DDR
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Anhand von Kemritualen der DDR, erweitert und ergänzt um Beispiele aus der Sowjetunion, den Volksrepubliken Polen und Ungarn, aus der Tschechoslowakei und aus Albanien sollen hier strukturelle Elemente einer politischen , Rhetorik des Performativen‘ im Sozialismus der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre bilanzierend herausgearbeitet werden. Sodann wird eine methodologische Faustskizze die kommunikationstheoretischen und kulturgeschichtlichen Implikationen einer Ritualforschung zwischen ,Botschaft' und ,Bedeutung' umreißen, um schließlich eine erste Annäherung an die Aneignungsgeschichte sozialistischer Rituale zu wagen - nicht zuletzt auch unter generationengeschichtlicher Perspektive.
Als der Generalsekretär L. I. Breshnew 1977 das sechzigjährige Jubiläum der Revolution feierte, hielt er mit dem Schlagwort vom „entwickelten Sozialismus“ einen Zustand fest, der das Vermächtnis der Revolution als einen Besitzstand beschwor. Dieses Schlagwort war 1971 auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU in Umlauf gesetzt worden und sollte ein gleichgewichtiges Wachstum mit einer stärkeren Berücksichtigung der Konsumwünsche der Bevölkerung signalisieren. Die alternde Sowjetführung verstand „entwickelten Sozialismus“ als das realisierte, aber zunehmend pragmatisch umgesetzte Erbe Lenins (und Stalins). Der Name des letzteren wurde seit 1967 nur noch im Zusammenhang mit dem Triumph im Großen Vaterländischen Krieg genannt, obwohl die Nachkriegsstruktur der Sowjetunion auf den Fundamenten ruhte, die Stalins Regime gelegt hatte. Was Breshnew unter seiner Definition von Sozialismus subsumierte, gab sich als das Resultat einer Spirale von Kämpfen und Siegen aus. Nun konnte sich im entwickelten Sozialismus eine „sozialistische Lebensweise“ entfalten. Diese wurde auf dem XXV. Parteitag (1976) als eine „Atmosphäre genuinen Kollektivismus und Kameradschaft“ beschrieben, „als Solidarität und Freundschaft aller Nationen und Völker des Landes“, und schließlich als „moralische Gesundheit, die uns stark und standhaft macht“. In diesem Sozialkitsch manifestierte sich die Selbstzufriedenheit eines juste milieu, der Breshnew-Generation, die unter Stalins Terror sozialisiert, einen beispiellosen Aufstieg aus subalternen Schichten erlebt hatte und den eigenen Erfolg - zu Recht oder zu Unrecht - mit den Siegen im Großen Vaterländischen Krieg und dem Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht verknüpfte.
Die DDR ist vierzig Jahre am Leben geblieben, bevor sie - unwahrscheinlich schnell - unterging. Jetzt, wo der Westen der „Sieger der Geschichte“ zu sein scheint, sagen viele, daß die DDR im Grunde nur auf Terror und Repression aufgebaut war. Der alte Begriff vom „Unrechtsstaat“, wie auch das Konzept des „Totalitarismus“, die in den fünfziger Jahren so beliebt waren, finden wieder Gefallen. Manche sagen auch, daß „die Deutschen“ seit eh und je besonders gehorsam gewesen sind.
Der 9. November gehört zweifellos zu den beziehungsreiehen und symbolträchtigen Daten der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts: 1918 - Ausrufung der Weimarer Republik, 1923 - Hitlerputsch in München, 1938 - „Reichskristallnacht“, 1989 - Öffnung der Grenze der DDR zur Bundesrepublik. Nicht wenige Reden, Analysen, Essays und Kommentare führender deutscher Politiker und Publizisten sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten anläßlich dieser Daten und ihrer Jahrestage ediert worden. Es wäre daher ein wissenschaftlich reiz- und anspruchsvolles Vorhaben, nicht nur den offensichtlichen oder verdeckten inneren Bezügen zwischen den benannten Geschehnissen nachzuspüren, sondern auch den Umgang der jeweiligen politischen Klasse oder machtausübenden Elite mit der Geschichte des 9. November aufzuzeigen. Ideologische Postulate und politischer Pragmatismus bestimmten letztlich in hohem Maße, ob und wie die verschiedenen Bedeutungsinhalte des Tages miteinander in Beziehung gesetzt, gegeneinander gestellt, verdrängt oder gegenseitig aufgehoben wurden.
