Visual-History
Befasst sich die historische Forschung mit Fotografie, so teilen sich die Quellen grob in vier verschiedene Zugangsarten auf: veröffentlichte Bilder in Printmedien, in Ausstellungen, semi-öffentlich-zugängliches Bildmaterial aus Archiven/Sammlungen oder privaten Archiven sowie der immer wichtiger werdende Bereich der Social Media. Mit der digitalen Fotografie und der Nutzung des Internets als Informationspool und für zwischenmenschliche Kommunikation ist Instagram dabei zu einer zentralen Social Media-Plattform zum Teilen visueller Inhalte avanciert. Die Richtlinien für akzeptiertes Material und die Nutzungsbedingungen legt die Betreibergesellschaft selbst fest.
Wir gehen im Folgenden der Frage nach, in welchem Verhältnis die veröffentlichten Bilder auf der zeitgenössischen populären Plattform zur allgemeinen Öffentlichkeit von Ausstellungen und Presse stehen. Welche bildethischen Vorstellungen drücken sich in den Praktiken von Instagram aus? Und inwieweit kann das digitale öffentliche Bildersammeln als Archiv gelten und auf gesellschaftliche zeithistorische Fragen Antworten geben?
Es ist notwendig, ein kritisches Bewusstsein über die Rolle und Funktion von Bildern in antisemitischen Diskursen zu schaffen und durch die Vermittlung von Medienkompetenz antisemitische Kommunikation durchschaubar zu machen. Außerdem sollten durch historisierende Bildanalysen solche Elemente herausgearbeitet werden, durch die antisemitische Bilder von anderen visuellen Aussagen unterschieden und abgegrenzt werden können.
Pelze Multimedia, von Gästen liebevoll das „Pelze“ genannt, war ein Ladenlokal in einem zunächst besetzten Haus in der Potsdamer Straße 139 in Berlin-Schöneberg. Zwischen 1981 und 1996 eigneten sich FrauenLesben* den Raum kollektiv organisiert und experimentell an. Der Dokumentarfilm „Subjekträume“ (D 2020) handelt vom subkulturellen Ort Pelze Multimedia. Die Entstehung und Produktion eines Dokumentarfilms, so die Regisseurin Katharina Voß und die wissenschaftliche Berater*in Janin Afken, ist durchsetzt mit ethischen Fragen. Beide trafen sich mit der Filmhistorikerin Sarah Dellmann zum Gespräch über (bild-)ethische Aspekte in der Produktion von „Subjekträume“.
Es sind ethische, nicht historische oder ästhetische Fragen, mit denen die Dokumentarfotografin Janina Struk in den letzten Absätzen ihrer Studie „Photographing the Holocaust“ die Leser*innen konfrontiert. Sie gibt zu bedenken, ob nicht die heutige Verwendung der von Tätern gemachten Fotos einer konspirativen Demütigung der fotografierten Opfer gleichkäme und die abgebildeten Leidensmomente aktiv fortsetze und wiederhole, während Millionen Besucher*innen dabei zusehen.
Die Ausstellungsankündigung „Ruth & Lotte Jacobi“, die im Rahmen des EMOP Berlin – European Month of Photography 2020 präsentiert wurde, klingt vielversprechend: „Zum ersten Mal ist das fotografische Werk – bestehend aus Porträts, Stillleben, Reportagen, Lichtbildern und Experimentalaufnahmen – dieser vierten Generation einer jüdischen Fotografenfamilie in einer Ausstellung vereint.“ (Einführungstext) Selten haben Besucher*innen die Möglichkeit, sich Werke von Fotografinnen vergleichend anzusehen. Viel zu häufig werden diese als Einzelgängerinnen und Ausnahmen präsentiert.
Der vorliegende Beitrag richtet seinen Blick auf die japanische Kriegs- und Frauenfotografie, die in NS-Fotoillustrierten den deutschen Rezipient*innen als eine konsequente Antwort auf Armut und Kriminalität in Asien präsentiert wurde, und fragt danach, welche Wechselwirkungen hierbei mit den deutschen Kriegsfotografien der Propagandakompanien (PK) entstanden.
Der einstmals weitverbreitete Zeitvertreib der Philatelie gilt – ob zu Recht oder zu Unrecht sei einmal dahingestellt – als verstaubte Sammelleidenschaft von Stubenhockern und Philistern. Übersehen wird indes, dass zwei prominente Wegbereiter der kulturwissenschaftlichen Wende in der Geschichtswissenschaft und somit auch der visual history zu dieser im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftretenden Spezies gehörten. Denn sowohl Aby Warburg als auch Walter Benjamin waren passionierte Briefmarkensammler.
