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Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Frank Rexroth bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Im Jahr 1996 erklärte der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum nationalen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Damit soll an den millionenfachen Mord, an Entrechtung, Verfolgung und Demütigung unter nationalsozialistischer Herrschaft erinnert werden. Das Datum bezieht sich auf die Befreiung der Überlebenden des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Soldaten der Roten Armee.
Aus diesem Anlass veranstaltet der Deutsche Bundestag jährlich eine Gedenkstunde. Die Gastrednerin in diesem Jahr ist Anita Lasker-Wallfisch, sie ist eine der letzten bekannten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz und wird ihre Rede vor dem Bundestag am 31. Januar 2018 halten.
Als Erinnerung an den Gedenktag hat sich die Redaktion von Zeitgeschichte-online für die Veröffentlichung der Rede Marcel Reich-Ranickis vor dem deutschen Bundestag aus dem Jahre 2012 entschieden. Darin schildert er seine Erlebnisse im Warschauer Ghetto und den Beginn der Deportationen der jüdischen BewohnerInnen des Ghettos in das Vernichtungslager Treblinka.
Auf dem Höhepunkt der internationalen Auseinandersetzung um postkoloniale Restitutionsfragen tagte im Mai 1980 erstmals ein neuer UNESCO-Ausschuss mit der kuriosen Bezeichnung Intergovernmental Committee for Promoting the Return of Cultural Property to Its Countries of Origin or Its Restitution in Case of Illicit Appropriation. Das kurz ICPRCP genannte Komitee sollte als vermittelnde Instanz zwischen Kulturgüter besitzenden und zurückfordernden Staaten tätig werden. Doch seine Gründung wurde, davon zeugt dieser Name, von heftig geführten Deutungskämpfen über die zentralen Begriffe „restitution“ und „return“ begleitet.
Restitution, Rückgabe, oder auch Transfer gehören heute zum Standardvokabular von postkolonialer Museumspraxis und auswärtiger Kulturpolitik, in der medialen Berichterstattung werden sie oft synonym verwendet. Dabei waren diese Termini ursprünglich eng mit divergierenden Interpretationen der kolonialen Vergangenheit, institutionellen Selbstverständnissen und entwicklungspolitischen Interessen verbunden.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Kim Christian Priemel bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Das Brettspiel Twilight Struggle war in den Jahren 2006 bis 2016 das am besten bewertete Spiel auf der renommierten Website BoardGamesGeek.com. Die enorme Popularität des Spiels wird nicht zuletzt durch die Tatsache deutlich, dass es mittlerweile in zwölf Sprachen erhältlich ist und seit dem Jahr 2013 sogar die Möglichkeit besteht, an einer Online-Weltmeisterschaft teilzunehmen. Aufgrund des Erfolgs von Twilight Struggle wurde 2012 als Ableger das Spiel 1989: Dawn of Freedom veröffentlicht.
Worin liegt der besondere Reiz von Twilight Struggle?
Das neu entflammte öffentliche und zeithistorische Interesse an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation Ostdeutschlands nach dem Zusammenbruch der DDR kommt bisher meist ohne Seitenblicke auf die parallelen Entwicklungen in Ostmittel- und Osteuropa aus. Vielmehr wird die Frage, wie die DDR nach 1989/90 zu „Ostdeutschland“ wurde, immer noch im Wesentlichen innerhalb eines deutsch-deutschen Bezugsrahmens diskutiert. Seine neuerliche Brisanz gewinnt dieser unverkennbar aus der Gegenwart, in der viele westdeutsch Sozialisierte „den Osten“ aufs Neue zur hoffnungslosen Problemzone der ansonsten gefestigten bundesdeutschen Demokratie stilisieren. Dagegen greifen nicht wenige Ostdeutsche zur Selbstviktimisierung als identitätspolitischer Strategie und glauben, in der Treuhand jene Übeltäterin ausgemacht zu haben, die für alle Verletzungen der ostdeutschen Seele verantwortlich zu machen sei.
This year marks a number of anniversaries of significant events of Czechoslovak history, starting with the declaration of independent Czechoslovakia in 1918; the Munich Agreement of 1938, which sumitted Czechoslovakia’s border areas to Hitler’s Germany; the communist takeover of 1948; and finally, the Prague Spring and subsequent Soviet-led invasion of 1968. Dubbed the “year of eights” [osmičkový rok] by the Czech media, historical reflections on the part of witnesses, historians, journalists and pundits alike are rife in the press, on the radio and on television. Yet as historian Pavel Kolář writes, when it comes to the events of 1968, “the anniversary has so far not brought any distinctive impulse” and sees this as a confirmation that “with each round anniversary, the significance of ’68 as one of the focal points of Czech memory is declining”.[1] What then remains of the eventful year of 1968 in Czech memory, fifty years on? This article will briefly examine the media response, which acts as a significant vehicle of memory, to both the reformist efforts of the Prague Spring and their suppression by Warsaw Pact tanks in the Czech Republic.
Eine Betrachtung von Berufungen unter der Kategorie Geschlecht eignet sich in besonderem Masse dazu, gleichsam wie in einem Vergrösserungsspiegel, die soziale Bedingtheit von Berufungen aufzuzeigen. Diese werden bis heute von den an Berufungsverfahren Beteiligten wenig oder gar nicht reflektiert, besteht doch die unhinterfragte illusio[1] des akademischen Feldes darin, nach dem vermeintlich harten Kriterium der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit ›die besten Köpfe‹ zu berufen. Bislang gibt es für das 19. und 20. Jahrhundert, d.h. die Phase der sogenannten modernen Universität, keine historische, quellenbasierte Untersuchung zur inhaltlichen Ausgestaltung und zum Wandel von Berufungskriterien. Bisher ist auch das Verhältnis von Berufung und Geschlecht in historischer Längsschnittperspektive nicht systematisch untersucht worden.