Über den Thälmann-Kult nachzudenken oder zu reden, ist eigentlich langweilig. Ein armseliges, dürftiges Thema, das mit wenigen Gedanken auskommt. Der Kult schafft stets etwas Glattes, Unangreifbares. Aus einem lebendigen Menschen mit all seinen Widersprüchen und Brüchen wird eine Legende, ein Mythos. Sein Leben wird aus seinem eigentlichen historischen Zusammenhang gelöst und in einen neuen, den kultischen Zusammenhang gestellt, in dem er funktionieren soll. Denn Kult, Mythos hat immer etwas mit einer Wirkungsabsicht zu tun, ganz gleich ob, er von oben verordnet oder von unten getragen wird.
Die geschichtswissenschaftliche Erforschung des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in den beiden Nachfolgestaaten des „Dritten Reiches“ steht erst in ihren Anfängen, aber ihre Tücken zeichnen sich bereits ab. Eine der Schwierigkeiten besteht darin, daß die Thematik, jedenfalls in der „alten“ Bundesrepublik, über Jahrzehnte hinweg ein zentraler Topos der politischen Essayistik gewesen ist. Der Kern des Problems - definiert nicht als die zu Beginn der sechziger Jahre Dynamik gewinnende „Verdrängungsdebatte“, sondern als die konkrete historisch-politische Auseinandersetzung mit den ererbten Lasten und den alliierten Vorentscheidungen seit Ende der vierziger Jahre und vor allem in den Fünfzigern - ist deshalb überlagert von vielfältigen Meinungsschichten, Deutungen und Kontroversen, durch die hindurchzudringen die Aufgabe entsprechender historiographischer Bemühungen sein muß. Die in letzter Zeit erschienenen Arbeiten zur Geschichte der „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesrepublik leisten dies jedoch kaum, und einige davon vermitteln im Gegenteil den Eindruck, als ob sie sich von der so lange vorherrschenden meinungsorientierten Betrachtungsweise gar nicht lösen wollten. Eine Geschichtswissenschaft, die diesen Namen verdient, muß aber alles daransetzen, beim Sturm auf tatsächliche oder vermeintliche alte „Legenden“ nicht neue zu produzieren. Das gilt zumal in einem Moment, in dem das für die Westdeutschen von jeher aufregende Thema durch die neugewonnene Möglichkeit des empirischen Vergleichs mit der Entwicklung in der DDR - ganz zu schweigen vom Vergleich mit der hier ausgeklammerten „zweiten Bewältigung“ seit 1989/90 - noch an Brisanz gewinnt.
Die Geschichte der ausländischen Studierenden in der DDR ist, verglichen mit derjenigen der Vertragsarbeiter der siebziger und achtziger Jahre, der sowjetischen Truppen oder der politischen Emigranten, von der Nach-Wende-Forschung weitgehend ignoriert worden. Das Gegenteil trifft auf die Zeit vor 1989 zu, als die beiden deutschen Staaten auf dem Gebiet des Ausländerstudiums miteinander konkurrierten. Man kann davon ausgehen, dass in der Zeit von 1951 bis 1989 zwischen 64.000 und 78.400 ausländische Studierende aus über 125 verschiedenen Staaten an akademischen Bildungseinrichtungen der DDR einen Abschluss erwarben und damit bis zu drei Prozent aller Hochschulabsolventen in diesem Zeitraum stellten. Seit den sechziger Jahren machten ausländische Studierende im Schnitt bis zu etwa sieben Prozent aller in der DDR lebenden Ausländer aus - wenn man die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) nicht mitzählt. Die Abbildung 1 gibt einen Überblick über die wachsende Zahl ausländischer Studierender in der Zeit von 1951 bis 1989. Selbstverständlich war deren Präsenz an den Hochschulen deutlicher spürbar als in anderen gesellschaftlichen Bereichen: so gab es 1989 zum Beispiel 1.200 ausländische Studierende aus 80 verschiedenen Ländern an der Humboldt-Universität zu Berlin, was zehn Prozent aller dort immatrikulierten Studenten entsprach.
