Bundesrepublik
Selten trafen im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess Ost- und Westdeutsche so unmittelbar aufeinander wie in den brandenburgischen Gutsdörfern, wo nach 1990 zurückgekehrte Adelsfamilien ein Auskommen mit der sozialistisch geprägten Dorfbevölkerung finden mussten. Beide Gruppen sind durch eine geteilte Vergangenheit bis zur Enteignung 1945 miteinander verbunden, waren aber in den folgenden vierzig Jahren voneinander getrennt. Im früheren Gutsdorf wurden wie unter einem Brennglas spezifische Probleme und Dynamiken sichtbar, die in der Transformationszeit überall im Osten Deutschlands auftraten.
Für dieses Projekt wurden 21 Interviews mit adligen Rückkehrer*innen und Dorfbewohner*innen unterschiedlicher Generationen in drei ausgewählten Dörfern geführt. Alle Personen- und Ortsnamen in dieser Studie wurden anonymisiert, um nach den Standards der Oral-History-Forschung die Persönlichkeitsrechte der Befragten zu wahren. Ergänzt wurden die mündlichen Erzählungen mit schriftlichen Überlieferungen aus brandenburgischen Kreisarchiven und dem Landesarchiv in Potsdam.
In den drei untersuchten Dörfern versuchten die westdeutschen Adelsfamilien, die nach dem Ende der DDR in das Gutsdorf ihrer Vorfahren zurückgekehrt waren, sich den Raum des früheren Gutes wieder anzueignen. Da die Enteignungen zwischen 1945 und 1989 von staatlicher Seite aus nicht rückgängig gemacht wurden, verhandelten nun Dorfbewohner und Adlige miteinander über den Verkauf, die Verpachtung und die weitere Nutzung der Immobilien des früheren Gutes. In den Erzählungen der befragten Interviewpartner*innen über die Umgestaltung der Schlösser, Gutshäuser, Kirchen, Friedhöfe, Felder und Wälder offenbarten sich die neuen sozialen Beziehungen nach dem Ende der DDR.
In West-Berlin existierten zur Hochzeit des Kalten Krieges zwei antinazistische Strukturen, die den gesellschaftlichen Umgang mit der extremen Rechten in der Viersektorenstadt einige Jahre lang prägten: Der Kampfbund gegen den Nazismus (KgN), der eigenen Angaben zufolge rund 200 Mitglieder hatte, und das Referat Neofaschismus (Referat N) im Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN), in dem ein fester Mitarbeiter und vielleicht ein Dutzend Unterstützer*innen tätig waren.
Der folgende Text beschäftigt sich mit Fragen danach, warum diese beiden Initiativen entstanden und wer in ihnen aktiv war. Vor welchen Kontinuitäten des Nazismus warnten sie, insbesondere mit Blick auf rechte Gewalt? Warum waren beide Institutionen, KgN und Referat N, nur über so kurze Zeit tätig? Hatten sie überhaupt politischen Einfluss?
Wir sind das Volk ist ein Strategie-Brettspiel, in dem der historische Verlauf der innerdeutschen Teilung spielerisch nacherzählt und erlebbar wird. Entwickelt von Peer Sylvester und Richard Sivélerschien es 2014 im Histogame Verlag. Motiviert wurde die Entwicklung durch das Interesse Sylvesters am Konzept „zwei[er] getrennte[r] Staaten, die sich nebeneinander entwickeln und miteinander konkurrieren.“ [1] Das Spiel ist nicht primär geschichtspolitisch motiviert, kann aber durch das kontrafaktische Spielprinzip einen besonderen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten. Das Spiel erhielt viel positive Resonanz und wurde insbesondere für seine Rahmenhandlung und die Spielmechanik gelobt.
Queere Geschichtsschreibung steckt auch 2022 im deutschsprachigen Raum immer noch in den Anfängen. Die Erforschung lesbischer* Geschichte wurde sehr lange hauptsächlich von Aktivist*innen geleistet, die in politischen Projekten oder finanziert durch kleinere Aufträge nach Spuren lesbischen* Lebens suchten und Stimmen von Zeitzeug*innen aufzeichneten. In der universitären Welt ist lesbische* Geschichtsschreibung bisher allenfalls punktuell zu finden. Folgende Ausführungen zur Situation frauenliebender Frauen* in psychiatrischen Kliniken nach 1945 werden mehr Fragen als Forschungsbefunde enthalten, da sich unsere Forschungen noch in den Anfängen befinden.
