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Die Strukturen wie die Ressourcenkonstellationen in der Wissenschaftslandschaft 1930 bis 1945 sind wesentlich durch vier Aspekte charakterisiert: (1.) durch den Primat der Kriegsrelevanz, (2.) durch eine institutionelle, vorgeblich polykratische Zersplitterung, der reichsdeutschen Wissenschaftslandschaft - die ihrerseits den Hintergrund für das von der älteren Historiographie aufgestellte Diktum der vermeintlichen Ineffizienz der Forschung während des "Dritten Reiches" abgab - , (3.) durch eine doppelte Ressourcenverschiebung innerhalb des Gesamtkomplexes der Wissenschaften und (4.) durch die Expansion der reichsdeutschen Wissenschaften auf dem Rücken der Wehrmacht ab 1938.
Zunächst ein Beispiel, an dem sich die Ausgangssituation industriebetrieblichen Ordnungsdenkens und social engineerings vergegenwärtigen lässt: Es geht um einen Besuch Willy Hellpachs im Daimler-Werk in Stuttgart/Untertürkheim. Hellpach besichtigte Daimler auf Einladung Eugen Rosenstock-Huessys, zu dieser Zeit Redakteur der »Daimler Werkzeitung«, um den sozialpsychologischen Folgen und Wirkungsgrenzen von Betriebsreformen im Allgemeinen und der Gruppenfabrikation im Besonderen auf die Spur zu kommen.
Präventive Semantiken und Handlungsmuster sind ubiquitär geworden. Weit über die Medizin hinaus besitzt die Losung, Vorbeugen sei besser als Heilen, eine fraglose Plausibilität. Der planerische Optimismus, der noch bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts das Verhältnis zur Zukunft prägte, ist einer Kultur der Furcht und Schadensvorbeugung gewichen. Wenn es, ähnlich wie Zeitkrankheiten auch Zeitgefühle gibt, Grundstimmungen, in denen sich die Affektlage einer historischen Situation exemplarisch verdichtet, dann wäre die für unsere Gegenwart dominante Gefühlslage wohl das, was Craig Calhoun das »emergency imaginary« genannt hat (Calhoun 2004: 392; Opitz/Tellmann 2011: 27ff.). Es ist dieses durch Katastrophenmeldungen und düstere Zukunftsprognosen fortwährend aktualisierte Gefühl der Entsicherung, der Ausgesetztheit gegenüber allgegenwärtigen Gefahren und Risiken, aus dem die präventiven Semantiken und Strategien ihre Legitimität und Anziehungskraft gewinnen. Denormalisierungsangst und vorbeugende Normalisierung sind dabei untrennbar verbunden: Um den Normalbetrieb aufrechtzuerhalten, bedarf es geradezu regelmäßiger Signale drohenden Normalitätsverlusts. Diese fungieren als Frühwarnsystem und lösen Maßnahmen vorbeugender Gegensteuerung aus, oder sie immunisieren durch pure Gewöhnung an einen Schrecken, der für die meisten dann doch auf den Bildschirm beschränkt bleibt (Link 2009:11ff.).
History is not only construed and handed down in writing. In popular cultural practice, it has long been edited and can be experienced in many forms. Past debates have not treated these practices well, however, and concentrated primarily on representational forms shaped by historical politics, such as museums and schoolbooks, as well as by entertainment-oriented media, such as television documentaries, feature films and TV-series, video and computer games, as well as non-fiction and novels. In this context, doing history, understood as a discursive and performative visualisation of the past, has hardly been explored, although it has quite a long tradition. In this introduction, we pursue an access that is both theoretical and practical, and draw closer to doing history on the basis of three central pairs of concepts that have strongly influenced the cultural and historiographical debate over the last several years: ›body_emotion‹, ›experience_space‹ as well as ›thing_meaning‹. History is created in the interplay between person, body, space and object. The physical and affective experience influences, in interaction with the evocative experience of presence, as well as the relationship and meaning of the object and the actions and interpretations of individuals, what is capable of leading to sensational, certainly culturally subjectively shaped imaginations from the past.
Anhand von Kemritualen der DDR, erweitert und ergänzt um Beispiele aus der Sowjetunion, den Volksrepubliken Polen und Ungarn, aus der Tschechoslowakei und aus Albanien sollen hier strukturelle Elemente einer politischen , Rhetorik des Performativen‘ im Sozialismus der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre bilanzierend herausgearbeitet werden. Sodann wird eine methodologische Faustskizze die kommunikationstheoretischen und kulturgeschichtlichen Implikationen einer Ritualforschung zwischen ,Botschaft' und ,Bedeutung' umreißen, um schließlich eine erste Annäherung an die Aneignungsgeschichte sozialistischer Rituale zu wagen - nicht zuletzt auch unter generationengeschichtlicher Perspektive.
Workers always have something to complain about - even in the ,workers’ and peasants’ states’ of state socialism. Many of the causes of worker discontent across eastern European states in the period from the late 1940s to 1990 were similar, although varying in level and intensity at different times in different areas. What differed were the ,hard‘ and ,soft‘ institutional strategies for dealing with worker discontent; the varying resources, alliances and interests of workers; and the varying forms of protest, in the light of particular historical conditions and distinctive heritages of experience and culture. A comparative approach, paying attention both to changes within the working classes and to wider social changes across time, can yield some potentially very fruitful hypotheses about patterns of worker protest in eastern European communist states.
Eine zentrale, einflussreiche und in der jüngeren Bundesrepublik-Forschung gut belegte These lautet, in der Mitte der 1970er Jahre sei eine Phase der »Planungseuphorie« oder auch des »Planungsbooms« zu Ende gegangen. Dieser These zufolge gab es in den »langen« 1960er Jahren unter den politischen und administrativen Eliten einen »kurzen Sommer der konkreten Utopie«, wie Michael Ruck es genannt hat. Gemeint ist damit die Vorstellung, Politik könne durch wissenschaftlich fundierte Vorausschau, durch den Rat der Experten und durch konkrete Planung gesellschaftliche Prozesse aktiv gestalten und damit dem Fortschritt auf die Beine helfen.
Der Beitrag untersucht Authentizitätskonstruktionen und ihr Verhältnis zu Medialität im deutschsprachigen Mediendiskurs über »altes« Handwerk, handwerkliches Selbermachen und Do It Yourself (DIY) seit 1990. Dabei wird ebenfalls auf historische Spezialdiskurse eingegangen, auf welche die Deutungen in der Gegenwart zurückgreifen. Drei Paradoxien strukturieren die Untersuchung: das Paradoxon der materialbasierten Entmaterialisierung, das Paradoxon der schnellen Entschleunigung und das Paradoxon der massenmedialen Fortschrittskritik. Daran wird deutlich, dass Medien Authentizität zuschreiben und dabei in einen Widerspruch zu ihrer eigenen Verfasstheit gelangen. Über den Gegenstand »Handwerksdiskurs« hinaus wird dies als inhärenter Bestandteil von Authentisierungsstrategien identifiziert.
Zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft hatten im Gefüge der deutschen Reichsbehörden buchstäblich kaum einen Stein auf dem anderen gelassen: Die Dienstgebäude vieler Reichsministerien in Berlin waren schwer beschädigt und ihre Akten, sofern nicht unter Trümmern begraben oder bei Kriegsende vernichtet, in alle Himmelsrichtungen verstreut. Aber auch im übertragenen Sinne stand am Ende der NS-Herrschaft kaum ein Stein mehr auf dem anderen. Der expandierende Bereich des Autobahnbaus war auf Hitlers Weisung wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machteroberung aus dem Verkehrsministerium ausgegliedert worden. Das Reichsfinanzministerium hatte einen beträchtlichen Teil seines Einflusses auf die Haushalte der einzelnen Ressorts verloren, dem Reichsarbeitsministerium waren Zuständigkeiten in der Arbeitsmarkt-, Lohn- und Wohnungsbaupolitik entzogen worden, und das Reichswirtschaftsministerium hatte Schlüsselbereiche wie die Energiepolitik abtreten müssen. Besonders in den Kriegsjahren büßten nahezu alle Reichsministerien erhebliche Kompetenzen ein, und manchen war am Ende der NS-Herrschaft kaum mehr als eine funktionell entkernte Fassade geblieben.
Der Beitrag widmet sich dem Spannungsfeld von Authentizität und Medien am Beispiel der New Yorker High Society und der Gesellschaftsberichterstattung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum stehen die New Yorker Millionäre Margaret (1902-1983) und Lawrence Thaw (1899-1965), die in den 1920er und 1930er Jahren um die Welt reisten und dabei neben zahlreichen Amateurfilmen professionelle Reisefilme mit der National Geographic Society und bedeutenden Hollywoodstudios drehten. Der Beitrag beleuchtet zum einen die narrativen und visuellen Authentisierungsstrategien der Gesellschaftsberichterstattung, die stets auf das scheinbare Privatleben ihrer Protagonist*innen abzielte. Zum anderen untersucht er, wie die Thaws eben diese Strategien in ihren Filmen reflektierten und in ein anderes Medium übersetzten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch grundsätzlich die Frage, welchen spezifischen Quellenwert nicht-fiktionale Filme für die historische Forschung haben.
Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge hat aktuell jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik einen »Migrationshintergrund«– ist also entweder selbst seit Anfang der 1950er Jahre eingewandert oder hat mindestens einen Eltern- bzw. Großelternteil, auf den das zutrifft. Eine Zeitgeschichte, die sich als Vorgeschichte der Gegenwart versteht, steht angesichts der gesellschaftlichen Relevanz von Migrationsprozessen für die Bundesrepublik vor der Aufgabe, deren Geschichte in ihrer Vielfalt stärker in ihre Erzählung zu integrieren, statt sie lediglich auf eine demographische Veränderung oder eine Quelle innenpolitischer Konf likte zu reduzieren. Eine solche Integration ist bisher nur für die Geschichte der Vertriebenen erfolgt, allerdings aus einer Perspektive, die sie – zeitgenössischen Deutungsmustern folgend – als von der Geschichte anderer Migrationen getrennt betrachtet.
Als Christoph Kleßmann in den 1990er Jahren erstmals seine Überlegungen zu einer »asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte« formulierte, war ein solcher Ansatz nicht unumstritten. Wenn beide deutschen Nachkriegsgesellschaften überhaupt zusammen beschrieben wurden, so geschah dies meist im Modus einer normativ aufgeladenen Kontrastgeschichte. Auch die Frage nach Verflechtungen und Transfers stieß seinerzeit angesichts der noch hitzig geführten Debatte um den historischen Vergleich und die jüngere Kulturtransferforschung auf Widerstände. Heute haben sich diese Auseinandersetzungen längst überholt. Die Frage nach Verflechtungsprozessen bedarf nicht länger einer besonderen Legitimation. Ganz im Gegenteil: Seit Jürgen Kockas Kritik an der Verinselung der DDR-Forschung dient das Verflechtungsparadigma vielfach als Rechtfertigung, um sich überhaupt noch mit der Geschichte der DDR zu beschäftigen.