Sowjetische Soldaten und Zivilpersonen bildeten mit einer Gesamtzahl von über einer halben Million Menschen die größte Gruppe von Ausländem in der DDR. Durch ihre flächendeckende Präsenz gehörten sie beinahe 50 Jahre lang für einen sehr großen Teil der ostdeutschen Bevölkerung zum Alltag. Nach Schätzungen von Kurt Arlt hielten sich zwischen 1945 und 1994 insgesamt etwa 10 Millionen Bürger der Sowjetunion bzw. ihrer Nachfolgestaaten als Soldaten, Zivilbeschäftigte der Streitkräfte oder deren Familienangehörige auf deutschem Boden auf.3 Verglichen mit den quantitativ deutlich kleineren Gruppen der Vertragsarbeiter und politischen Emigranten stellten sie daher in der DDR gleichsam „die Fremden“ schlechthin dar.
Als Brigitte Reimann, die literarische Chronistin des Aufbaus von Hoyerswerda-Neustadt, 1968 die Stadt nach einem knappen Jahrzehnt wieder verließ, schreibt sie voller Verwunderung: „Merkwürdig, wie man sein Herz an diese öde Landschaft gehängt hat, an diese unmögliche Stadt, an die Leute, an - Gott weiß was. Wenn ich denke, daß nur ein paar Blöcke in einer Sandwüste standen, als wir hierherkamen, und jetzt ist es eine Stadt von fast sechzigtausend Einwohnern, und das Kombinat ist ein riesiger Komplex geworden.“ Nicht nur die sensible Schriftstellerin besaß ein zwiespältiges Verhältnis zu dieser Stadt, sondern dieses Gefühl zwischen Zuwendung und Ablehnung ist heute noch bei der Aufbaugeneration verbreitet; der Stolz auf das Geleistete herrscht vor, wobei die triste Gegenwart zur Verklärung der Vergangenheit beiträgt. Der Chefarchitekt von Hoyerswerda betrachtete sein Werk bereits 1963 mit einer gewissen Trauer: „Er hat sich seine Stadt auch anders vorgestellt. Er sagt, er habe sich vorgestellt, er werde eine wunderschöne Stadt bauen und später, wenn er alt ist, zuweilen aus Dresden rüberkommen, die Straße entlanggehen und in seiner Stadt Kaffee trinken. Die Mittel für die zentralen Bauten sind rigoros gestrichen worden.“
Für das Niederlausitzer Industriegebiet war bis in die 1960er Jahre eine spezifische Gruppe von Arbeitern bäuerlicher Herkunft mit weiter bestehender Verbindung zur Landwirtschaft - die Nebenerwerbsbauern - ebenso typisch wie zu Industriedörfern expandierende Landgemeinden. Ein zunächst zeitweiliger Nebenerwerb zur kleinen Landwirtschaft sicherte in der überwiegend kleinbäuerlich geprägten Region mit zum großen Teil geringwertigen Böden und niedrigen Erträgen die Existenzgrundlage vieler oftmals sorbischer Familien. Der selbst angebaute Flachs wurde im Winter in Heimarbeit zu Leinen gewebt bzw. ein dörfliches Handwerk betrieben. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich die ländliche Sozialstruktur der Niederlausitz grundsätzlich zu verändern. Ursache war zum einen die Agrargesetzgebung, die zur Ablösung der Feudallasten gegen Geld und zu Landabgaben an die Gutsherrschaft während der Separation führte. Zum anderen beschleunigte das Eindringen des Kapitalismus in die Landwirtschaft besonders über den zunehmenden Konkurrenzdruck eine soziale Differenzierung der Bauernschaft. Immer mehr vormals selbständige Kleinbauern waren nunmehr gezwungen, ständig eine Lohnarbeit auszuüben. Ihnen boten der mit dem Siegeszug der Dampfmaschine sich schnell ausweitende Braunkohlenbergbau sowie die Tuchfabriken in Cottbus, Spremberg und Forst eine meist minderbezahlte Arbeit. Hauptberuflich nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, hielten die Nebenerwerbsbauern an ihrem wenigen Grand und Boden weiterhin zäh fest, ergänzten seine Produkte doch ihren geringen Lohn und boten eine Rückversicherung für schlechte Zeiten.