Die Friedliche Revolution und die folgende Systemtransformation wurden von den Ostdeutschen als tiefer biographischer Einschnitt erlebt. Weite Teile ihrer Lebenswelt veränderten sich, einstige Sicherheiten waren auf einmal nicht mehr sicher. Dieser revolutionäre Wandlungsprozess wurde ganz unterschiedlich erlebt und gedeutet. Heute prägen die damaligen Erfahrungen den Rückblick auf diese Zeit. Es besteht ein Erinnerungskonflikt zwischen einem Revolutionsgedächtnis, das die demokratischen Errungenschaften hochhält, und einem Verlustgedächtnis, das den Umbruch als Zeit der Verunsicherung und enttäuschten Erwartungen abgespeichert hat und bis heute eine skeptische Haltung zur neuen politischen Ordnung einnimmt. Eng verklammert ist die jeweilige Deutung zudem mit unterschiedlichen Geschichtsbildern von der SED-Diktatur, deren wichtigste Quelle heute die Familie ist. Schule und Gedenkstätten spielen bei der Ausprägung von Geschichtsbildern hingegen eine deutlich nachgeordnete Rolle. Auch die jeweiligen Diktaturerfahrungen prägen also die Sicht auf die Transformation.
Das Genre der Arbeiterfotografie erlebte, nachdem sie eine erste Hochphase in der Weimarer Republik erfahren hatte – in jenen Jahren oftmals mit deutlich agitatorischem, propagandistischem Hintergrund –, in der jungen Bundesrepublik eine zweite Blüte, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Warum das so war, brachte der Industriefotograf Peter Keetman rückblickend anschaulich auf den Punkt. Als er 1953 nach Wolfsburg reiste, um für drei Tage ganz ohne Auftrag, aber mit Erlaubnis der Werksleitung im Volkswagenwerk zu fotografieren, erlebte er, wie er viele Jahre später sagen sollte, die „aufregendsten Tage in meinem langen Berufsleben“ – und dies nicht ohne Grund: „Es gab keine Einschränkungen, keine Tabus. Ich war auf einmal frei, niemand befahl mir, was ich zu tun hatte. Unglaublich.“ Seine damals entstandenen Aufnahmen zählen heute zu den Klassikern der Industriefotografie, sie markieren Gijs van Tuyl zufolge einen „Meilenstein“ in deren Entwicklung.
Aufarbeitung von Geschichte ist anders als die geschichtswissenschaftliche Analyse ein politischer Vorgang, eine Angelegenheit der Zivilgesellschaft. Die DDR-Aufarbeitung war mit dem Grundsatz angetreten, die Demokratie im Osten zu befördern. Manche Aufarbeiter*innen verkünden sogar etwas zu vollmundig, je besser man Diktatur begreife, umso besser könne man Demokratie gestalten. Demokratie ist ein Projekt, das keiner Negativfolie bedarf.
Aufarbeitung generell ist wichtig, keine Frage. Aber wie wichtig ist sie wirklich? Wer sollte das messen, einschätzen? Wen erreicht Aufarbeitung und vor allem, wen nicht? Man sollte sie nicht überschätzen, so wie man das Gewicht einzelner dabei nicht überschätzen sollte. Es machen weder große Männer allein Geschichte noch schlanke Menschen allein Geschichtsaufarbeitung. Beide Gruppen glauben das allerdings gern.
In der DDR-Aufarbeitungslandschaft haben wir den merkwürdigen Umstand zu beobachten, dass in vielen Institutionen Personen Entscheidungen fällen, den Ton vorgeben, Verantwortung tragen, die dafür meist „nur“ durch ihre Biographie, nicht aber wegen einer professionellen Ausbildung in Museumsdidaktik, Geschichtspädagogik, Geschichts- oder Politikwissenschaften qualifiziert sind. Vor allem in den 1990er Jahren war es von hoher Bedeutung, dass Oppositionelle und Opfer der SED-Diktatur den kommunistischen und postkommunistischen Geschichtsmärchen ihre lebensgeschichtliche Wucht entgegenhielten. Aber die Revolution ist längst Geschichte. Die Kinder sind nicht entlassen worden, sondern eigentlich im Rentenalter.