»Menschenrecht ist, sich einander als Wesen zu behandeln, die sich im Innern gleich und von Außen ähnlich, nur durch die Ungerechtigkeit so unkenntlich geworden sind.« Wer würde heute diesem Diktum eines vergessenen deutschen Publizisten aus dem Jahr 1789 widersprechen wollen? Die Menschenrechte gehören in der Gegenwart zu den wichtigsten Glaubensartikeln liberaler Demokratien. Wer die Menschenrechte anzweifelt, stellt sich anscheinend außerhalb der Grenzen einer universellen Moral im Zeitalter von Weltinnenpolitik. Oft erscheint das individuell-unveräußerliche »Recht auf Rechte« (Hannah Arendt) wie eine überhistorisch-naturrechtliche Selbstverständlichkeit. Die Menschenrechte sind die Doxa unserer Zeit, jene Überzeugungen einer Gesellschaft, die als verinnerlichte, evidente Ordnung stillschweigend vorausgesetzt werden und den Raum des Denkbaren und Sagbaren umgrenzen. Gestritten wird heute nur noch darum, wie man die Menschenrechte diesseits und jenseits des Nationalstaates zur Geltung bringen könnte. Ob sie überhaupt eine sinnvolle rechtliche oder moralische Kategorie für unser politisches Handeln darstellen, steht gleichsam außer Frage. Ziel der in diesem Band versammelten Autoren ist es, historisch zu verfolgen, wie die Menschenrechte in den globalen Krisen und Konflikten des vergangenen Jahrhunderts diese universelle Evidenz gewonnen haben.
Die Frage, wie es vom „Einholen wollen“ der Ära Ulbricht zum - letztlich gescheiterten - „Aufholen müssen“ unter Honecker/Mittag kam, ist die Frage nach der Fähigkeit der DDR-Planwirtschaft, mit technischen Neuerungen umzugehen, Industrieinnovationen zu ermöglichen. Die offensichtlich unzureichende Innovationsfähigkeit der DDR-Planwirtschaft ist zweifellos eine der zentralen Ursachen dafür, daß die DDR im Wettbewerb mit der Bundesrepublik Deutschland unterlag. Der folgende Aufsatz, Zwischenergebnis eines größeren Projektes am FSP Zeithistorische Studien, versucht, sich dem komplexen Problem der Ursachen für die Innovationsschwäche der DDR am Beispiel der seit den 1960er Jahren in allen entwickelten Industrieländern auf der Tagesordnung stehenden Modernisierung des Werkzeugmaschinenbaus durch Innovationen auf dem Gebiet numerischer Steuerungen zu nähern. Dabei wird - mit Spur - davon ausgegangen, daß die damit ermöglichte flexible Automatisierung eines der zentralen Probleme der Bewältigung der wissenschaftlich-technischen Revolution in den 1960er bis 1980er Jahren war und die Ausstattung der Werkzeugmaschinen mit mikroelektronischen Steuerungen ein mehr als eine Branche betreffender innovativer Vorgang darstellte.
Der Entwicklung der Einkommen in den Ostblockländem lag ein Widerspruch zwischen den ideologischen und legitimatorischen Grundlagen des ihnen eigenen staatssozialistischen Systems auf der einen und den wirtschaftlichen Erfordernissen auf der anderen Seite zugrunde. Die in diesen Staaten herrschenden kommunistischen Parteien vertraten den Anspruch, die sozialistische Utopie von materieller Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklichen zu können. Jedoch wurde diese Idee von den Führungen jener Parteien auch instrumentalisiert, um ihre Macht zu legitimieren. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit faszinierte an dieser Vision besonders die Annahme, auf der Basis gesellschaftlichen Eigentums und gesamtwirtschaftlicher Planung Vollbeschäftigung garantieren zu können. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit wurde für den Staatssozialismus zu einem wesentlichen Wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziel und damit zu einer weiteren legitimatorischen Grundlage. Auf dem sozialisierten Eigentum an den Produktionsmitteln beruhte auch die Vorstellung, daß die Arbeitskraft - im Unterschied zum Kapitalismus, für den das Marx herausgearbeitet hatte - ihren Warencharakter verlieren werde. Da alle Gesellschaftsmitglieder Eigentümer der Produktionsmittel seien, müßten sie ihre Arbeitskraft nicht mehr an die Besitzer der Produktionsmittel verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der damit letztlich zu verwirklichende Gleichheitsanspruch war jedoch nicht absolut, sondern stand latent im Widerspruch zu dem Erfordernis, auch in diesem als Alternative zur liberalen Wettbewerbswirtschaft gedachten System Wirtschaftswachstum inklusive Produktivitätssteigerung zu gewährleisten.
Über "Internationale Geschichte" ist in der deutschen Geschichtswissenschaft nur selten systematisch nachgedacht worden. Methodische Reflexionen und theoretische Anstrengungen galten seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts vorwiegend der Sozialgeschichte, seit den achtziger Jahren auch der noch politikferneren historischen Anthropologie. Neuerdings wird auch das Verhältnis zwischen Sozialgeschichte und Kulturgeschichte intensiv diskutiert; Mentalitätsgeschichte ist zu einem beliebten Programmpunkt geworden. Wer hingegen über internationale Beziehungen geschrieben hat, über Außenpolitik, die Geschichte des internationalen Systems oder die wechselseitige Beeinflussung von Staaten und Gesellschaften, kurz: über Krieg und Frieden, über Herrschaft und Abhängigkeit zwischen den Völkern und Nationen, hat in der Regel wenig Anstrengungen auf die explizite Darlegung seiner theoretischen Annahmen und seiner Verfahrensweisen verwendet.
Die Welt der Gegenwart zeichnet sich durch ein dichtes Netz von globalen, grenzübergreifenden Aktivitäten aus, zu denen die ungeheure Zahl von über 61.100 internationalen Organisationen ebenso beiträgt wie die Veranstaltung internationaler Konferenzen und Kongresse. Der stolze Hinweis auf die Partizipation an internationalen Organisationen gehört zur Selbstdarstellung moderner Außenministerien, und das politische Potenzial von Nichtregierungsorganisationen in der ganzen Breite zwischen WEF-Gegnerschaft und Olympischen Spielen prägt das heutige Verständnis von Internationalität. Angesichts dieser vielfältigen und weltumspannenden Netzwerke ist die Anzahl der derzeit 193 von der UNO anerkannten souveränen Staaten lächerlich gering - und dennoch gibt es keinen Grund, von einem Ende des Nationalstaates zu sprechen.
Für eine junge Generation, die an der Schwelle zu einem neuen Millennium ins Erwachsenenalter eingetreten ist, dürfte es mittlerweile kaum noch nachzuvollziehen sein, wie fraglos das tägliche Leben weiter Teile der Bevölkerung in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland noch mit einer religiösen Praxis verflochten war, die maßgeblich von den großen Volkskirchen geprägt und geleitet wurde. Konfessionslosigkeit war in den meisten Regionen Westdeutschlands ein misstrauisch beäugtes Ausnahmephänomen, kirchliche Riten von der Geburt bis zur Beerdigung weithin ebenso selbstverständlich wie in vielen Bundesländern eine konfessionell geprägte staatliche Volkschule, die von der großen Mehrheit der Kinder und Jugendlichen besucht wurde. Die Konfession strukturierte auch das politische Leben in erheblichem Maße, und namentlich die katholische Kirche zögerte nicht, den zahlreichen Gläubigen an den Wahlsonntagen deutlich zu machen, wo das Kreuzchen zu setzen war.
„Berlin, die Insel der Freiheit“, müsse „politisch und wirtschaftlich so widerstands- und leistungsfähig gemacht werden“, dass es als „Vorort der freien Welt“ auf den Osten Berlins ausstrahle. Nichts geschehe im Westteil der Stadt, was im Sowjetsektor nicht verglichen und gewertet würde, bemerkte der Regierende Bürgermeister Walther Schreiber (CDU) im April 1954. Nur wenige Monate später formulierte der ostsektorale Magistrat wie folgt: In Berlin „existieren auf engstem Raum zwei Ordnungen nebeneinander. Die Menschen haben täglich unmittelbare Vergleichsmöglichkeiten. Vom demokratischen Sektor muß daher eine magnetische Kraft ausstrahlen, daß alle Werktätigen Berlins diesem Beispiel echter Demokratie zu folgen bereit sind.“ Kaum einen Zeitgenossen des Jahrzehnts nach der politischen Spaltung Berlins im Jahre 1948 überraschten diese im Kern sehr ähnlichen Aussagen, obwohl hinter ihnen einander diametral entgegengesetzte gesellschaftliche Ordnungen und politische Interessen standen. Beide Teile Berlins trennte und verband ein allgemeines Phänomen: der Konflikt zwischen dem parlamentarischen, rechtsstaatlich verfassten liberalen Westen und der östlichen kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Muster.
1955 schrieb die amerikanische Anthropologin Margaret Mead in einem von der UNESCO herausgegebenen Band mit dem Titel Cultural Patterns and Technical Change, man müsse in der Entwicklungsarbeit in »Übersee« darauf achten, dass die Menschen, deren alltägliche Lebenswelt sich durch die »Entwicklungshilfe« schnell und einschneidend verändere, möglichst geringen psychischen und sozialen Schaden nehmen. Gerade bei den technischen Umbrüchen könne es in der »Heilsgewissheit schneller Veränderungen« zu unvorhergesehenen Störungen kommen. Beispielsweise könnten Traktoren in den ländlichen Gebieten der »Dritten Welt« auf die Bauern erschreckend und terrorisierend wirken, Stress auslösen und zu psychischen Problemen führen. Mead war zu jener Zeit für die 1948 gegründete World Federation of Mental Health (WFMH) tätig, eine Körperschaft der UNO, in deren Rahmen sich gleich mehrfache Entwicklungswelten überlagerten. Die dort verfolgten Diskurse und Praktiken zielten darauf ab, die psychische Innenwelt als Resonanzraum und potentiellen Störfaktor von technischen Entwicklungsprozessen zur Geltung zu bringen. Zugleich machte man nicht nur das seelische Wohlbefinden der »zu Entwickelnden« zum Gegenstand der Sorge, sondern wollte auch durch Seminare und Anleitungsbücher friktionsfreie Kommunikationsräume schaffen, in denen ein »friedliches Zusammenleben« zwischen Entwicklungsexperten, Counterparts und Anwohnern vor Ort möglich würde – so äußerte sich jedenfalls der Leiter der WFMH, der ehemalige Militärpsychiater John Rawlings Rees. Fundamentale Zweifel an den Entwicklungszielen der Technisierung und an der Hierarchisierung der Verhältnisse in der Entwicklungsarbeit äußerten Mead und Rees trotz aller Warnungen vor psychischen Schäden nicht. Vielmehr ordneten sie sich in eine Expertengemeinschaft ein, in der Fachvertreter verschiedener Disziplinen – der Psychologie, der Soziologe, der Anthropologie und der Geschichtswissenschaft, vor allem aber der Ökonomie und der Ingenieurwissenschaften – neue Weltentwicklungsstrategien erarbeiteten, mit deren Hilfe die sozioökonomische Ungleichheit auf der Erde zum Verschwinden gebracht werden sollte.
Für alle modernen Gesellschaften stellt die aus transnationaler Migration resultierende interkulturelle Begegnung eine fundamentale Herausforderung dar. Obwohl die DDR eindeutig als Ausreise- und nicht als Einwanderungsgesellschaft charakterisiert werden kann, galt dies auch für den SED-Staat. In der historischen DDR-Forschung ist jedoch dem Umgang mit Fremden und den Bedingungen des Fremd-Seins in der staatssozialistischen Diktatur bislang eher geringe Aufmerksamkeit gewidmet worden. Der vorliegende Band setzt - wie das ihm zugrunde liegende Forschungsprojekt „Fremde und Fremd-Sein in der DDR“ - an diesem Desiderat an.