Der folgende Beitrag erschien erstmals im Jahr 2012 in der Publikation „Professorinnen und Professoren gewinnen. Zur Geschichte des Berufungswesens an den Universitäten Mitteleuropas“, die von Christian Hesse und Rainer Christoph Schwinges herausgegeben wurde. Mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Sylvia Paletschek veröffentlicht zeitgeschichte|online die Einleitung des Aufsatzes. Eine vollständige Version findet sich auf dem freien Dokumentenserver FreiDoks plus, ein Angebot der Universitätsbibliothek der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und im Material zu diesem Beitrag.
Heavy Metal ist Extase, ist Rausch, ist performative Härte. Mit Politik haben die meisten Heavy-Metal-Fans und -Bands zumindest als Teil ihrer subkulturellen Identität nichts am Hut. Eine frappante Ausnahme stellt der National Socialist Black Metal (NSBM) dar, ein nicht klar abgrenzbarer, international agierender und offen rechtsextremer Teil der Szene. Hier ist die Szenezugehörigkeit inhärent mit Politik und explizit geschichtsphilosophischen Diskussionen verwoben. In einer Vielzahl an Fanzine-Texten schreiben die Anhänger (größtenteils sind es Männer) nicht nur über Musik, sondern tragen über die Reproduktion rechter Narrative zur Ideologisierung und Stabilisierung der NSBM-Szene bei. Der Untersuchungsgegenstand NSBM ermöglicht einen Blick darauf, wie rechte Geschichtspolitiken in popkulturellen Kontexten Eingang finden, dort tradiert und verbreitet werden. Denn aus dem NSBM bestehen zahlreiche Verbindungen in rechtsterroristische Milieus und die Szene kann auch sonst als Teil der „Neuen Rechten“ verstanden werden.
Im Mai 2020 haben die Allianz der Gleichstellungsbeauftragten der außeruniversitären Forschungsorganisationen (AGbaF) und die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) eine Umfrage unter den Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen durchgeführt. Anlässe hierfür waren die alarmierenden Befunde über die Verstärkung der strukturellen Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen und weiterer Statusgruppen in den jeweiligen Organisationen seit Beginn der Corona-Pandemie sowie das Sammeln von Daten zur Impulssetzung im Rahmen eines gemeinsam geplanten Online-Meetings. Ziel der im Mai 2020 lancierten Umfrage war es, durch standardisierte Nachfragen und damit quantifizierbaren Rückmeldungen eine solide Datenbasis aus den jeweiligen Organisationen zur Gleichstellungssituation und eine Grundlage für gleich- stellungsorientierten Handlungsbedarf zu erhalten.
381 Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen erhielten einen kurzen Fragebogen zu ihrer Einschätzung der Lage hinsichtlich der Verstärkung struktureller Nachteile für Frauen in wissenschaftlichen Kontexten in Zeiten von Corona und den sich daraus ergebenden Herausforderungen für die Gleichstellungsarbeit. Der Rücklauf lag mit 210 ausgefüllten Bögen bei 55%. Es beteiligten sich 18 Universitäten, 13 Fachhochschulen / (Fach-)Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, 6 Künstlerische Hochschulen und 173 Forschungsinstitute (Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer Gesellschaft, Leibniz Gemeinschaft, Helmholtz Gemeinschaft).
Lutz Niethammer ist einer der bedeutendsten Zeithistoriker Deutschlands. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 war er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Jahr 1971 wurde er zum Thema Praxis der Entnazifizierung in der US-amerikanischen Besatzungszone promoviert, hatte anschließend Professuren an der Universität Essen und der FernUniversität Hagen inne. Bekannt ist Niethammer als Doyen der Oral History in der Bundesrepublik. Kontroversen löste seine Studie über „die roten Kapos“ aus.
Sein erstes Buch ist allerdings in Vergessenheit geraten, zu Unrecht. In der Studie Angepaßter Faschismus (1969) befasste sich der damals noch unbekannte Lutz Niethammer mit der erst 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seine Erkenntnisse über das Wesen des „organisierten Nationalismus“ scheinen heute wieder aktuell. Yves Müller und Dominik Rigoll sprachen mit Lutz Niethammer über das vor 50 Jahren erschienene Buch und über gegenwärtige Gefahren für die Demokratie.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Tim Neu bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Sylvia Necker ist Historikerin, Radiomacherin und Klangkünstlerin. Seit 2019 leitet sie das LWL-Preußenmuseum Minden und das LWL-Besucherzentrum im Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Das LWL-Preußenmuseum fungiert außerdem als Zentrale für das Netzwerk „Preußen in Westfalen“, ein Zusammenschluss von knapp 60 Institutionen in der Region, die sich mit preußischer Geschichte befassen.
Anlässlich des Internationalen Museumstages am 17. Mai 2020 sprachen die Redakteur*innen von zeitgeschichte|online mit Sylvia Necker über ihre ersten Erfahrungen im Amt und die Zukunft der Museen. Das Interview sollte ursprünglich bei einem Besuch der Museumsleiterin in Berlin stattfinden, denn hier trifft sie sich regelmäßig mit den Gestalter*innen der neuen Dauerausstellung. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage haben wir uns entschieden, das Interview schriftlich zu führen.
