Bundesrepublik
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Wie viele andere, inzwischen zumeist und zu Unrecht als randständig behandelte Ideenlieferanten in der Bundesrepublik Deutschland der 1970er- oder 1980er-Jahre ist auch die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Marilyn Ferguson bislang noch kaum in den Genuss historiographischer Weihen gekommen. Im Gegensatz zu den Meisterdenkern der Frankfurter Schule oder liberalen und konservativen Cheftheoretikern sind Ferguson und andere Bezugsgrößen der „Gegenkultur“ und „alternativer“ Lebensweisen nach „1968“ selten zum Gegen-stand der Zeitgeschichtsschreibung geworden – zumal sich diese erst seit wenigen Jahren verstärkt Fragen der Religion zuwendet. Obwohl „Die sanfte Verschwörung“ in deutscher Übersetzung bis 1989 acht Auflagen erreichte und vom „Spiegel“ sehr treffend als „New-Age-Bibel“ bezeichnet wurde, findet sich in keiner der großen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik auch nur ein kurzer Verweis auf dieses Vademekum esoterischer Praktiken und Diskurse.
Der Schlaf scheint auf den ersten Blick eine „anthropologische Konstante“ zu sein. Eine Historisierung der Regeln und Praktiken des Schlafs im 20. Jahrhundert kann jedoch zeigen, wie eng Vorstellungen vom „richtigen“ Schlafen an die Machtstrukturen der Gesellschaft geknüpft waren. Dieser Artikel geht der Frage nach, auf welche Weise Arbeitgeber, Sozialplaner, Ärzte und Psychologen auf den Schlaf und damit auf den Körper, die Arbeitskraft und die Zeit des Individuums zuzugreifen versuchten. Anhand von fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Diskussionen, aber auch von populären Ratgebertexten wird in einem ersten Schritt untersucht, wie und warum der Rhythmus des Schlafs seit Ende der 1920er-Jahre zu einem stark beachteten Thema wurde. In einem zweiten Schritt geht es um die Veränderungen, die der Zweite Weltkrieg im Umgang mit dem Schlaf bewirkte. In einem dritten Schritt wird der entscheidende Bruch in der Mitte der 1950er-Jahre untersucht, der das schlafende und arbeitende Individuum zum Gegenstand einer modernen Schlafforschung und neuer Schlafregeln machte.
Ein Gespenst geht um in der Geschichtswissenschaft: das Gespenst der Quantifizierung. Ringsum wird geklagt, dass Drittmittelbilanzen und Bibliometrie, Evaluierungen und Rankings immer wichtiger werden. Dies gehört zu einer allgemeinen Entwicklung nicht nur in der Geschichtswissenschaft, die Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute gleichermaßen betrifft. In Deutschland wird sie besonders mit Bologna-Reformen und Exzellenz-Initiative in Verbindung gebracht, wenngleich die Anfänge dieses Prozesses weiter zurückreichen. Die Geschichtswissenschaft, so scheint es, wurde also bereits mehr oder weniger sanft über die Türschwelle jener von Steffen Mau so bezeichneten »Bewertungsgesellschaft« geschubst, »die alles und jeden einer Bewertung mittels quantitativer Daten unterzieht und damit zugleich neue Wertigkeitsordnungen etabliert«
Dass im Grand Prix d’Eurovision de la Chanson 1982 „ausgerechnet eine deutschsprachige Interpretin mit einem Friedenslied bei den europäischen Nachbarn punktete“, kann nur im Rückblick verwundern. Im Gegenteil, es war ein professionell geplanter Zufall, dass der Produzent und Komponist Ralph Siegel und der Autor Bernd Meinunger mit „Ein bißchen Frieden“ – vorgetragen von Nicole – Erfolg hatten. Das Lied passte offenbar perfekt in die Zeit: Anfang der 1980er-Jahre gehörte „Frieden“ nicht allein in der Bundesrepublik zu den politisch und emotional besonders stark aufgeladenen Begriffen. Die Friedensbewegung mit ihren Protesten gegen den NATO-Doppelbeschluss war omnipräsent. Zudem war Großbritannien, das Gastgeberland des Grand Prix, just im April 1982 in einen „heißen“ Krieg verwickelt (dies hatten Siegel und Meinunger natürlich nicht vorausahnen können). Am Tag nach der Austragung des Wettbewerbs sollte der erste britische Flottenverband im Südatlantik eintreffen, um die kurz zuvor von Argentinien besetzten Falklandinseln zurückzuerobern. Nicole gewann daher auch das sonst deutschen Schlagern gegenüber wenig aufgeschlossene britische Publikum und hielt sich dort (mit der englischen Fassung) 2 Wochen an der Spitze der Charts. Völlig unangefochten holte sie mit 161 von 204 Punkten den Sieg und damit – nach 27 Jahren Grand Prix – diesen Preis zum ersten Mal „für Deutschland“.
Während die Jahrzehnte des Booms nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine weitgehend stabile Ordnung geprägt waren, setzte mit dem Sinken wirtschaftlicher Wachstumsraten, dem Zerfall des internationalen Währungssystems und den beiden Ölpreiskrisen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Zeit zunehmender Komplexität unternehmerischer Entscheidungen ein. Statt der bis dahin dominierenden Orientierung an der Produktion wurde der Markt zum wichtigsten Bezugspunkt und die Kapitalrendite zum maßgeblichen Indikator. Am Beispiel des Chemiefaserproduzenten Enka Glanzstoff bzw. dessen Mutterkonzern Akzo wird gezeigt, auf welche Weise der Markt durch die Öffnung der Vorstandsetagen für externe Berater (in diesem Fall von McKinsey) an Bedeutung gewann. Seit den 1970er-Jahren wurden zahlreiche Unternehmen nach kompetitiv gedachten Organisationsprinzipien umstrukturiert. Trotz der Gegenwehr von Gewerkschaften und Betriebsräten schritt damit auch die interne Vermarktlichung von Unternehmen voran. Während die Unternehmen zudem stärker multinational agierten, gelang dies den Arbeitnehmervertretungen nicht in gleichem Maße.
