshows, in Zeitungen, im Internet, auf Familienfesten oder auch am Stammtisch. Sehr schnell wird dabei die ostdeutsche Vergangenheit zur Erklärung gegenwärtiger Probleme sowie fortbestehender Differenzen herangezogen. Während ein Lager die mentalen Langzeitfolgen sowie das schwierige Erbe der repressiven SED-Diktatur hierfür verantwortlich macht, verweisen andere vehement auf die durch neoliberale Transformationsstrategien ausgelösten, schockartigen Umbruchserfahrungen nach 1990. Gerade jenseits dieser beiden geschichtspolitischen Pole lohnt ein differenzierter Blick auf die jüngste Vergangenheit. Die Frage steht im Raum, was die zeithistorische Forschung zu dem Thema Neues beitragen kann. In diesem Dossier wollen wir eine facettenreiche Bestandsaufnahme aktueller geschichtswissenschaftlicher Forschungen zu Beginn des erwartbaren Jubiläumsreigens 2019/20 wagen und eruieren, welche neuen Deutungsangebote es gibt. Zugleich geht der Blick über die eigene Disziplin hinaus, indem danach gefragt wird, was andere von der Geschichtswissenschaft erwarteten oder erhofften.
Es ist etwas in Bewegung geraten in der ohnehin komplizierten deutsch-deutschen Erinnerungslandschaft. Nach dreißig Jahren wandeln sich die Rückblicke auf die jüngste Vergangenheit. Im Fokus steht dabei die Zeitenwende von 1989/90, die Deutschland und Europa wieder intensiv umtreibt. Eine neue Welle von Populismen und Nationalismen spült scheinbar vergessene, verdrängte oder überwunden geglaubte Fragen zu den materiellen wie ideellen Erbschaften von Staats- und Postsozialismus erneut an die Oberflächen. Als zuletzt auch die sonst in dieser Hinsicht so schweigsame Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview gegenwärtig – angesichts bisweilen heftiger publizistischer Debatten – ein ostdeutsches „1968“ aufdämmern sah, wurde offensichtlich: Vormals festgefügte Meister- beziehungsweise Siegererzählungen (West?) und hierauf bezogene Gegen- beziehungsweise Opfererzählungen (Ost?) werden brüchig und verlieren an Überzeugungs- und Bindekraft.Politische, generationelle, wissenschaftliche und kommunikativ-technologische Dynamiken überschneiden sich in einem nur schwer überschaubaren Geflecht aus vielfältigen Interessen, Meinungen und Emotionen. Und mittendrin: eine gerade erst dieses neue Feld empirisch für sich entdeckende Zeitgeschichtsforschung.
Mit den kollektiven Umbruchserfahrungen nach 1989/90 gingen auch individuelle Erfahrungsumbrüche einher. DDR-spezifische Wissens-, Erfahrungs- und Erinnerungsbestände, ideologisch geprägte Geschichtsbilder und über Jahrzehnte erprobte Handlungsmuster wurden mit der Friedlichen Revolution umfassend in Frage gestellt. Die ostdeutschen Transformationsprozesse brachten zugleich ganz lebenspraktische und alltagsbezogene Herausforderungen mit sich. Sicherheiten und Gewissheiten verschwanden mit dem Ende des SED-Staates. Neue Interpretationen und neue Grenzen des Sagbaren entwickelten sich rasch. Es wurde ein Justieren der Erfahrungs-, Erinnerungs- und Wissensbestände im gesamtdeutschen Setting notwendig, bei dem auch vermeintlich ostdeutsche Identitäten (neu) verhandelt wurden. Diese Um-Deutungsprozesse gingen einerseits mit hitzigen und hoch emotional geführten gesellschaftlichen Debatten einher, andererseits mit ganz individuellen Verlusterfahrungen, mit Um- und Aufbrüchen in allen Gesellschaftsbereichen.
Pünktlich zum 150. Jahrestag der Reichsgründung von 1871 ist die öffentliche Debatte über die Modernität des deutschen Kaiserreichs wieder voll entbrannt. Den Anstoß gaben Eckart Conze und Hedwig Richter mit ihren jüngsten Veröffentlichungen zum Reichsgründungsjubiläum.[2] Über alle Streitpunkte hinweg sind sich die gegensätzlichen Positionen in einem Punkt erstaunlich ähnlich: Das Königreich Preußen war so etwas wie das konservative Bollwerk gegen die Parlamentarisierung und Demokratisierung des Kaiserreichs. Gestritten wird eigentlich nur über die Frage, ob dieses Bollwerk bis 1914 noch unerschütterlich feststand (Eckart Conze) oder ob seine Mauern bereits zu bröckeln begonnen hatten (Hedwig Richter).
Zur Bonn-Nostalgie Westdeutschlands gehörte die Anhänglichkeit an das Provisorium der Nachkriegszeit, verbunden mit der Absage an staatliche Symbole und internationale politische Verantwortung. Nach dem Umzug nach Berlin kam die Prussifizierung der deutschen Nation. Sie fand ihr Sinnbild in der Rekonstruktion des Schlosses in der Hauptstadt. Von 2013 bis 2020 konnten sich die Berliner allmählich auf die neue Kulisse einstellen. Zuvor, von 2006-2008 konnte man sich vom Palast der Republik verabschieden. Der Abbau dauerte fast drei Jahre, weil das Gebäude aufgrund seiner hohen Asbestbelastung nicht einfach weggesprengt werden konnte. Mit dem Palast der Republik verschwand mit der DDR Geschichte auch der historische Ort, an dem 17 Jahre zuvor die deutsche Einheit beschlossen wurde.
The debates about what to do with collections from colonial contexts, and how to deal with them, have developed pace and unexpected momentum in the last three years. This is especially true for artifacts from the African continent, whether they are in museums or collections in Europe, North America, or elsewhere outside the continent. But the same is true under different circumstances, and we do not want to pass over this, for colonial collections and museums in Africa. Let's take a closer look at both in light of recent debates.
The discussions about whether, to whom and when under which circumstances a return, or rather indeed: an unequivocal restitution is appropriate or not, have recently experienced differentiations. This applies already to the preconditions of most restitutions, namely the opening and making accessible of the inventories. While some think that in principle everything should be put online, another opinion maintains that whenever possible, the creators or original holders should have their say beforehand, especially in the case of 'sensitive' objects such as those containing human remains, of a sacred nature, or photographs of contexts of violence. This has also brought other issues into focus – questions about the various forms of rights of disposal, about the forms and functions of museums in Africa, and in Europe and elsewhere.