Nach 1989 dauerte es einige Jahre, bis diese beiden in Geschichte- wie in den benachbarten Gesellschaftswissenschaften angesiedelten Paradigmen zu einem konstruktiven Verhältnis wechselseitiger Ergänzung fanden. Davon profitieren nun auch die neuen Ansätze zur Erforschung der Geschichte des Kalten Krieges. Die hier vorgelegte Sammlung von Aufsätzen ist im Umfeld eines Forschungsprojektes entstanden, das Teil dieser Konjunktur ist und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam seit 2001 das Verhältnis von Massenmedien und Kaltem Krieg bearbeitet. Es handelt sich um Zwischenergebnisse aus individuellen Einzelforschungen. Arbeiten zu weiteren Untersuchungsgegenständen, deren Ergebnisse in einem weiteren, umfangreicheren Band zur Kulturgeschichte des Kalten Krieges in Europa zusammengefasst werden, dauern noch an. Die folgenden Thesen zur gesellschafts- wie mediengeschichtlichen Interpretation des Kalten Krieges halten gleichwohl in aller Vorläufigkeit und Kürze einige Grundannahmen wie auch erste allgemeine Befunde der gemeinsamen Projektarbeit fest.
Der vorliegende Band vereint methodisch-theoretische Überlegungen zur sozialhistorischen Netzwerkanalyse und empirische Einzelstudien zum Phänomen der Netzwerke im Realsozialismus. Er lädt dazu ein, die Substrukturen der realsozialistischen Gesellschaften zu analysieren. Netzwerke sind definitorisch nur schwer zu erfassen und lassen sich nicht immer scharf gegenüber Begriffen wie Patronage, Seilschaft, Arrangement etc. abgrenzen. Die Autoren der Beiträge experimentieren quasi mit dem Netzwerkbegriff auf der Grundlage ihrer jeweiligen empirischen Ergebnisse. Dabei kommt es zu Überschneidungen mit den Netzwerkbegriffen der Wirtschaftsgeschichte, der Organisationssoziologie und der Politikwissenschaften. Auf den ersten Blick scheinen sich einige der vorliegenden Untersuchungen wenig auf den Netzwerkbegriff zu beziehen. Auf den zweiten Blick jedoch, und das macht die Spezifik des Bandes aus, untersuchen sie Sonderformen von Netzwerken. Die Netzwerke in staatssozialistischen Systemen wurden, anders als etwa in westlichen Unternehmen, nicht aufgrund kalkulierter Effizienzkriterien installiert und aktiv betrieben, sondern dienten in der Regel dazu, eine Vielzahl von Defiziten zu kompensieren.
Existierten in der Gesellschaft der DDR überhaupt Eliten? Die Antwort auf diese Frage ist umstritten. Wenn es Eliten gab, was machte sie dazu, wie agierten sie, wer gehörte zu ihnen? Andererseits, wenn sie fehlten, wer oder was befand sich an ihrer Stelle und warum? Oder gab es in der sozialen Struktur der sozialistischen Gesellschaft gar keine adäquaten Funktionen und Positionen, die sich einer Elite zuschreiben ließen? Solche Fragen verweisen auf ein kontrovers diskutiertes Thema, dem sich im Laufe der neunziger Jahre auch die zeithistorische DDR-Forschung verstärkt zuwandte. Die in diesem Sammelband vereinten Beiträge sind aus dieser Diskussion hervorgegangen.
Die Forschungsrichtung der Sound Studies ist in den Geistes- und Kulturwissenschaften angekommen. Während bis vor wenigen Jahren noch häufig moniert wurde, dass der Gegenstand Sound in der kultur- und medienwissenschaftlichen Forschung notorisch unterrepräsentiert sei, lässt sich die Fülle der international erscheinenden Publikationen, die das Resultat eines zuletzt stark angewachsenen Interesses an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Phänomenen, Praktiken und Bedeutungen auditiver Kultur bilden, heute kaum mehr überblicken.
Gewalt verändert alles, und wer sich ihr aussetzt, wird für lange Zeit ein Anderer sein. Die Maßstäbe für Normalität verschieben sich, und was man für selbstverständlich halten konnte, erscheint im Licht der Gewalt seltsam fremd; Außergewöhnliches wird zum Alltäglichen. Nie wieder, erinnert sich der amerikanische Schriftsteller Denis Johnson, habe er die Gewaltexzesse vergessen können, deren Zeuge er im September 1990 in Liberia geworden war.
Quelle: Verlag
Für den 17. Dezember 1958 hatte die Abteilung Wissenschaften des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu einer Besprechung „im Großen Sitzungssaal des Zentralhauses der Einheit“ gebeten, auf der sich im Beisein des Staats- und Parteichefs die Elite der ostdeutschen Historikerschaft versammelte. Unter den Eingeladenen waren Institutsdirektoren, Universitätsprofessoren und Parteihistoriker, und sie waren zusammen- gekommen, um zusammen mit der politischen Führung des Landes über die Stellung der DDR-Geschichtswissenschaft gegenüber ihrer bundesdeutschen Schwesterdisziplin zu beraten. Um in die einzelnen Aspekte des Themas einzuführen, waren prominente Referenten gewonnen worden, und der Parteichef selbst trug zu der Frage vor, wie die Beziehungen zwischen Geschichtswissenschaft und Politik unter seinem Bonner Amtskollegen geregelt seien: „Die Historiker [...] arbeiten gegenwärtig für die Durchführung des psychologischen Krieges, und Adenauer hat sie ganz hübsch an die Strippe genommen. Welches ist die Aufgabe, die Adenauer ihnen gestellt hat? Adenauer hat diese ganzen Historiker zusammen genommen und ihnen klar gemacht, daß sie beweisen müssen die geschichtliche Notwendigkeit der europäischen Integration und die Rolle Westdeutschlands in der NATO. Und sie schreiben alle tapfer in dem Sinne, wie ihnen das angeordnet wurde, alle, angefangen bei Ritter bis hin zum letzten Schulmeister in den Dörfern. [...] Die ganze Geschichtsschreibung, wie sie dort im Westen betrieben wird, dient dieser Aufgabe. Es gibt dort eine einheitlich ideologisch-politische Leitung der gesamten Geschichtsforschung. [...] Die Geschichtsschreibung Westdeutschlands ist auf die Durchführung des psychologischen Krieges abgestellt und darauf, daß im Jahre 1961 die Rüstung der westdeutschen NATO-Truppen fertig ist, und bis zu dieser Zeit muß die entsprechende ideologische Verseuchung in Westdeutschland erreicht sein. Das ist dort exakt ausgearbeitet.“
Ausgehend von aktuellen Debatten über neue (oder erstmals so definierte) Bedrohungen, vermittelt diese Einleitung zunächst einen Überblick über die Geschichte von Sicherheitsbegriffen und -vorstellungen in politisch-gesellschaftlichen Debatten in Europa seit der Frühen Neuzeit. Darüber hinaus werden Grundzüge der damit verbundenen politischen Reaktionen dargelegt. Auf dieser Grundlage widmet sich der zweite Abschnitt mit Bezug auf Christopher Daases Überlegungen dem Konzept der "Sicherheitskultur". Dabei wird argumentiert, dass sich dessen Dynamik im Hinblick auf die Geschichte Russlands bzw. der Sowjetunion und Deutschlands aus den fortwährend entstehenden Herausforderungen ergibt, die jeweils neue Definitionen der Risiken, Normen und Werte erfordern. Deshalb sind die Wahrnehmungen, Vorstellungen und Verständnisse von "Sicherheit" in den jeweiligen historischen Kontexten untersuchen. Insgesamt wird damit für Studien plädiert, die "Sicherheitskulturen" dynamisch fassen und Diskurse ebenso untersuchen wie die politisch-sozialen Handlungspraktiken konkreter Akteure.
Die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust (USA 1978) gilt als eine der wichtigsten Zäsuren in der westlichen Erinnerungskultur. Sowohl in den USA und in Westeuropa als auch in verschiedenen anderen Teilen der Welt erreichte die Serie, dass sich ein Großteil der Bevölkerung mit der Shoah auseinandersetzte, was die „Erinnerung im globalen Zeitalter“ maßgeblich förderte. Bekanntlich führte die Serie nicht nur zu einer emotionalen Vergegenwärtigung der Massenmorde, sondern auch zu einer intensiven Anschlusskommunikation über den Holocaust, die sich in anderen Medienformaten fortsetzte. Zudem setzte, wie Moshe Zimmermann argumentiert, erst mit der Fernsehserie die „Amerikanisierung des Holocaust“ und eine transnationale Form der Erinnerung ein (...)
Ausgehend von Theodor W. Adornos Auffassung, dass Kunst sprechen lasse, »was die Ideologie verbirgt«, werden im vorliegenden Beitrag in der DDR entstandene künstlerische Landschaftsdarstellungen als mediale Beglaubigungen eines gleichermaßen realen wie teleologisch verstandenen Sozialismus in den Blick genommen. In der DDR spielte Landschaft und ihre mediale wie ästhetische Repräsentation eines Zusammenhangs aus Natur, Kultur, Interpretation, Leben und Arbeit eine zentrale Rolle. Denn mit Landschaftsdarstellungen lässt sich der »authentische« Lebensstil einer Gesellschaft verräumlichen und ermöglicht so historische Aufschlüsse sowohl über Authentisierungsstrategien des Sozialismus als auch über die problematische Referentialität des Authentischen, einschließlich seiner Bedeutung in der politischen Kommunikation. Der Vergleich von DDR-Landschaftsdarstellungen unterschiedlicher Dekaden zeigt darüber hinaus verschiedene Strategien der Verzeitlichung des Raumes. Dies wird hier exemplarisch an zwei Filmen und einem Gemälde über Montanlandschaften untersucht: dem Spielfilm »Sonnensucher« (1958) von Konrad Wolf und der Serie »Columbus 64« (1966) von Ulrich Thein sowie dem Gemälde »Hinter den sieben Bergen« (1973) von Wolfgang Mattheuer.
Im kollektiven Gedächtnis der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften existierten die Erfahrungen mit Krieg und Nationalsozialismus in vielfältiger Weise weiter. In der DDR lebten wie in Westdeutschland Menschen, die als Anhänger der NSDAP, Flakhelfer(innen), Soldaten oder gar SS-Mitglieder aktiv in den Krieg involviert gewesen waren. Die filmische Rezeption dieser Erinnerung in der DDR bewegte sich im Kontext entlastender und politisch funktionalisierender Strategien um Mitverantwortung und antifaschistische Wandlung. Sie als reine Propagandaprodukte zu begreifen, griffe jedoch zu kurz. Zweifellos boten dokumentarische wie fiktionale Filme in der DDR als Agenturen des kulturellen Gedächtnisses emotional wirksame Varianten an. Wenn auch die durchschnittliche jährliche Filmproduktion des DEFA-Monopols nur etwa zwischen 15 und 18 Spielfilme umfaßte, bei einem durchweg beträchtlichen Anteil von historischen Sujets, so hatte sie im Geschichtsdiskurs durchaus ein eigenständiges Gewicht und korrespondierte mit dem neuen visuellen Medium Fernsehen. Durch die modernen Massenmedien des 20. Jahrhunderts, insbesondere des Films, wird Geschichte zum Ereignis, und dem geschichtlichen Ereignis wird ein neuer Status verliehen. Geschichte gerinnt in ihnen zu Geschichten (Jacques Le Goff), die in einem Spannungszustand zu kanonisierenden Deutungen stehen. Geschichte wird greifbar als Geschichte von Individuen, von Helden, sich innerhalb einer festgefugten narrativen Struktur bewegend. Die Leistung des Films liegt deshalb in seiner besonderen Fähigkeit zur Emotionalisierung, Personalisierung und Dramatisierung von Geschichte, die anders als Literatur öffentlich unmittelbarer von einem Massenauditorium rezipiert werden kann.