Nach 1989/90 wurde kriegerische Gewalt innerhalb Europas auf neue Weise zum Thema und gerade auch für Intellektuelle zu einer unerwarteten Herausforderung. Die Diskussion unter deutschsprachigen Schriftstellern über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien war hauptsächlich eine Debatte um Peter Handke. Sie fungierte als eine Art Stellvertreterdebatte, während engagierte politische Interventionen deutscher Literaten meist ausblieben. In seinen kontroversen Texten seit 1996 versuchte Handke einen ‚dritten‘ Standpunkt jenseits der zweiwertigen Logik des politischen Diskurses in den Medien zur Geltung zu bringen. Dennoch tendierte sein ‚poetischer‘ Blick auf Serbien zunehmend zur politischen Parteinahme, wie etwa seine Annäherung an den in Den Haag angeklagten serbischen Präsidenten Miloševic zeigt. Obwohl seine Sprache eine Alternative zum ‚herrschenden‘ medialen Diskurs suchte, wurde sie wie die Figur ‚Peter Handke‘ letztlich von den Regeln der politischen Öffentlichkeit absorbiert.
Zwischen 1950 und 1980 wurden Säuglinge in der Bundesrepublik zunehmend mit Flaschenmilch ernährt. Die Produktpalette war groß, und die Werbestrategien der Nahrungsmittelhersteller waren ausgeklügelt. Dies allein kann jedoch nicht der Grund für die steigende Nutzung der Säuglingsflasche gewesen sein. Sie wird hier mit einer explizit dinghistorischen Perspektive untersucht: Wie kam sie in die Familie, und wie veränderte sie die Beziehungen von Müttern, Vätern und Säuglingen? Müttern versprach die Säuglingsflasche mehr Freiheiten in der Gestaltung ihres Alltags; Vätern ermöglichte sie es, ihre Männlichkeit neu zu definieren, indem die Väter ihre Kinder selbst fütterten. Eher als in der Bundesrepublik wurde in Schweden die Versorgung von Kleinkindern diskutiert und eine stärkere Mitverantwortung der Männer für die Familie gefordert. Für beide Länder lässt sich beobachten, dass die Säuglingsflasche – zusammen mit anderen Akteuren – die Familie während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgestaltete. In beiden Ländern verlief dies durchaus kontrovers.
In den Meisternarrativen der deutschen Zeitgeschichte spielt die Jugend als Vorhut kultureller und politischer Entwicklungen eine bedeutende Rolle. Neuere Gesamtdarstellungen des 20. Jahrhunderts differenzieren jugendliche Subkulturen, Konsumgewohnheiten, Bildungswege und politische Lager ausführlich. Die historische Entwicklung wird in diesen Erzählungen vorangetrieben durch die rechtsnationalen und antisemitischen Studenten der Weimarer Zeit, die jungen Funktionäre und Soldaten des Nationalsozialismus, die sich dem Westen zuwendenden jungen »Fünfundvierziger«-Eliten der 1950er- und 1960er-Jahre sowie schließlich die revoltierenden Jugendlichen von »1968«. Oft sind solche Narrative mit einem Generationenmodell verknüpft, das in Anlehnung an Karl Mannheim die Jugend als formative Phase und treibende Kraft historischer Veränderung versteht und diese vorwiegend als männlich und intellektuell definiert. Historiker/innen definieren damit Jüngere als den geschichtlichen Akteur »Jugend« und investieren stark in die Binnendifferenzierung dieser Gruppe.
Von Feinden zu Freunden? Eine Geschichte der US-Militärpräsenz in West-Berlin und der transatlantischen Beziehungen.
In den Nachkriegsjahren entstand eine Meistererzählung, die noch heute die Geschichte der Beziehungen zwischen West-Berlin und den USA prägt: Die sowjetische Blockade 1948/49 habe die USA zur wichtigsten »Schutzmacht« des bedrohten »Vorpostens der Freiheit« inmitten der DDR werden lassen. Aus den einstigen Feinden seien damals Freunde geworden, die erst abzogen, als ihre Mission 1989 /90 erfüllt war. Dieser linearen Erfolgsgeschichte stehen Bilder von Protesten gegen den Vietnamkrieg oder im Umfeld der Besuche des US-Präsidenten Ronald Reagan diametral entgegen.
Stefanie Eisenhuth fügt diese widersprüchlichen Elemente zu einer neuen Erzählung zusammen, die sowohl die Höhe- als auch die Tiefpunkte des transatlantischen Verhältnisses erörtert. Sie fragt nach der Wahrnehmung und Deutung der US-Militärpräsenz sowie nach den Bedingungen des deutsch-amerikanischen Zusammenlebens in einer Stadt, die eine räumliche Abgrenzung nur bedingt erlaubte und zudem von enormer symbolischer Bedeutung war. Sie analysiert Begegnungen auf offizieller und informeller Ebene, individuelle und inszenierte Freundschaftsbekundungen, organisierte Proteste und Konflikte in West- sowie in Ost-Berlin zwischen 1945 und 1994.
Die Rote Armee Fraktion im Original-Ton. Die Tonbandmitschnitte vom Stuttgarter Stammheim-Prozess
(2009)
Unter der Überschrift „Stimmen aus Stammheim“ berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 1. August 2007 von zuvor noch nicht veröffentlichten Originaltönen, die während des Strafprozesses gegen die RAF-Gründungsmitglieder - Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe - in Stuttgart-Stammheim aufgenommen worden waren. Eindeutig habe es „Signale“ gegeben, „die damals niemand verstand“. Am gleichen Tag konstatierte die „Frankfurter Rundschau“: „Nur Hass und Verbitterung. Neue Tonbandmitschnitte erhellen das vergiftete Klima im Prozess gegen die RAF-Gründer“. Andere Schlagzeilen lauteten: „Ulrike Meinhofs letzte Worte“, „Im Keller vergessen“, „Stimmen aus dem Grab“ oder „Mythische Stimmen aus dem Jenseits“. In der „ZEIT“ wurde kritisch angemerkt, die Konkurrenz vom „Spiegel“ mache „viel Aufhebens um die Stammheimer Tonband-Mitschnitte, die ein findiger Journalist in den Katakomben der Justiz aufgestöbert hat“.
Der Weg zur Friedlichen Revolution in der DDR bis in die ersten Jahre im vereinigten Deutschland ist einer der wichtigsten und weitreichendsten Prozesse der deutschen Zeitgeschichte. Gerade oder vielleicht, weil die Einheit heute eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint und bereits eine Generation herangewachsen ist, die nur das geeinte Deutschland erlebt hat, kommen der Forschung und der Vermittlung der Transformationsgeschichte große Bedeutung zu. Nicht zuletzt erhalten die Forschungsergebnisse zur Transformationsgeschichte auch deshalb viel Aufmerksamkeit, weil das Gefühl der Ungleichheit noch immer vorhanden ist, trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs vieler ostdeutscher Regionen. Diese Wahrnehmung ist keineswegs unberechtigt: So sind etwa Ostdeutsche in Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin unterrepräsentiert.
