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Die Friedliche Revolution des Jahres 1989 rückte die Geschichte der SED-Diktatur und der deutschen Teilung auf die Agenda der bald darauf gesamtdeutschen Erinnerungskultur. Dreißig Jahre später ist die Geschichte der kommunistischen Diktatur selbstverständliches Thema von Museen und Gedenkstätten, Lehrplänen, der Belletristik und TV-Produktionen. Einschlägige Jahrestage werden gleichermaßen im Osten wie im Westen Deutschlands begangen. Wissenschaftliche Studien füllen ganze Bibliotheken. Zeitweilig hieß es sogar, die DDR sei überforscht — eine These, die mehr über den Überdruss ihrer Urhebern als über den Forschungsgegenstand aussagte. Welches Forschungspotential im Thema steckt, zeigt der 2016 erschienene Sammelband „Die DDR als Chance“ auf.
Eine Reise nach Flensburg zum Visual Historian Gerhard Paul wäre ohne eine beispielhafte Bildanalyse von ihm sicherlich unvollständig. Genau aus diesem Grund baten Christine Bartlitz und Josephine Kuban ihn im Rahmen des im September 2020 geführten Interviews (https://visual-history.de/2021/03/15/gelernt-habe-ich-im-laufe-der-zeit-viel-mehr-auf-das-bild-selbst-zu-achten-interview-gerhard-paul/) um die Auswahl eines Bildes und eine anschließende Bildbeschreibung, -analyse und -interpretation. Keine zehn Minuten später lag eine Analyse der Fotografie des vietnamesischen Mädchens Kim Phúc vom 8. Juni 1972 des Fotografen Nick Ùt vor. Sie kann exemplarisch als eine Anleitung zum Umgang mit Bildern in der Geschichtswissenschaft genutzt werden – und ist der Auftakt für weitere Grundlagentexte und methodische Einführungen in die Visual History auf visual-history.de.
Als im Frühjahr 1998 die Ergebnisse des zweiten Wettbewerbs zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas diskutiert wurden und man diese breite öffentliche Debatte sogar als das eigentliche Denkmal für die Opfer des Holocaust bezeichnete, betrat eine „Initiative Denkmal Deutsche Einheit“ die erinnerungspolitische Bühne. In ihrem öffentlichen Aufruf forderte sie die Schaffung eines „Freiheits- und Einheitsdenkmals“, dem die Losung „Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk!“ zugrundeliegen sollte. Das Denkmal sollte die friedliche Revolution in der DDR von 1989 würdigen und einen Ausdruck der Freude über die errungene nationale Einheit im Stadtbild der deutschen Hauptstadt darstellen. Der Kontrast zum jüngeren erinnerungspolitischen Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland war markant: Dem Tiefpunkt deutscher Geschichte im Völkermord an den europäischen Juden wurde ein Höhepunkt des Freiheitswillens der Deutschen und des Ringens um ihre nationale Einheit gegenübergestellt.
Klischee, Klitterei, Geschichtchen ohne Geschichte - so die schärfsten Vorwürfe in der öffentlichen Debatte um den Historienfilm „Rosenstraße“. Er erzählt die Geschichte des Protestes nichtjüdischer Berliner Frauen gegen die tagelange Inhaftierung und befürchtete Deportation ihrer jüdischen Ehemänner durch Gestapo und SS im Frühjahr 1943. Ein Film im Kreuzfeuer eines Historikerstreites: Die Deportation der jüdischen Ehepartner sei geplant gewesen, erst der weibliche Protest habe zur Freilassung der Mehrzahl der rund 1.500 bis 2.000 Inhaftierten geführt - so die einen (Nathan Stoltzfus, Gernot Jochheim). Die Inhaftierung habe ‚nur’ der Auswahl von Ersatzkräften für zu deportierende „Volljuden“ gedient, die folgende Freilassung der „Mischehen-Partner“ sei bereits beschlossen gewesen - so die anderen (Wolf Gruner, Wolfgang Benz).
Es ist etwas in Bewegung geraten in der ohnehin komplizierten deutsch-deutschen Erinnerungslandschaft. Nach dreißig Jahren wandeln sich die Rückblicke auf die jüngste Vergangenheit. Im Fokus steht dabei die Zeitenwende von 1989/90, die Deutschland und Europa wieder intensiv umtreibt. Eine neue Welle von Populismen und Nationalismen spült scheinbar vergessene, verdrängte oder überwunden geglaubte Fragen zu den materiellen wie ideellen Erbschaften von Staats- und Postsozialismus erneut an die Oberflächen. Als zuletzt auch die sonst in dieser Hinsicht so schweigsame Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview gegenwärtig – angesichts bisweilen heftiger publizistischer Debatten – ein ostdeutsches „1968“ aufdämmern sah, wurde offensichtlich: Vormals festgefügte Meister- beziehungsweise Siegererzählungen (West?) und hierauf bezogene Gegen- beziehungsweise Opfererzählungen (Ost?) werden brüchig und verlieren an Überzeugungs- und Bindekraft.Politische, generationelle, wissenschaftliche und kommunikativ-technologische Dynamiken überschneiden sich in einem nur schwer überschaubaren Geflecht aus vielfältigen Interessen, Meinungen und Emotionen. Und mittendrin: eine gerade erst dieses neue Feld empirisch für sich entdeckende Zeitgeschichtsforschung.