Ausverkauf des Ost-Erbes?. Spurensuche zur Privatisierung des VEB Deutsche Schallplatten nach 1989
(2020)
Die zur Umbruchszeit verschmähte Popmusik der DDR erlebte ab Mitte der 1990er Jahre eine bemerkenswerte Renaissance. Unter der Genrebezeichnung „Ostrock“ wurden sehr verschiedene Musiker*innen mit ostdeutschem Hintergrund erfolgreich vermarktet. Erlebte dieser Teil des DDR-Musikerbes damit ein bemerkenswertes Fortleben, bestimmte hingegen in Vertrieb und Produktion nicht Kontinuität, sondern Bruch und Veränderung die Zeit nach 1989. Im Schatten der allgemeinen Transformationsgeschichte Ostdeutschlands fand ein musikwirtschaftlicher Überlebenskampf statt. Diesen aus historischer Perspektive nachzuvollziehen, ist allerdings keinesfalls einfach, denn für die Zeit vor und nach 1990 herrscht eine asymmetrische Aktenlage bzw. viele Archivbestände aus dieser Periode sind immer noch unter Verschluss. Das macht es bislang auch so schwierig, die geschichtswissenschaftliche Forderung nach mehr thematisch eng gefassten Studien zur Transformationszeit einzulösen. Davon betroffen ist auch die Geschichte der DDR-Schallplattenlabel und des „Ostrocks“ nach 1990. Ihr Ringen um Weiterexistenz muss aus diversen Überlieferungsresten und Einzelberichten rekonstruiert werden – ein lohnendes Unterfangen, wie erste Einsichten und Ergebnisse zeigen.
In der vergleichenden Forschung zu politischer Gewalt in Deutschland spielen Unterscheidungen, die sich auf die weltanschauliche oder strategische Ausrichtung der Gewalt beziehen, eine zentrale Rolle. Gewalt gilt als ‚politisch‘, wenn sie auf die Herstellung oder Veränderung einer gesellschaftlichen Ordnung zielt, oder in diesem Sinne gedeutet wird. Und da es sehr verschiedene politische Visionen und Utopien gibt, erscheint es wichtig, diese begrifflich voneinander abzugrenzen. Der politische Horizont der Gewaltakteure wird dabei häufig zu einem Attribut der Gewalt selbst. So ist etwa von ‚linker Gewalt‘ und ‚rechter Gewalt‘ die Rede, die von ‚sezessionistischer Gewalt‘, ‚djihadistischer Gewalt‘ oder auch ‚ökoterroristischer Gewalt‘ unterschieden wird.
In der Regel dienen diese Formulierungen dazu, den Gegenstandsbereich einzugrenzen. Sie signalisieren, dass hier das (Gewalt-)Handeln jeweils bestimmter Bewegungen untersucht wird, die sich politisch spezifischen Ideologien oder Weltsichten zuordnen lassen. Gewalt gilt als ‚rechts‘, wenn sie von Rechtsextremist:innen verübt wird oder sich in den Horizont rechtsextremistischer Weltvorstellungen einordnen lässt, nicht weil unterstellt wird, die Dynamik der Gewalt selbst weise Merkmale auf, die sie eindeutig als dem rechtsextremen Spektrum zugehörig identifizieren. In der Regel verweisen die zitierten Attribute also auf den Horizont der Gewaltakteure; selten stehen dahinter starke gewalttheoretische Thesen über den spezifischen Charakter der Gewalt der genannten Gruppen.
Angesichts der flimmernden Semantik des Ausdrucks „(ost)deutsche Transformationsforschung“ braucht es zunächst eine präzisierende Bestimmung des Gegenstandes der folgenden Überlegungen. Sie konzentrieren sich auf die sozialwissenschaftliche Erforschung der postsozialistischen Umwälzungsprozesse in den östlichen fünf Bundesländern seit dem revolutionären Aufbruch in der DDR.
Die Folgen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation Ostdeutschlands sind in der jüngsten Zeit wieder verstärkt in den öffentlichen Fokus geraten. Vor dem Hintergrund mehrerer ostdeutscher Landtagswahlen im Jahr 2019 wird medial zunehmend eine Aufarbeitung der als (Um-) Bruchszeit wahrgenommenen Periode der frühen 1990er Jahre gefordert. Als zentraler Akteur dieser Phase bietet eine Erforschung der Geschichte der Treuhandanstalt (THA) Zugänge, die sowohl für gesellschaftliche Debatten als auch für die zeithistorische Forschung neue Impulse geben können. Welche Quellen sind dafür besonders relevant, und inwiefern eignet sich die THA als Forschungsgegenstand?
Historische Erzählungen und Kunstwerke von und über LSBTIQ*s sind in deutschen Museen immer noch unterrepräsentiert. Sind sie doch vorhanden, ist die Darstellung oft einseitig. Wahrlich queere Zugänge zu Ausstellungen und musealen Sammlungen sind noch rarer gesät. Wo das Problem liegt und wie geglückte Versuche aussehen können, davon erzählt dieser Essay.