Die 1980er Jahre können als eine Zeit zunehmender Turbulenzen und Unsicherheiten angesehen werden. Etliche politische Initiativen und soziale Bewegungen entstanden direkt aus den sozialpolitischen Konflikten dieser Zeit. Andere jedoch, die in den 1980er Jahren besonders aktiv waren, bestanden bereits seit Längerem, aber im unruhigen politischen Klima der damaligen Zeit erlebten selbst deren Aktivitäten wesentliche Veränderungen. Eine der langlebigsten dieser Bewegungen war die weltweite Bewegung gegen die Rassentrennung und Diskriminierungspolitik des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Ausgehend von den diplomatischen Anstrengungen der südafrikanischen nationalen Befreiungsbewegungen hat sie sich in ein globales Phänomen entwickelt, welches die politischen Erfahrungen vieler unterschiedlicher politischer Kulturen und sozialer Bewegungen nutzen konnte. Nach einem Höhepunkt der Mobilisierung in den späten 1980er Jahren endete das ununterbrochene Bestehen dieser Bewegung mit den allgemeinen Wahlen in Südafrika im April 1994, zu denen erstmals alle erwachsenen Bürger der Republik zugelassen waren.
Mit dem Abkommen über die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion galten ab 1. Juli 1990 die Bedingungen der Europäischen Gemeinschaft (EG) auch für das Gebiet der DDR. Damit war der zweite deutsche Staat dort angekommen, wo die SED-Führung nie hin wollte: in der westeuropäischen Integration. Das „Haus Europa“, das nach der Vorstellung Erich Honeckers stets Platz für zwei unterschiedliche gesellschaftliche Systeme bieten
sollte, erhielt so die Umrisse einer „Hausordnung“, die in den außenpolitischen Konzepten führender Staatsmänner weder in West noch in Ost in den vorhergehenden vierzig Jahren ernsthaft erwogen worden war. Während die Integration in Westeuropa aber bis zum Ende der achtziger Jahre sichtbare Ergebnisse und konkrete Pläne für die wirtschaftliche, politische und militärische Zukunft der westlichen Gemeinschaft hervorgebracht hatte, fielen der Ostblock und mit ihm seine Bündnissysteme in sich zusammen. Sang- und
klanglos wurde am 25. Februar 1991 der Warschauer Vertrag beendet. Am 28. Juni 1991 löste sich der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf, ohne dass ersichtlich wurde, welche konkreten Vorstellungen die früheren Ostblockstaaten von ihrer zukünftigen Rolle in einem Gesamteuropa hatten.
Sowohl der Blick nach Westeuropa als auch nationale Selbstpositionierungen bestimmten Europavorstellungen im Ostblock. Besonders in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts dynamisierten sich hier Debatten um Europa, und verschiedene Narrationen von Europa standen dabei in einer Bedeutungskonkurrenz. Die politische Integration im westlichen Teil des Kontinents strahlte in die Kreise unabhängiger Intellektueller positiv aus, doch es wurden auch Debatten um eine regionale Identität Zentraleuropas geführt. Beide Stränge traten in der bekannten „Mitteleuropa-Debatte“ in einen Widerstreit. Auch wurde die Auseinandersetzung um „Polens Platz in Europa“ über die Jahre des Staatssozialismus hinweg fortgeführt, und in den Friedensbewegungen suchte man länderübergreifend nach einer europäischen Ordnung außerhalb der Systemkonfrontation. Sogar in den Parteieliten wurde darüber nachgedacht, wie sich die westlichen Staaten des Ostblocks angesichts des schwachen Zusammenhalts im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wirtschaftlich neu orientieren könnten. So wurden den westeuropäischen Staaten Angebote zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, zu einer Verstärkung des Ost-West-Handels und gar zum politischen Dialog gemacht. Selbst in sich ideologisch stark vom Westen distanzierenden Staaten wie der DDR kam zur aus der Nachkriegszeit stammenden antikapitalistischen Rhetorik das intensive Reden über Ost-West-Kooperationen hinzu. Zwar wurde die Nachkriegspropaganda der Abgrenzung vom westlichen „Kleineuropa“ noch bis 1989 verfolgt, parallel wurde jedoch versucht, sich der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft anzunähem, um wirtschaftliche Vorteile zu realisieren und damit die Herrschaft zu stabilisieren. Oppositionelle Vorstellungen von Europa befanden sich trotz der restriktiven Bedingungen der staatssozialistischen Diktaturen nicht allein in einem abgrenzenden Gegensatz, sondern auch in einem Austausch mit denen der offiziellen Propaganda.
Expansion und Imperium
(2002)
Bevor im Jahre 1983 die Veröffentlichung des ersten Bandes von Wolfgang Reinhards "Geschichte der europäischen Expansion" den Expansionsstudien in der deutschen Geschichtswissenschaft erstmals einen epochenübergreifenden Rahmen gab, zerfiel das Gebiet in mehrere, nur schwach untereinander verbundene Teilströmungen, die sich vor allem durch ihre leitenden Fragestellungen unterschieden.
Der Beitrag beschäftigt sich mit den Gladiatoren-Darstellungen des französischen Salon-Künstlers Jean-Léon Gérôme, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit nahezu fotorealistischen Inszenierungen des antiken Alltagslebens große Berühmtheit erlangte. Herausgearbeitet werden die Authentizitätsstrategien des Künstlers, die als grundlegend für die Popularität seiner Werke bis ins 21. Jahrhundert betrachtet werden. Gérômes Vorgehen ist äußerst medienreflexiv und operiert mit einer Verschränkung von Authentizitätszuschreibungen auf mehreren Ebenen. Ein entscheidender Schritt zur Authentizitätssteigerung ist der Medientransfer von der Malerei zur Skulptur, der abschließend in zeitgenössische Praktiken der Wissensproduktion eingeordnet wird.
Die Debatte über den Generationenvertrag hat bisher die Generationenbeziehungen in der Familie vernachlässigt. Geld- und Zeittransfers zwischen erwachsenen Familiengenerationen bilden eine informelle Versicherung gegen Lebenslaufrisiken (z. B. Arbeitslosigkeit oder Scheidung), eine Unterstützung für Elternschaft und eine Quelle von Pflegeleistungen für abhängige alte Menschen. Sie tragen überdies zur Integration der Altersgruppen und Generationen in einer alterssegregierten Gesellschaft bei. Die Fähigkeit der Familie, diese Leistungen zu erbringen, wird jedoch durch den ökonomischen, demographischen und sozialen Wandel gefährdet.
Auf der Grundlage des Survey of Health, Agehig and Retirement in Europe (SHARE) gibt der Beitrag eine Übersicht über die Struktur der Familien-Netzwerke der älteren Europäer, beschreibt die Transfermuster zwischen den Generationen und erklärt die Aktivierung von Unterstützung als Funktion des Eintretens von Lebenslaufrisiken. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Verbreitung von Mehrgenerationenfamilien und einen Nettotransfer von den älteren Eltern zu ihren erwachsenen Kindern.
Im Hinblick auf Konsequenzen für die Politikgestaltung geht der Beitrag davon aus, dass familiale Unterstützung für die Hilfeleistenden (vor allem Frauen) kostspielig ist und zu individuellen und politischen Dilemmata führen kann. Politische Maßnahmen sollten neue Formen der Verbindung von Pflege- und Erwerbstätigkeit unterstützen und als Generationenpolitik gestaltet werden, d. h. nicht nur auf die primären Zielpersonen gerichtet sein, sondern auch auf deren Unterstützer.
Geschichtserzählungen haben derzeit eine Konjunktur, die einzigartig ist in der Geschichte der deutschen literarischen Kultur. Der Zusammenbruch der DDR und die deutsche Vereinigung gaben ihr zusätzlichen Auftrieb, doch handelt es sich offenkundig nicht um einen kurzfristigen Wachstumsschub, sondern um eine „Trendperiode“, die in West- und Ostdeutschland, in der alten Bundesrepublik und in der DDR nach einzelnen Vorläufern in den sechziger Jahren anlief und seit nunmehr vierzig Jahren mit einer wachsenden Zahl von Titeln und Auflagen anhält.
Flüchtlingslager dienen weltweit der kurzfristigen Unterbringung von geflüchteten Menschen und der Bereitstellung von Schutz und Unterstützung insbesondere nach weitreichenden Fluchtbewegungen in Aufnahmeländer. Dem erhofften Übergangscharakter von Lagern, ihrer Kurzfristigkeit mit provisorischen Infrastrukturen stehen jedoch reale Entwicklungen gegenüber. Aufnahmesituationen dauern zunehmend lang an, sodass Lager über viele Jahre bis hin zu Jahrzehnten genutzt werden und sich zu restriktiven Lebensräumen der Menschen entwickeln.
Es ist an sich nicht ungewöhnlich, daß eine gesellschaftliche Epoche erst als solche abgegrenzt und auf einen Begriff zu bringen ist, wenn die ihr innewohnenden, bestimmenden Merkmale an Bedeutung verlieren. Damit verlieren sie zugleich ihre scheinbare Natürlichkeit, aber auch ihren ideologischen Charakter. So ist die in den letzten Jahren belebte Diskussion um den Fordismus als eine Folge der Entwicklung zu sehen, die als postfordistisch bezeichnet wird.
In ihrer Bilanz der Frauenforschung zum Nationalsozialismus stellten Dagmar Reese und Carola Sachse 1990 die Frage, wie es geschehen konnte, dass der Forschungsdiskurs, „der sich zu Beginn der 1980er Jahre in breitgefächerten Ansätzen abzeichnete, in vielfältige Einzelaspekte hineinreichte und gleichwohl um einige deutlich erkennbare Leitfragen kreiste, gegen Ende dieses Jahrzehnts nicht mehr wahrgenommen wird?" Diese Frage hat sich bis heute nicht erledigt. So hält sich hartnäckig eine dreiphasige Periodisierung der Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus, die nicht von ungefähr die Assoziation von These, Antithese und Synthese erweckt: In der ersten Phase seit Mitte der 1970er Jahre seien „die Frauen“ als Opfer gesehen worden, in einer darauf folgenden Phase habe sich die Frauenforschung den Frauen als Täterinnen zugewandt, während seit den 1990er Jahren eine allgemeine Differenzierung der Frauen- und Geschlechterthematik im Verhältnis zum Nationalsozialismus stattgefunden habe. Dieser weitenden Dreiteilung liegt eine holzschnittartige Opfer-Täter-Dichotomie zugrunde, und sie basiert auf einer immer noch populären aber wie wir meinen: verfälschenden – Negativeinschätzung vor allem der ersten Phase der Frauenforschung zum Nationalsozialismus.
Nach dem 11. September 2001 schienen viele zuvor intensiv debattierte Themen schlagartig an Brisanz verloren zu haben - so auch die Welle der fremdenfeindlichen Gewalt, die Deutschland im Sommer 2000 erschütterte und die den Anstoß zur wissenschaftlichen Tagung „Fremde und Fremd-Sein in der DDR“ am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) im Dezember desselben Jahres gab. Aus einiger Distanz zeigt sich jedoch, daß beide Phänomene - trotz ihrer unterschiedlichen Tragweite - auf ein grundlegendes Problem moderner Gesellschaften verweisen, das im vorliegenden Band am Beispiel der DDR expliziert wird: die Frage nach der Fähigkeit und dem Willen zur Integration der „Fremden“ bzw. des „Anderen“ in eine moderne Gesellschaft.
Eine historische Betrachtung des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit kann zu der Frage nach den Ursachen und Voraussetzungen der zeitgenössischen Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus in Ostdeutschland zweifellos nur einen mittelbaren Beitrag leisten. Das Phänomen ist offensichtlich komplex und hängt nicht zuletzt mit aktuellen Problemen des Transformationsprozesses zusammen. Dagegen scheint mir die tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung historischer Aufklärung über die Verbrechen und Ursachen des Nationalsozialismus für die Gegenwart in einer Art deformation professionelle von Historikern leicht überschätzt zu werden - bei aller Wichtigkeit, die sie als Aufgabe unbestritten haben muß. Andersherum
formuliert: Die aktuelle Fremdenfeindlichkeit und der Rechtsradikalismus müssen mit der Kenntnis oder Unkenntnis von Geschichte und dem gesellschaftlichen Umgang damit keineswegs immer viel zu tun haben.