Die Reise als Ware. Die Bedeutung der Pauschalreise für den westdeutschen Massentourismus nach 1945
(2008)
Die rasch wachsende Zahl von Urlaubsreisen war in der frühen Bundesrepublik eng mit dem Durchbruch der Pauschalreise zum Massenkonsumgut verbunden. Die ökonomische Transaktionskostentheorie hilft, die Ursachen dieses Prozesses zu verstehen. In den 1960er-Jahren entwickelte sich die Pauschalreise zum Motor des Massentourismus, weil sie besonders die Organisation einer Auslandsreise stark vereinfachte. Dennoch blieben traditionelle schichtenspezifische Unterschiede im Reiseverhalten bis in die 1970er-Jahre bestehen. Wie bereits in der Vorkriegszeit waren die neuen Mittelschichten die Träger eines modernen, konsumorientierten Freizeitverhaltens, das in der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft der 1960er-Jahre seine soziokulturelle Vorbildwirkung entfalten konnte und allmählich zur selbstverständlichen Praxis wurde. Der Aufsatz analysiert die Geschäftsmodelle der großen Reiseveranstalter, liefert statistische Angaben zur wachsenden Popularität von Pauschalreisen und verdeutlicht die Sehnsucht der Bundesbürger nach dem sonnigen Süden.
Der vorliegende Aufsatz nimmt den Vorschlag einer thematischen und methodischen Aufwertung des Oberflächlichen ernst. Er möchte aber nicht bei einer Analyse der Zeichenhaftigkeit großflächiger Erscheinungen stehen bleiben, welche die Beobachter des deutschen Großstadtlebens der 1920er Jahre faszinierte. Die Zeitsignatur der Oberfläche bietet, so die Ausgangsüberlegung, gerade deshalb einen geeigneten Zugang zur Geschichte der westlich-modernen Massenkultur, weil sie die Materialität gesellschaftlicher Beziehungen hervorhebt. Im Folgenden untersuche ich die Etablierung der Massenkultur in Westdeutschland. Plastik dient dabei als Testfall. Dem Material wurde oft genug attestiert, der Stoff des Oberflächlichen zu sein.
Das Konzentrationslager Dachau war das am längsten bestehende Konzentrationslager des Dritten Reichs. Es wurde als erstes „reguläres“ nationalsozialistisches Konzentrationslager am 22. März 1933 eingerichtet und als vorletztes der großen Lager vor Mauthausen am 29. April 1945 befreit. Seine Geschichte spiegelt nahezu alle Stadien und Facetten wider, die das Verhalten des NS-Regimes gegenüber seinen Gegnern und den zu Minderwertigen gestempelten Menschengruppen kennzeichnen. In ähnlicher Weise reflektiert die Auseinandersetzung mit dem historischen Ort des ehemaligen Konzentrationslagers den Umgang der deutschen Gesellschaft, aber auch der amerikanischen Besatzer und der international zusammengesetzten Gruppe der ehemaligen Häftlinge, mit der menschlichen, materiellen und moralischen Hinterlassenschaft des NS-Regimes.
Zeitgeschichtliche Arbeiten neigen dazu, zunächst zeitgenössische Zuschreibungen zu übernehmen. Die ersten Zuordnungen, die einzelne Jahrzehnte erhalten, orientieren sich häufig an frühen sozialwissenschaftlichen Analysen, den Regierungserfolgen oder an Schlagworten der Zeit. Erst in einer zweiten Forschungsphase erfolgt oft eine Differenzierung. So galten die fünfziger Jahre bekanntlich zunächst als »Restauration«, wobei der Wahlslogan »keine Experimente« als Signum der Epoche herhielt, bis schließlich auch für dieses Jahrzehnt zahlreiche Aspekte der »Modernisierung« entdeckt wurden. Ebenso wurde für die sechziger Jahre mit zunehmender Forschung nicht nur das begrenzte gesellschaftliche Reformpotenzial der 68er herausgearbeitet, sondern auch Grenzen der zunächst postulierten gesellschaftlichen Liberalisierung (...)
Die Automatisierung der industriellen Produktion hat innerhalb der Geschichtswissenschaften bislang erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gefunden. An einem Fallbeispiel, der Halle 54 bei Volkswagen in Wolfsburg, widmet sich der Aufsatz den Grenzen der (Voll-)Automatisierung, wie sie in den 1980er-Jahren sichtbar wurden. Die Halle 54, eröffnet 1983, wurde zeitgenössisch als »Modell des technischen Fortschritts« bezeichnet. Hier hatte VW in einem weltweit beachteten Versuch die komplizierte Endmontage zu 25 Prozent automatisiert. Die anfangs gefeierten Roboter erwiesen sich jedoch schnell als fehlerhaft. Der Beitrag analysiert insbesondere das Mensch-Maschine-Verhältnis und dessen damalige Bewertung. Das Fallbeispiel verdeutlicht zum einen die aufgeregten Diskurse der 1980er-Jahre um eine scheinbare Wiederentdeckung menschlicher Überlegenheit gegenüber der Maschine; zum anderen zeigt es die Grenzen der Vollautomatisierung in der Endmontage, die bis heute als zu schwierig für Roboter gilt. Gleichwohl führten diese Erfahrungen nicht zu einer prinzipiellen Abkehr von der Automatisierung, sondern vielmehr zu einer »angepassten Automatisierung«.
Wir sind das Volk ist ein Strategie-Brettspiel, in dem der historische Verlauf der innerdeutschen Teilung spielerisch nacherzählt und erlebbar wird. Entwickelt von Peer Sylvester und Richard Sivélerschien es 2014 im Histogame Verlag. Motiviert wurde die Entwicklung durch das Interesse Sylvesters am Konzept „zwei[er] getrennte[r] Staaten, die sich nebeneinander entwickeln und miteinander konkurrieren.“ [1] Das Spiel ist nicht primär geschichtspolitisch motiviert, kann aber durch das kontrafaktische Spielprinzip einen besonderen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten. Das Spiel erhielt viel positive Resonanz und wurde insbesondere für seine Rahmenhandlung und die Spielmechanik gelobt.
