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Die sowjetischen „Besatzer“. Konstruktionen des Fremden in der lebensgeschichtlichen Erinnerung
(2003)
In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Weichen der gesellschaftspolitischen Entwicklung in Ost- und Westdeutschland gestellt. Der Übergang vom nationalsozialistischen zum geteilten Deutschland war für die Bevölkerung stark geprägt durch die bis dahin unbekannte Erfahrung der Fremdherrschaft im eigenen Land. Die Besatzungsmächte steckten in ihrem jeweiligen Gebiet nicht nur den institutionellen Rahmen ab, sondern traten auch personell, als Zivilisten wie als Soldaten, in Erscheinung.
Von Migration sprechen wir in der modernen Welt, wenn es um das Überschreiten der Grenzen von Nationalstaaten geht. Innerstaatliche Wanderungen werden als Mobilität betrachtet und als notwendig und unproblematisch eingeschätzt. Diese Kategorisierung enthält sicherlich ein Element von Willkür, kann es doch bei innerstaatlichen Wanderungen um riesige Entfernungen und große kulturelle Unterschiede gehen, zumal in Ländern wie China oder den USA, und kann man andererseits bei grenzüberschreitenden Wanderungen unter Umständen im selben Kulturraum bleiben, etwa an der amerikanisch-kanadischen, der bayerisch-österreichischen oder der niederländisch-belgischen Grenze. Gleichwohl wird diese Definition überall zugrundegelegt, meist allerdings stillschweigend. Sie wird auch dann vorausgesetzt, wenn intentional Kritik am Nationalstaat geübt wird.
Sucht man nach Kontinuitätslinien, die sich von der vergleichsweise höheren Fremdenfeindlichkeit im heutigen Osten Deutschlands in die DDR zurückverfolgen lassen, so ist der Umgang mit Fremden vor 1989 eine naheliegende Forschungsfrage. Damit werden Vertragsarbeitnehmer und ihre Wahrnehmung durch die deutsche Bevölkerung zu einem unverzichtbaren Untersuchungsfeld. Da insgesamt nur ein Prozent Ausländerinnen und Ausländer in der DDR lebten und die Reisemöglichkeiten der DDR-Bürger nach dem Mauerbau massiv beschränkt waren, fehlten im DDR-Alltag Kontaktmöglichkeiten mit Menschen fremder Länder weitgehend. Hinsichtlich der Vertragsarbeitskräfte, in den letzten Jahren der DDR die zweitgrößte Gruppe von Ausländern, galt das nicht, waren sie doch oftmals in die deutschen Arbeitsbrigaden integriert. Dort teilten Deutsche und Ausländer den Arbeitsplatz, die Normvorgaben, die Schichtpausen und - vielleicht nicht immer - auch die Aktivitäten im Brigadeleben. Diese bevorzugte Gelegenheit für eine persönliche Begegnung von Deutschen und Ausländern wiegt für die Forschung um so mehr, als die kasernierte Unterbringung, von der im Beitrag von Dennis Kuck in diesem Band die Rede ist, die Vertragsarbeitnehmer ansonsten von der Bevölkerung isolierte und damit den privaten und unkontrollierten Kontakt zwischen Deutschen und Ausländern außerhalb der Betriebe
enorm erschwerte.
Mehr als io Jahre lang haben durchschnittlich etwa einhundert namibische Kinder und ihre Betreuerinnen in dem kleinen mecklenburgischen Dorf Bellin gelebt. Geredet und geschrieben wurde über sie paradoxerweise erst im Zusammenhang mit ihrer Rückkehr nach Namibia im August 1990. Wer zufällig nach Bellin kam oder doch davon gehört hatte, stand vor einem alten Gutshaus, das bis Ende 1989 für ungebetene Besucher verschlossen blieb. In der DDR wußte so gut wie niemand etwas von der Existenz eines SWAPO-Kinderheimes. Abschottung einerseits, andererseits die in der DDR einmalige Situation, daß in einem Ort etwa 25 Prozent Ausländer lebten, die meisten von ihnen Kinder.
Der grassierenden Fremdenfeindlichkeit auf dem Territorium der ehemaligen DDR liegt ein vielfältiges Ursachengeflecht zu Grunde. Ausgehend von den historischen Ursachen, die Behrends, Kuck und Poutrus anführen, soll hier näher auf ihre These von der „geschlossenen Gemeinschaft“ eingegangen werden. Die Autoren konstatieren
ein Legitimationsdefizit der SED, das zu „einer beharrlichen Distanz vieler Menschen zum sozialistischen Staat“ geführt habe. Damit folgen sie jener Richtung in der Diktaturenforschung, welche die DDR-Gesellschaft nicht in den Dichotomien von Anpassung und Widerstand zu erklären versucht, sondern vielmehr die Bevölkerung in ein komplexes Beziehungsverhältnis zu den politischen Institutionen setzt. Ein solcher methodischer Zugriff erkennt zum einen die Ungleichgewichtigkeit der Machtverteilung an und vermeidet zum anderen die a priori moralischen Implikationen jener Geschichtsschreibung, die dem Opfer-Täter-Denken verhaftet ist und dadurch oft dem Erklärungsschema der „Verführung der Massen“ folgt.