The first half of nineteen-seventies Europe was marked by visible signs of detente in the area of international relations and the resolutions from the final round of the Conference on Security and Cooperation in Europe (CSCE) in Helsinki. It drew an important dividing line in the history of the twentieth century Europe, especially for the inhabitants of the eastern half of the continent. They had ever hopefully been looking for improvements to their situation since the end of the Second World War and the division of Europe, which was an indirect result of the war and was symbolically expressed in Winston Churchill’s famous words: 'From Stettin on the Baltic to Trieste on the Adriatic, an iron curtain has descended across the continent. Behind that line, lie all the capitals of the ancient states of central and eastern Europe. Warsaw, Berlin, Prague, Vienna, Budapest, Belgrade, Bucharest and Sofia ...'.
Gelenkte Bilder. Propagandistische Sichtweisen und fotografische Inszenierungen der Reichshauptstadt
(2013)
Berlin als administratives und politisches Zentrum des NS-Regimes war die prominenteste und »produktivste« Bühne der öffentlichen Inszenierung nationalsozialistischer Machtentfaltung. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) war die wichtigste Schaltzentrale der NS-Propaganda.
Bis vor wenigen Jahren noch konnte der Jurist Raphael Lemkin als ein weitgehend in Vergessenheit geratener Immigrant polnisch-jüdischer Herkunft beschrieben werden. Als Lemkin 1959 in New York City verstarb, war er so mittellos und in Elend geraten, dass das American Jewish Committee sein Begräbnis und seine Bestattung bezahlen musste. Erst 2001 wurde Lemkin der Vergessenheit entrissen, als das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien sowie das Ruanda-Tribunal die ersten Urteile für das Verbrechen des Völkermordes fällten.
Geopolitik in der Emigration. Die Denkaufgabe 'Europa' in der Publizistik von Juliusz Mieroszewski
(2008)
Die Pariser Emigrantenzeitschrift Kultura und ihr Chefredakteur Jerzy Giedroyc galten als ein Mythos im öffentlichen Bewusstsein der Polen sowohl zur Zeit des Kommunismus als auch nach seinem Zusammenbruch. Grażyna Pomian, die Herausgeberin einer zweibändigen Auswahl der Publizistik des Literaturinstituts in Maisons-Laffitte bei Paris, wo sich das geistige Zentrum des Periodikums befand, stellte fest: „1989 bekannte sich fast die ganze Opposition zur Lektüre der Kultura. Sogar diejenigen, die sie nie in der Hand gehalten hatten oder vielleicht nie vorher von ihr gehört hatten, verkündeten allen und überall, dass sie mit der Kultura aufgewachsen sind.“ Vielleicht war es das Bedürfnis, sich angesichts der grauen Realität des Kommunismus in die erhabene Welt der Intellektuellen zu begeben? Oder war es danach, im demokratischen Polen, der Wunsch, sich zu dem zu bekennen und sich mit dem zu identifizieren, wofür man in den vorangegangenen Jahrzehnten nicht die Kraft und den Mut gehabt hatte? Nach 1945 gelang es nicht vielen, an die Überwindung der sich auf dem ostmitteleuropäischen Territorium ausbreitenden Krake des Kommunismus zu glauben. Diejenigen, welche diesen Glauben in der Nachkriegszeit hegten und ihn mit immer neuen Mitteln und Konzepten aufrechtzuerhalten versuchten, wurden oft als realitätsferne Visionäre betrachtet.
Die akademische Geschichtswissenschaft steht mit der Präsentation ihrer Erkenntnisse in der Öffentlichkeit heute in einer bisher nicht dagewesenen Konkurrenzsituation. Fernsehsendungen und -serien bereiten vor allem die NS-Vergangenheit, aber auch wichtige Ereignisse der Nachkriegszeit in einer publikumsgerechten Weise auf. Filme erzählen Geschichten insbesondere aus dem „Dritten Reich“, aus Bombenkrieg und Nachkriegsära. Umfangreiche Dokumentationsreihen haben Konjunktur, gut recherchiert, auf die Erzählung von Zeitzeugen gestützt, mit illustrierender Hintergrundmusik dramatisierend aufgemacht, mit zeitgenössischen Photos und Filmstreifen Augen und Ohren ansprechend.
History goes pop. In vielen westlichen bzw. westlich orientierten, europäischen wie außereuropäischen Kulturen ist Geschichte ein Gegenstand populärkultureller Repräsentation, Produktion und Konsumtion. Seit den 1980er Jahren ist ein steigendes öffentliches Interesse an Geschichte zu verzeichnen, das seit der zweiten Hälfte der 1990er und insbesondere in den letzten Jahren einen bisher ungekannten Höhepunkt erreicht hat.
Wie auch immer Geschichtsausstellungen heißen mögen, ob Aufbruch zur Freiheit oder Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, sie haben ein gemeinsames Problem: Sie wollen Geschichte darstellen. Die Frage, ob Geschichte überhaupt ausstellbar ist, beziehungsweise unter welchen Bedingungen Geschichtsausstellungen möglich sind, ob es sich um Rekonstruktionen handelt, um Modelle von Geschichte, sind Fragen, die selten zur Sprache kommen.
Geschichte wird als Wirtschaftsfaktor genützt. Vergangenheit wird daher auch gezielt bewirtschaftet. Mit dem Begriff der „Vergangenheitsbewirtschaftung“ kreierte Iris Hanika in ihrem Roman „Das Eigentliche“ einen Neologismus im Umfeld
der Holocaustbewältigung, um einen bereits oftmals im geschichtswissenschaftlichen Diskurs stehenden Bereich zu klassifizieren und literarisch zu brechen.
Im Unterschied zu den fünfziger und vor allem den sechziger Jahren scheint das Jahrzehnt der siebziger Jahre auf den ersten Blick kein ausgeprägtes Profil zu haben. Markus Caspers beispielsweise beschrieb die Dekade zwar als "die letzte stilistisch eigenständige Epoche dieses Jahrhunderts", charakterisierte sie dann aber nur mit vagen Adjektiven wie "wild und frisch, porentief rein, sexy, ex und hopp".
Das NS-Regime begann mit dem Ausnahmezustand. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 durch den Reichspräsidenten entsprach formal noch der Verfassung, obwohl die Präsidialkabinette der Weimarer Republik seit 1930 längst die verfassungsgemäße Balance zwischen Reichstag, Regierung und Präsidenten zugunsten autoritärer Regierungen ohne parlamentarische Mehrheit verschoben hatten und daher das Präsidialkabinett Hitler ebenso wenig wie seine Vorgänger dem demokratischen Inhalt der Weimarer Verfassung entsprach. Auch war der Wahlkampf zu den Reichstagswahlen Anfang März bereits von der Behinderung und Verfolgung der Opposition durch die Nationalsozialisten mit allen Mitteln des Staates, die ihnen nun zur Verfügung standen, gekennzeichnet.
Von Hobbes können wir uns nicht trennen. Mit ihm (nicht mit Machiavelli) beginnt die moderne politische Philosophie, und von seinem Grundgedanken, daß zum Schutze aller die Gewalt monopolisiert werden müsse, mögen wir uns nicht trennen. Und tlas obwohl wir, auf das vergangene Jahrhundert zurückblickend, ebendieses Gewaltmonopol als den Akteur von Massenmorden ohne Präzedenz erlebt haben. Hier ist nach wie vor die Hauptaufgabe aller Theorie, die sich mit überindividueller Gewalt befaßt: Wie ist das Mittel, ohne das wir nach wie vor nicht meinen, Gewalt erfolgreich eingrenzen zu können, das staatliche Gewaltmonopol, zu einer Quelle zwar nicht grenzenloser, aber beispiellos grenzerweiterter Destruktivität geworden? (Und dann: Warum halten wir dennoch am Programm der Monopolisierung fest?)
In den 1970er-Jahren endete des bundesdeutschen Wirtschaftswunder. Mit den konjunkturellen - und aus heutiger Sicht vergle1chswe1se harmlosen - Krisen von 1966/67 und 1973/74, mit der Aufkündigung des Bretton-Wood-Abkommens 1971, mit dem Ölpreisschocks von 1973/74 und 1979/80, mit der Billigkonkurrenz der fernöstlichen Tigerstaaten und mit den sich am Horizont bereits abzeichnenden fundamentalen Wandlungen von Wirtschaft und Gesellschaft durch Mikroelektronik und moderne Informationstechnologien, für die sich die Bezeichnung »dritte industrielle Revolution« eingebürgert hat, kündigte sich eine anhaltende industrielle Strukturkrise an, die sich derzeit zu einer Fundamentalkrise des globalen Kapitalismus auswächst. Die fordistische Suggestion eines fortwährend boomenden Kapitalismus ohne echte Krise und ebenso die Hoffnung auf eine dauerhafte Voll- oder gar Überbeschäftigung entpuppten sich als Illusion. Stattdessen wurde nun die »Krise des Fordismus« debattiert - und oft sehr Unterschiedliches darunter gefasst. Spätestens in den 1980er-Jahren machte die Formel vom »Ende des Fordismus« die Runde. »Krise« und »Ende« sind jedoch nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig blieb die Bundesrepublik Deutschland zumindest die erste Hälfte der 1970er-Jahre aber auch von einer bis dahin ungekannten gesellschaftlichen Aufbruchstimmung und Reformeuphorie gekennzeichnet, die etwa Mitte der 1960er-Jahre eingesetzt hatte. Sie zeigte ebenfalls nachhaltige Wirkungen und wird nicht selten durch die von Zeithistorikern unlängst geprägte, deprimiert-ratlose Formel »Nach dem Boom« verdeckt beziehungsweise verniedlicht.
Grenzerfahrungen. Mobilitätsbegeisterung für Auto, Flugzeug und Boot im frühen 20. Jahrhundert
(2013)
Zwischen 1880 und dem Ersten weltkrieg kam es zu einer Revolution der Mobilität: Kleine, individuelle Geräte wie Fahrräder, Segeljollen oder Paddelboote, aber auch Rollschuhe, und später Automobile und Fluggeräte wurden erfunden und fanden begeisterte Nutzer. Mit den neuen Mobilitätsmaschinen entstand auch ein neuer technischer Stil, eine neue Art des Konstruierens und Fertigens. Während Technik bis dahin schwer und solide erschien und eher schwerfällig wirkte, kam es nun zu einem grazileren und leichteren Technikstil. Typisch dafür war das Fahrrad: Aus leichten Rohren, gepressten Blechteilen, drahtspeichen und Kugellagern entstand eine Maschine, die das Zehnfache ihres eigenen Gewichts trug und dabei das Geschwindigkeitspotential des Radfahrers vervielfachen konnte. Auch die frühen Flugmaschinen entsprachen dem, gebaut aus ungewöhnlichen Materialien wie Bambus, Aluminiumblechen oder Klavierdrähten, transparent und trotzdem kraftvoll, Maschinen, die den alten Menschheitstraum des Fliegens mit neuer Technik verwirklichten.