Die öffentliche Wahrnehmung der Transformationen in den postsozialistischen Ländern ist in zweierlei Hinsicht unterbelichtet: Sie ist räumlich begrenzt, indem sie den Fokus auf jeweils national begrenzte Fälle im ehemaligen Ostblock richtet. Sie ist zeitlich begrenzt, indem sie den Fokus auf die Jahre des raschen Systemumbaus richtet und allenfalls die Jahre unmittelbar davor einbezieht. Transformationen ganzer Gesellschaften, so wollen wir an einer alltagsrelevanten Institution zeigen, greifen aber auch auf Ressourcen zurück, die viel weiter in die Vergangenheit zurückreichen und gerade im zentraleuropäischen Raum schon immer einen zugleich nationalen und transnationalen Charakter hatten. Die Rede ist von der Freiwilligen Feuerwehr als einem seit Mitte des 19. Jahrhunderts in allen Ländern des Deutschen Reichs wie auch der Österreichisch-Habsburgischen Monarchie verbreiteten Muster der lokalen Selbstregierung (self governance). Unsere Beispiele kommen aus Sachsen, den tschechischen Ländern und Slowenien – sie könnten aber auch aus Mecklenburg-Vorpommern, Galizien, der Slowakei oder der Vojvodina stammen. Gemeinsam ist ihnen die erstaunliche institutionelle Kontinuität der Organisation eines freiwilligen Dienstes für die lokale Gemeinschaft über die dramatischen Systemwechsel des 20. Jahrhunderts hinweg. Dabei existieren Freiwillige Feuerwehren immer lokal als Personenvereine mit aktiven (das heißt für die Brandbekämpfung einsatzbereiten) und fördernden Mitglieder*innen, die sich überlokal zu regionalen und nationalen Verbänden zusammenschließen, die wiederum untereinander rege den internationalen Austausch pflegen.
As the biggest commercial city in Tanzania today, Dar es Salaam features a number of German colonial memory sites which range from buildings, statues to open spaces. Formerly existing as a small caravan town exclusively owned by the Arab Sultan of Zanzibar, Dar es Salaam was further developed by the Germans who used it as their capital (Hauptstadt) beginning in the late 19th century. After the WWI, the city continued to serve as the capital in British mandate period until it was inherited by the independent government of Tanzania in 1961.
In der DDR entwickelte sich eine staatssozialistische „Geltungskunst“, die man als „DDR-Kunst“ oder „Kunst der DDR“ bezeichnen könnte im Unterschied zu den vielfältigeren Formen einer „Kunst in der DDR“. Diese mit dem politischen Projekt eng verbundene Kunst sollte von allen historischen wie zeitgenössischen Moderne-Anhaftungen bereinigt werden, was in der Komplexität künstlerischer Produktions- und Rezeptionsweisen allerdings nur ansatzweise gelang. Auch wenn der Wirkungsgrad jener an einer didaktischen Symbolisierung der sozialistischen Leitideen beteiligten Künste die Erwartungen der Machthaber nur unzureichend erfüllte, so blieb die Kunst des „Sozialistischen Realismus“ doch innen- wie außenpolitisch ein unverzichtbares Instrument der Herrschaftslegitimation. Die SED-Funktionäre versuchten, den „Sozialistischen Realismus“ als Widerpart zum westlichen Modell einer kosmopolitischen „Weltkunst“ in Stellung zu bringen. Somit wurde für die offizialkulturelle Kunstproduktion der DDR anstatt des intrinsischen Moderne-Konfliktes zwischen Autonomie und institutionalisierter Kunst von Anbeginn eine andere Gegensatzspannung prägend – die zwischen Ost und West.
Schwarze Löcher
(2019)
Im Jahr 1993 oder 1994 zeigte mir mein Vater ein wackeliges Video. Er und seine ehemaligen Arbeitskollegen hatten gemeinsam ein Schwein aufgezogen, und nun sollte jeder seinen Anteil bekommen. Im Video sah man, wie die Sau über den Hof getrieben wird, dann bindet sie jemand am Hinterlauf fest. Das Tier wird „Wessi“ getauft. Die Männer johlen, das Bier fließt. Dann wird Wessi mit einem Bolzenschussgerät niedergestreckt, das Schwein zappelt am Boden, jemand sticht in die Halsschlagader, das Blut strömt in einen bereitgestellten Bottich. Mein Vater wirft sich auf die Sau, um sie zu fixieren. Es ist der 7. Oktober, das Datum des ehemaligen „Tags der Republik“ der DDR. Das Schwein wird mit kochendem Wasser übergossen und abgeschabt. Wessi wird zu Wurst verarbeitet.
Der 3. Oktober 2010 war der zwanzigste Jahrestag der deutschen Einheit. Ursprünglich sollte auch das Spiel 1378 (km) an diesem Tag erscheinen. Doch entspann sich im Vorfeld der Veröffentlichung eine scharfe Kontroverse um das Spiel und seine Inhalte, so dass das Erscheinungsdatum auf Dezember desselben Jahres verschoben wurde.