Visual-History
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In der Kriegsbildberichterstattung ging NS-Deutschland – so die gängige Meinung in den Geschichtswissenschaften – gänzliche neue Wege, indem Bilder nicht nur zensiert, was bereits im Ersten Weltkrieg üblich gewesen war, sondern durch einen eigenen Propagandaapparat umfassend diszipliniert worden seien. Durch ein eigenes Ministerium, das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, einerseits und militärisch organisierte Propagandatruppen andererseits, deren bekannteste die Propagandakompanien (PK) waren, sei bereits auf der Ebene der Bildproduktion und -distribution interveniert worden. Nimmt man allerdings die visuelle Kriegspropaganda des faschistischen Italien zu dieser Zeit vergleichend in den Blick, gerät die These der Einzigartigkeit und internationalen Vorreiterfunktion der deutschen Kriegsbildberichterstattung im Allgemeinen und der PKs im Speziellen ins Wanken.
Das Zeigen von Bildern ist innerhalb sozialgesellschaftlicher Kontexte keine unbedeutende Handlung. Bereits die Frage, welche Bilder für eine Betrachtung und Veranschaulichung eines Gegenstands ausgewählt werden und welche nicht, verweist auf ihre diskursive Einbettung und lässt darauf schließen, dass über das Medium Bild Diskurse nicht nur abgebildet, sondern auch mitgeschrieben beziehungsweise ausgeformt werden.
Zur Transformation von Häftlingen in Überlebende gehörte schon 1945 eine spezifische Visualität als KZ-Überlebende: Ihre Berichte gewannen mit den Fotografien und Zeichnungen an Glaubwürdigkeit und letztlich Bedeutung. Welche Motive und Sujets gehörten zu dieser Identitätssuche der Überlebenden? Meistens nutzten ehemalige Häftlinge die Bilder der alliierten Befreier, die eine spezifische Auffinde-Situation der Lager bei Kriegsende zeigten.
In einer Notiz von Joseph Goebbels findet sich der Hinweis auf eine Sentenz des Reichspresseleiters Max Amann, dass die Zeitschrift „Signal“ „wertvolle Blockadebrecherarbeit gegen den frühen beherrschenden antideutschen Zeitschrifteneinfluß in Europa geleistet“ habe – und das bereits im April 1940. Der Einfluss dieser Zeitschrift auf die offizielle Kriegspropaganda vieler Staaten kann kaum überschätzt werden. Denn im Vergleich selbst zu großen Magazinen wie „Life“, „Picture Post“ oder auch „USSR im Bau“ war „Signal“ einfach ein grafisch wie vom Bildmaterial her gut gemachtes Blatt, gerade in jenem vorsprachlichen Jargon der Designer, die zu jener Zeit für das Machen von Zeitschriften verantwortlich waren. Noch in den 1980er Jahren bekannte der Bildjournalist Robert Lebeck, in „Signal“ mehr gute Bilder gesehen zu haben als in „Life“ oder „Paris Match“ zur selben Zeit.
Die mexikanische Fotojournalistin Julia Le Duc nahm das Foto der Toten am Montag, dem 24. Juni 2019, auf. Der vorliegende Beitrag nimmt dieses im Juni 2019 weltweit verbreitete Foto zum Anlass, um über Bildzirkulation und Medienkritik nachzudenken. Nach einer Kontextualisierung des Fotos einerseits mit dem Fall Alan Kurdi, andererseits mit Folgebildern der Hinterbliebenen und Überlebenden, führt der Beitrag neuere Foto- und Bildtheorien von Ariella Azoulay, Lilie Chouliaraki, Robert Hariman und John Louis Lucaites weiter. Die These lautet, dass über Fragen der Bildethik hinaus es vor allem darum gehen muss, Gesellschaften so zu verändern, dass – auch strukturelle – Gewalt nicht mehr stattfindet. Hierin liegt die imaginativ-transformative Kraft des Fotojournalismus.
Ästhetisierung
(2020)
Ist es ethisch vertretbar, Menschen in Not ästhetisch ansprechend zu zeigen? Birgt dies die Gefahr, eine eigentlich erschreckende soziale Realität zu verklären und die Gemüter zu beruhigen, anstatt aufzurütteln und zum Handeln zu motivieren? Oder steckt in einer solchen Darstellungsweise die Chance, Aufmerksamkeit für ein Thema zu schaffen, da sie Marginalisierten ein Gesicht verleiht, mit dessen visuell vermittelter, unantastbarer Würde sich die Betrachterinnen und Betrachter identifizieren können?
Das fotografische Werk von Siegfried Wittenburg. Quellen zur Geschichte einer Transformationsperiode
(2020)
„Eine Billion für blühende Landschaften“ heißt auch die u.a. von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderte Ausstellung in der Kirche St. Georgen in Wismar im Corona-Sommer 2020 mit Wittenburg-Fotografien aus der Nachwendezeit der Jahre 1990 bis 1996. Um den genauen Quellenwert der Fotografien Siegfried Wittenburgs zu bestimmen, erscheint es zunächst notwendig, einen Blick auf den Fotografen zu richten, auf die politisch-kulturellen Bedingungen seiner fotografischen Praxis und auf seinen besonderen fotografischen Stil. Siegfried Wittenburg ist nicht irgendein Fotograf. Er gehört zu jenen Fotografen, die in ihren Aufnahmen schonungslos den Untergang der DDR, die friedliche Revolution und die merkwürdigen Jahre des Anschlusses an den Westen festgehalten haben. Seine Aufnahmen sind eine Art fotografisches Tagebuch dieser Zeit.
Antiziganismus
(2020)
Bisweilen bestechen Bilder erst durch das, was auf ihnen nicht zu sehen ist. Die Art und Weise, wie das Abgebildete eingeordnet und ergänzt, wie aus dem Ausschnitt ein Panorama, aus dem Augenblick eine Geschichte wird, offenbart oftmals mehr über die Wirkweisen von Bildern als diese selbst. So auch im Fall von „Maria“, einem jungen Mädchen, dessen Porträt aus einer Wohnsiedlung von Rom*nja in der griechischen Stadt Farsala im Herbst 2013 weltweite Wogen schlug.
Die älteste bekannte antijüdische Karikatur ist eine Zeichnung – eigentlich ein detailliertes Gekritzel – am oberen Rand eines königlichen englischen Steuerprotokolls von 1233. Sie zeigt drei merkwürdig aussehende Juden, die sich in einem schematisch dargestellten Schloss befinden, das von einer Gruppe karikaturesker, gehörnter Dämonen mit schnabelartigen Nasen angegriffen wird. Ein weiterer größerer Dämon in der Mitte des Schlosses zeigt auf die sonderbar langen Nasen zweier Juden, als ob er die Ähnlichkeit zwischen ihren Profilen und seinem eigenen betonen wollte. Diese kleine Kritzelei ist so etwas wie eine Celebrity unter Historiker*innen.