Ende der 1970er Jahre tauchte »Preußen« in beiden deutschen Staaten wieder auf. Die »Preußenrenaissance« wurde bislang vor allem als geschichtspolitisches und intellektuellengeschichtliches Phänomen betrachtet. Preußen wurde aber auch, das zeigt der Blick auf die formative Phase der Preußenkonjunktur um 1980, in breiten Bevölkerungsschichten populär. Der nach 1989/90 betriebene Versuch indes, Preußen zur Traditionsstiftung für das vereinigte Deutschland zu nutzen, scheiterte auf lange Sicht. Heute ist Preußen, jenseits der Hohenzollerndebatte, nurmehr punktuell im Rhythmus der Jahrestage präsent.
Russians Against War, Voices Of Peace, Sound of Peace und Stand With Ukraine Charity Tour: So hießen die Konzertreihen, die russische Musiker:innen nach Beginn der Invasion zur Unterstützung des angegriffenen Nachbarlands organisiert haben. Bekannte Künstler:innen wie Noize MC, Monetotschka, Zemfira oder Oxxxymiron spielten in Berlin, Helsinki, London, Istanbul, Prag, Tbilisi, Tallinn und Warschau. Viele der auftretenden Künstler:innen haben seit Jahren Schwierigkeiten, in Russland Konzerte zu spielen. Die meisten haben nach dem 24.02.22 das Land verlassen, einige sind zu ausländischen Agenten erklärt worden. Im europäischen Ausland spielen sie die Lieder, die in Russland niemand hören soll – und die über Youtube doch ein Publikum finden. Sie singen über ihr Heimatland, das von einem „Amok laufenden alten Gnom“ (Oxxxymiron) beherrscht wird, die Ukraine mit Gewalt überzieht und der Welt mit dem Atompilz droht. Sie beklagen Propaganda und Lüge, Zensur und Unterdrückung, Militarisierung und Kriegskult. Die Musiker:innen sammeln Geld für ukrainische Geflüchtete und rufen auf den europäischen Bühnen die zwei Worte, die in Russland nicht gesagt werden dürfen: нет войне, Nein zum Krieg.
Zum internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2011 ging das Fotoarchiv der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem ins Netz. Insgesamt wurden bisher etwa 150.000 Fotos digitalisiert und auf der Website zugänglich gemacht. Das Projekt basiert auf einer Kooperation mit Google. Die enorme Materialfülle eröffnet den Besuchern die Möglichkeit, neben „Ikonen der Vernichtung“ selbst neue „Bilderwelten“ aufzutun – zugleich ist das Projekt nicht frei von Startschwierigkeiten.
Erinnerung und Gedächtnis
(2010)
Gedächtnis und Erinnerung gehören heute zu den Schlüsselkategorien der Geistes- und Sozialwissenschaften.Gedächtnis und Erinnerung sind geläufige Begriffe, die in der Regel nur dahingehend differenziert werden, als dass das Gedächtnis die Erinnerung erst ermöglicht. Das Gedächtnis beinhaltet in diesem Sinne eine virtuelle und manifeste Infrastruktur. Menschen brauchen dabei nicht nur ein Gehirn als organische Basis, sondern sie sind in hohem Masse auf externe Erinnerungsspeicher unterschiedlichster Art angewiesen, um jene fragilen Bewusstseinsakte zu erzeugen, die gemeinhin Erinnerung genannt werden.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0) Obwohl der Begriff „Erinnerungskultur" erst seit den 1990er-Jahren Einzug in die Wissenschaftssprache gefunden hat, ist er inzwischen ein Leitbegriff der modernen Kulturgeschichtsforschung.[1] Während er in einem engen Begriffsverständnis als lockerer Sammelbegriff „für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit – mit den verschiedensten Mitteln und für die verschiedensten Zwecke" definiert wird,[2] erscheint es aufgrund der Forschungsentwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte insgesamt sinnvoller, „Erinnerungskultur" als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse zu verstehen, seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur. Der Begriff umschließt mithin neben Formen des ahistorischen oder sogar antihistorischen kollektiven Gedächtnisses alle anderen Repräsentationsmodi von Geschichte, darunter den geschichtswissenschaftlichen Diskurs sowie die nur „privaten" Erinnerungen, jedenfalls soweit sie in der Öffentlichkeit Spuren hinterlassen haben. Als Träger dieser Kultur treten Individuen, soziale Gruppen oder sogar Nationen in Erscheinung, teilweise in Übereinstimmung miteinander, teilweise aber auch in einem konfliktreichen Gegeneinander.