Der Weg zur Friedlichen Revolution in der DDR bis in die ersten Jahre im vereinigten Deutschland ist einer der wichtigsten und weitreichendsten Prozesse der deutschen Zeitgeschichte. Gerade oder vielleicht, weil die Einheit heute eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint und bereits eine Generation herangewachsen ist, die nur das geeinte Deutschland erlebt hat, kommen der Forschung und der Vermittlung der Transformationsgeschichte große Bedeutung zu. Nicht zuletzt erhalten die Forschungsergebnisse zur Transformationsgeschichte auch deshalb viel Aufmerksamkeit, weil das Gefühl der Ungleichheit noch immer vorhanden ist, trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs vieler ostdeutscher Regionen. Diese Wahrnehmung ist keineswegs unberechtigt: So sind etwa Ostdeutsche in Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin unterrepräsentiert.
Kaum eine Ausstellung hat eine derartige Aufmerksamkeit auf sich gelenkt wie diese. In der Zeitgeschichtsforschung ist die durch sie und mit ihr herbeigeführte epochale Zäsur unbestritten. Im Jahr 1981 bildete die Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“ den Höhepunkt einer regelrechten „Preußenwelle“. Bereits gegen Ende der 1970er Jahre war ein gestiegenes Interesse der Öffentlichkeit an „deutscher“ Geschichte festzustellen.
Die Debatte um die Preußen-Ausstellung im Westberliner Martin-Gropius-Bau und die Frage eines nationalen Geschichtsortes öffnete aber ebenso ein Fenster für die Erschließung des „Prinz-Albrecht-Geländes“, dessen Geschichte Anfang der 1980er Jahre (fast) vollkommen unbekannt war und an dessen Ort sich heute das Dokumentationszentrum Topographie des Terrors befindet. Der „History Boom“ ging einher mit einem „Memory Boom“. Vielmehr noch: Beide verliefen nicht lediglich parallel, sondern sind verschränkt.
Ich möchte aufzeigen, dass beide – Preußen-Ausstellung und Topographie des Terrors – in den zeitgenössischen Debatten um den Umgang mit Vergangenheit verbunden sind. Doch zunächst skizziere ich knapp Vorgeschichte und Entstehung der Preußen-Ausstellung.
Wir werden das Königliche Schloss – manche sagen Humboldt-Forum – wohl nicht mehr los. Nun steht es da, das Kreuz obendrauf und die selfie-süchtigen Menschenmassen zu Füßen. Die Historikerin Hedwig Richter schlägt vor, wir sollten uns damit arrangieren. In der deutschesten aller Kompetenzen, der „Empörungskompetenz“, haben wir verlernt, uns an der einfachen Schönheit des Baus zu erfreuen. Richter prognostiziert: Vielleicht wird das Ding ja zum „Volksbau schlechthin?“
Nein, weder Schloss noch Nachbau waren dem Volk – wie auch immer es definiert sein mag – gewidmet. Das Original war eine Herrscherresidenz, sein Replikat ist architektonischer Ausdruck einer Nationalromantik, die die Berliner Republik heimsucht.
Die deutsche Zeitgeschichtsschreibung hat den Ruf, sich über Jahre hinweg nicht ernsthaft mit der extremen Rechten in der Bundesrepublik und der DDR beschäftigt zu haben, während Studien zur Geschichte des Nationalsozialismus ganze Bibliotheken füllen. Der zu früh verstorbene Zeithistoriker Axel Schildt bekundete, dass „die Geschichtswissenschaft bisher sehr wenig zur Analyse rechtsextremer Bewegungen nach 1945 beigetragen“ habe. Doch stimmt dieser Befund in seiner Pauschalisierung überhaupt?
Er ist einer der bedeutendsten Sozialhistoriker in Deutschland. Jürgen Kocka (Jg. 1941) beeinflusste die Geschichtswissenschaft seit den 1970er-Jahren maßgeblich und gilt zusammen mit Hans-Ulrich Wehler (1931-2014) als Begründer der „Bielefelder Schule“, die für eine Historische Sozialwissenschaft eintrat. Mit gerade 32 Jahren war Kocka 1973 an die nur wenige Jahre zuvor gegründete (Reform-)Universität Bielefeld berufen worden. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2009 war er Professor für die Geschichte der industriellen Welt an der Freien Universität Berlin. Seit 1992 baute er als Leiter den Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien in Potsdam auf, aus dem das heutige Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam hervorging. Außerdem war er Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung sowie Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 1975 gründete er die Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft, die er bis 2008 mitherausgab. Für sein Wirken ist er vielfach ausgezeichnet worden, u. a. mit dem Leibniz-Preis der DFG, dem Historikerpreis der Stadt Bochum, dem Internationalen Holberg-Gedenkpreis und dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.
Jürgen Kocka hat etliche Bücher zur Geschichte der Arbeit und der kapitalistischen Klassengesellschaft, zu Arbeitermilieu und Bürgertum usw. im 19. und 20. Jahrhundert veröffentlicht und unzählige Artikel in Sammelbänden und Fachzeitschriften verfasst.
Anlässlich des Inkrafttretens der Reichsverfassung Bismarcks am 16. April 1871 sprach Yves Müller mit Jürgen Kocka über die Geschichte Preußens und des Kaiserreichs, die Demokratisierung in Deutschland, über unser Verhältnis zur Nation und aktuelle Tendenzen der Geschichtsschreibung. Das Interview bildet den Auftakt zu einem z|o-Themenschwerpunkt zur Erinnerungs- und Rezeptionsgeschichte Preußens und des Kaiserreichs, der fortlaufend ergänzt wird.
