Zeithistorische Forschungen
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Berlin-Moabit, 1971: Drei Anwälte sitzen im Gerichtssaal – der eine, Horst Mahler, als Angeklagter, dem die Mitgliedschaft in der Roten Armee Fraktion (RAF) vorgeworfen wird; die beiden anderen, Hans-Christian Ströbele und Otto Schily, als seine Verteidiger. Ein Foto dieser Szene wählt die Regisseurin Birgit Schulz als Einstieg für ihren Dokumentarfilm „Die Anwälte“ über die Lebensläufe von Mahler, Ströbele und Schily, die sich damals in jenem Gerichtssaal kreuzten, in dem sie nun für den Film interviewt wurden. Doch geht Schulz weit über diesen Schnittpunkt hinaus. Sie nutzt das Foto als Ausgangspunkt für eine filmische Parallelbiographie, die den Werdegang der drei Anwälte bis in die Gegenwart verfolgt. Die Protagonisten werden nicht allein als „RAF-Anwälte“ beschrieben – eine Kennzeichnung, gegen die sie sich auch selbst verwahren. So betont Schily, wie unsinnig das Label „Terroristenanwalt“ sei. Man werde ja auch nicht zum „Mörderanwalt“, wenn man einen Mörder verteidige, oder zu einem „Flick-Untersuchungsanwalt“, nur weil man den gleichnamigen Untersuchungsausschuss geleitet habe. Damit gibt Schily das Stichwort für eine weitere zentrale Episode der jüngeren bundesdeutschen Zeitgeschichte, die der Film in biographisch verdichteter Form erzählt. „Eine deutsche Geschichte“ lautet schließlich auch der Untertitel des Films, dessen Protagonisten die Geschichte der Bundesrepublik gleichermaßen entscheidend mitgestaltet haben, wie sie umgekehrt von ihr geprägt wurden.
Wie verändern sich die Objekte der Geschichtsschreibung, also die Gegenwart und die jüngere Vergangenheit, durch die Medien? Wie verändert sich die Geschichtsschreibung selbst durch die Medien? Was bedeutet die in Forschung und Öffentlichkeit verbreitete Rede von der ‚Mediengesellschaft‘ aus historischer Perspektive eigentlich genau? Der Aufsatz unterscheidet zunächst einige Prozesse der ‚Medialisierung‘, geht damit verbundenen Strukturverschiebungen nach und betrachtet insbesondere Veränderungen von Öffentlichkeiten. Dabei wird dafür plädiert, die Ambivalenz der Entwicklungen anzuerkennen und nicht vorschnell Paradigmenwechsel zu behaupten. Zudem werden einige Leitlinien formuliert, was eine Medialisierung der Zeitgeschichtsschreibung bedeuten könnte. Hier gilt es, neue Wege zu beschreiten und neue Ziele zu setzen, die der Ära der Audiovisualität gerecht werden.
Unfreundliche Häme schüttete sich noch Ende des letzten Jahres in der Öffentlichkeit über einem vormals so vielgerühmten Berufsstand aus. Die Ökonomen wurden sehr unverblümt dafür kritisiert, dass sie vor der Wirtschaftskrise ahnungslos und in der Wirtschaftskrise orientierungslos gewesen seien. Lisa Nienhaus, Wirtschaftsredakteurin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), bezeichnete sie als kollektive „Blindgänger“. Als „Starökonomen“ wurden plötzlich Wissenschaftler gelobt, die dem Fach zuvor als Außenseiter und Schwarzseher galten, wie der vor der Finanzkrise noch als „Dr. Doom“ verspottete Nouriel Roubini, der sich nun in Medien und Fachorganen zu Wort melden durfte, dabei aber nicht mehr als Vertreter der Zunft galt, sondern als in der Vergangenheit gegen die Wirtschaftswissenschaften angehender Einzelkämpfer. Gleichzeitig erhoben sich wortgewaltige Verfechter der Mainstream-Ökonomie wie der Münchener Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn: Er habe – ließ er die „FAZ“ und durch sie die Öffentlichkeit wissen – seit längerem auf die Probleme des Finanzmarktes hingewiesen und Veränderungen gefordert, und letztlich sei es das Problem der Journalisten, dass sie lieber über börsliche Höhenflüge als über mahnende wissenschaftliche Expertise berichtet hätten. Die Krise sei also gerade dadurch entstanden, dass die Welt nicht auf die Ökonomen gehört habe.