Die britische Reaktion auf den Aufstand vom 17. Juni in der DDR war nach Stalins Tod in den ersten Märztagen 1953 eng verbunden mit Churchills Entspannungspolitik. Churchill hoffte mit einer Dreimächtekonferenz nach dem Vorbild der Potsdamer Konferenz den Kalten Krieg zu überwinden und die Teilung Deutschlands rückgängig zu machen. Letztlich wollte er damit jedoch sicherstellen, daß Großbritanniens Rolle als Weltmacht aufrechterhalten werden konnte. Es ging ihm keinesfalls um die nationale Selbstbestimmung der Deutschen, sondern wie er es sah, um die Vermeidung eines erneuten, diesmal nuklearen Weltkrieges. Churchills verzweifelte Versuche, den Tod Stalins und die sich anschließende Friedenskampagne der neuen sowjetischen Führer (Malenkow, Berija und Molotow) auszunutzen, um seine eigenen politischen Ziele gegen die starke Opposition der USA und Bundeskanzler Adenauers durchzusetzen, werden oft verwechselt mit der Politik Großbritanniens. Doch tatsächlich war Churchills Gipfeldiplomatie innerhalb der britischen Regierung und der außenpolitischen Elite des Landes sehr umstritten. Von einer mehr oder weniger gemeinsamen britischen Politik konnte keine Rede sein. Die Reaktion Londons auf den Aufstand in der DDR reflektierte daher den internen Machtkampf zwischen dem alternden Premierminister und seinen außenpolitischen Experten. Dem Aufstand vom 17. Juni kam dabei entscheidende Bedeutung zu. Durch die völlig überraschenden Ereignisse in der DDR wurden Churchills Versuche, eine Gipfelkonferenz mit der neuen kollektiven Führungsmacht im Kreml zu organisieren, die Glaubwürdigkeit entzogen.
Ein Paradox prägt die Praxis kommerzieller Buchverlage: Alle wissen um die Unmöglichkeit, Bestseller zu planen und alle sind beständig mit dem Planen von Bestsellern beschäftigt. John B. Thompson, der in seiner Doppelrolle als Buchwissenschaftler und Verleger von Polity Press einen privilegierten Zugang zu den verschwiegenen Zirkeln der Verlagswelt hat, beschreibt den Umgang mit dem Paradox in »Merchants of Culture«, seiner 2010 erschienenen Untersuchung über den Buchhandel in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Thompson charakterisiert das Verlagswesen als eine »black swan industry«, in welcher der glückliche Zufall eine entscheidende Rolle spiele, »da bei vielen, wenn nicht allen Bücher niemand wirklich weiß, wie erfolgreich sie sein werden«. Den Verlegern bleibe bei so viel Unsicherheit nur die Entwicklung einer Strategie, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen.
Die DDR ist vierzig Jahre am Leben geblieben, bevor sie - unwahrscheinlich schnell - unterging. Jetzt, wo der Westen der „Sieger der Geschichte“ zu sein scheint, sagen viele, daß die DDR im Grunde nur auf Terror und Repression aufgebaut war. Der alte Begriff vom „Unrechtsstaat“, wie auch das Konzept des „Totalitarismus“, die in den fünfziger Jahren so beliebt waren, finden wieder Gefallen. Manche sagen auch, daß „die Deutschen“ seit eh und je besonders gehorsam gewesen sind.
Historische Authentizität im Spielfilm. Ein Zusammenspiel von Ähnlichkeits- und Differenzerfahrung
(2021)
Der Beitrag beschäftigt sich mit Diskursen, Konzepten und Konventionen von »historischer Authentizität« in populären fiktionalen Spielfilmen, insbesondere, aber nicht ausschließlich im deutschsprachigen Kontext. Der erste Teil widmet sich einer typisch deutschen Tradition der Verknüpfung von filmischer Geschichtsdarstellung und Realismus, die als notwendige Grundlage für die Forderung nach Authentizität in fiktionalen Ausdrücken begründet wird. Der zweite Teil erläutert ein theoretisches Modell, das die Herstellung des Realismus-Eindrucks als Zusammenspiel von ästhetischer Ähnlichkeits- und Differenzerfahrung begreift. Wie sich dies für die Analyse von historisch situierten Spielfilmen anwenden lässt, erläutert der dritte Teil des Beitrags, der zugleich eine Systematisierung von ästhetischen Strategien der Authentifizierung vorschlägt. Zum Abschluss, im vierten Schritt, wird ein Ausblick auf mögliche Bezugspunkte für eine verstärkt kritische Auseinandersetzung mit dem Thema »historische Authentizität im Spielfilm« gegeben.
Seit den 1980er-Jahren erlebt die wissenschaftliche Erforschung von Wanderungsprozessen international einen rasanten Aufschwung, und ein Ende der Konjunktur ist derzeit nicht in Sicht. Die Gründe für diesen Forschungsboom sind in erster Linie in aktuellen Konflikt- und Problemlagen zu suchen. Segregationserscheinungen in Kernbereichen der Gesellschaft, allen voran im Wohn- und Bildungswesen, Auseinandersetzungen um religiöse Symbole, vor allem aber die Popularität rechtsextremistischer Parteien und Organisationen, rassistische Ausschreitungen und Fremdenfeindlichkeit sowie nicht zuletzt die seit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York im September 2001 verstärkt wahrgenommene Bedrohung durch global agierende Terrororganisationen und vermeintlich kausale Beziehungen zwischen Terrorismus und Einwanderung haben die öffentliche Diskussion über das Für und Wider von räumlicher Mobilität angefacht und das wissenschaftliche Interesse an der Kenntnis von Wanderungsprozessen – deren Ursachen, Verlauf und Folgen – beträchtlich gesteigert.
In den siebziger und achtziger Jahren wurde in der Tschechoslowakei unter Bedingungen des Informationsmangels eine Europaidee propagiert, die Träumereien über Europa, nebelhafte Vorstellungen und naive Erwartungen umfasste. Daneben aber wurde Europa auch als Wertegemeinschaft aufgefasst, etwa von Denkern wie Jan Patoćka und - im Exil - Vaclav Belohradsky. Alle diese Aspekte sind von Bedeutung und von Interesse für eine historische Analyse.
Dieser Aufsatz untersucht die Inszenierung des Authentischen und seine politische Funktion an ausgewählten Beispielen von Wochenschauen aus der Bundesrepublik und der DDR in den 1950er und 1960er Jahren. Für die damaligen Zuschauer*innen stand das Authentizitätsversprechen der bewegten Bilder in einem Spannungsverhältnis zur offensichtlichen Inszenierung des Politischen, nicht zuletzt nach den Erfahrungen in der NS-Diktatur. Die folgenden Überlegungen zeigen, dass Authentizität und Ideologie dennoch keine Gegensätze waren, sondern sich bedingten. Die Inszenierung der Ideologie durch den Einsatz von nicht-fiktivem Bildmaterial, dem die Zuschauer*innen Authentizität zuschreiben konnten, war geradezu die Voraussetzung dafür, dass die erhoffte propagandistische Wirkung erzielt werden konnte.
»Staat« und »Wissenschaft«, die beiden Zentralkategorien des Titels dieses Aufsatzes, scheinen auf den ersten Blick eindeutig. Sie sind es jedoch keineswegs. Bevor auf die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) und ihre Geschichte während des »Dritten Reiches« eingegangen werden kann, soll deshalb zunächst in groben Zügen geklärt werden, was die Begriffe »Staat« und »Wissenschaft« während der NS-Zeit bedeuteten.
Imperialgeschichte
(2002)
Die Geschichtswissenschaft war in den vergangenen Jahrzehnten grundlegenden Veränderungen unterworfen. Während sich die althergebrachte. im 19. Jahrhundert wurzelnde Historie vor allem auf die politische Geschichte konzentrierte und nach der Wirkungsmächtigkeit von Ideen fragte, stellten die neuen Paradigmen der Nachkriegszeit soziale Strukturen als geschichtliche Bestimmungsfaktoren in den Mittelpunkt. Mehr und mehr aber brach sich die Erkenntnis Bahn, daß die historische Realität weder mit ereignis- und ideengeschichtlichen noch mit sozialwis-senschaftlichen Methoden und Fragestellungen allein hinreichend erfaßt werden kann.
Korruption ist eine flüchtige Praxis, die sich in der Regel dem Zugriff des Historikers entzieht. Prinzipiell sind korrupte Handlungen für alle Epochen und Kulturkreise anzunehmen. Zugleich variierten ihr Stellenwert und ihre Bedeutung temporär und topographisch. Eine historische Beschäftigung mit dem Phänomen Korruption verspricht deshalb Erkenntnisse über das Selbstverständnis und die Funktionsweisen einer Gesellschaft. Die jeweilige Wahrnehmung und Praxis der Korruption muß sich dabei nicht decken. Vielmehr kann gerade eine intensive Auseinandersetzung mit Bestechungen mit einer seltenen Anwendung einhergehen und umgekehrt eine routinisierte Korruption mit ausbleibenden Debatten (...)
»Individualisierte kollektive Verkehrssysteme - eine Lösung der Verkehrsnot in den Städten?« lautete die Frage, die Anfang der 1970er Jahre zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Firmen und Stadt- und Verkehrsplanungsbehörden beschäftigte. Die euphorische Hoffnung, die sich in dieser Zeit breitmachte, zielte darauf ab, das individuelle Bedürfnis der Fortbewegung, dem das Auto so schön entsprach, mit kollektiven Verkehrsmitteln zu befriedigen, um die Staus, die Umwehbelastung und den Lärm aus den Städten zu verbannen.
Für das Niederlausitzer Industriegebiet war bis in die 1960er Jahre eine spezifische Gruppe von Arbeitern bäuerlicher Herkunft mit weiter bestehender Verbindung zur Landwirtschaft - die Nebenerwerbsbauern - ebenso typisch wie zu Industriedörfern expandierende Landgemeinden. Ein zunächst zeitweiliger Nebenerwerb zur kleinen Landwirtschaft sicherte in der überwiegend kleinbäuerlich geprägten Region mit zum großen Teil geringwertigen Böden und niedrigen Erträgen die Existenzgrundlage vieler oftmals sorbischer Familien. Der selbst angebaute Flachs wurde im Winter in Heimarbeit zu Leinen gewebt bzw. ein dörfliches Handwerk betrieben. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich die ländliche Sozialstruktur der Niederlausitz grundsätzlich zu verändern. Ursache war zum einen die Agrargesetzgebung, die zur Ablösung der Feudallasten gegen Geld und zu Landabgaben an die Gutsherrschaft während der Separation führte. Zum anderen beschleunigte das Eindringen des Kapitalismus in die Landwirtschaft besonders über den zunehmenden Konkurrenzdruck eine soziale Differenzierung der Bauernschaft. Immer mehr vormals selbständige Kleinbauern waren nunmehr gezwungen, ständig eine Lohnarbeit auszuüben. Ihnen boten der mit dem Siegeszug der Dampfmaschine sich schnell ausweitende Braunkohlenbergbau sowie die Tuchfabriken in Cottbus, Spremberg und Forst eine meist minderbezahlte Arbeit. Hauptberuflich nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, hielten die Nebenerwerbsbauern an ihrem wenigen Grand und Boden weiterhin zäh fest, ergänzten seine Produkte doch ihren geringen Lohn und boten eine Rückversicherung für schlechte Zeiten.
'Rationalisierung' war als - meist höchst unbestimmtes - Schlagwort zwar keineswegs auf den industriellen Betrieb beschränkt, sondern fungierte besonders in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre als eine Art Zauberformel, die auch politisch-gesellschaftliche Probleme zu lösen vorgab. Materieller Kern (oder zumindest Ausgangspunkt) der Rationalisierungsdebatten der zwanziger und dreißiger Jahre waren jedoch zumeist spezifische Aspekte der innerbetrieblichen 'Modernisierung', namentlich die verschiedenen Formen und die spezifischen deutschen Probleme der Fließfertigung sowie - damit unmittelbar verknüpft - die (gleichfalls) aus den USA importierten 'wissenschaftlichen' Arbeits- und Zeitstudien, außerdem die verschiedenen Arbeitsbewertungssysteme. 'Fordismus' und 'Taylorismus' zielten in ihren verschiedenen Varianten nicht nur auf fertigungstechnische und arbeitsorganisatorische Veränderungen. Ihnen parallel lief eine neue Personalpolitik, spezifische Ausformungen der betrieblichen Sozialpolitik und (weitere) 'moderne Sozialtechniken'. Diese drei Problemkreise - fertigungstechnische, arbeitsorganisatorische und soziale 'Rationalisierung' - stehen deshalb nicht zufällig im Zentrum neuerer Untersuchungen.
