943 Geschichte Mitteleuropas; Deutschlands
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Bilder können bis heute in privates und öffentliches Leben, in gegenwärtiges Geschehen auf dramatische Weise eingreifen. Sie fungieren als fotografischer Beweis, daß das unvorstellbare tatsächlich geschehen ist. Schriftliche Dokumente, wie z.B. die Ämterkorrespondenz der Todesfabriken, die Protokolle von Geständnissen und Zeugenaussagen liefern sehr viel mehr und sehr viel detailliertere Informationen als Fotografien. Der Abbildcharakter des Mediums verleiht diesen Bildern gegenüber Texten jedoch einen höheren Grad von Überzeugungskraft und Beweisstärke.
’’Die Tatsachenberichte (über die Vernichtung der Juden in Polen) klingen zwar unglaublich, doch die von der Kamera festgehaltenen Bilder bezeugen die traurige Wahrheit” ist beispielsweise in der ’’Sittengeschichte des Zweiten Weltkrieges” zu lesen.
Eine aufschlussreiche Debatte um die Frage nach der Beeinträchtigung der deutschen Sprache durch die NS-Zeit fand 1963 in Walter Höllerers zwei Jahre zuvor gegründeter Zeitschrift »Sprache im technischen Zeitalter« statt. Hier wurden drei Beiträge aus dem englischsprachigen Ausland dokumentiert, von denen George Steiners Essay »Das hohle Wunder« besonders heftige Antworten provozierte. Unser Aufsatz rekapituliert Steiners sprachkritische Intervention im Rahmen des damaligen literarischen Resonanzraums und untersucht zunächst Auffälligkeiten der unautorisierten ersten Übersetzung von Steiners Text. Im Zentrum steht dann die Kritik der um Repliken gebetenen Autorinnen und Autoren, unter denen mit Hilde Spiel, Marcel Reich-Ranicki, François Bondy und Hans Weigel mehrere jüdische Persönlichkeiten waren. Wir diskutieren, warum diese dem Befund Steiners widersprachen und ihr Vertrauen in die deutsche Sprache bekundeten. Der Aufsatz schließt mit Wolfgang Hildesheimer, dessen Blick auf das Deutsche als Tätersprache durch seine Arbeit als Übersetzer bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen geprägt war.
In dem Beitrag wird untersucht, in welcher Weise Lohnzugeständnisse und andere materielle Zuwendungen dazu beigetragen haben, die Industriearbeiterschaft, und hier v.a. die Arbeiter der Metallindustrie, insbesondere in der Phase der Vollbeschäftigung ab 1935/36 politisch ruhig zu halten und insgesamt erfolgreich in den gesamten Wirtschaftsprozeß zu integrieren - ohne gleichzeitig durch eine drastische Erhöhung des Konsumtionsniveaus der Arbeiterschaft die Konsumgüterproduktion 'übermäßig' zu stimulieren und damit die forcierte Aufrüstung grundsätzlich zu gefährden. Ausführlich wird dargestellt, welche Rolle dabei den spezifischen Formen der Leistungsentlohnung zukam. Da die Entwicklung der (Effektiv-)Löhne nur vor dem Hintergrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt verständlich wird, wird zu Beginn ein Überblick über die Beschäftigungsentwicklung bis September 1939 gegeben. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß die Erhöhung des Arbeitseinkommens der Metallarbeiterschaft, der am wirtschaftlichen Aufschwung am stärksten partizipierende Teil der Gesamtarbeiterschaft, auch nach Erreichen der Vollbeschäftigung nicht überschätzt werden darf.
Das westdeutsche Abschieberegime entstand im Kontext der Problematisierung von People of Color, die seit 1950 in die Bundesrepublik einreisten, um dort ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen. Die junge Republik lud Menschen aus sich dekolonisierenden Ländern zunächst ein, um sich von der Rassenideologie des National- sozialismus zu distanzieren und sich gegenüber dem Sozialismus zu profilieren. Dabei bestand jedoch weiterhin die im Kern völkische Prämisse, dass People of Color nicht langfristig bleiben sollten. Die Herstellung ihrer Rückführbarkeit manifestierte sich in der Rechts-, Verwaltungs- und Betreuungspraxis lokaler Behörden und Wohlfahrtsverbände, wodurch diese Prämisse in das Ausländergesetz von 1965 einging. Das Gesetz machte insbesondere »außereuropäische« Migrant*innen abschiebbar, denen es pauschal kriminelle Täuschungsabsichten und extremistische Politisierung unterstellte. Es verrechtlichte zudem eine pseudomoralische Rückkehrpflicht von People of Color unter Verweis auf ihren Entwicklungsauftrag in den Herkunftsländern und auf tradierte Geschlechterrollen. Diese Normen waren in der Bundesrepublik permanent abrufbar und wurden sukzessive auf andere Migrant*innen angewandt.
