900 Geschichte und Geografie
Refine
Year of publication
Document Type
- Online Publication (32)
- Journal Article (18)
- Part of a Book (2)
Has Fulltext
- yes (52)
Is part of the Bibliography
- no (52) (remove)
Keywords
- Auftragsforschung (1)
- Behördenforschung (1)
- NS-Aufarbeitung (1)
Eines seiner wohl berühmtesten Bilder ist zur Ikone geworden – zu einem jener Bilder, in denen Vergangenheit und Zukunft ineinander fallen: der gealterte Nelson Rolihlahla Mandela, der mit tiefen Falten und ergrautem Haar aus dem mit massiven Gitterstäben versehenen Fenster schaut. Den rechten Ellenbogen hat Mandela auf die Fensterbank gelegt, auf seiner linken Brusttasche fällt ein Emblem ins Auge. Das Bild ist 1994 entstanden. Offiziell ist Südafrika ein freies Land, und Mandela ist für das Foto in die Zelle auf Robben Island zurückgekehrt, in der er 18 seiner insgesamt 27 Jahre in Haft verbrachte. Der Fotograf Jürgen Schadeberg erinnert sich: „This was where he studied, did pushups and reflected on the goal of the liberation of his people. He looked out of the bars and when he thought I had finished taking pictures, relaxed somewhat, and turned around to smile.“ Die Photographers‘ Gallery in London hat dieses Foto als eines der fünfzig prägendsten Bilder des 20. Jahrhunderts gewählt.
Der Massenmord an den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg gehört heute zu den am gründlichsten erforschten Themen der Neueren Geschichte. Vor der Publikation von Raul Hilbergs Dissertation »The Destruction of the European Jews« aus dem Jahr 1954, die erst 1961 im Druck erschien und noch heute zu Recht als Standardwerk der Holocaust-Forschung gilt, fehlte es zwar nicht an Untersuchungen zum Thema, doch waren diese zunächst ganz überwiegend aus einer nationalgeschichtlichen Perspektive verfasst und deckten daher immer nur Teilbereiche des Gesamtphänomens ab. Zu den wenigen Ausnahmen im deutschen Sprachraum, die früh die politischen Aspekte des Völkermordes in Südosteuropa analysierten und damit nachdrücklich auf dessen europäische Dimension aufmerksam machten, gehörte eine heute vergessene juristische Doktorarbeit, die im akademischen Jahr 1957/58 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. angefertigt wurde.
»Es gibt ein Menschenrecht auf Bleiberecht!«, verkündete Sevim Dağdelen, damals Bundestagsabgeordnete für Die Linke, im März 2006. Dabei bezog sie sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall »Sisojeva u.a. gegen Lettland« vom Juni 2005. Es ging dabei um das Ehepaar Svetlana Sisojeva und Arkady Sisojev, die zur Zeit der Sowjetunion Ende der 1960er-Jahre nach Lettland gekommen waren und dort auch eine Tochter bekommen hatten. Ihr Aufenthaltsstatus blieb nach der Unabhängigkeit des baltischen Staates 1991 ungeklärt, da Lettland die Annexion des schon in der Zwischenkriegszeit unabhängigen Landes durch die Sowjetunion 1940 bzw. 1944 nicht anerkannte und die zur Sowjetzeit ins Land gekommenen Personen daher als Ausländer bzw. Staatenlose betrachtete, die gegebenenfalls das Land zu verlassen hätten. Aus einer Binnenmigration wurde somit quasi rückwirkend eine internationale Migration. In ihrer Beschwerde beim EGMR machte die Familie geltend, dass der lettische Staat durch seine Weigerung, ihren Aufenthaltsstatus zu regeln, ihr Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK) verletze. Der EGMR schloss sich mehrheitlich dieser Auffassung an, woraus die Bundestagsabgeordnete Dağdelen folgerte: »Es gibt – unter bestimmten Bedingungen – ein Menschenrecht auf Bleiberecht, das der ausländerrechtlichen Allmacht der Nationalstaaten Grenzen setzt. Dieses Recht steht auch nicht im ›humanitären Ermessen‹ der Behörden. Es gilt absolut!«
Das Wissen von Europäern um Südamerika ist seit der frühen Neuzeit, als der Kontinent Ziel der europäischen Expansion wurde, durch Bilder vermittelt worden. Diese Bildüberlieferung erhielt im 19. und frühen 20. Jahrhundert neue Impulse: Fotos und später Bildpostkarten zeigten den Menschen im Deutschen Reich ein ambivalentes Bild des fremden Kontinents, das mit bestehenden Vorstellungen und Projektionen zusammenwirkte, aber auch mit diesen konkurrierte. Die Ambivalenz des Südamerikabildes wird deutlich in den Motiven, denn die Bildmedien zeigten einerseits Eisenbahnen und Bahnhöfe, Stadtansichten, repräsentative Gebäude, Häfen, Zoos und Fabriken. Ein ganz anderes Bild zeichneten dagegen Ansichten von Indigenen und Ruinen. Auf den ersten Blick scheinen die Quellen so insgesamt eine bekannte Dichotomie aus Tradition und Moderne zu zeigen. Aber die genauere Untersuchung ergibt, dass sich hybride Bedeutungen bildeten, deren Sinn je nach Nutzungszusammenhängen oszillierte.