Eine Besonderheit des Formats der Kino-Wochenschau besteht darin, dass zur Herstellung von authentischen Berichten (im Sinne von „Echtheit“) nicht nur die Vielfalt der filmischen Elemente ausgenutzt wurde, sondern auch gespielte Sequenzen und Filmtricks zum Einsatz kamen. Zuschauerzuschriften zeigen, dass den Kino-Besuchern der 1950er/1960er Jahre bekannt war, dass Teile von Wochenschau-Berichten inszeniert sein konnten. Offenbar führte dies beim Publikum nicht zum Vertrauensbruch, und dem Format wurde von Politik und Wirtschaft ein hoher Einfluss auf die öffentliche Meinung zugestanden. Die Redaktion war sich bewusst, dass die Berichte im In- und Ausland zur Reputation Deutschlands beitrugen. Trotzdem war nicht ausgeschlossen, dass „Scherz“-Sujets eingebracht wurden. Ob die Zuschauer diese leicht oder weniger leicht als solche identifizieren konnten, ist nicht mehr zu belegen. Für den Betrachter von heute stellt sich jedoch manchmal die Frage, ob es sich bei den Filmen um eine Zukunftsvision oder um tatsächliche Errungenschaften des damaligen modernen Lebens handelt. Daran zeigt sich die Variabilität der Zuschreibung von „Authentizität“ im historischen Kontext. Die Praktiken und Strategien der Wochenschau, um die Modernisierung im Alltag, in Wirtschaft und Forschung so zu präsentieren, dass sie von den Zuschauern als glaubhaft wahrgenommen werden konnte, sollen in diesem Beitrag aufgezeigt werden.
Die visuelle Überlieferung aus der Zeit der NS-Diktatur lässt sich nur interdisziplinär erforschen. Die fotografische Massenkommunikation, die im NS-Staat dem Propagan-daministerium unterstellt wurde, kann mit herkömmlichen zeithistorischen Methoden, aber auch mit dem kunstwissenschaftlichen Instrumentarium allein nicht umfassend erklärt werden. Qualitative Ansätze etwa der Kommunikationswissenschaft bieten zusätzliche Möglichkeiten des Erkenntnisfortschritts – nicht zuletzt im Hinblick auf die private Fotografie. Im Paradigma der „Bildwissenschaft“ können sich die Kompetenzen der Einzeldisziplinen neu verbinden und zum differenzierten Verständnis der NS-Herrschaft einen wichtigen Beitrag leisten. Der Aufsatz skizziert zunächst die fotohistorische Erforschung der NS-Zeit seit den 1980er-Jahren. Gefragt wird dann nach der Überlieferungssituation in den Archiven und den Auswirkungen der Digitalisierung. Eine zentrale These lautet dabei, dass sich das Problem der bisher oft mangelhaften Klassifizierung und Erschließung von Fotomaterial durch dessen digitale Zirkulation weiter verschärft.
Als vor gut zehn Jahren meine Studie über „Das Schicksal der DDR-Verlage“ im Prozess der deutschen Vereinigung erschien, gab es große mediale Aufregung über die Resultate. Die Zahlen waren tatsächlich erschütternd: Von den ehemals 78 staatlich lizenzierten Verlagen der DDR existierte 2006 in eigenständiger Form nur noch ein Dutzend, was etwa 15% entsprach. Nach Wirtschaftskraft betrachtet, waren die ostdeutschen Verlage inzwischen fast vollständig zu vernachlässigen: Am Gesamtumsatz der deutschen Buchbranche von damals 10,7 Mrd. € waren Firmen aus den neuen Bundesländern (ohne Berlin) 2006 nur noch mit 0,9 % beteiligt.
Das Erschrecken war nicht nur deshalb so groß, weil selbst die meisten Branchenteilnehmer einen gefühlt anderen Eindruck hatten, sondern weil die Verlagsbranche damit noch unter dem Ergebnis anderer Wirtschaftsbereiche Ostdeutschlands lag, denn nach Treuhandangaben sind dort insgesamt rund 20% der Betriebe erhalten geblieben.
Schaut man sich die Situation heute an, hat sich die Lage keineswegs verbessert. Zwar haben einige Verlage ihren Sitz nach Berlin verlagert und sind ein paar neugegründete Kleinstverlage hinzugekommen, doch die Gesamtlage hat sich kaum verbessert. An der Gesamttitelproduktion sind die ostdeutschen Bundesländer (ohne Berlin) nach wie vor nur mit insgesamt 5% beteiligt.
Wie haben sich die Perspektiven auf die NS-Zeit seit 1989/90 verändert? Nach einem knappen Rückblick auf die „historiographische Systemkonkurrenz“ in der Ära des Kalten Krieges werden zunächst wichtige Blickerweiterungen skizziert, die bereits vor 1989/90 einsetzten: die wachsende Aufmerksamkeit für alltagsgeschichtliche Zusammenhänge sowie vor allem für die Verfolgung und Ermordung der Juden. Die Zäsur von 1989/90 brachte für die NS-Forschung einen zusätzlichen Schub, weil sie die Bedeutung von Akteuren in historischen Entscheidungssituationen nachhaltig in den Vordergrund rückte. Der Aufsatz erläutert darüber hinaus drei Stränge der aktuellen NS-Forschung: Ansätze einer integrierten Geschichte, die eine dichotomische Betrachtung von Opfern und Tätern überwinden; die Europäisierung und Globalisierung nicht nur der Erinnerungspolitik, sondern auch der wissenschaftlichen Arbeiten zur NS-Zeit; sowie das übergreifende Phänomen einer verstärkten Medialisierung von Geschichte.
Die Einheit als „soziale Revolution“. Debatten über soziale Ungleichheit in den 1990er Jahren
(2019)
Die DDR-Sozialpolitik vermittelte Sicherheit und Geborgenheit, das „Recht auf Arbeit“ war verfassungsmäßig verankert – all dies besaß einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf soziale Strukturen und Wertorientierungen für die Zeit nach 1990. Diese Erfahrungen waren tiefgreifend und zentraler Vergleichsmaßstab in einer Zeit, in der individualistische Strategien der Daseinsbewältigung zunehmend wichtiger werden sollten. Mit den Unwägbarkeiten der postindustriellen Gesellschaft hingegen war die Bundesrepublik seit Mitte der 1970er durch die Erfahrung von (Massen-)Arbeitslosigkeit und den Auswirkungen des globalen Strukturwandels bereits konfrontiert. Hier wie dort existierten Ungewissheiten und soziale Unsicherheiten, die das Zustandekommen damaliger Wahrnehmungsweisen sozialer Umbrüche erklären. Dergestalt ist der damalige Umgang mit sozialer Ungleichheit ein besonders frappierendes Beispiel für die umkämpfte zeitgenössische wie nachträgliche Ausdeutung des Einigungsgeschehens, das es gilt, in seinen historischen Bedingtheiten auszuleuchten – nicht zuletzt deshalb, weil vieles von dem bis heute nachwirkt.