Im Juni 2020 nahm Emery Mwazulu Diyabanza einen aus dem Tschad stammenden hölzernen Grabpfosten aus dem 19. Jahrhundert und versuchte hiermit das Museum zu verlassen. Er rechtfertigte seine Tat, dass er gestohlenes Eigentum zurückfordere. Im Oktober verurteilte ein Gericht ihn wegen Diebstahl zu einer Geldstrafe. Der aus dem Kongo stammende Diyabanza dokumentierte die Aktion auf youtube und leistete hiermit einen Beitrag für die aktuelle Debatte um Restitution von Objekten, die in kolonialen Kontexten erworben wurden.
„Wem gehört Kulturgut?“ – Diese Frage wird in den letzten Jahren verstärkt diskutiert. Die Aufmerksamkeit für koloniale Sammlungen wird dabei durch Forderungen aus den sogenannten Herkunftsländern oder Interventionen wie dem Sarr/Savoy-Bericht bestärkt. Sie trifft auf eine Diskussion um Deutschlands koloniale Vergangenheit, die sich derzeit vor allem an Forderungen der Herero und Nama, an Straßennamen, am Humboldt Forum oder an Diskussionen um Rassismus festmacht.
In der aktuellen Debatte wird dabei oft übersehen, dass bereits vor einigen Jahrzehnten intensive Debatten um postkoloniale Restitution geführt wurden. Ziel dieses Beitrages ist es, diese Fragen an einem historischen Beispiel zu untersuchen und verschiedene Perspektiven auf die Frage, wem Kulturgut gehört, aufzuzeigen.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Maren Möhring bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Die Friedliche Revolution des Jahres 1989 rückte die Geschichte der SED-Diktatur und der deutschen Teilung auf die Agenda der bald darauf gesamtdeutschen Erinnerungskultur. Dreißig Jahre später ist die Geschichte der kommunistischen Diktatur selbstverständliches Thema von Museen und Gedenkstätten, Lehrplänen, der Belletristik und TV-Produktionen. Einschlägige Jahrestage werden gleichermaßen im Osten wie im Westen Deutschlands begangen. Wissenschaftliche Studien füllen ganze Bibliotheken. Zeitweilig hieß es sogar, die DDR sei überforscht — eine These, die mehr über den Überdruss ihrer Urhebern als über den Forschungsgegenstand aussagte. Welches Forschungspotential im Thema steckt, zeigt der 2016 erschienene Sammelband „Die DDR als Chance“ auf.
*Der Beitrag ist in gekürzter Form auch im Begleitkatalog zu der Sonderausstellung "1870/71. Reichsgründung in Versailles" der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh erschienen (Die DDR und die Reichsgründung, in: Ulrich Lappenküper/Maik Ohnezeit (Hrsg.), 1870/71. Reichsgründung in Versailles, Friedrichsruh 2021, S. 200-205).
“I am going out” was the last message sent by Raman Bandarenka to a Telegram chat uniting people from his neighbourhood in Minsk. In the evening of November12th, he went down to his courtyard, known by protesters as the Square of Changes. The Square of Changes appeared in Minsk in the beginning of September 2020 to support initiatives of a local community in times of political contestation. Raman went down to protect a fence decoration made from white-red-white ribbons that became a target for a group of unknown men in masks and sportive clothing. To watch over protest symbols installed in their Square of Changes became a routine action for the locals. Their neighbour, Stsiapan Latypau, was detained in September in somewhat similar circumstances: he was asking men in masks to introduce themselves and to explain their reason for destroying a graffiti, a symbol of the Square of Changes. This time, Raman was beaten up in the same courtyard, then put in a blue van, and taken to the police station. The next day he died in a hospital from the received traumas. All elements of this story – anonymous men in civic clothing who seem to have the carte blanche to brutal violence, blue vans without a registration number, write-red-white ribbons, alternative names to cities’ places, and local chats – are the symbols of the ongoing Belarusian protests.
Mit Theatre Europe veröffentlichte das britische Spieleunternehmen Personal Software Service (PSS) 1985 ein Strategiespiel, das innerhalb Europas für Furore sorgte. Die rundenbasierte Konfliktsimulation, in der die SpielerInnen entweder die Rolle der NATO oder die des Warschauer Pakts übernehmen, konfrontierte diese mit dem virtuellen Szenario eines „heißen“ Krieges in Mitteleuropa. Ziel des Spiels war es, die Bundesrepublik 30 Tage lang zu verteidigen (NATO) oder sie in derselben Zeit einzunehmen (Warschauer Pakt). Das Ausspielen des Konflikts im Rahmen des Mediums Spiel war keine gänzlich neue Erfindung: Auch das Computerspiel Reforger ’88: NATO Defense of the Fulda Gap von 1984 oder das Brettspiel Fulda Gap hatten dasselbe Thema zum Inhalt. Beide Titel wurden aber zunächst nur in den USA veröffentlicht. Folgerichtig war Theatre Europe eines der ersten Spiele, das eine öffentliche Debatte zu diesem Thema in Westeuropa auslöste. Im Jahr 1986 startete der Verkauf des Spiels in Frankreich, und auch den deutschen SpielerInnen sollte das Produkt nicht vorenthalten werden. In der Bundesrepublik wurde das Spiel jedoch noch vor Erscheinen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert, sodass es keinen breiten Vertrieb fand. Erst im Jahr 2011 wurde Theatre Europe wieder vom Index genommen.
Emmanuel Macron ist nicht nur der erste französische Präsident, der nach der Kolonialzeit seines Landes geboren wurde, sondern auch der erste, der unumwunden von einer Kolonialschuld spricht und bereits 2017 – unter zum Teil heftiger Kritik – sein Vorhaben andeutete, Rückführungen von Kulturobjekten in ihre Herkunftsländer im Globalen Süden anzuregen. Nach seiner Wahl beauftragte er die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Intellektuellen Felwine Sarr damit, einen Bericht zu verfassen, der darlegen sollte, wie ein solches Verfahren gelingen kann.