Das Zeigen von Bildern ist innerhalb sozialgesellschaftlicher Kontexte keine unbedeutende Handlung. Bereits die Frage, welche Bilder für eine Betrachtung und Veranschaulichung eines Gegenstands ausgewählt werden und welche nicht, verweist auf ihre diskursive Einbettung und lässt darauf schließen, dass über das Medium Bild Diskurse nicht nur abgebildet, sondern auch mitgeschrieben beziehungsweise ausgeformt werden.
Die Schauspielerin hieß Henny Porten und gilt als Deutschlands erster Filmstar. Ihren Durchbruch markierte Das Liebesglück der Blinden von 1910. Ihr Aufstieg zum Star war parallel verlaufen zu dem des Kinos selbst: vom billigen Jahrmarkt-Amüsement im Kaiserreich zum kulturell, sozial und ökonomisch zentralen Unterhaltungsmedium der Weimarer Republik.
Das fotografische Werk von Siegfried Wittenburg. Quellen zur Geschichte einer Transformationsperiode
(2020)
„Eine Billion für blühende Landschaften“ heißt auch die u.a. von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderte Ausstellung in der Kirche St. Georgen in Wismar im Corona-Sommer 2020 mit Wittenburg-Fotografien aus der Nachwendezeit der Jahre 1990 bis 1996. Um den genauen Quellenwert der Fotografien Siegfried Wittenburgs zu bestimmen, erscheint es zunächst notwendig, einen Blick auf den Fotografen zu richten, auf die politisch-kulturellen Bedingungen seiner fotografischen Praxis und auf seinen besonderen fotografischen Stil. Siegfried Wittenburg ist nicht irgendein Fotograf. Er gehört zu jenen Fotografen, die in ihren Aufnahmen schonungslos den Untergang der DDR, die friedliche Revolution und die merkwürdigen Jahre des Anschlusses an den Westen festgehalten haben. Seine Aufnahmen sind eine Art fotografisches Tagebuch dieser Zeit.
In diesem Aufsatz sollen drei ausgewählte politische Text-Bild-Plakate der deutschen Propaganda betrachtet werden, die sich thematisch dem passiven Widerstand zuordnen lassen und gegen den „Erbfeind Frankreich“ agitierten. Dabei soll schlaglichtartig beleuchtet werden, wie und mit welchen bildrhetorischen Mitteln der passive Widerstand im Plakat gestalterisch umgesetzt werden konnte. Dazu wurden drei illustrierte Plakate aus dem Bestand des Bundesarchivs ausgewählt, die im Anschluss an eine kurze theoretische Einführung anhand eines eigens erstellten Analyseschemas untersucht werden sollen.
The Nazi occupation of large parts of Europe destroyed cities, towns, villages and entire landscapes. Every year on 10 of June, the French village of Oradour-sur-Glane commemorates the massacre that transformed the village into a scenery of ruins. The day has a resonance of death and horror in the Czech village of Lidice alike.
Vortragende wie Moderator*innen der Tagung „Private Blicke in Diktatur und Demokratie: Schmalfilme und Fotos im 20. Jahrhundert“ haben der Redaktion von Visual History vorab ein Foto oder Filmstill aus der Forschungspraxis geschickt und dazu einige Sätze notiert: zum Bild selbst, zum Projekt, zum Vortrag auf der Tagung – so ist ein visuelles Mosaik zum Informieren, Stöbern und Entdecken entstanden.
“Legacy in Stone” is tantamount to a time machine back through Syria’s historical landscape: a scenery that cannot be experienced again. Bubriski’s black and white photographs are moving messages from the past, sent into a future that has not yet been resolved. Since March 2011, images of destruction, death and terror coming from Syria have been flooding news broadcasts and social media feeds. Kevin Bubriski’s photographs taken back in 2003 are testimonies of what once existed.