Infrastrukturen und Umwelt in Ostmitteleuropa. Überlegungen zu einem wenig beachteten Forschungsfeld
(2013)
Beginnend mit Straßenbau- und später Eisenbahnprojekten setzte seit dem späten 18. Jahrhundert eine Entwicklung ein, die seit den Anfängen der Hochindustrialisierung zu einer dynamischen Erschließung von Kommunen und Regionen führte. Zum Teil fußend auf privaten Initiativen war es in erster Linie der Staat, der versuchte, seinen Einfluss mittels Administration und infrastruktureller Erschließung in der Fläche durchzusetzen. Neben der Integration durch Verkehr und Versorgung zielte der moderne Staat auf Herrschaft durch territoriale Durchdringung. Großprojekte wie Staudämme, Kanalbauten oder spektakuläre Brücken- oder Tunnelbauten standen symbolisch für diesen Anspruch. Die konsequent verfolgte Zielsetzung, Fläche zu „organisieren“, ermöglichte wiederum als Nebenprodukt auch den bewussten Schutz von als schützenswert erachteten Gebieten. Nicht selten handelte es sich dabei freilich um Regionen, die nicht ohne weiteres in effektive ökonomische Nutzungskonzepte integriert werden konnten, weswegen die infrastrukturelle Erschließung dort meistens erst nachgelagert unter dem Vorzeichen touristischer Nutzung erfolgte. Nach Jens Ivo Engels und Julia Obertreis „organisieren und verstetigen“ Infrastrukturen „Austauschprozesse zwischen dem Menschen und seiner Umwelt“. Die Untersuchung der Frage, auf welche Weise dies geschieht, also wie infrastrukturelle Erschließung geplant und durchgeführt wird und welche sozialen und ökologischen Folgen der Aufbau und Betrieb von Infrastrukturen oder auch deren Fehlen zeitigt, verspricht wichtige Erkenntnisse zum strukturpolitischen Agieren von staatlichen Akteuren. Sie öffnet zugleich den Blick auf zeitgenössische Bewertungen des Verhältnisses von Mensch und Umwelt.
Diese Sätze wurden nicht im Sommer 1848 oder Ende 1849 niedergeschrieben, obwohl sie vorzüglich auf die Revolution von 1848/49 gepaßt hätten, sondern knapp zwei jahrzehnte früher - 1830. Ihr Verfasser war Joseph Maria von radowitz. Wer war dieser Radowitz, der eine Grundtendenz der Pariser Julirevolution so prägnant reflektierte und zugleich mit Blick auf die deutsche und europäische Revolution 18 Jahre später ungewollt prophetische Worte zu Papier brachte? Woher kam dieser preußische Politiker, der 1849/50 den "deutschen Angelegenheiten" eine neue Wendung zu geben versuchte?
In modernen, auf Massenbewegungen und plebiszitärer Akklamation basierenden Diktaturen, die mit ihren spezifischen pseudodemokratischen Legitimationsstrategien die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt haben, bildet der Elitenwechsel eine integrale Komponente des ehrgeizigen Projekts, die Gesellschaft der politischen Herrschaft der jeweiligen Machthaber zu unterwerfen. In den west- und mitteleuropäischen Staaten waren dabei die vorangegangene Demokratisierung und die Ausweitung der politischen Partizipation ebensowenig vollständig reversibel wie die - durch neue Medien, Verkehrsmittel und Übermittlungstechniken begünstigte - Zunahme der sozialen Mobilität und Kommunikation seit dem späten 19. Jahrhundert. Diktatorische Regimes zielten deshalb zugleich auf eine gesellschaftliche Mobilisierung und auf die weitgehende ideologische Durchdringung sowie politische Formierung sozialer Strukturen und Beziehungen. Ausgehend von chiliastisch-eschatologischen Befreiungsvisionen, einem hypertrophen Voluntarismus und einem nahezu grenzenlosen Idealismus, sollten nicht nur Monopolpartei, Staat und Gesellschaft miteinander verschmolzen, sondern auch die Individuen zu „neuen Menschen“ umgeformt werden.
Im Mittelpunkt dieser Studie steht die Analyse einer Funktionärsschicht, an deren Zusammensetzung und Entwicklung exemplarisch Fragen beantwortet werden sollen, mit denen letztlich jedes politische System konfrontiert ist, das mit der alten politischen Ordnung radikal brechen und eine neue aufbauen will. Die Frage, ob die alten politischen Eliten aus der Nazizeit übernommen werden sollten, stand für viele Deutsche nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gar nicht erst zur Disposition. Dies unterbanden sowohl der alliierte Einspruch als auch die Haltung deutscher Hitlergegner. Damit war das Dilemma, das gerade in neuester Zeit in der Transformationsforschung diskutiert wird, ob die Zirkulation oder die Reproduktion von Eliten (oder eine Mischung von beidem) die Erfordernisse einer Stabilisierung des neuen Systems besser fordert, im Sinne des ersteren und damit der Ersetzung wichtiger Führungsgruppen entschieden. Inwieweit dieser Anspruch in den vier Besatzungszonen auch in die Realität umgesetzt werden konnte, war zunächst ebenso offen wie die Fragen, nach welchen Kriterien die neuen Eliten ausgewählt werden sollten und wie umfassend der Austausch von Funktionsträgem sein sollte. Wenn, wie in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR, die Elitenzirkulation schon früh nicht nach offenen, pluralistischen Gesichtspunkten, sondern im Sinne einer politischen Ideologie und damit auch einer bestimmten Führungsschicht entschieden wurde, dann stellten sich die Probleme noch um einiges komplizierter dar, da eine Gegenelite erst in Ansätzen vorhanden war und sie ihren Herrschaftsanspruch durch die Rekrutierung, Ausbildung und Fördemng von politisch unerfahrenen Führungspersonen durchsetzen mußte. Um die dabei angefallenen Schwierigkeiten, aber auch Erfolge wird es im folgenden gehen. Wo mußten Kompromisse geschlossen werden und wie erfolgreich war die DDR in ihrer Kaderpolitik? Welche Charakteristika bestimmten die neue Führungsschicht und wie änderten sie sich im Zeitverlauf? Die Politik der SED war nicht statisch, und Wandel und Beharrung können und sollen nicht nur an einzelnen Führungspersönlichkeiten wie Ulbricht und Honecker festgemacht werden. Vielmehr soll gerade aufgezeigt werden, daß die Versteinerungstendenzen der siebziger und achtziger Jahre nicht zuletzt als Reaktion auf die turbulenten Anfangsjahre der DDR zu verstehen sind.
Geschichte kann man nicht ausstellen, nur ihre Hinterlassenschaften. Das ist ein fundamentaler Unterschied zum Kunstmuseum, das mit sehr viel besserem Gewissen an seine Arbeit gehen kann als wir. Das Kunstmuseum stellt nicht den Gang der Kunstgeschichte aus, sondern nur den winzig kleinen Rest, den ein jahrhunderte- oder mindestens jahrzehntelanger Prozess des Verschleißes von den vorher unzählbaren Objekten jener Kunstgeschichte übrig gelassen hat. Der Geschmack von Fürsten und Päpsten, die Ja/Nein-Entscheidungen von geschmacksbildenden Eliten bis zu uns, den wissenschaftlich argumentierenden Museumsleuten, haben ein paar tausend Objekte übrig gelassen, die anderen alle dem Flohmarkt oder dem Orkus überantwortet.
Kap. 2: Gewalt und Staat
(2006)
Die klassische Analyse der Gewalt unterscheidet verschiedene Ebenen. So schlug zum Beispiel in den 1960er Jahren Pierre Hassner drei unterschiedliche Betrachtungsebenen vor. Die erste war die des internationalen Systems, die seiner Ansicht nach damals »vom bipolaren Gleichgewicht durch Abschreckung und in Europa von der territorialen Aufteilung in zwei Blöcke« bestimmt war. Die zweite war die der Staaten mit ihren innenpolitischen und diplomatischen Anliegen und die dritte die der Gesellschaften innerhalb der Staaten mit ihren je eigenen politischen Systemen, Strukturen und ihrer spezifischen Dynamik. Diese Unterscheidung, die ich selbst in meinen Arbeiten über den Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre benutzt habe, trifft sicherlich immer noch weitgehend zu. Aber da sie ganz auf den Staat zentriert ist, in dem sie den wahren Problemknoten sieht, wird sie heute auf Grund beträchtlicher Veränderungen in Frage gestellt, die es nötig machen, nach neuen Analysekategorien zu suchen und nicht mehr alles, oder fast alles, auf den Staat zurückzuführen.
Sowohl in den Kulturwissenschaften als auch in der Theologie hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr die Einsicht durchgesetzt, dass sich die historische Entwicklung von »Religion« und »Kirche« in der Bundesrepublik Deutschland nicht allein an den statistischen Daten zur formellen Kirchenbindung wie »Mitgliedschaft«, »Gottesdienstbesuch« oder »Abendmahlbeteiligung« ablesen lässt. Die ausschließlich aus der quantitativ datenanalytischen Außensicht gewonnene Perspektive bringt nur sehr unscharfe Parameter für die Erforschung moderner Religionsausübung zutage.
Wie bürgerlich war der Nationalsozialismus? Diese Frage scheint abwegig, angesichts des antibürgerlichen Gestus der Nationalsozialisten und angesichts eines von ihnen gepflegten Antiliberalismus, der neben dem Rassismus und Antisemitismus sowie der entschiedenen Feindschaft gegenüber allem, was links war, als markante Signatur des Nationalsozialismus als »Bewegung« wie als Ideologie vor und ebenso nach 1933 gelten kann. Indes ist diese Frage keineswegs so abwegig, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Der SA-Rabauke beherrschte nur bis Mitte 1934 die politische Szenerie. Zumindest in wichtigen gesellschaftlichen Teilsystemen gaben seitdem - oft auch schon vorher - Nationalsozialisten den Ton an, die durchaus auf gute Manieren achteten und die deutsche Hochkultur zu schätzen wussten. So wenig wie das deutsche Bürgertum bis (mindestens) zur Jahrhundertmitte mit Demokratie und Liberalität zu identifizieren war, so wenig ist der Nationalsozialismus auf Antibürgerlichkeit zu reduzieren.
»Schaulust«, »Bilderwelten«, »Blickwechsel«, »Sehsucht«, »Der Traum vom Sehen«, »Ich sehe was, was du nicht siehst« – so lauten die Titel viel beachteter Ausstellungen der letzten Jahre, die den Sehsinn in den Mittelpunkt stellen. Damit folgt der Museumsbereich einem Trend, ohne dessen Schrittmacher zu sein. Doch diese starke Hinwendung zum Sehen, Schauen und Blicken vernachlässigt eine vermeintlich unbedeutende Tatsache: Voraussetzung für das Sehen ist der Raum, und ohne Raum könnte der so hervorgehobene Sinn nicht zur Entfaltung kommen. Diese Tatsache schlägt sich aber nicht in einer besonderen Wertschätzung der Kategorie Raum im Museum nieder. Um es noch schärfer zu formulieren: Jeder arbeitet mit dem Raum, aber keiner redet darüber.