Der Strafvollzug gehörte zu den härtesten Formen der Repression politischer Gefangener in der DDR, in dem Willkür und Schikane den Haftalltag prägten. Gleichwohl unterlag er im Verlauf der DDR-Geschichte Veränderungen, die im Kontext der Entwicklung der Gesamtgesellschaft zu sehen sind und von den wechselnden innen- und außenpolitischen Bedingungen abhängig waren. Einen wesentlichen Einschnitt in der Strafvollzugspolitik bildete das unter Honecker verabschiedete Strafvollzugsgesetz von 1977 (StVG), das sich an den Normen der UNO zur Behandlung von Gefangenen orientierte und Rechtssicherheit für die Häftlinge bringen sollte. Durch die internationale Einbindung der DDR, ihr Ringen um die Anerkennung als gleichberechtigter deutscher Staat, nicht zuletzt, um die Wirtschaft mit Hilfe des Westens zu stabilisieren, war sie im Gegenzug gezwungen, sich internationalen Standards anzupassen. Die Öffnung der DDR nach Westen bewirkte zudem eine größere Durchlässigkeit von Informationen, weshalb man sich gegenüber internationalen Auflagen nicht abschotten konnte. Dem Vorwurf über menschenunwürdige Zustände in den Strafvoll- zugsanstalten wollte sie durch die Fixierung von rechtlichen Normen entgegenwirken.
Mit den Rechtsänderungen von 1977 - einem neuen Strafvollzugsgesetz und dem 2. Strafrechtsänderungsgesetz (StÄG) - reagierte die DDR Erich Honeckers auf die gewandelten außenpolitischen Bedingungen seit Mitte der siebziger Jahre. Nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrags mit der Bundesrepublik 1972, der Aufnahme der DDR in die UNO 1973 und der KSZE-Konferenz von Helsinki 1975 erwiesen sich überkommene Gesetzesformulierungen, in denen der westliche oder der bundesdeutsche Imperialismus angeprangert worden war, auf internationalem Parkett als ebenso störend wie extrem repressive Vorschriften im Strafvollzugsrecht.
Kurz nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus hielt der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas fest, der theoretische Fehler der gescheiterten kommunistischen Machthaber habe darin bestanden, das „sozialistische Projekt mit dem Entwurf - und der gewaltsamen Durchsetzung - einer konkreten Lebensform“ verwechselt zu haben. Für diejenigen Historiker, die sich bereits vor 1989/90 eingehender mit der Geschichte der DDR und deren Herrschaftssystem befasst hatten, lagen die Dinge allerdings schon damals komplizierter, und auch heute - achtzehn Jahre nach dem unerwarteten Verschwinden der DDR - ist weiterhin umstritten, wann der schleichende Niedergang des Systems begann und wann es seinen ultimativen „point of no return“ erreichte.
Berufliches Selbstbild. Arbeitshabitus und Mentalitätsstrukturen von Software-Experten in der DDR
(1999)
Im kapitalistischen Westen gelten Software-Entwickler spätestens seit den achtziger Jahren als Innovatoren, die im Zuge der fünften Phase der Industriellen Revolution manche überkommene Autoritäts-, Wirtschafts- und Sozialstrukturen durchbrochen haben, um ihr innovatives Potential zu entfalten, allerdings mit schwacher emanzipatorischer Auswirkung, beispielsweise für Frauen. Bislang ist aber wenig über die Ingenieure und Ingenieurinnen, die Mathematiker und Mathematikerinnen bekannt, die in der DDR die Software-Entwicklung zu einem der erfolgreichsten Gebiete der Industrieforschung gemacht haben. Diese Experten, die als eine bedeutende Teilelite im Sinne einer „funktionalen Elite“ bzw. einer „Dienstklasse“ begriffen werden können, sind bisher kaum Untersuchungsgegenstand der sozial- bzw. kulturgeschichtlich orientierten Elitenforschung gewesen. Dieser Zustand ist in erster Linie auf die Quellenlage zurückzufuhren. Als wenig ergiebig für die Sozial- und Kulturgeschichte erwiesen sich die Akten relevanter Betriebs- und Parteiarchive aus der Ära Honecker. Für unsere Zwecke weit ergiebiger, obwohl mit quellenkritischen Problemen eigener Art behaftet, bleiben die Oral History-Methoden, die hier zur Anwendung kommen sollen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das von der amerikanischen Stiftung „National Science Foundation“ finanziert wird, sind Gespräche mit zwanzig Software-Ingenieuren der ehemaligen DDR geführt worden. Bei den Interviews, die im Schnitt eine bis zwei Stunden dauerten, wurde ein Fragenkatalog verwendet, der thematische Schwerpunkte setzte und Vergleichbarkeit gewähren sollte. Viel Wert wurde darauf gelegt, dem Gesprächspartner die Gelegenheit zu bieten, innerhalb des vorgegebenen Rahmens Gedanken selbst zu formulieren und einzuordnen, sowie assoziativ zu den Themen zu gelangen, die wichtige Momente der beruflichen Identität berühren. Bei diesen Tiefengesprächen sollten also keine quantitativ verwertbaren Daten gewonnen, sondern vielmehr individuell geprägte Mentalitätsstrukturen und Verhaltensweisen exemplarisch untersucht werden. Dabei war das Gruppenspezifische herauszuarbeiten.