Der Dresdner Kunst- und Fotohistoriker Wolfgang Hesse forscht seit vielen Jahren zur proletarischen Amateurfotografie. Seine hier vorliegende Internet-Publikation befasst sich mit dem „Roten Abreißkalender“ der KPD der Weimarer Republik. Sowohl die Arbeiter- wie die Abreißkalender gehen in ihrer Tradition auf das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. Die ersten Arbeiterkalender sind 1867 in Budapest und 1868 in Berlin nachweisbar. Die wichtigsten inhaltlichen Änderungen gegenüber dem traditionellen „Volkskalender“ bestanden darin, dass die geschichtlichen Teile statt der bisherigen „Heldengeschichtsschreibung“ Daten der allgemeinen Weltgeschichte, der demokratischen und der deutschen Arbeiterbewegung enthielten. Um 1880 tauchten in Deutschland die ersten (nicht-politischen) Abreißkalender auf, die, dem englischen Vorbild der date blocks folgend, literarische, religiöse oder Texte aus dem Alltagsleben auf den Kalenderblättern anboten. Sie inspirierten, unter neuem Vorzeichen, auch Unternehmungen wie das hier vorgestellte.
Natürlich gibt es Bilder der Shoa, die voll des Grauens sind und auf den ersten Blick Einhalt gebieten. Die Gewalt, die in ihnen ist – die Gewalt, die die Bilder zeigen und/oder die das Machen der Bilder ausdrückt – springt sofort ins Auge. Der Fotograf oder (viel seltener) die Fotografin war Teil der Tat oder stand den Tätern nahe. Die Kamera war zur Waffe geworden, die die Betroffenen zusätzlich entwürdigte. Oft ist die abgebildete Gewalt solcherart, dass die Betroffenen sie nicht überlebt haben können. Sie können also ihre Zustimmung zum Zeigen der Fotos nicht mehr gegeben haben. Doch wurden auch jene, die überlebt haben, in der Regel nicht gefragt, was sie von einer Veröffentlichung der Fotos halten.
„Wenn ich nicht Peter Panter wäre, möchte ich ein Buchumschlag im Malik-Verlag sein“, schrieb Kurt Tucholsky 1932. Dieses Zitat findet sich in der großen Ausstellung, mit der die Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin noch bis zum 23. August 2020 John Heartfield würdigt – unter anderem als kongenialen Gestalter von Buchumschlägen. Während diese Ausstellung geradezu ein Gesamtkunstwerk ist und Heartfield als Multimedia-Künstler hervortreten lässt, zeigt der Salon Berlin des Museums Frieder Burda vom 12. Mai bis zum 24. Oktober 2020 eine Fotokunstausstellung, die demgegenüber minimalistisch wirkt, aber ihren eigenen Reiz hat – und direkte Bezüge zur Heartfield-Ausstellung. Darauf wird noch einzugehen sein.
Im experimentellen und künstlerisch-kreativen Umgang von den am Workshop teilnehmenden Historiker*innen mit diesem regionalen Thema sind schließlich sieben Comic-Plakate entstanden, die gezielt Einblicke in den Alltag des frühen 20. Jahrhunderts geben und Momente aus dem teils harten Leben in der Weltstadt Berlin visualisieren.
Die argentinische Erinnerungskultur an die Militärdiktatur von 1976-1983 und ihre Opfer dominiert seit Jahrzehnten die Narrative der zivilgesellschaftlichen Organisationen der Angehörigen der „Verschwundenen“: die Afectados. Ihr Agieren lässt sich nicht mit (west-)europäischen Konzepten von Erinnerungskultur begreifen. Die Mitglieder der Organisationen sind zumeist von einem persönlichen oder vererbten Trauma betroffen, das ihr Engagement beeinflusst. Um sie hat sich eine affiliative Gemeinschaft beziehungsweise Bewegung gebildet, die diese Vergangenheit und das Trauma als ihre eigene Geschichte begreift.
As a photographer, artist and expert in geopolitics, Emeric Lhuisset has a remarkable understanding of human tragedies and areas of conflict. Through his projects in various areas of conflict he opposes the abridged representation of these tragedies; shows hidden aspects of wars; and invites us to re-think war through art. The work of Lhuisset takes up historical and political narratives in their context. The following two projects by Emeric Lhuisset recall tragedies and intervene in spaces where drastic events have taken place.
Die Sonderausstellung „SW5Y“ (Sea-Watch – 5 Years) präsentiert in Fotografie und Zeichnungen Eindrücke, Menschen und Momente aus fünf Jahren ziviler Seenotrettung an der tödlichsten Grenze der Welt – dem Mittelmeer. Mit dokumentarischen und künstlerischen Arbeiten gewährt die Ausstellung Einblicke in den Alltag der zivilen Seenotrettung, zeigt aktive Rettungseinsätze und präsentiert aktuelle Perspektiven auf Flucht und Migration.