»Schaulust«, »Bilderwelten«, »Blickwechsel«, »Sehsucht«, »Der Traum vom Sehen«, »Ich sehe was, was du nicht siehst« – so lauten die Titel viel beachteter Ausstellungen der letzten Jahre, die den Sehsinn in den Mittelpunkt stellen. Damit folgt der Museumsbereich einem Trend, ohne dessen Schrittmacher zu sein. Doch diese starke Hinwendung zum Sehen, Schauen und Blicken vernachlässigt eine vermeintlich unbedeutende Tatsache: Voraussetzung für das Sehen ist der Raum, und ohne Raum könnte der so hervorgehobene Sinn nicht zur Entfaltung kommen.
Der DDR-Staats- und Parteiführung als Herrschaftsequipe eines der ökonomisch reichsten Länder im sogenannten Ostblock war es lange Zeit gelungen, ihre abhängig Beschäftigten im Rahmen eines staatlich organisierten Sozialprogramms weitgehend zu pazifizieren. Im Ergebnis machte sich relative Ruhe in den Betrieben breit, selbst unter den in den frühen Jahren der DDR besonders renitenten Arbeitern der Bau-, Chemie- und Metallbranche. Konfliktarmut und Stagnation wurden in den siebziger und namentlich den achtziger Jahren zu hervorstechenden Merkmalen des DDR-Betriebsalltags. Der, wie es scheint, im großen und ganzen zufriedengestellte Arbeiter, hatte sich vorteilhaft dem ihm zugewiesenen Arbeits- und Lebensregime angepaßt, seine Nische und sein Auskommen gefunden.
Kyberkratie bezeichnet das Regieren vermittels kybernetischer Methoden, eine kybernetisch aufgeklärte Organisation der Gesellschaft. Der Begriff fasst die Bestrebungen sowjetischer Kybernetiker zusammen, die Anwendung kybernetischer Steuerungsmethoden von der Regelungstechnik nicht nur auf die Erforschung lebender Organismen, sondern auch auf die Wissenschaft von der Gesellschaft auszuweiten. Sie betrachteten die Gesellschaft als ein kybernetisches, durch Rückkopplungen gesteuertes System, dessen Funktionieren sie durch den Einsatz rationaler, expliziter und »objektiver« Methoden optimieren zu können meinten. Kurzum, ihr Anliegen war es, einen Sozialismus mit kybernetischem Antlitz zu schaffen. Kyberbürokratie bezeichnet einen bürokratischen Apparat, der über kybernetische Methoden und Technologien, einschließlich Computer, verfügt.
Das Denkmal der Freiheit und Einheit Deutschlands soll seine Aussagekraft und seine Wirkung „über die Form und Gestalt entfalten“. Die Entscheidung, einen offenen zweistufigen Gestaltungswettbewerb durchzuführen, ergab sich aus dem Wunsch des Auslobers, in einem möglichst breit angelegten demokratischen, transparenten Verfahren ein breites Spektrum künstlerischer Vorschläge einzuholen. Mit dieser Form des Verfahrens waren Angehörige der verschiedenen Sparten angesprochen – bildende Künstler, Architekten, Landschaftsarchitekten sowie Gestalter im weitesten Sinn. Im vorliegenden Beitrag wird gefragt, auf welche Weise diesem Anliegen entsprochen wurde, welche konzeptionellen und stilistischen Schwerpunkte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesetzt und welche Bildmotive sie für die gestellte Aufgabe entwickelt haben.
Labour Policy in Industry
(2008)
From 1933 onwards industrial law was transformed from one which protected employees to one intended to secure the regime’s power over them. In the Third Reich the political and ideological aims of the regime - under the cloak of ‘Volk und Rasse’ (nation and race) - became the guiding principles of a new labour law. Evidence of this can be found in the destruction of trade unions, the arbitrary treatment to which non-conforming employees could be subjected, the integration of employees into the network of National Socialist institutions, the authoritarian wage policy, the rapidly vanishing significance of labour courts and the ascendancy of legal offices of the German Labour Front (Deutsche Arbeitsfront, DAF), which propagated the theory of a racist national community (Volksgemeinschaft).
Langfristige Ursprünge und dauerhafte Auswirkungen. Zur historischen Einordnung der siebziger Jahre
(2008)
Wohl keines der Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war derart stark von widerstreitenden Entwicklungen gekennzeichnet wie die siebziger Jahre. Sprach man nach dem Krieg in Deutschland von Stunde Null und Neubeginn, in den fünfziger Jahren dann von Wiederaufbau, in den Sechzigern von Reform und Emanzipation, so löste sich im Verlauf der siebziger Jahre die scheinbare Eindeutigkeit der Zuordnungen auf. Politikwissenschaftler und Historiker nahmen alsbald Zuflucht zum inhaltsleeren Begriff der Krise, als hätte es Krisen zuvor nicht gegeben und als sei man in der Lage, exakt bestimmen zu können, was eine »Krise« denn konkret ausmache.
LautSprecher-Passagen. Zu den Umbauten eines Dispositivs der Massenkommunikation vor und nach 1945
(2008)
7. Oktober 1965: Die DDR begeht ihren 16. Gründungstag. Gefeiert wird mit einer Parade auf einem Truppengelände westlich von Berlin. Plötzlich ertönt infernalischer Lärm, der sehr allmählich nur das Trompetensolo aus dem Hollywood-Film "Verdammt in alle Ewigkeit" freigibt. Das Solo schlägt die Marschmusik. Durchsagen folgen: Diese Stimme kennt man in und um Berlin, auch wenn die NVA-Soldaten nicht sehen, wer spricht. Die Stimme gehört Hein Gerull, dem sogenannten >Schallkämpfer<, offiziell Redakteur einer vom Berliner Senat und der Bundesregierung finanzierten mobilen Lautsprecheranlage, besser bekannt als "Studio am Stacheldraht".
In der DDR nahmen Recht, Markt und Geld im wirtschaftlichen Austausch und im Prozess der sozialen Interaktion nur einen geringen Stellenwert ein. Die - im Vergleich zu westlich-kapitalistischen Gesellschaften - geringe Geltungskraft dieser „differenzierten Rationalitäts-kriterien“ wirkte sich nicht nur auf die Ausübung der politischen Herrschaft und die Ent-scheidungsprozesse aus, sondern auch auf die Allokation ökonomischer Ressourcen und die Ausprägung gesellschaftlicher Ungleichheit. So waren der Zugang zu Verbrauchsgütem - vor allem zu den begehrten Konsumgütem -, die damit verbundenen sozialen Differenzen und kulturellen Distinktionen in der Gesellschaft der DDR weitgehend nicht monetär bestimmt.
In der Diskussion über die Kontinuität von Gesellschaftsstrukturen, die aus der ersten Jahrhunderthälfte in die beiden deutschen Staaten hineinragen und diese, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, prägten, hat die Frage nach den DDR-Eliten jüngst an Gewicht gewonnen. Standen zuvor ausschließlich die unter dem Blickwinkel einer retrospektiven Aufarbeitung des Nationalsozialismus problematisierten Kontinuitätslinien der Eliten in Westdeutschland im Mittelpunkt eines langsam gewachsenen zeitgeschichtlichen Interesses, kann seit 1990 auf ungleich besserer Quellengrundlage gefragt werden, wie es damit in der DDR bestellt war. In der westdeutschen Historiographie bestand schon länger ein Konsens darüber, daß es hier - anders als in der frühen Bundesrepublik - einen vollständigen Bruch für die maßgeblichen Karrieren in der Verwaltung, nicht jedoch in der Wirtschaft gegeben hat. Aber trotz aller Unterschiede gab es auch Parallelentwicklungen. Zu stark ähnelten sich die personellen Ausgangsbedingungen, als daß anzunehmen wäre, die in der Bundesrepublik anzutreffende Kontinuität in den Basisstrukturen der öffentlichen Verwaltung und in der Wirtschaft hätte keine Entsprechung auf östlicher Seite gefunden.
Markttabu
(2014)
Die Medialisierung von Politik und Gesellschaft hat zweifellos mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Qualität erfahren. Diese ist mit dem Rundfunk, der in Deutschland zum ersten Mal auf dem Höhepunkt der Inflation, im Oktober 1923, auf Sendung ging, entscheidend befördert worden. Das Radio fungierte für die folgenden dreißig bis vierzig Jahre als Leitmedium, das als Ikone des Modernen und der Moderne galt.
Tod, Vernichtung, alltägliches Elend und die Angst davor waren für die Einwohner der Bundesrepublik in ihrem ersten Vierteljahrhundert keineswegs neue Erscheinungen. Die Erinnerung an den Krieg, an Deutsche als Kriegsopfer und (in geringerem Maß) an Deutsche als Urheber von Mord und Verbrechen, bestimmte einen Großteil des öffentlichen und privaten Gedenkens. Der Tod als Alltagserscheinung war aber nicht nur eine rückwärtsgewandte Erfahrung. Neben dem gleichsam selbstverständlichen Tod durch Alter oder Krankheit wurde der Lebensverlust durch Verkehrsunfälle zu einem der prominentesten Themen der jungen Bundesrepublik. Zehntausende von Autofahrern und anderen Verkehrsteilnehmern starben jedes Jahr auf bundesdeutschen Straßen. Ob ihr Tod vermeidbar war oder nicht und welche Rollen Autofahrer, Automobilhersteller, Straßenbauer und Landschaftsarchitekten spielten oder spielen sollten, wurde zu einem an Stammtischen, in Gemeinderäten, Parlamenten, Ministerien, Seminarräumen und Gerichtssälen leidenschaftlich diskutierten Streitpunkt.
Die geschichts- und politikwissenschaftliche wie auch die soziologische Diskussion zur typologischen Bestimmung des SED-Regimes hat dessen diktatorischen Charakter deutlicher und zugleich differenzierter hervortreten lassen. Eher am Rande wurde dabei nach technokratischen Komponenten im sozialistischen Herrschaftssystem gefragt, wenngleich die einschlägige Literatur eine ganze Reihe von Hinweisen auf ein Technokratieproblem in der DDR enthält. Im allgemeinen scheint Technokratie aber als ein peripheres Phänomen wahrgenommen worden zu sein. Indes spricht manches für die Relevanz technokratischer Einflüsse in der Geschichte der DDR. Im Aufstieg und Niedergang der Macht- und Funktionseliten sind technokratische Szenarien zu erkennen, deren zentraler Bezugspunkt in der Zentralverwaltungswirtschaft lag. Doch strahlten die Wirkungen technokratischen Handelns offenbar weit in andere Bereiche des täglichen Lebens aus. Um zu erfahren, auf welche Weise und warum sich technokratische Potentiale anreicherten und wie sie wirkten, ist es nötig, die historischen Bedingungen für Technokratie in der DDR zu bestimmen. Das setzt voraus, die technokratischen Spielräume der SED-Diktatur auszuleuchten, den Umgang der Macht- und Funktionseliten mit technokratischen Konzepten und Praktiken aus den Quellen zu rekonstruieren und den spezifischen Phänotyp des Technokraten in der Gesellschaft der DDR zu lokalisieren.
Alter(n) hat sich in der Gegenwart grundlegend gewandelt. Aufgrund der Entwicklung in der Medizin haben heute viele ältere Menschen die Möglichkeit, die Lebensphase Alter nicht nur länger, sondern vor allem länger gesund zu erleben. Dies stellt nicht nur gesellschaftliche Institutionen, sondern auch das Individuum vor neue Herausforderungen. Alter(n) zeichnet sich durch eine nie gekannte Wahlfreiheit aus und sollte deshalb sinnvoll geplant und gelebt werden. Es entstehen neue Märkte und eine Vielfalt von Freizeitaktivitäten für ältere Menschen. Damit geht einher, dass das klassische dreiteilige Modell der Lebensphasen aufgebrochen ist. Statt der Kindheit und der Erwerbsphase einfach den Ruhestand und das Alter entgegenzusetzen, wird das Alter oft selbst noch einmal unterteilt, so dass seit einiger Zeit mindestens vier Lebensalter unterschieden werden.