Die sozialistischen Vordenker Marx, Engels und Lenin begründeten die „sozialen Ursachen“ der Kriminalität mit dem herrschenden kapitalistischen Gesellschaftssystem, dessen „ökonomische Basis die Wurzel allen Übels“ sei. Das Verbrechen sei keine dem Menschen angeborene Eigenschaft, sondern „historisch entstanden und wird mit dem Sozialismus/Kommunismus allmählich überwunden“. Entsprechend teilte auch die DDR-Führung die Sicht, dass „mit der Liquidierung der Ausbeuterordnung in der DDR die wesentlichen Wurzeln der Kriminalität verschwunden [sind]. Das ermöglicht [es] erstmalig in der deutschen Geschichte, die Vorbeugung der Verbrechen zur Aufgabe der gesamten Gesellschaft zu machen.“
Der Aufsatz leistet anhand des deutschen Beispiels einen Beitrag zur historischen Analyse von Ordnungsmodellen des 20. Jahrhunderts. Dem Schlagwort „Fordismus“ sollen mit Blick auf den Produktionsbereich schärfere Konturen gegeben werden. Zugleich wird der Akzent jedoch darauf gelegt, den Fordismus als Herrschaftstechnik in einem breiteren Sinne zu verstehen. Zunächst geht es um die Anfänge von Taylorismus und Fordismus sowie die Auswirkungen auf die Zusammensetzung der betroffenen Belegschaften, sodann um die Verbindungen des Fordismus mit unterschiedlichen politischen Systemen. Fordistische Elemente finden sich sowohl in demokratischen als auch in diktatorischen Kontexten. Diskutiert wird deshalb, wie fordistische, auf Rationalisierung und Effizienzsteigerung ausgerichtete Arbeitszusammenhänge die Macht- und Herrschaftsverhältnisse beeinflussten und welche Widerstandsformen sich entwickelten. Ein Ausblick richtet sich auf den so genannten Postfordismus, die „neuen Produktionskonzepte“ und die Frage nach der Zukunft des Fordismus.
Noch immer machen sie Schlagzeilen in der postkommunistischen Welt – die Enthüllungen über Informanten und Agenten der kommunistischen Geheimpolizeien. Was in Ostdeutschland mit den Debatten um Ibrahim Böhme, Lothar de Maizière oder Manfred Stolpe begann, setzte sich fort mit den Affären um Milan Kundera in Tschechien oder Lech Wałęsa in Polen. Überall dort, wo die Akten geöffnet wurden, verschob sich die Aufmerksamkeit – weg von den Offizieren der Geheimpolizeien oder den Funktionären der Kommunistischen Parteien. Ein ganz eigener Diskurs entstand um die Frage der Belastungen von Politikern und öffentlichen Autoritäten als Denunzianten und angeworbenen Informanten des vergangenen Systems. Der „inoffizielle Mitarbeiter“ oder „IM“, um dem deutschen Sprachgebrauch zu folgen, hat sich als symbolische Verdichtung in die Sprache des Postkommunismus eingebrannt.