Die älteste bekannte antijüdische Karikatur ist eine Zeichnung – eigentlich ein detailliertes Gekritzel – am oberen Rand eines königlichen englischen Steuerprotokolls von 1233. Sie zeigt drei merkwürdig aussehende Juden, die sich in einem schematisch dargestellten Schloss befinden, das von einer Gruppe karikaturesker, gehörnter Dämonen mit schnabelartigen Nasen angegriffen wird. Ein weiterer größerer Dämon in der Mitte des Schlosses zeigt auf die sonderbar langen Nasen zweier Juden, als ob er die Ähnlichkeit zwischen ihren Profilen und seinem eigenen betonen wollte. Diese kleine Kritzelei ist so etwas wie eine Celebrity unter Historiker*innen.
In dem Forschungsprojekt „Künstlerische Strategien zur Befragung von Geschichtsbildern seit den 1990er Jahren“ geht es um den Erkenntnisbereich der Geschichte in der Kunst nach dem Ende des Kalten Kriegs. Es knüpft damit an die Tradition des Historienbildes an, das im 20. Jahrhundert seinen Niedergang erfuhr. Doch nach seinem Ende beschäftigen sich Künstler*innen in ihren Arbeiten weiterhin mit geschichtlichen Ereignissen aus Vergangenheit und Gegenwart – das Historienbild ist von noch genauer zu definierenden Geschichtsbildern abgelöst worden.
In der Kriegsbildberichterstattung ging NS-Deutschland – so die gängige Meinung in den Geschichtswissenschaften – gänzliche neue Wege, indem Bilder nicht nur zensiert, was bereits im Ersten Weltkrieg üblich gewesen war, sondern durch einen eigenen Propagandaapparat umfassend diszipliniert worden seien. Durch ein eigenes Ministerium, das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, einerseits und militärisch organisierte Propagandatruppen andererseits, deren bekannteste die Propagandakompanien (PK) waren, sei bereits auf der Ebene der Bildproduktion und -distribution interveniert worden. Nimmt man allerdings die visuelle Kriegspropaganda des faschistischen Italien zu dieser Zeit vergleichend in den Blick, gerät die These der Einzigartigkeit und internationalen Vorreiterfunktion der deutschen Kriegsbildberichterstattung im Allgemeinen und der PKs im Speziellen ins Wanken.
One of the most influential anti-Semitic propaganda actions produced in the “Third Reich” in the years 1939-1941 was based on images and reports from various ghettos in occupied Poland. Large portion of the raw material required for the anti-Semitic propaganda was collected and delivered by the Propagandakompanien (PK) of the Wehrmacht. In order to analyze and understand the significance of this contribution, it is necessary to look not only at the propaganda materials, but also at the historical contexts in which they were produced. This includes organizational aspects, local conditions, general propaganda strategies and the given general and local war situation.
This article will examine the contribution of the Wehrmacht to the anti-Semitic propaganda of the “Third Reich” during three periods: The invasion of Poland, the establishment of a new order in the occupied Polish territories and the months preceding “Operation Barbarossa” in 1941. It will focus on the way PK materials were used mainly in the visual media in order to support the propaganda strategies and their subsequent goals set by the Nazi leadership.
„Wir wissen wenig über die Fotografie der Landser“, merkte Bernd Hüppauf noch im Jahr 2015 in seiner Abhandlung über Fotografie im Krieg an. Um diesen Missstand weiter aufzulösen, wird im Folgenden ein Bereich der privaten Fotografien des Zweiten Weltkriegs betrachtet, der neben dem Gestalten von Fotoalben und dem Handel mit Bildern ebenfalls eine große Rolle innerhalb der Landserfotografie spielte: das Verfassen von illustrierten Tagebüchern bzw. von Fotoheften.
Wir leben in einem Zeitalter, in dem das Visuelle über andere Kommunikationsformen dominiert. Daher ist es kaum überraschend, dass auch in der Geschichtsforschung die visuellen Quellen wie Fotografien derzeit Hochkonjunktur haben. Der Blick der militärgeschichtlichen Forschung wiederum ist heute auf die Perspektive und Erfahrung von Einzelpersonen fokussiert. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die persönlichen Fotografien und Fotoalben der Kriegsteilnehmer mittlerweile häufiger als Quelle für Forschungen sowie als Material für verschiedene Ausstellungen herangezogen werden.