Im Gegensatz zu Deutschland ist auf politischer Ebene in Frankreich also recht viel in Bewegung. Allerdings ist die Resonanz aus der Bevölkerung – wiederum anders als im deutschsprachigen Raum – zurückhaltender, wie Bénédicte Savoy im Gespräch mit Gabriele Metzler berichtet. Das Videointerview war Teil der Vorlesung Der lange Nachhall des Kolonialreichs. Deutsche Geschichte im europäischen und globalen Kontext seit 1919, die Metzler im ersten pandemiebedingt digitalen Universitätssemester, dem Sommersemester 2020, an der Humboldt-Universität zu Berlin hielt. Mit freundlicher Genehmigung der Gesprächspartnerinnen durfte es an dieser Stelle veröffentlicht werden.
Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) bildet einen Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechte. Das gilt nicht nur für die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Etablierung von indigenen Menschenrechten, sondern auch für das internationale Menschenrecht selbst. Denn die Entwicklung indigener Menschenrechte steht exemplarisch für die Vielfältigkeit und die Multiplizierung des Menschenrechts. Sie zeigt, dass Menschenrechte sich seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 weiterentwickeln, ausdifferenzieren und verändern können, ohne damit die Idee von Menschenrechten zwangsläufig zu unterminieren. Gleichzeitig zeigt sie in all ihren (teilweise nach wie vor bestehenden) Kontroversen, dass die Prozesse der Multiplizierung und Entwicklung von Menschenrechten weder bruchlos noch widerspruchsfrei verlaufen. Indigene Menschenrechte stehen mithin für die sensible Balance zwischen dem Festhalten an der Idee von Menschenrechten einerseits und der Notwendigkeit ihrer zeithistorischen Veränderung und Herausforderung andererseits.
Ivan Mládek entwickelte Anfang der 1990er-Jahre im postsozialistischen Tschechien das Wirtschaftsspiel Soudruhu, nezlob se! (Genosse ärgere Dich nicht). Der 1942 in Prag geborene Sänger und Komiker Mládek erfuhr Unterdrückung und Einschränkungen im Privatleben von Seiten des tschechischen Regimes. Das von ihm entwickelte Brettspiel, das vom Titel her an den Spieleklassiker Mensch ärgere Dich nicht angelehnt ist, thematisiert die totalitäre Vergangenheit des tschechoslowakischen Staatssozialismus auf besondere Art. Einzelne Ereignisse und Missstände in der Tschechoslowakei werden hier durch eine auf die Spitze getriebene Polemik – begleitet von schwarzem Humor – im Spiel nacherlebt. Nach ausdrücklicher Empfehlung des Herstellers ist das Spiel insbesondere für jene geeignet, die sich rückblickend mit der Erfahrung von Unterdrückung und Ausgrenzung auseinandersetzen möchten. Somit sollen schwer lastende, gar traumatische Erinnerungen durch Humor an Leichtigkeit gewinnen und Möglichkeiten eröffnen, die Vergangenheit auf eine weniger schmerzhafte Weise nachzuerleben oder sogar aufzuarbeiten.
Ende der 1970er Jahre tauchte »Preußen« in beiden deutschen Staaten wieder auf. Die »Preußenrenaissance« wurde bislang vor allem als geschichtspolitisches und intellektuellengeschichtliches Phänomen betrachtet. Preußen wurde aber auch, das zeigt der Blick auf die formative Phase der Preußenkonjunktur um 1980, in breiten Bevölkerungsschichten populär. Der nach 1989/90 betriebene Versuch indes, Preußen zur Traditionsstiftung für das vereinigte Deutschland zu nutzen, scheiterte auf lange Sicht. Heute ist Preußen, jenseits der Hohenzollerndebatte, nurmehr punktuell im Rhythmus der Jahrestage präsent.
Nach kurzer Recherche wird deutlich, dass die Konflikte zwischen Aserbaidschan und Armenien bereits nach der Oktoberrevolution im Jahr 1917 ausbrachen. Kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion indes eskalierte der Konflikt (1988), als beide Länder noch Teilrepubliken der SU waren. Damals forderte die mehrheitlich armenische Bevölkerung Karabachs den Anschluss des völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörenden Gebietes. Darauf reagierte Aserbaidschan mit Pogromen in Sumgait und Baku, gefolgt von der Vertreibung der Armenier*innen aus Aserbaidschan. Karabach-Armenien gewann diesen Krieg. Die in Bergkarabach lebenden Aserbaidschaner*innen flohen oder wurden vertrieben. Im Jahr 2020 eroberte Aserbaidschan die Gebiete zurück und besetzte Teile Bergkarabachs. Der Krieg sollte 44 Tage andauern und wurde am 9. November 2020 durch einen gemeinsamen Vertrag beider Länder beendet. Die Waffenruhe wird durch Russland überwacht. Der im September 2022 wieder aufgeflammte Krieg/Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien taucht in den Institutionen, die sich mit der jährlichen Registrierung der Konflikte und Kriege beschäftigen (AKUF, BpB), derzeit nicht auf. Überhaupt sind die Kenntnisse über die Geschichte und Gegenwart dieser Region selbst unter Historiker*innen sehr gering.