Die Geschichte der Pädagogischen Fakultäten (und damit der einheitlichen universitären Lehrerausbildung) in der SBZ/DDR ist kurz: Sie begann 1946, als an den Universitäten in Berlin, Greifswald, Halle, Jena, Leipzig, Rostock bzw. an der Technischen Hochschule Dresden Pädagogische Fakultäten eingerichtet wurden, und endete 1955 als Folge einer vom Ministerium für Volksbildung 1953 erlassenen Verordnung zur Auflösung derselben.
Als „Elite der Eliten“ sind die Hochschullehrer einmal bezeichnet worden - natürlich von einem Hochschullehrer - und wie so oft, wenn Professoren über den eigenen Beruf nachdenken, mischen sich auch in dieser prätentiösen Formulierung Selbstverständnis und Selbstbeschreibung. Die Geschichte der modernen Hochschullehrerschaft ist immer auch eine Geschichte ihrer Selbstinszenierung gewesen, in Deutschland wahrscheinlich mehr als anderswo, angefangen vom Humboldtschen Gründungsmythos bis zu immer neuen Reflexionen über die „Idee der Universität“. Normatives und Deskriptives sind da oft schwer zu trennen. Der Elitestatus der Hochschullehrer war und ist gewissermaßen doppelt begründet: Auf der einen Seite strukturell und funktional. Als Universitätslehrer vermittelten sie dem Nachwuchs der akademischen Berufe das fachliche Leistungswissen, als hervorragende Vertreter des Bildungsbürgertums hatten sie an der Definition und Weitergabe eines fachübergreifenden, die bürgerlichen Schichten integrierenden „Bildungswissens“ Anteil und als Angehörige der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft galten sie als Prototyp des innovativen Forschers. Sie repräsentierten den Typus einer meritokratischen Leistungselite - wenn auch ihr Charakter als sozial exklusive Herkunftselite und vom Amtsprestige getragene Positionselite noch lange Zeit die offene Leistungskonkurrenz verzerrten. Auf der anderen Seite gründete sich der Elitestatus der Professoren immer auch auf ihren Anspmch auf Kompetenzkompetenz, auf Definitionsautonomie über den eigenen Status. Diese Identitätskonstruktionen knüpften an ihre funktionale Stellung an, gingen aber über sie hinaus. Sie meldeten Ansprüche an, leisteten Sinnzuschreibungen, grenzten Zuständigkeitsräume ab. Ob man die Einheit der Wissenschaften oder disziplinäre Spezialisiemng betonte, welche Autonomieforderungen man an Staat und Gesellschaft richtete und welche eigenen Sinnstiftungsansprüche man umgekehrt gegenüber der Gesellschaft erhob, ob man Forschung, Lehre oder allgemeine Bildung ins Zentrum des Berufsverständnisses rückte, ob man sich als Bewohner des Elfenbeinturmes, als Bürger oder als homo politicus verstand - all dies war Gegenstand eines andauernden Selbstverständigungsdiskurses.