In einer Notiz von Joseph Goebbels findet sich der Hinweis auf eine Sentenz des Reichspresseleiters Max Amann, dass die Zeitschrift „Signal“ „wertvolle Blockadebrecherarbeit gegen den frühen beherrschenden antideutschen Zeitschrifteneinfluß in Europa geleistet“ habe – und das bereits im April 1940. Der Einfluss dieser Zeitschrift auf die offizielle Kriegspropaganda vieler Staaten kann kaum überschätzt werden. Denn im Vergleich selbst zu großen Magazinen wie „Life“, „Picture Post“ oder auch „USSR im Bau“ war „Signal“ einfach ein grafisch wie vom Bildmaterial her gut gemachtes Blatt, gerade in jenem vorsprachlichen Jargon der Designer, die zu jener Zeit für das Machen von Zeitschriften verantwortlich waren. Noch in den 1980er Jahren bekannte der Bildjournalist Robert Lebeck, in „Signal“ mehr gute Bilder gesehen zu haben als in „Life“ oder „Paris Match“ zur selben Zeit.
Der Zweite Weltkrieg ist bis heute in der deutschen und europäischen Erinnerungskultur präsent und wird auf individueller wie kollektiver, medialer Ebene mit ganz bestimmten Bildern assoziiert. Auf deutscher Seite waren vor allem die Propagandakompanien (PK) der Wehrmacht die wichtigsten Bildlieferanten zeitgenössischer Medien. Ihre Fotografien durchliefen eine doppelte Zensur: eine militärische sowie die durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP). Die PK-Fotografen waren aber zumeist aufgrund ihrer Ausbildung, oft auch ihrer ideologischen Prägung nach, in ihrer fotografischen Praxis darauf ausgerichtet, vom Regime gewünschte Bildvorstellungen umzusetzen.
Gegenbilder
(2020)
Wo Worte gesprochen werden, gibt es meist auch Widerworte. Wo Erzählungen gesponnen werden, formen sich Gegen-Narrative. Und so gibt es selbstverständlich zu bildlichen Aussagen auch Gegen-Bilder: Bilder, die in Form, Inhalt und Gebrauch auf andere Bilder reagieren, indem sie diese in Frage stellen oder ihnen widersprechen. Bilder, die als generative Kräfte im historischen Prozess wirken. Oder aber Bilder, die marginalisiert beziehungsweise gar nicht gezeigt wurden und erst zu einem späteren Zeitpunkt ein bislang herrschendes Narrativ in Frage stellen können.
Zur Transformation von Häftlingen in Überlebende gehörte schon 1945 eine spezifische Visualität als KZ-Überlebende: Ihre Berichte gewannen mit den Fotografien und Zeichnungen an Glaubwürdigkeit und letztlich Bedeutung. Welche Motive und Sujets gehörten zu dieser Identitätssuche der Überlebenden? Meistens nutzten ehemalige Häftlinge die Bilder der alliierten Befreier, die eine spezifische Auffinde-Situation der Lager bei Kriegsende zeigten.
Antiziganismus
(2020)
Bisweilen bestechen Bilder erst durch das, was auf ihnen nicht zu sehen ist. Die Art und Weise, wie das Abgebildete eingeordnet und ergänzt, wie aus dem Ausschnitt ein Panorama, aus dem Augenblick eine Geschichte wird, offenbart oftmals mehr über die Wirkweisen von Bildern als diese selbst. So auch im Fall von „Maria“, einem jungen Mädchen, dessen Porträt aus einer Wohnsiedlung von Rom*nja in der griechischen Stadt Farsala im Herbst 2013 weltweite Wogen schlug.
Im Zuge von Handelsreisen, Verwaltungstätigkeiten und Forschungsexpeditionen entstanden bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Fotografien in kolonialistisch-eurozentrischen Kontexten, die das Leben der Bewohner*innen der bereisten Gebiete „als Fremdbilder […] vermittelt durch die vielfältigen Mechanismen der Distribution und des Konsums“ darstellten. Manche bilden eindeutig erkennbar inszenierte Szenen wie Gruppenporträts, Kampfgeschehen oder arrangierte Studioaufnahmen ab, andere hingegen suggerieren, dass die Fotografien spontan im Feld aufgenommen wurden.