Die Einheit als „soziale Revolution“. Debatten über soziale Ungleichheit in den 1990er Jahren
(2019)
Die DDR-Sozialpolitik vermittelte Sicherheit und Geborgenheit, das „Recht auf Arbeit“ war verfassungsmäßig verankert – all dies besaß einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf soziale Strukturen und Wertorientierungen für die Zeit nach 1990. Diese Erfahrungen waren tiefgreifend und zentraler Vergleichsmaßstab in einer Zeit, in der individualistische Strategien der Daseinsbewältigung zunehmend wichtiger werden sollten. Mit den Unwägbarkeiten der postindustriellen Gesellschaft hingegen war die Bundesrepublik seit Mitte der 1970er durch die Erfahrung von (Massen-)Arbeitslosigkeit und den Auswirkungen des globalen Strukturwandels bereits konfrontiert. Hier wie dort existierten Ungewissheiten und soziale Unsicherheiten, die das Zustandekommen damaliger Wahrnehmungsweisen sozialer Umbrüche erklären. Dergestalt ist der damalige Umgang mit sozialer Ungleichheit ein besonders frappierendes Beispiel für die umkämpfte zeitgenössische wie nachträgliche Ausdeutung des Einigungsgeschehens, das es gilt, in seinen historischen Bedingtheiten auszuleuchten – nicht zuletzt deshalb, weil vieles von dem bis heute nachwirkt.
Als vor gut zehn Jahren meine Studie über „Das Schicksal der DDR-Verlage“ im Prozess der deutschen Vereinigung erschien, gab es große mediale Aufregung über die Resultate. Die Zahlen waren tatsächlich erschütternd: Von den ehemals 78 staatlich lizenzierten Verlagen der DDR existierte 2006 in eigenständiger Form nur noch ein Dutzend, was etwa 15% entsprach. Nach Wirtschaftskraft betrachtet, waren die ostdeutschen Verlage inzwischen fast vollständig zu vernachlässigen: Am Gesamtumsatz der deutschen Buchbranche von damals 10,7 Mrd. € waren Firmen aus den neuen Bundesländern (ohne Berlin) 2006 nur noch mit 0,9 % beteiligt.
Das Erschrecken war nicht nur deshalb so groß, weil selbst die meisten Branchenteilnehmer einen gefühlt anderen Eindruck hatten, sondern weil die Verlagsbranche damit noch unter dem Ergebnis anderer Wirtschaftsbereiche Ostdeutschlands lag, denn nach Treuhandangaben sind dort insgesamt rund 20% der Betriebe erhalten geblieben.
Schaut man sich die Situation heute an, hat sich die Lage keineswegs verbessert. Zwar haben einige Verlage ihren Sitz nach Berlin verlagert und sind ein paar neugegründete Kleinstverlage hinzugekommen, doch die Gesamtlage hat sich kaum verbessert. An der Gesamttitelproduktion sind die ostdeutschen Bundesländer (ohne Berlin) nach wie vor nur mit insgesamt 5% beteiligt.
Dreißig Jahre nach der deutschen Vereinigung werden vor allem Stimmen lauter, die einen grundlegenden Perspektivwechsel in der Geschichtsschreibung fordern: Erfahrungen und Perspektiven von People of Color, Jüdinnen und Juden sowie Geflüchteten sollten stärker in die Betrachtung der „Wiedervereinigung“ und der anschließenden Transformationsprozesse einbezogen werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der 2020 erschienene Herausgeber*innenband Erinnern stören von Lydia Lierke und Massimo Perinelli.
Ein Blick auf Quellen der Umbruchszeit zu Beginn der neunziger Jahre verdeutlicht: Diese Erfahrungen wurden durchaus zeitgenössisch festgehalten – in Filmen, sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, Fotografien und Interviews. Vor allem dokumentarische Filme wurden von aktivistischen und subkulturell links geprägten Milieus produziert, verblieben aber lange in internen Rezeptionsschleifen, ohne Eingang in größere gesellschaftliche Debatten zu finden. Dabei stellten sie durch die Perspektive auf die Betroffenen Zusammenhänge zwischen alltäglicher Diskriminierung und der Gewalt seitens extrem Rechter her.
[...]
Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, die verstärkt darauf dringt, das Augenmerk auf Rassismus, politischen Nationalismus und Rechtsextremismus zu legen, gilt es, diese Diskursverschiebungen ebenso nachzuzeichnen wie zeitgenössische Quellen in ihrer Entstehung und Rezeption zu historisieren. Exemplarisch soll hier der Dokumentarfilm Stau – Jetzt geht’s los von Thomas Heise (Deutschland 1992) als eine Schlüsselquelle besprochen werden, die verständlich machen kann, welche Perspektiven und Fragen Anfang der neunziger Jahre in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Rechtsextremismus im Vordergrund standen.
Selten trafen im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess Ost- und Westdeutsche so unmittelbar aufeinander wie in den brandenburgischen Gutsdörfern, wo nach 1990 zurückgekehrte Adelsfamilien ein Auskommen mit der sozialistisch geprägten Dorfbevölkerung finden mussten. Beide Gruppen sind durch eine geteilte Vergangenheit bis zur Enteignung 1945 miteinander verbunden, waren aber in den folgenden vierzig Jahren voneinander getrennt. Im früheren Gutsdorf wurden wie unter einem Brennglas spezifische Probleme und Dynamiken sichtbar, die in der Transformationszeit überall im Osten Deutschlands auftraten.
Für dieses Projekt wurden 21 Interviews mit adligen Rückkehrer*innen und Dorfbewohner*innen unterschiedlicher Generationen in drei ausgewählten Dörfern geführt. Alle Personen- und Ortsnamen in dieser Studie wurden anonymisiert, um nach den Standards der Oral-History-Forschung die Persönlichkeitsrechte der Befragten zu wahren. Ergänzt wurden die mündlichen Erzählungen mit schriftlichen Überlieferungen aus brandenburgischen Kreisarchiven und dem Landesarchiv in Potsdam.