Wie alle gesellschaftlichen Bereiche der DDR wurde auch die Landwirtschaft wesentlich vom Wirken der jeweiligen Verantwortungsträger gestaltet. Für den Bereich der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe, die seit den sechziger Jahren sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) der DDR bewirtschafteten, waren das die Leiter der Volkseigenen Güter (VEG). Neben den LPG-Vorsitzenden bildeten die VEG-Direktoren die wichtigsten Entscheidungsträger auf dem Gebiet der Landwirtschaft. In den siebziger Jahren wurde dieser Kreis um die Leiter der in einer Kooperation zusammenarbeitenden Betriebe - Kreisbetriebe für Landtechnik, Agrochemische Zentren, Verarbeitungsbetriebe u. a. - ergänzt. Wie das industrielle Führungspersonal zählten VEG-Direktoren zum unteren Bereich des staatlichen Apparatesystems, der Zugang zu den politischen Entscheidungszentren war ihnen verwehrt. Ihre potentielle „Macht“ ergab sich aus der ernährungssichernden Funktion der VEG. Es wundert daher nicht, daß die SED auf die Auswahl der Direktoren so früh wie möglich Einfluß nahm. Mit dem Ziel, der Partei eng verbundene und gleichzeitig qualifizierte Fachleute einzusetzen, erfolgte bis Mitte der sechziger Jahre ein umfassender Wechsel an der Spitze der VEG. Bisher Benachteiligte erhielten unter Brechung des Bildungsmonopols Aufstiegschancen, die sie zu nutzen wußten. Für ihre weitere berufliche Entwicklung waren vor allem ökonomische Probleme der Güter entscheidend, auf die daher in der Arbeit Bezug genommen wird.
In der Diskussion über die Kontinuität von Gesellschaftsstrukturen, die aus der ersten Jahrhunderthälfte in die beiden deutschen Staaten hineinragen und diese, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, prägten, hat die Frage nach den DDR-Eliten jüngst an Gewicht gewonnen. Standen zuvor ausschließlich die unter dem Blickwinkel einer retrospektiven Aufarbeitung des Nationalsozialismus problematisierten Kontinuitätslinien der Eliten in Westdeutschland im Mittelpunkt eines langsam gewachsenen zeitgeschichtlichen Interesses, kann seit 1990 auf ungleich besserer Quellengrundlage gefragt werden, wie es damit in der DDR bestellt war. In der westdeutschen Historiographie bestand schon länger ein Konsens darüber, daß es hier - anders als in der frühen Bundesrepublik - einen vollständigen Bruch für die maßgeblichen Karrieren in der Verwaltung, nicht jedoch in der Wirtschaft gegeben hat. Aber trotz aller Unterschiede gab es auch Parallelentwicklungen. Zu stark ähnelten sich die personellen Ausgangsbedingungen, als daß anzunehmen wäre, die in der Bundesrepublik anzutreffende Kontinuität in den Basisstrukturen der öffentlichen Verwaltung und in der Wirtschaft hätte keine Entsprechung auf östlicher Seite gefunden.
Die Gesellschaftspolitik der KPD/SED richtete sich sofort nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes in direkter Abhängigkeit von den Zielen sowjetischer Deutschland- und Besatzungspolitik auf eine Entmachtung der alten Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Neben umfassenden Demontage-, Beschlagnahme- und Enteignungsmaßnahmen in der gewerblichen Wirtschaft, mit denen allen größeren Industrieunternehmern die Basis ihres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflusses entzogen wurde, gehörte eine radikale landwirtschaftliche Bodenreform zu den wohl wichtigsten Ansatzpunkten zur Beschleunigung der durch den Krieg selbst bereits eingeleiteten Umwälzung des gesellschaftlichen Gefüges.
Die DDR-Elitenforschung geht zunehmend über politikgeschichtliche Problemformulierungen bzw. die „klassische“ Sozialprofilanalyse hinaus und nimmt kultur-, mentalitäts- und alltagsgschichtliche Fragestellungen in den Blick; das Interesse richtet sich auf Einstellungen und Wertorientierungen, Arbeits- und Lebensstile, auf Habitus und Alltagspraxis von Eliten. Die folgende Studie thematisiert, mit exemplarischem Anspruch, einen Ausschnitt aus dieser Problematik: den Verwaltungsstil der zentralen Planbürokratie der DDR - der Staatlichen Plankommission (SPK) und der Branchenministerien - in der ersten Fünfjahrplanperiode.