Der fotografische Akt
(2020)
Um Missverständnisse gleich vorwegzunehmen: Bei diesem Text geht es keineswegs um die Beschäftigung mit der fotografischen Form des Akts als einem zentralen Motiv der Kunstgeschichte. Stattdessen wird der fotografische Akt hier als der Akt des Fotografierens verstanden. Es geht also um die Situation, in der Fotograf*in, Fotografierte und Kamera aufeinandertreffen und aus der in der Regel ein Bild entsteht. Damit einher geht die Einschränkung, dass die hier dargelegten Argumente vor allem auf Situationen zutreffen, in denen Menschen fotografiert werden. Während mit „Bildethik“ oft pauschal diverse Aspekte von Fotografie gemeint werden, die sowohl die Ästhetik und die Bildlichkeit als auch die Produktion umfassen, fällt bei einer Zerlegung des fotografischen Prozesses in seine Einzelteile auf, dass sich verschiedene bildethische Fragen stellen.
Viele Aborigines und Torres-Strait-Insulaner*innen vermeiden Darstellungen von kürzlich Verstorbenen in Filmen oder auf Fotos sowie die Nennung ihrer Namen. Dies gilt als schmerzhaft und respektlos den Angehörigen gegenüber und könnte den Übergangsprozess des Toten ins Jenseits stören. Ob und wie lange diese Vermeidungsgebote bis hin zu Darstellungs- und Nennungsverboten angewandt werden, ist abhängig von den unterschiedlichen Communities der First Australians sowie individuellen ethischen Vorstellungen von Angehörigen.
Das australische Nationalarchiv entschied sich bei der digitalen Präsentation seiner Film- und Fotosammlung für den oben erwähnten Warnhinweis – um der Verletzung von Gefühlen vorzubeugen und Respekt gegenüber den kulturellen Werten der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner*innen auszudrücken. Die Abbildungen von verstorbenen First Australians würden einige Wissenschaftler*innen als „kulturell sensibel“ bezeichnen.
Wie gehen andere Archive, Museen, Universitäten und weitere Institutionen mit sensiblen Bildern und Objekten in ihren Sammlungen um? Was sind Problemfelder und Lösungsansätze? Transparenz und Partizipation sind zwei zentrale Stichworte hinsichtlich des Umgangs mit sensiblen Objekten in Sammlungen.
Kontrollverlust
(2020)
Sie habe versucht, das Bild unsichtbar zu machen, gestand die Fotografin Nina Berman 2016 in einem Vortrag über ihr Hochzeitsfoto einer jungen Frau mit einem schwer verletzten Veteranen aus dem Irak-Krieg: „It’s a very strange thing”, so Berman, „to have fought really hard in my career to make a story known about a subject that people were trying to hide, which is the human cost of war, and then feeling that I need to keep this picture, which I know is a very powerful picture, under wraps because for me the viral experience was very crass.“
Die mexikanische Fotojournalistin Julia Le Duc nahm das Foto der Toten am Montag, dem 24. Juni 2019, auf. Der vorliegende Beitrag nimmt dieses im Juni 2019 weltweit verbreitete Foto zum Anlass, um über Bildzirkulation und Medienkritik nachzudenken. Nach einer Kontextualisierung des Fotos einerseits mit dem Fall Alan Kurdi, andererseits mit Folgebildern der Hinterbliebenen und Überlebenden, führt der Beitrag neuere Foto- und Bildtheorien von Ariella Azoulay, Lilie Chouliaraki, Robert Hariman und John Louis Lucaites weiter. Die These lautet, dass über Fragen der Bildethik hinaus es vor allem darum gehen muss, Gesellschaften so zu verändern, dass – auch strukturelle – Gewalt nicht mehr stattfindet. Hierin liegt die imaginativ-transformative Kraft des Fotojournalismus.
Zeigen / Nichtzeigen
(2020)
Der Ausgangspunkt dieses Textes ist die Frage nach dem Zeigen oder Nichtzeigen von Bildern in Online-Ressourcen aus wissenschaftsethischer Sicht (der Ethnologien). Wobei das konkret zu problematisierende Material vorwiegend aus Fotografien von Menschen aus ethnologischen Forschungskontexten bis mindestens zur Mitte des 20. Jahrhunderts besteht, jedoch auch auf weitere Bildkontexte im Zeitalter des Kolonialismus/Imperialismus übertragen werden kann. Gleichzeitig soll auch die Perspektive einer Infrastruktureinrichtung beleuchtet werden, die für die ethnologischen Fächer Literatur im Rahmen der sogenannten Massendigitalisierung frei zur Verfügung stellt. Dieses fotografische Material wirft Fragen allgemeiner ethischer Natur (Menschenwürde) sowie zum Opferschutz, zu Persönlichkeitsrechten, aber auch zu Rassismus, Selbstrepräsentation und den repräsentierten Machtverhältnissen auf, die in einem separaten Beitrag von uns detaillierter besprochen werden.