Seit Ende 2000 hat die Commerzbank die Zahl ihrer Mitarbeiter um rund 7.000 reduziert. Sie bietet den Entlassenen jedoch einen einmaligen Service: Diese können sich drei Monate auf Kosten der Bank von einem Outplacement-Berater coachen lassen. Das beginnt mit einem fünftägigen Trainings-Seminar, bei dem jeder seine Stärken herausarbeiten soll. Jeder Mensch sei eine Ich-Aktie, deren Wert erst ermittelt werden müsse. Dann gehe es darum, diesen Wert am Markt zu platzieren, wobei dem Marketing entscheidende Bedeutung zukomme: Wer einen niedrigen Wert hat, sich aber besser vermarkte, habe größere Chancen als derjenige, der sich nicht vermarkten könne.
Die Aktualität der Antiquiertheit. Günther Anders’ Anthropologie des industriellen Zeitalters
(2006)
Der Titel von Günther Anders’ philosophischem Hauptwerk, das vor 50 Jahren erschienen ist, macht es leicht, die historische Distanz, die uns heute von diesem Buch trennt, mit seinem eigenen Begriff zum Ausdruck zu bringen: Die „Antiquiertheit des Menschen“ erscheint heute selbst in vielerlei Hinsicht antiquiert. Anders’ „Gelegenheitsphilosophie“ (S. 8) blieb auf spezifische Weise an die Gelegenheit ihres Entstehens gebunden. Seine Studie „über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution“, so der Untertitel, ist damit zugleich ein Dokument der Zeitgeschichte und der Biographie ihres Autors. Als solches enthält sie aber auch Anregungen für die Zeitgeschichtsforschung, die durchaus noch aktuell sind.
Historische Erzählungen und Kunstwerke von und über LSBTIQ*s sind in deutschen Museen immer noch unterrepräsentiert. Sind sie doch vorhanden, ist die Darstellung oft einseitig. Wahrlich queere Zugänge zu Ausstellungen und musealen Sammlungen sind noch rarer gesät. Wo das Problem liegt und wie geglückte Versuche aussehen können, davon erzählt dieser Essay.
Zum achten Mal in Folge hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2007 ein Wissenschaftsjahr einem bestimmten Fachgebiet bzw. einer Fächergruppe gewidmet. Nach Physik (2000), Lebenswissenschaften (2001), Geowissenschaften (2002), Chemie (2003), Technik (2004), dem Einsteinjahr (2005) und Informatik (2006) standen die Geisteswissenschaften im Rampenlicht. Das BMBF stiftete aus diesem Anlass 64 Millionen Euro, die für verschiedene Großprojekte, aber auch für kleinere Veranstaltungen, Vortragsreihen, Ausstellungen und Symposien eingesetzt wurden. Teil des Programms war auch eine von der Agentur Scholz & Friends gestaltete Werbekampagne, die in Kooperation mit zahlreichen Medienpartnern durchgeführt wurde. Zu ihren Kernstücken gehörte das „ABC der Menschheit“: Mit 26 Schlüsselbegriffen von „Aufklärung“ bis „Zukunft“ sollte gezeigt werden, welche Bedeutung die Geisteswissenschaften für die gesellschaftliche Selbstverständigung haben. Lernen konnten wir im Lauf des Jahres zum Beispiel, dass die größten geisteswissenschaftlichen Fächer in Deutschland die Germanistik mit 93.000 Studenten, die Anglistik mit 49.000 Studenten und die Geschichtswissenschaft mit 39.000 Studenten sind, dass trotz dieses großen und zum Teil wachsenden Interesses jedoch Lehrpersonal abgebaut wird. Erfreulich ist hingegen, dass die Arbeitslosigkeit bei Geisteswissenschaftlern mit etwa sechs Prozent deutlich unter dem Durchschnitt liegt (wobei die mitunter prekären Beschäftigungsverhältnisse von geisteswissenschaftlichen Absolventen in solchen Statistiken meist nicht aufscheinen).
Bevölkerungstransfers sowie Flucht- und Vertreibungswellen, deren Komplexität und Nachhaltigkeit eine neue Qualität erreichten, kennzeichneten den Zweiten Weltkrieg und die Zeit danach. Die nationalsozialistische Ideologie vom „Lebensraum im Osten“ zwang Hunderttausende von Menschen, ihre angestammten Siedlungsgebiete zu verlassen und sich an andere, von den neuen Machthabern zugewiesene Wohnorte zu begeben. Dies geschah oft unter schrecklichen Umständen. Nicht-Deutsche mußten ihren Platz räumen für diejenigen, die - unter sowjetischer Herrschaft lebend - „Heim ins Reich“ geholt wurden. Mit dem Vormarsch der Roten Armee und der sich damit abzeichnenden Niederlage des Deutschen Reiches setzten sich die Flüchtlingstrecks der deutschen Bewohner der Ostgebiete Richtung Westen in Bewegung. Die anschließend auf der Potsdamer Konferenz von den Alliierten beschlossene Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus ihren östlichen Siedlungsgebieten sollte „innerhalb der neuen Grenzen Frieden stiften und die Minderheitenprobleme ein für allemal bereinigen“. Doch gelang es aus unterschiedlichen Gründen nicht, diese Beschlüsse vollständig umzusetzen und alle Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten auszusiedeln. Auch in den Jahrzehnten nach dem Abschluß der offiziellen Vertreibungen verließen Hunderttausende von Deutschen die Staaten des ehemaligen Ostblocks, um in die Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln.
Von ihren Lebensläufen her könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Georg Picht, 1913 als Sohn des damals als Vordenker der „Erwachsenenbildung“ geltenden Werner Picht geboren, entschied sich früh für die akademische Laufbahn. Er studierte Philosophie und Pädagogik, arbeitete als Assistent an der Universität Freiburg und wurde 1942 zum Dr. phil. promoviert. Johannes Hörnig, Jahrgang 1921, arbeitete hingegen als Schlosser, nahm von 1940 bis 1945 als Wehrmachtssoldat am Zweiten Weltkrieg teil und erwarb erst 1952 sein Diplom in Gesellschaftswissenschaften. Während Picht dem evangelischen Milieu entstammte, engagierte sich Hörnig direkt nach dem Krieg in der SPD und dann in der SED. Praktische Erfahrungen im Bildungssektor sammelten beide in Schulen, jedoch auch hier auf unterschiedlichen Ebenen: Während Picht als Schulleiter versuchte, erste reformpädagogische Akzente zu setzen (Förderung der persönlichen Entfaltung der Lernenden durch Gemeinschaftserziehung und Mitverantwortung), war Hörnig als Grundschullehrer tätig.