Manche Bücher sollte man besser vom Ende her lesen, lässt sich doch so ihr archimedischer Fluchtpunkt rasch entdecken. Gewiss, für Kriminalromane empfiehlt sich eine solche Lesart nicht, wohl aber für diesen Essay-Band Hans Magnus Enzensbergers. Darin schließt der Autor seine Reiseberichte aus sieben Ländern mit einem »Epilog« ab, in dem ein fiktiver amerikanischer Journalist namens Timothy Taylor im Jahr 2006 den ebenfalls fiktiven finnischen EG-Präsidenten Erkki Rintala interviewt, der von seinem Amt freiwillig zurückgetreten ist, nachdem er wegen seiner Erfahrungen in den Korridoren der Brüsseler Politik zu einem Gegner der europäischen Integration geworden war.
Seit anderthalb Jahrzehnten widmet sich die Geschichtswissenschaft verstärkt dem Thema „Bild“. Dabei wurden zahlreiche, im Zuge des pictorial bzw. iconic turn in der Kunst- und der Kulturwissenschaft entwickelte Bildtheorien in den geschichtswissenschaftlichen Methodenapparat integriert. Einer der unter HistorikerInnen umstrittensten Ansätze ist die von dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp entwickelte Bildakttheorie, die Bilder nicht nur als Ausdruck und Widerschein historischer Vorgänge, sondern als autonome, wirkmächtige Akteure begreift, die historische Prozesse auszulösen in der Lage sind. Philipp Molderings sprach mit Horst Bredekamp über die veränderte Bedeutung von Bildern in der Geschichtswissenschaft, die Skepsis von HistorikerInnen gegenüber der Bildakttheorie und über die Notwendigkeit, verstärkt die historische Eigendimension der Bilder zu erforschen.
Am 12. April 1945, acht Tage nachdem die letzten deutschen Truppen ungarisches Staatsgebiet verlassen hatten, erschien Frau S. in den Räumlichkeiten der kurz zuvor gegründeten »Untersuchungskommission zur Erforschung und Bekanntmachung der von den Nationalsozialisten und Pfeilkreuzlern verübten Verbrechen« (Náci és nyilas rémtettek kivizsgálására alakult bizottság, im Folgenden: »Verbrechens-Kommission«). Sie gab ein Gewaltverbrechen zu Protokoll, welches sich drei Monate vorher im jüdischen Krankenhaus in der Budapester Maros-Straße ereignet hatte...
Als der Verfasser dieses Textes 2009 seine Dissertation abschloss, lagen insgesamt 49 World Press Photos of the Year vor. Seit 1955 waren sie durch eine in den Niederlanden ansässige Stiftung mit unablässigem Einsatz aus der immer größer werdenden Flut von Einsendungen herausdestilliert worden. Dass 2014 mehr als 5000 professionelle Fotografen rund 100.000 Fotos zur Begutachtung einsandten, illustriert den enormen Stellenwert dieses eigentlich impertinenten Preises. Steht es einem Foto tatsächlich zu, das Pressefoto des Jahres zu sein? Kann es in seiner endlichen Anzahl von Bildelementen die theoretisch unendliche Komplexität eines Jahres dahingehend verdichten, einen absoluten Bezugspunkt in der retrospektiven Betrachtung seiner Zeit zu verankern? Und lassen sich darüber hinaus überhaupt nachvollziehbare Maßstäbe für die Wahl eines Pressefotos des Jahres formulieren, die sich zumindest nachträglich aus der Analyse des Materials ableiten lassen?
Als Malia Obama, die damals 11-jährige Tochter des US-amerikanischen Präsidenten, 2009 ihre Eltern mit ungeglättetem Haar nach Rom begleitete, ahnte sie wohl nicht, dass diese Frisur immer noch zum Politikum werden konnte. Einige Kommentatoren auf der konservativen Website »Free Republic« monierten, das Mädchen sei ungeeignet, die USA zu repräsentieren, und machten dies an ihrem Hairstyle fest. Selbst wenn solche Stimmen marginal blieben, rekurrierten sie auf bekannte Diskurse, die den Natural Hairstyle, auch bekannt unter dem Namen Afro, ähnlich wie schon in den 1950er- und 1960er-Jahren erneut mit Ungepflegtheit assoziierten...
Konstitutiv für die Moderne sind Bilder und Visualisierungsprozesse, weil sie in der Lage sind, Interventionsbereiche überhaupt erst sichtbar und zugleich komplexe, abstrakte Zusammenhänge fassbar zu machen. Die Stärke von Bildern ist die Rahmung (framing). Wie bei einem Gemälde werden Formate geschaffen, um Beobachtungen abzugrenzen, zuzuschneiden und zu rahmen. Dadurch wird in den Blick gerückt und zugleich ausgeblendet, und erst so werden Verwerfungen identifiziert und bearbeitbar. Die Ergebnisse können anschließend visuell als verbildlichtes Narrativ einer erfolgreichen Krisenbewältigung repräsentiert werden, d.h. Bilder machen Probleme und Lösungen sichtbar. Für Neuzeithistoriker sollten Bilder deshalb nicht einfach als Illustrationen oder Informationsquelle dienen, sondern sie sollten als Akteur begriffen werden. Bestimmte Bilder zeigen nicht einfach, sondern sie stimulieren Handlungen. Das möchte ich im Folgenden thesenhaft am Beispiel Brasilias skizzieren: Ikonische Bilder der Moderne stimulierten die Gestaltung des Stadtraums, die Stadtskulptur wurde zum Bild ihrer selbst, und beides, materielle Realität wie ihre visuelle Repräsentation, zielte darauf, das Sozialverhalten ihrer Bewohner zu rekonfigurieren.