Ästhetisierung
(2020)
Ist es ethisch vertretbar, Menschen in Not ästhetisch ansprechend zu zeigen? Birgt dies die Gefahr, eine eigentlich erschreckende soziale Realität zu verklären und die Gemüter zu beruhigen, anstatt aufzurütteln und zum Handeln zu motivieren? Oder steckt in einer solchen Darstellungsweise die Chance, Aufmerksamkeit für ein Thema zu schaffen, da sie Marginalisierten ein Gesicht verleiht, mit dessen visuell vermittelter, unantastbarer Würde sich die Betrachterinnen und Betrachter identifizieren können?
Othering begegnet uns nicht nur im geschriebenen Wort. Es kann sich ebenfalls in der Kombination von Bild und Text manifestieren. Wie wichtig eine Reflexion der Artikelbebilderung durch die Redaktion ist, möchte ich im Folgenden anhand eines Artikels der „Berliner Morgenpost“ veranschaulichen. Hierzu ist ein poststrukturalistisch orientierter Zugriff besonders geeignet, da hier die Auffassung vertreten wird, dass die Bedeutungen den Dingen nicht immanent sind, sondern sie ihnen diskursiv zugewiesen werden. Somit werden im Diskurs die Dinge erst als soziale Phänomene konstituiert, über die gesprochen bzw. geschrieben wird. Mittels einer solchen anti-essentialistischen Perspektive auf Identitäten kann die Forschung dazu beitragen, binäre Identitätskonstruktionen aufzudecken, zu hinterfragen und letztlich zu überwinden.
Vernichtungskrieg und Provenienzforschung. Der nationalsozialistische Kulturgutraub in Osteuropa
(2020)
Mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 begann ein rassistischer Vernichtungskrieg in Osteuropa, der den Tod von Millionen von Zivilisten einkalkulierte. Der Eroberungsfeldzug wurde begleitet von einem systematischen Kunst- und Kulturgutraub durch die deutschen Einheiten in den eingenommenen Gebieten.
Heute startet das Themendossier „Bildethik. Zum Umgang mit Bildern im Internet“ auf Visual History. In den folgenden Wochen werden wir Beiträge präsentieren, die sich aus wissenschaftlicher, archivalischer und musealer Perspektive Fragen der Bildethik in Dokumentations- und Forschungsprojekten, Zeitschriftenredaktionen, Online-Archiven, Museen und Ausstellungen widmen. Mit diesem Themendossier wollen wir einen Austausch zum Umgang mit historischem Bildmaterial in Online-Umgebungen anregen. Viele Beiträge gehen auf einen Workshop zurück, der am 18. März 2019 am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam stattgefunden hat.
Art moves away from reality and invents something that maybe ultimately more accurate about the world than what a photograph can depict. - Howard Zinn, Artists in Times of War, 2007 // In times of wars and conflicts, the words of Zinn have a deeper meaning. Through art visual dimensions and aspects can be explored that are often missing from written reports or captured snapshots. This can be an image documentation or a reminder of how war shapes lives and places. In his set of etchings and triptych Der Krieg, the German artist and WWI veteran Otto Dix showed firsthand hellish visualizations of the horror he experienced as a front soldier. In response to the bombing of the Basque city of Guernica during the Spanish Civil War, Pablo Picasso created a masterpiece – and perhaps his most famous work ever: Guernica (1937) was regarded by many art critics as one of the most moving and powerful artistic anti-war statements in history.
Von einem ganz ähnlichen Verständnis visueller Zeugnisse ist auch die gegenwärtige Sonderausstellung der Stiftung Topographie des Terrors geleitet. Nur nimmt sie anstelle der weit häufiger fixierten osteuropäischen Perspektive auf den Holocaust erstmalig ein westeuropäisches Land in den Blick. „Fotografien der Verfolgung der Juden. Die Niederlande 1940-1945“ ist aus einer Kooperation mit dem Amsterdamer NIOD Instituut voor Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies und dem Joods Cultureel Kwartier / Nationaal Holocaust Museum i.o. hervorgegangen, in dem die Ausstellung zuvor zu sehen war.