Der „Neue Mann“ des „New Age“. Emotion und Religion in der Bundesrepublik Deutschland 1970–1990
(2010)
»Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ordnet sich neu im New Age. [...] Neben der Neuen Frau entsteht unter dem Druck des weiblichen Aufbruchs zugleich ein Neuer Mann.« Das »New Age«, das »Neue Zeitalter«, suggerierte und propagierte in den 1970er- und 1980er-Jahren einen angeblich radikalen Einschnitt in der Geschichte der Menschheit, einen vermeintlich fundamentalen Bruch, der alles und jeden »transformiere« – auch und nicht zuletzt die traditionelle Ordnung der Geschlechter, deren hierarchische Stellung zueinander und deren exkludierenden Umgang miteinander.
Das neu entflammte öffentliche und zeithistorische Interesse an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation Ostdeutschlands nach dem Zusammenbruch der DDR kommt bisher meist ohne Seitenblicke auf die parallelen Entwicklungen in Ostmittel- und Osteuropa aus. Vielmehr wird die Frage, wie die DDR nach 1989/90 zu „Ostdeutschland“ wurde, immer noch im Wesentlichen innerhalb eines deutsch-deutschen Bezugsrahmens diskutiert. Seine neuerliche Brisanz gewinnt dieser unverkennbar aus der Gegenwart, in der viele westdeutsch Sozialisierte „den Osten“ aufs Neue zur hoffnungslosen Problemzone der ansonsten gefestigten bundesdeutschen Demokratie stilisieren. Dagegen greifen nicht wenige Ostdeutsche zur Selbstviktimisierung als identitätspolitischer Strategie und glauben, in der Treuhand jene Übeltäterin ausgemacht zu haben, die für alle Verletzungen der ostdeutschen Seele verantwortlich zu machen sei.
Als „Wohlstand für alle“ im Februar 1957 erstmals erschien, genau rechtzeitig zu Erhards 60. Geburtstag, nahm die Öffentlichkeit eher verhalten Notiz. Die „Süddeutsche Zeitung“ ging auf den Inhalt des Buches nicht weiter ein; sie lobte stattdessen den Optimismus des Bundeswirtschaftsministers und seine Verdienste als „Psychologe der Konjunktur“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schenkte der gleichzeitig erschienenen Festschrift für Erhard sogar mehr Aufmerksamkeit. Nur das „Handelsblatt“ reservierte eine gute Viertelseite, rühmte den „sehr fesselnden, oft amüsanten“ Stil und wagte die Prognose, das Buch werde „ohne Zweifel in die Breite wirken“. Trotzdem war zum damaligen Zeitpunkt nicht zu erwarten, dass das - zumindest aus heutiger Sicht - streckenweise dröge und betuliche, nur durch zahlreiche Karikaturen aufgelockerte Buch bis 1964 acht Auflagen erleben würde oder gar, in Gestalt einer „aktualisierten Neuausgabe“, 1990 „unseren Landsleuten in der DDR“ gewissermaßen als Leitfaden „aus dem Morast des Sozialismus“ in die „offene, demokratische Gesellschaft“ dienen könnte („Vorrede an den Leser“, S. If.). 1999 war eine Gesamtauflage von 250.000 Exemplaren erreicht. Zurzeit ist das Werk jedoch nur noch antiquarisch zu bekommen - oder kostenlos als Download bei der Ludwig-Erhard-Stiftung.
Der Aufsatz beschreibt anhand von Fallbeispielen die Einführung von Rechnern/Computern in Industrie und Verwaltung sowie die damit einhergehenden Fortschrittsversprechen und Utopien. Der Nutzen der neuen Technologie war für die Akteure zunächst schwer einzuschätzen; daher gab es ein breites Spektrum von Erwartungen, Euphorien und Ängsten. Den „Elektronengehirnen“ der 1950er-Jahre wie auch den späteren Computern wurde im gesamten Untersuchungszeitraum ein Potenzial zugewiesen, das über die damaligen technischen Möglichkeiten weit hinausging. Ein Schwerpunkt der Diskurse war die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Als Computer in Unternehmen und Verwaltungen stärker vordrangen, entstanden zahlreiche soziologische Studien, die aus heutiger Sicht aufschlussreiche zeithistorische Quellen sind. Sie dokumentieren strukturelle Veränderungen der Industriegesellschaft, Erfahrungen von Arbeitnehmer/innen im Umgang mit der neuen Technik und zugleich die wissenschaftlichen Versuche, das Phänomen der Computerisierung zu erfassen.
1967 rückte der Palästinakonflikt in den Fokus der politischen Arbeit des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der diesen Konflikt im Zusammenhang mit den Befreiungsbewegungen der sogenannten Dritten Welt deutete. Politischen Zuspruch erhielt der SDS von palästinensischen wie auch israelischen Studentengruppen, die in Frankfurt am Main ihr Wirkungszentrum hatten. Diese sich als antizionistisch verstehenden Akteure fanden in dem ebenfalls in Frankfurt sitzenden Bundesverband Jüdischer Studenten in Deutschland (BJSD) einen Kontrahenten. Die Präsenz dieser zentralen Protagonisten transformierte das studentische Milieu im Frankfurter Westend zum bundesrepublikanischen Nukleus eines Deutungskampfes um die Geschehnisse im Nahen Osten. Eine sabotierte Veranstaltung mit dem israelischen Botschafter Asher Ben-Natan im Frankfurter Hörsaal VI am 9. Juni 1969 dient dem Aufsatz als Beispiel, um diesen Konflikt zu historisieren. Neben schriftlichen Quellen stützt sich der Beitrag auf Bildmaterial des Frankfurter Fotografen Kurt Weiner.
Die folgende Skizze verzichtet ganz auf normative Stellungnahmen. Wie man „gute“ Zeitgeschichte schreiben und welche Aufgaben sie haben sollte – solche Proklamationen sind eine allzu verbreitete Übung von Historikern, zumal sie ohne die Anstrengung empirischer Forschung von der Hand gehen. Stattdessen soll hier gefragt werden, inwieweit wir es uns überhaupt erlauben können, Diagnosen über Wandel und Kontinuität in der Zeitgeschichtsschreibung aufzustellen und daran Empfehlungen zu knüpfen, solange wir nicht auf empirisch gesichertem Grund stehen. Wohlgemerkt, es geht um Anfragen, nicht um Resultate oder Lösungen. Sind die oft behaupteten Tendenzen – zunehmende Marktabhängigkeit, Emotionalisierung, Internationalisierung, mangelnde Selbstreflexion der Zeitgeschichte, teleologische und gegenwartslegitimatorische Geschichtsschreibung à la Treitschke – typisch für die Zeitgeschichte? Vorausgesetzt, die Elemente des Merkmalskatalogs treffen überhaupt zu: Was davon betrifft die Zeitgeschichte, was die gesamte Geschichtsschreibung?