Kein reflektierter Historiker wird die geschichtliche Wirklichkeit mit den Begriffen verwechseln, die sie beschreibbar machen. Denn Begriffe bleiben regelmäßig hinter dieser Wirklichkeit zurück und schießen ebenso regelmäßig über sie hinaus. Da wir uns aber nicht sprachlos in der Welt bewegen, gehören die Begriffe zugleich der Wirklichkeit an, die uns historisch interessiert. Sie sind Träger einer in diese Wirklichkeit verwobenen Bedeutungsdimension. Deshalb gibt es Begriffsgeschichte. Im Folgenden wird dafür plädiert, das 20. Jahrhundert zum Gegenstand einer systematischen begriffsgeschichtlichen Untersuchung zu machen, seine Ereignis- und Entwicklungsgeschichte also im Medium seiner Grundbegriffe und ihres semantischen Wandels zu reflektieren. Mit den hier vorgelegten Thesen möchte ich die theoretischen Umrisse einer solchen Geschichte der Grundbegriffe des 20. Jahrhunderts skizzieren und zugleich ihren Sinn und ihre Notwendigkeit begründen. Dabei gehe ich von drei wesentlichen Prämissen aus.
Wie stellen sich aktuelle Tendenzen in der Zeitgeschichtsschreibung dar – im Vergleich mit dem auffällig gewachsenen Interesse literarischer Autoren für zeitgeschichtliche Themen? Welche Konvergenzen sind zu verzeichnen, und welche textsortenbedingten Differenzen bleiben? Sind die zeitgeschichtlichen Erzählmuster in diesem Umfeld vorwiegend konstant, oder gibt es strukturelle Veränderungen? Worauf lassen sich diese eventuell zurückführen?
Das Taschenbuch „Medizin ohne Menschlichkeit“ wurde ein Best- und Longseller. Binnen sechs Wochen nach Erscheinen, im Frühjahr 1960, konnte der Fischer-Verlag bereits 29.000 Exemplare absetzen. 2004 erreichte der Band die 16. Auflage. Ein erstaunlicher Erfolg für die Neuausgabe eines Buches von 1949; eines Buches zudem, das, wie der Untertitel anzeigte, „Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses von 1946/47“ präsentierte. Seither waren immerhin 13 Jahre vergangen. Auch die Herausgeber waren einem breiten Publikum unbekannt: Der Psychoanalytiker und Heidelberger Extraordinarius Alexander Mitscherlich war eben erst dabei, in Frankfurt das spätere Sigmund-Freud-Institut zu begründen. Fred Mielke, in den ersten Nachkriegsjahren Medizinstudent bei Mitscherlich, war bereits im Frühjahr 1959 an Leukämie verstorben.
Es ist ein bisweilen befremdlicher erster Eindruck, den das Apartheid-Museum in Johannesburg für seine Gäste bereithält – während die Besucherin am Kassenhäuschen des Museums, auf halbem Weg zwischen der Johannesburger Innenstadt und dem Township Soweto gelegen, auf ihre Eintrittskarte wartet, trägt der Wind fröhliche Schreie herüber; Ausdruck der Achterbahnfahrten im nur einige Meter entfernt liegenden Vergnügungspark „Gold Reef City“. Einzig ein weitläufiger Parkplatz trennt den Themenpark, der mit einer disneyfizierten Repräsentation des Johannesburgs um 1900 aufwartet, und das zugehörige Kasino vom Museumskomplex. Für viele war dies zunächst ein Affront, etwa für die südafrikanische Autorin Nadine Gordimer, die „die Würde des südafrikanischen Freiheitskampfes“ durch den Rummel verletzt sah, gleichzeitig jedoch einräumte: „ Tatsache ist aber, dass wir ein eigenes Apartheid-Museum zwar diskutiert, aber nie zustande gebracht haben.“ Gordimers Bemerkung führt direkt in die Verwicklungen der südafrikanischen Kultur- und Erinnerungspolitik, für die das hier besprochene Großprojekt beispielhaft steht. Denn es war in der Tat das profane Anliegen, eine Kasinolizenz zu erlangen, das das gewaltige Museum möglich machte: Der „Community“ etwas „Greifbares“ zu geben war Bedingung für die Erteilung von „Gambling Licences“ ab 1994. In diesem Fall brachte der taktische Schritt eines der am besten besuchten Museen des Landes hervor.