Ein Bild verwundert in einer Ausstellung mit dem Titel „Fragende Blicke. Neun Zugänge zu ethnografischen Fotografien“: Die Farbaufnahme im klassischen 10 x 15 cm-Format aus dem Jahr 1984 zeigt drei Personen, die vor dem Museum Fünf Kontinente (damals Staatliches Museum für Völkerkunde) in der Münchner Maximilianstraße posieren. Es scheint ein grauer, kalter Tag gewesen zu sein, an dem die Aufnahme entstand, die in ihrem Stil an Touristenaufnahmen erinnert und sich in jedem privaten Familienfotoalbum befinden könnte. Zwischen einer Frau rechts und einem älteren Herrn links steht ein junger dunkelhäutiger Mann. Durch die Bildunterschrift „Alfredo (Aherowë) zu Besuch in München“ kann schließlich eine Verbindung zu einer daneben hängenden Aufnahme mit dem Titel „Yaima, Asiawës Frau, mit ihrem Sohn“ hergestellt werden. Sie wurde 1954, also 30 Jahre zuvor, im Dorf Mahekodotedi in Venezuela, in dem Waika, eine Gruppe der Yanomami leben, von dem älteren Mann auf der Farbaufnahme, dem Ethnologen Otto Zerries, aufgenommen. Auf dem Bild sehen wir eben jenen jungen Mann als Baby auf dem Rücken seiner Mutter.
Medienikonen der Fotografie bzw. des Films – denken wir etwa an den „Falling Soldier“ von 1936 in der Fotografie von Robert Capa, an den Jungen aus dem Warschauer Getto im sogenannten Stroop-Bericht, an das „Napalm-Mädchen“ aus dem Vietnamkrieg in der Fotografie von Nick Út, an den „Kapuzenmann“ in der digitalen Aufnahme eines amerikanischen Soldaten aus dem Foltergefängnis von Abu Ghraib oder an die Filmschleife vom Anflug auf die Twin Towers auf NBC – besitzen aufgrund ihrer spezifischen ikonischen Kraft einen hohen Aufmerksamkeitswert, der sie als visuelle Ankerpunkte aus der alltäglichen Bilderflut herausragen lässt. Über das abgebildete Ereignis hinaus verfügen diese Ikonen über einen symbolischen Mehrwert, der sie zu Stellvertretern historischer Ereignisse macht. Über diese erinnern wir bzw. formen wir kollektiv wie individuell unsere Vorstellung von Geschichte, unser Geschichtsbild. Zum Teil überlagern diese Bilder die eigenen Erinnerungen oder setzen sich gar an ihre Stelle. Bereits die bloße Nennung einer auf dem Bild dargestellten Person (z.B. Kim Phúc) oder eines Ereignisses (z.B. der Kniefall) vermag die visuelle Erinnerung zu aktivieren. Nicht zuletzt können diese Ikonen eigene Realitäten generieren und auf diese Weise selbst Geschichte machen, die dann eigene Geschichten erzählen und kaum mehr korrigierbar sind.
Das Genre der Arbeiterfotografie erlebte, nachdem sie eine erste Hochphase in der Weimarer Republik erfahren hatte – in jenen Jahren oftmals mit deutlich agitatorischem, propagandistischem Hintergrund –, in der jungen Bundesrepublik eine zweite Blüte, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Warum das so war, brachte der Industriefotograf Peter Keetman rückblickend anschaulich auf den Punkt. Als er 1953 nach Wolfsburg reiste, um für drei Tage ganz ohne Auftrag, aber mit Erlaubnis der Werksleitung im Volkswagenwerk zu fotografieren, erlebte er, wie er viele Jahre später sagen sollte, die „aufregendsten Tage in meinem langen Berufsleben“ – und dies nicht ohne Grund: „Es gab keine Einschränkungen, keine Tabus. Ich war auf einmal frei, niemand befahl mir, was ich zu tun hatte. Unglaublich.“ Seine damals entstandenen Aufnahmen zählen heute zu den Klassikern der Industriefotografie, sie markieren Gijs van Tuyl zufolge einen „Meilenstein“ in deren Entwicklung.
Eine Woche, bevor der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019 an den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado verliehen wurde, lud das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion ein, um Salgados fotografische Praxis zu diskutieren. Das Podium besetzten die Organisator*innen und Moderator*innen Matthias Gründig, Folkwang Universität Essen, und Dr. Anja Schürmann, KWI Essen, sowie als eingeladene Diskutierende Prof. Elisabeth Neudörfl, Folkwang Universität Essen, Prof. Dr. Elke Grittmann, Hochschule Magdeburg-Stendal, und ich, Dr. Evelyn Runge, CAIS Center for Advanced Internet Studies Bochum.