In den drei untersuchten Dörfern versuchten die westdeutschen Adelsfamilien, die nach dem Ende der DDR in das Gutsdorf ihrer Vorfahren zurückgekehrt waren, sich den Raum des früheren Gutes wieder anzueignen. Da die Enteignungen zwischen 1945 und 1989 von staatlicher Seite aus nicht rückgängig gemacht wurden, verhandelten nun Dorfbewohner und Adlige miteinander über den Verkauf, die Verpachtung und die weitere Nutzung der Immobilien des früheren Gutes. In den Erzählungen der befragten Interviewpartner*innen über die Umgestaltung der Schlösser, Gutshäuser, Kirchen, Friedhöfe, Felder und Wälder offenbarten sich die neuen sozialen Beziehungen nach dem Ende der DDR.
In West-Berlin existierten zur Hochzeit des Kalten Krieges zwei antinazistische Strukturen, die den gesellschaftlichen Umgang mit der extremen Rechten in der Viersektorenstadt einige Jahre lang prägten: Der Kampfbund gegen den Nazismus (KgN), der eigenen Angaben zufolge rund 200 Mitglieder hatte, und das Referat Neofaschismus (Referat N) im Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN), in dem ein fester Mitarbeiter und vielleicht ein Dutzend Unterstützer*innen tätig waren.
Der folgende Text beschäftigt sich mit Fragen danach, warum diese beiden Initiativen entstanden und wer in ihnen aktiv war. Vor welchen Kontinuitäten des Nazismus warnten sie, insbesondere mit Blick auf rechte Gewalt? Warum waren beide Institutionen, KgN und Referat N, nur über so kurze Zeit tätig? Hatten sie überhaupt politischen Einfluss?
Die Stasi führt ein intensives Nachleben, zumindest auf der Leinwand. Im Kino erfreut sich der ostdeutsche Geheimdienst schon seit vielen Jahren einer anhaltend großen Beliebtheit, vor allem in Filmen über die DDR-Vergangenheit, in denen Stasi-Figuren meist den repressiven Charakter der SED-Diktatur symbolisieren. Doch die Zeiten, in denen Stasioffiziere als simple Bösewichte mit grauen Anzügen und schlechtsitzenden Frisuren in Erscheinung traten, scheinen vorbei zu sein. Die Ambivalenz der Figuren hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, auch positiv besetze Heldenfiguren sind keine Seltenheit mehr. Das Spektrum der Filme reicht dabei von authentischen Annäherungen an widersprüchliche IM-Biografien („Gundermann“, 2018, Regie: Andreas Dresen) über radikal stilisierte Dramen („Nahschuss“, 2021, Regie: Franziska Stünkel) bis hin zu grotesk überzeichneten Satiren („Stasikomödie“, 2022, Regie: Leander Haußmann).
Während die DDR-Geschichte bislang meist im Genre der Komödie oder des Familiendramas erzählt wurde, zeigt sich in neuen filmischen Inszenierungen eine Offenheit für andere Formen. Dabei rückt wieder die Staatssicherheit in den Mittelpunkt. Mit „Kleo“ zeigt Netflix aktuell eine Serie über eine Profikillerin im Dienst des MfS, die mit Anspielungen auf die Popkultur der 1980er und 1990er Jahre gespickt ist. „Kleo“ knüpft dabei an die erfolgreichen Erzählmuster der Serie „Deutschland 83/86/89“ (2015-2020) an, die eine Agenten-Story mit einem ironischen Blick auf das MfS verknüpfte. Doch während die Geschichte von „Deutschland 83/86/89“ noch vor einem realen historischen Hintergrund angesiedelt war, geht „Kleo“ ein ganzes Stück weiter: Die Serienmacher nutzen die DDR-Vergangenheit nur noch als Aufhänger für eine blutig inszenierte und trashig überspitzte Rachegeschichte im Stil amerikanischer B-Movies. Das wirft die Frage auf, was einen an sich eher biederen Geheimdienst wie das MfS anschlussfähig für das Genre-Kino und die zeitgenössische Popkultur macht.
Wir sind das Volk ist ein Strategie-Brettspiel, in dem der historische Verlauf der innerdeutschen Teilung spielerisch nacherzählt und erlebbar wird. Entwickelt von Peer Sylvester und Richard Sivélerschien es 2014 im Histogame Verlag. Motiviert wurde die Entwicklung durch das Interesse Sylvesters am Konzept „zwei[er] getrennte[r] Staaten, die sich nebeneinander entwickeln und miteinander konkurrieren.“ [1] Das Spiel ist nicht primär geschichtspolitisch motiviert, kann aber durch das kontrafaktische Spielprinzip einen besonderen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten. Das Spiel erhielt viel positive Resonanz und wurde insbesondere für seine Rahmenhandlung und die Spielmechanik gelobt.
Wer zu ergründen sucht, welche diskursiven Vorbedingungen die heutige Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaft hat, wage einen Blick in die lange und verschlungene Geschichte der Verbindung von Genus und Genie. Dieser Blick offenbart, welche Begründungsfiguren seit der Antike dazu führten, dass schöpferische Geistigkeit und Weiblichsein lange Zeit als prinzipiell unvereinbar galten und teilweise bis heute gelten. Als Teil einer kritischen Geisteswissenschaftsgeschichte sucht dieser Essay die Hintergrundfolien für einen Ausschluss von Frauen aus der als überzeitlich imaginierten ‚Geniegemeinde‘ zu skizzieren. Zielpunkt ist zu klären, welche Stränge der Geschichte ihrer Nichtintegration in dieselbe auch heute noch spürbare Auswirkungen auf die Stellung von Frauen in der intellektuellen Sphäre und akademischen Arena, der Alma Mater, haben (Scheint das Geschlecht in der heutigen Wissenschaft doch immer noch einen Unterschied zu machen.) Frauen konnten seit den Nullerjahren des 20. Jahrhunderts zwar an der wissenschaftlichen Gemeinschaft partizipieren, universitäre Laufbahnen blieben jedoch noch jahrzehntelang eine Ausnahme. Und nicht zuletzt spiegeln sich einige der diskursiven Gesetzmäßigkeiten früherer Genievorstellungen in rhetorischen Aufwertungsmechanismen im Rahmen aktueller Exzellenzrhetoriken wider.