„Die Seele im technischen Zeitalter“ war Arnold Gehlens meistverkauftes Buch. Von 1957 bis zu Gehlens Todesjahr 1976 erschienen 15 Auflagen mit insgesamt 106.000 Exemplaren. Die Abhandlung wird seitdem nicht nur zu den „Klassikern der Technikphilosophie“ gezählt, sondern gar zu den „Büchern, die das Jahrhundert bewegten“. Der Verkaufserfolg war dabei sicher auch der Tatsache geschuldet, dass das Buch nach einer ersten und kürzeren, 1949 unter dem späteren Untertitel „Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft“ erschienenen Fassung 1957 mit klangvollerem Obertitel und zusätzlichen Kapiteln in „rowohlts deutsche enzyklopädie“ aufgenommen wurde. Diese von Ernesto Grassi herausgegebene Reihe, in der unter anderem Hans Sedlmayrs „Revolution der modernen Kunst“, Ortega y Gassets „Aufstand der Massen“ und Margret Boveris „Verrat im 20. Jahrhundert“ erschienen waren, war eines der einflussreichsten Publikationsforen der 1950er-Jahre, so dass sich für diese Zeit von einer der späteren „Suhrkamp-Kultur“ vergleichbaren „rde-Kultur“ sprechen lässt.
Im Juni/Juli 1976 wurde eine Air France-Maschine nach Entebbe (Uganda) entführt; dabei trennte ein deutsch-palästinensisches Terrorkommando die jüdischen von den nichtjüdischen Passagieren und behielt allein die jüdischen Geiseln in seiner Gewalt. Skizziert wird, welche Bedeutung den äußerst medienwirksamen Flugzeugentführungen der Jahre 1968–1977 im Kontext der Entwicklung des internationalen Terrorismus zukam. Vor allem anhand der Reaktionen auf den Sechstagekrieg von 1967 und die Entebbe-Entführung von 1976 wird gezeigt, dass das Verhältnis der deutschen Linken zum Staat Israel und zur NS-Vergangenheit entgegen früheren Annahmen ambivalent und problematisch blieb. Unter dem Deckmantel des Antiimperialismus schlug die Haltung der vorgeblich geschichtsbewussten ‚68er‘ zum Nahostkonflikt zeitweise in offenen Antisemitismus um.
In den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten hat sich in der deutschen Geschichtswissenschaft ein spezielles Forschungssegment herausgebildet. Begonnen 2005/06 mit einem Auftrag des Auswärtigen Amts, haben seitdem mehr als zwanzig Bundesbehörden, darunter das Justiz- und Innenministerium, der Bundesrechnungshof, das Robert Koch-Institut und selbst der Bundesnachrichtendienst Forschungsprojekte zu ihrer Geschichte gefördert. Mehr und mehr erfasst dieser Trend auch die Behörden der Länder und Kommunen sowie die Parlamente, zudem lief 2017 ein Forschungsprogramm der Bundesregierung an, in dessen Rahmen zehn Projekte mit zumeist behördenübergreifendem Querschnittcharakter finanziert werden.
Produktionsjubiläen werden gefeiert, seit es Massenproduktion gibt. Sie sind Selbstdarstellung erfolgreicher Arbeit und Inszenierung gesellschaftlicher Bedeutung, beides in der Hoffnung, dass die quantitative Größe der Produktion in eine qualitative Aufwertung des Produkts umschlägt. Die Form dieser Feiern folgt dabei medialen Vorgaben und ist etwa bei der Großserien-Fertigung von Automobilen direkt mit der Geschichte des Mediums Fotografie verbunden – wie es scheint, mit dessen Aufstieg und Ende gleichermaßen.
Denkmäler haben wieder Konjunktur – nicht nur in der Kontroverse um Erinnerungs- und Ehrungszeichen im öffentlichen Raum, die einen kolonialgeschichtlichen oder rassistischen Hintergrund besitzen. In der letzten Zeit wurde zwar heftig darüber gestritten, ob derartige Denkmäler, die im Konflikt oder sogar Widerspruch zum heutigen Wertekonsens stehen, erhalten bleiben, kommentiert oder ergänzt werden, ins Museum wandern oder besser ganz verschwinden sollten. Neben der Debatte über die Entrümpelung der deutschen Denkmallandschaft werden aber auch Vorschläge für eine Neumöblierung des öffentlichen Gedenkraumes gemacht. Alternative oder zusätzliche Denkmäler werden ins Gespräch gebracht, initiiert und auch errichtet, die dem gesellschaftlichen Selbstverständnis der Gegenwart besser entsprechen, es genauer zum Ausdruck bringen und gleichzeitig mitprägen sollen. Dazu gehören nicht zuletzt Denkmäler, die an Migration und Zuwanderung erinnern.
Während des Kalten Krieges wurde in Millionen Wohnzimmern, Kasernen und Schulen gespielt: Klassische Unterhaltungsspiele wie Memory bzw. Merk-Fix, aber auch Spiele wie Fulda Gap oder Klassenkampf, die die Systemkonfrontation als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse erleb- und simulierbar machten. Der Aufsatz betrachtet eine in der zeithistorischen Forschung und in den Cold War Studies bislang vernachlässigte Quellengattung, die gerade in den 1970er- und 1980er-Jahren für die populärkulturelle Vermittlung von Grundcharakteristika des Ost-West-Konflikts sehr bedeutsam war. Untersucht wird, wie sich Brett- und Computerspiele in die Wettkampflogik des Kalten Krieges einschrieben, inwiefern sie für die Systemkonfrontation auf beiden Seiten sinnbildend waren, nationale Spezifika aufwiesen oder aber als Foren der Gesellschaftskritik dienten. Deutlich wird auch, wo für die jeweiligen Obrigkeiten die Grenzen des »Spielbaren« lagen. Den eigenen Untergang als Handlungsmöglichkeit oder Dystopie zu erproben, erschien vielfach als moralisch und politisch bedenklich, weil die in Spielen entwickelten Szenarien womöglich den Blick auf die Realität verändern und Kritik verstärken konnten. Andererseits konnten die Spiele aber auch die Veralltäglichung des Kalten Krieges unterstützen: Sie bereiteten Wissen über militärische Sachverhalte auf und trugen zur Gewöhnung an das atomare Drohpotential bei.