Kosmetika sind in vielerlei Hinsicht banal, sie stellen aber oft (wie andere Praktiken des Körperschmucks) auch wirkungsvolle Ausdrucksmittel in Konflikten um die Symbolik von Körper und Selbst dar. In den Vereinigten Staaten warfen Feministinnen bei der Wahl zur »Miss America« 1968 vermeintliche Folterinstrumente wie Büstenhalter oder künstliche Wimpern sowie Frauenzeitschriften wie »Glamour« und Männermagazine wie »Playboy« in einen »Freiheitsabfalleimer«. In den USA, in der Bundesrepublik Deutschland und anderen westlichen Ländern wandten sich Anhängerinnen der neuen Frauenbewegung dagegen, den weiblichen Körper wie eine Ware zu behandeln...
Angemessen dargestellt? Die Ausstellung "Holocaust" des Deutschen Historischen Museums in Berlin
(2002)
»Dass die Welt aus den Fugen ist, zeigt allerorten sich daran, dass man es falsch macht, wie man es auch macht«, bemerkte Theodor W. Adorno 1953. Derartige Zweifel scheinen Hans Ottomeyer, dem Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums (DHM), eher fremd zu sein. Im Vorwort des Ausstellungskatalogs dankt er seinem Projektteam, »dass ein schwieriges Kapitel der Geschichte angemessen dargestellt wurde«. Doch müsste es in einer Retrospektive des (deutschen) Holocaust-Gedenkens nicht gerade darum gehen, die Kriterien für »Angemessenheit« konsequent zu historisieren? Seit 1945 haben sich die Darstellungskonventionen ja mehrfach gewandelt, und auch die heutigen Antworten auf das Repräsentationsproblem erweisen sich bei näherem Hinsehen als zeitgebunden und perspektivisch. Darauf wird zurückzukommen sein.
Ambivalente Metaphorik. Ein kritischer Rückblick auf Zygmunt Baumans "Dialektik der Ordnung" (1989)
(2017)
Lange vor Baumans »Dialektik der Ordnung« war mir ein Text von Yvonne Hirdman in die Hände gefallen, als ich mich für ein Forschungsprojekt zum »social engineering« in die Forschungsliteratur zur schwedischen Geschichte und Gesellschaftspolitik einzulesen begann. Hirdman, Historikerin, hatte 1989 ein schlankes Buch mit dem aus dem Deutschen abgeleiteten Titel »Att lägga livet tillrätta« publiziert, »Das Leben zurechtlegen«.[1] Die Studie war im Rahmen einer Enquête entstanden, mit deren Hilfe der schwedische Staat sein eigenes Funktionieren untersuchte. Hirdman, die zehn Jahre zuvor eine Geschichte der Sozialdemokratie unter dem selbstsicheren Titel »Wir bauen das Land« verfasst hatte, hielt nun derselben sozialdemokratisch dominierten Gesellschaftspolitik vor, die Menschen systematisch übermächtigt zu haben.
Ausweisungen können weitere politische Funktionen einnehmen, die über die staatliche Steuerung von Migration hinausgehen. Wie wir in diesem Aufsatz anhand zweier Sondertypen von Ausweisungen zeigen, können solche Maßnahmen gerade in Phasen staatlicher Konsolidierung und bei der Überlappung von Souveränitätsansprüchen als politisches right-peopling auftreten. In diesem Kontext untersuchen wir die Rolle von Ausweisungen während der kritischen Phase der deutschen Nationalstaatsbildung nach dem Ersten Weltkrieg. Für die 1920er-Jahre analysieren wir einerseits Ausweisungen von Deutschen aus anderen Landesteilen durch deutsche Landesbehörden (etwa von Württembergern aus Baden), andererseits Ausweisungen von Deutschen aus dem besetzten Rheinland durch die alliierten Besatzungsbehörden. Mit Bezug auf aktuelle Debatten um Illegalisierung und deportability von Migrant*innen betrachten wir Beispiele aus regional- und rechtshistorischen Quellen der Weimarer Republik. So zeigen wir, wie Ausweisungen sozialpolitische und ethnisch-exklusive Ziele hatten, aber auch zu einer Stärkung staatlicher Institutionen und zu einer nationalistischen Identifikation mit dem Deutschen Reich nach dem verlorenen Krieg führten.
„Erinnerung ohne Phantasie gibt es nicht“, hat György Konrád einmal gesagt. Dieser apodiktische Satz wäre durchaus zu widerlegen, denn bisweilen sind auch
phantasielose Erinnerungspraktiken zu beobachten. Zu Recht macht Konrád aber darauf aufmerksam, daß Erinnerung nicht bloß vergangenheitsbezogen sein muß. Wenn sich das Erinnern mit der Phantasie verbindet, gewinnt es eine Zukunftsdimension und weist über rein antiquarische Rückblicke hinaus.