Queere Geschichtsschreibung steckt auch 2022 im deutschsprachigen Raum immer noch in den Anfängen. Die Erforschung lesbischer* Geschichte wurde sehr lange hauptsächlich von Aktivist*innen geleistet, die in politischen Projekten oder finanziert durch kleinere Aufträge nach Spuren lesbischen* Lebens suchten und Stimmen von Zeitzeug*innen aufzeichneten. In der universitären Welt ist lesbische* Geschichtsschreibung bisher allenfalls punktuell zu finden. Folgende Ausführungen zur Situation frauenliebender Frauen* in psychiatrischen Kliniken nach 1945 werden mehr Fragen als Forschungsbefunde enthalten, da sich unsere Forschungen noch in den Anfängen befinden.
Die Friedliche Revolution und die folgende Systemtransformation wurden von den Ostdeutschen als tiefer biographischer Einschnitt erlebt. Weite Teile ihrer Lebenswelt veränderten sich, einstige Sicherheiten waren auf einmal nicht mehr sicher. Dieser revolutionäre Wandlungsprozess wurde ganz unterschiedlich erlebt und gedeutet. Heute prägen die damaligen Erfahrungen den Rückblick auf diese Zeit. Es besteht ein Erinnerungskonflikt zwischen einem Revolutionsgedächtnis, das die demokratischen Errungenschaften hochhält, und einem Verlustgedächtnis, das den Umbruch als Zeit der Verunsicherung und enttäuschten Erwartungen abgespeichert hat und bis heute eine skeptische Haltung zur neuen politischen Ordnung einnimmt. Eng verklammert ist die jeweilige Deutung zudem mit unterschiedlichen Geschichtsbildern von der SED-Diktatur, deren wichtigste Quelle heute die Familie ist. Schule und Gedenkstätten spielen bei der Ausprägung von Geschichtsbildern hingegen eine deutlich nachgeordnete Rolle. Auch die jeweiligen Diktaturerfahrungen prägen also die Sicht auf die Transformation.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von David Kuchenbuch bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Matt Groening, der bekannte Schöpfer der Animationsserien „Die Simpsons“ und „Futurama“, hat sich mit „Disenchantment“ nun der Geschichte zugewandt. Die Serie (2018ff.) besteht bislang aus zwei Staffeln, von denen zum jetzigen Zeitpunkt dreißig von vierzig Folgen auf Netflix veröffentlicht wurden. Am 9. Februar 2022 sollen die letzten zehn Folgen der zweiten Staffel veröffentlicht werden. Die Serie spielt in einer vormodernen Welt. Vielfach werden zwar Elemente genutzt, die eher der Frühen Neuzeit (oder auch der Antike) zuzuordnen wären, aber es ist eindeutig erkennbar, dass die Zuschauenden hier vor allem in ihren Vorstellungen vom europäischen Mittelalter angesprochen werden sollen. Es überrascht daher kaum, dass Fantasy-Elemente, wie Drachen und Elfen etc., prominent einbezogen werden. Hauptfiguren sind die trunksüchtige Prinzessin Bean mit dem Halbelfen Elfo und dem Dämon Luci im Königreich Dreamland.
Aufarbeitung von Geschichte ist anders als die geschichtswissenschaftliche Analyse ein politischer Vorgang, eine Angelegenheit der Zivilgesellschaft. Die DDR-Aufarbeitung war mit dem Grundsatz angetreten, die Demokratie im Osten zu befördern. Manche Aufarbeiter*innen verkünden sogar etwas zu vollmundig, je besser man Diktatur begreife, umso besser könne man Demokratie gestalten. Demokratie ist ein Projekt, das keiner Negativfolie bedarf.
Aufarbeitung generell ist wichtig, keine Frage. Aber wie wichtig ist sie wirklich? Wer sollte das messen, einschätzen? Wen erreicht Aufarbeitung und vor allem, wen nicht? Man sollte sie nicht überschätzen, so wie man das Gewicht einzelner dabei nicht überschätzen sollte. Es machen weder große Männer allein Geschichte noch schlanke Menschen allein Geschichtsaufarbeitung. Beide Gruppen glauben das allerdings gern.
In der DDR-Aufarbeitungslandschaft haben wir den merkwürdigen Umstand zu beobachten, dass in vielen Institutionen Personen Entscheidungen fällen, den Ton vorgeben, Verantwortung tragen, die dafür meist „nur“ durch ihre Biographie, nicht aber wegen einer professionellen Ausbildung in Museumsdidaktik, Geschichtspädagogik, Geschichts- oder Politikwissenschaften qualifiziert sind. Vor allem in den 1990er Jahren war es von hoher Bedeutung, dass Oppositionelle und Opfer der SED-Diktatur den kommunistischen und postkommunistischen Geschichtsmärchen ihre lebensgeschichtliche Wucht entgegenhielten. Aber die Revolution ist längst Geschichte. Die Kinder sind nicht entlassen worden, sondern eigentlich im Rentenalter.