Pünktlich zum 150. Jahrestag der Reichsgründung von 1871 ist die öffentliche Debatte über die Modernität des deutschen Kaiserreichs wieder voll entbrannt. Den Anstoß gaben Eckart Conze und Hedwig Richter mit ihren jüngsten Veröffentlichungen zum Reichsgründungsjubiläum.[2] Über alle Streitpunkte hinweg sind sich die gegensätzlichen Positionen in einem Punkt erstaunlich ähnlich: Das Königreich Preußen war so etwas wie das konservative Bollwerk gegen die Parlamentarisierung und Demokratisierung des Kaiserreichs. Gestritten wird eigentlich nur über die Frage, ob dieses Bollwerk bis 1914 noch unerschütterlich feststand (Eckart Conze) oder ob seine Mauern bereits zu bröckeln begonnen hatten (Hedwig Richter).
Selten gerinnt „ein Stück empirisch orientierter, projektiver Gesellschaftstheorie“ (S. 13) aus der Feder eines Soziologen so rasch zum Schlagwort der Feuilletons wie Ulrich Becks „Risikogesellschaft“. Kurz vor der Drucklegung mit einem zweiten Vorwort versehen („Aus gegebenem Anlaß“), offerierte sich der Text selbst als Kommentar zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl; Beck ordnete den Vorfall historisch am Ende einer Kette von „zwei Weltkriege[n], Auschwitz, Nagasaki, dann Harrisburg und Bhopal, nun Tschernobyl“ ein (S. 7). Rhetorisch beginnend mit einem Paukenschlag, bleibt das Zugespitzte, Provokante für seinen Stil bis zur letzten Seite kennzeichnend. Die erste Auflage war schnell verkauft, schon 1987 erschien eine zweite, mittlerweile liegt das Buch in der 19. Auflage vor. Seit 1992 ist es auf Englisch und in vielen weiteren Sprachen auf dem Markt.
Im Juli 1959 erklärte das Bundesverfassungsgericht den so genannten „väterlichen Stichentscheid" für verfassungswidrig. Mit dieser Entscheidung verwarf es zwei Paragraphen des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957, in denen sich ein patriarchalisches Verständnis elterlicher Autorität niedergeschlagen hatte. Diese Entscheidung des Gerichts lässt sich als ein Durchbruch einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik interpretieren. Die Argumentation der Richter entsprach einem in der westdeutschen Öffentlichkeit verbreiteten Bedürfnis, väterliche Autorität nicht mehr als ein natürliches Entscheidungsrecht des Mannes und ein hierarchisches Verhältnis von Befehl und Gehorsam zu interpretieren. Die Suche nach neuen Formen der Vaterschaft war in der frühen Bundesrepublik ein zentrales Thema der allgemeineren Selbstverständigung über Autorität und Demokratie. In der Debatte um den „demokratischen Vater" experimentierten die Westdeutschen mit einem Lebensgefühl, das es ihnen erlaubte, die Bundesrepublik nicht nur als Schicksal, sondern als Chance zu begreifen.
»Alternative Fakten«, »erinnerungskulturelle Wenden«, Konflikte um Museen und Gedenkstätten, historische Sehnsüchte und Ressentiments – es nimmt nicht Wunder, dass der Aufstieg des Populismus1 überall in Europa auch von der Geschichtswissenschaft als Herausforderung verstanden wird. Das gilt in besonderem Maße für Deutschland, wo die politische Ordnung so sehr mit einer spezifischen Geschichtserfahrung und Geschichtsdeutung verbunden ist. Seit den Mobilisierungserfolgen von »Pegida« ab 2014 und der »Alternative für Deutschland« (AfD) ab 2015 steht der liberale Basiskonsens mit seiner um selbstkritische Reflexion und historische Verantwortung modellierten Erinnerungspolitik öffentlich unter Druck wie selten zuvor.
As the biggest commercial city in Tanzania today, Dar es Salaam features a number of German colonial memory sites which range from buildings, statues to open spaces. Formerly existing as a small caravan town exclusively owned by the Arab Sultan of Zanzibar, Dar es Salaam was further developed by the Germans who used it as their capital (Hauptstadt) beginning in the late 19th century. After the WWI, the city continued to serve as the capital in British mandate period until it was inherited by the independent government of Tanzania in 1961.
Als „Historikerstreit" wird eine sowohl öffentlich als auch fachwissenschaftlich geführte Debatte bezeichnet, die sich im Sommer 1986 in Folge eines Artikels des Sozialphilosophen Jürgen Habermas in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit" entfachte. In seinem Artikel griff Habermas führende Neuzeithistoriker der Bundesrepublik an, denen er apologetische Tendenzen im Umgang mit dem Holocaust vorwarf.
DDR-Museen gewinnen an Bedeutung, je länger die DDR als Staat vergangen ist. Der Umbruch 1989 und damit der Anfang vom Ende der DDR jährt sich in diesem Jahr zum zwanzigsten Mal. Das bedeutet, dass es heute bereits eine Generation
Erwachsener gibt, die nicht mehr selbst in der DDR gelebt haben. Die Erinnerung an die DDR ist mithin im Begriff, von der Erfahrung in die Geschichte überzugehen.
Wer „Religion“ für die Bundesrepublik Deutschland zeithistorisch erforschen will, kann nicht absehen von den Formen der Frömmigkeit und Spiritualität, wie sie von Kirchen, religiösen Bewegungen, Gemeinden, Gruppen und Einzelnen in unterschiedlichen Graden von Öffentlichkeit praktiziert wurden und werden. Hierbei wären etwa Gottesdienstordnungen („Agenden“) und konkrete Ablaufpläne von Gottesdiensten und Feiern, spirituelle Angebote von Bildungseinrichtungen, ästhetisch-kulturelle Manifestationen religiöser Erfahrung und der große Bereich der populären religiösen Literatur genauer in den Blick zu nehmen. Zu wenig beachtet ist bislang die besondere Bedeutung der Kirchenmusik, und hier des geistlichen Liedes, für die zeithistorische Erfassung von Mentalitäten und Eigenheiten religiöser Bewegungen und von Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zwar existiert eine eigene Subdisziplin der Praktischen Theologie, die Hymnologie, die sich der Erforschung des Kirchenliedes und der Musik in der Kirche widmet. Doch stehen dabei meist sprachliche, musikalische und theologische Werkanalysen oder historische Detailstudien zu einzelnen Liedern (vorzugsweise aus den kirchlichen Gesangbüchern) in praxiserschließender Absicht im Vordergrund, während kultursoziologische und kulturgeschichtliche Einordnungen der jüngsten Entwicklungen vergleichsweise selten vorgenommen werden. Immerhin hat der Volkskundler Wilhelm Schepping wertvolle Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen bzw. kulturgeschichtlichen Erhellung des Neuen Geistlichen Liedes beigesteuert, an die methodisch wie inhaltlich anzuknüpfen wäre.