Gemessen an der in den siebziger und achtziger Jahren wachsenden Zahl von Vertragsarbeitern und den sowjetischen Besatzungstruppen, die den größten Teil der ständig in der DDR anwesenden Ausländer ausmachten, waren die „Polit. Emigranten“ die kleinste Gruppe von in der DDR lebenden Fremden. Dieser in der DDR-Amtssprache auch als „PE’s“ bezeichnete Personenkreis war von anderen Migrantengruppen durch seinen besonderen Aufenthaltsstatus im SED-Staat, durch das von der offiziellen Propaganda vorgestellte politische Ansehen und seine unmittelbare Aufnahme in das Alltagsleben in der DDR deutlich abzugrenzen. Idealtypisch
sollten die „Polit. Emigranten“ in der SED-Diktatur das Bild des „guten Ausländers“, des Freiheitskämpfers bzw. Antifaschisten verkörpern, also jenes Bild des „guten Inländers“, das die SED-Führung vor allem für sich selbst in Anspruch nahm und mit dem sie ihre diktatorische Herrschaft in der DDR begründete. Diese positive und
gleichzeitig instrumentelle Darstellung der wenigen Flüchtlinge des Kalten Krieges, die Asyl in der DDR suchten und erhielten, war aber weder geeignet, den Argwohn der Bevölkerung gegenüber der herrschenden Staatspartei abzubauen, noch trug sie dazu bei, ein vorurteilsfreies Zusammenleben von Fremden und Einheimischen zu fördern. Schließlich beobachtete der zentralisierte Geheimdienstapparat der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die „Polit. Emigranten“ genauso mißtrauisch wie die deutsche Bevölkerung. Der Anfangsverdacht der SED galt der ausländischen Herkunft der Einen und der Sehnsucht der Anderen nach dem unerreichbaren Ausland. Anhand der für diesen Beitrag hauptsächlich benutzten Quellen aus dem Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR läßt sich klar ablesen, daß unter den Bedingungen der SED-Diktatur Toleranz gegenüber dem „Anderen“ oder „Fremden“ keine geforderte Tugend war und so nur bedingt erlernt bzw. gelebt werden konnte.
Gemeinschaften sind immer durch ein Verhältnis von Einschließung und Ausschließung konstruiert. Die von den SED-Ideologen imaginierte sozialistische Menschengemeinschaft war darin keine Ausnahme. Auch sie definierte Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, wobei das Fremde nicht in erster Linie ethnisch, sondern sozial, d. h. als einer fremden Klasse zugehörig repräsentiert wurde. Dieser binären Logik wurde dann aber zusehends durch die soziale „Liquidierung“ der nicht werktätigen Klassen in der DDR der konkret-historische Inhalt entzogen. Wie der SED-Staat und die ihm zuarbeitende Rechtswissenschaft auf dieses Problem reagierten und welche „Lösungen“ sie dafür entwickelten, versuche ich im folgenden anhand des juristischen Diskurses über das „asoziale Verhalten“ aufzuzeigen.
‘Soziale Sicherheit’ ist wie sein englisches (‘Social Security’) und sein französisches (‘Sécurité sociale’) Synonym zu einem Leitbegriff der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung geworden. Während es die deutsche Sprache gestattet zwischen normativem Leitbild (‘Soziale Sicherheit’) und seinen institutionellen Umsetzungen (‘Soziale Sicherung’) semantisch zu unterscheiden, decken ‘Social Security’ und ‘Sécurité sociale’ grundsätzlich beide Bedeutungen. Allerdings hat sich in neuerer Zeit das institutionelle Verständnis ganz in den Vordergrund geschoben. Erst unter dem Eindruck eines Diskurses, welcher 'Globalisierung' als Gefahr für die europäische Wohlfahrtstaatlichkeit thematisiert, tritt auch die normative Komponente des Begriffs wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein.
Die Geschichte der Aussiedlung sudetendeutscher Antifaschisten und ihrer Integration in die Nachkriegsgesellschaft der SBZ/DDR gehört in den Gesamtzusammenhang der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ostdeutschland und Osteuropa sowie ihrer Integration in die Gesellschaft der beiden deutschen Teilstaaten. Unter den insgesamt etwa vier Millionen geflohenen, vertriebenen und ausgesiedelten Deutschen, die in der sowjetischen Besatzungszone verblieben, bildeten die über 800 000 Deutschen aus der Tschechoslowakei die zweitgrößte Gruppe. Etwa 50 000 von ihnen, mehrheitlich ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) und der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei (DSAP), kamen als sogenannte Antifa-Umsiedler in die SBZ.
Bevölkerungstransfers sowie Flucht- und Vertreibungswellen, deren Komplexität und Nachhaltigkeit eine neue Qualität erreichten, kennzeichneten den Zweiten Weltkrieg und die Zeit danach. Die nationalsozialistische Ideologie vom „Lebensraum im Osten“ zwang Hunderttausende von Menschen, ihre angestammten Siedlungsgebiete zu verlassen und sich an andere, von den neuen Machthabern zugewiesene Wohnorte zu begeben. Dies geschah oft unter schrecklichen Umständen. Nicht-Deutsche mußten ihren Platz räumen für diejenigen, die - unter sowjetischer Herrschaft lebend - „Heim ins Reich“ geholt wurden. Mit dem Vormarsch der Roten Armee und der sich damit abzeichnenden Niederlage des Deutschen Reiches setzten sich die Flüchtlingstrecks der deutschen Bewohner der Ostgebiete Richtung Westen in Bewegung. Die anschließend auf der Potsdamer Konferenz von den Alliierten beschlossene Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus ihren östlichen Siedlungsgebieten sollte „innerhalb der neuen Grenzen Frieden stiften und die Minderheitenprobleme ein für allemal bereinigen“. Doch gelang es aus unterschiedlichen Gründen nicht, diese Beschlüsse vollständig umzusetzen und alle Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten auszusiedeln. Auch in den Jahrzehnten nach dem Abschluß der offiziellen Vertreibungen verließen Hunderttausende von Deutschen die Staaten des ehemaligen Ostblocks, um in die Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln.