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In dem Lindenberger-Konvolut befindet sich eine Fotografie, die zunächst einmal viele Fragen aufwirft. Zu sehen ist ein Lastwagen mit Anhänger, beide beladen mit großen Fässern. Davor stehen zwei Männer, ein weiterer sitzt auf dem Kutschbock des Anhängers. Im Hintergrund sieht man unverkennbar die Berliner Siegessäule. Die Bildunterschrift lautet „Joseph Lindenberger + Mietzner“.
Mit einem Silberschälchen voll frischer Beeren und einem Tablett mit Petit Four zu jedem Teeservice begrüßte Wladimir Putin im Vorfeld des Muttertages am 25. November 2022 17 russische Soldatenmütter in seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo. Dass die eingeladenen Frauen dieser inszenierten Lobpreisung von Kriegshelden und ihren Müttern kremltreue Bürgerinnen waren, überrascht wohl kaum. Der Umstand, dass Putin hieraus keinen Hehl machte, vielleicht schon. Es ist eine radikale Bildstrategie, die Russland nach über einem Jahr Krieg in der Ukraine verfolgt. Denn das russische Volk soll nicht nur die Medienberichterstattung des Kriegsfeindes und seiner Verbündeten infrage stellen. Das Bild per se wird seiner Legitimation beraubt.
Zu Beginn der Ausstellung fällt der Blick auf zwei Fotografien. Sie sind prominent inmitten des einleitenden Wandtextes im Eingangsbereich platziert, der Ausstellungsbesucher:innen ebenso empfängt wie Angestellte des Dubnow-Instituts oder Menschen, die in der Goldschmidtstraße 28 in Leipzig anderweitig arbeiten oder zu Besuch sind. Erstere bleiben stehen, lernen, welche Rolle die beiden Bilder spielen und in welchem Kontext sie stehen, nehmen wohl an einer Führung von Julia Roos oder Monika Heinemann teil, beide vom Dubnow-Institut, die neben Agnieszka Kajczyk vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau die Kuratorinnen der Ausstellung sind.
In Burundi steht ein überdimensionales Schwammerl. Ein Foto davon ist derzeit im Berliner Willy-Brandt-Haus zu sehen, gemeinsam mit anderen Aufnahmen verschiedener Gebäude der Moderne in afrikanischen Staaten – sie sind Teil der aktuellen Ausstellung „Auf Augenhöhe – Afrika und seine Moderne“ mit Fotografien von Jean Molitor. Die Aufnahmen sind allerdings nicht nur für Liebhaber:innen steingewordener Fungi von Interesse, sondern genauso für Historiker:innen wie für die Zivilgesellschaft. Die Ausstellung konzentriert sich auf Fotografien moderner Gebäude, die der Fotograf auf seinen Reisen in afrikanischen Staaten anfertigte. Neben den Gebäuden zeigt die Ausstellung eine Collage von Straßenfotografien sowie wenige Fotos und Videoaufnahmen von Molitors Reisen samt den Menschen, denen er dabei begegnete. Besucher:innen lernen so die Umgebung der dokumentierten Gebäude kennen und die Umstände, unter denen die Aufnahmen entstanden.
Sie sind knapp fünfzig Jahre alt: Dietmar Riemanns Fotografien aus der DDR, die das Berliner Willy-Brandt-Haus gerade ausstellt. Und sie sind relevant. Dietmar Riemann hat sozialdokumentarische Aufnahmen angefertigt. Wir sehen auf den Bildern zum Beispiel, welche unterschiedlichen Milieus die Ost-Berliner Trabrennbahn in den 1970er Jahren anzog. Riemanns Fotografien dokumentieren aber auch andere Orte. Seine Aufnahmen von leeren, wüsten Ost-Berliner Hinterhöfen zeugen von Verfall, Einsamkeit und Beengung. Sie suggerieren Vernachlässigung, von Gebäuden wie von Menschen. Die Fotos lehren uns zudem, wie Anspruch und Wirklichkeit im DDR-Alltag auseinanderklafften.
Ich untersuche in diesem Aufsatz die für die Kampagne der NS-Propaganda zur Anwebung von Arbeitskräften in der Ukraine entwickelte Bildsprache der deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs in den besetzten Gebieten und stelle die Kampagne als konzertierte Aktion in Filmen und Plakaten vor. Mein Thema hat eine politische Dimension insofern, als die an der Herstellung der Filme und Plakate Beteiligten aus der einheimischen Bevölkerung als Kollaborateure galten und gelten. Die damaligen sowjetischen Sicherheitsdienste fahndeten nach dem Krieg nach ihnen und verurteilten Kollaborateure nach Überprüfung teilweise zu hohen Strafen.
Wie die historische Forschung zur deutschen und belgischen Kolonialgeschichte nachgewiesen hat, wurde die „Ethnifizierung“ (oder „Ethnogenese“), die im Zuge der Kolonialisierung zur polarisierenden Trennung von „Hutu“, „Tutsi“ und „Twa“ führte, schrittweise in die ruandischen Mentalitäten eingespeist, wo sie zur Grundlage der Identifizierung der prospektiven Opfer gemacht wurde. Da Genozide nicht möglich sind, wenn nicht zuvor die Frage nach der Identifizierung der zu Vernichtenden „geklärt“ ist hat die europäische Kolonialgeschichte als Vorgeschichte des Tutsizids zu gelten. Koloniale Akteure aus Deutschland spielten bei diesem Prozess eine Rolle. In der deutschen Kolonialfotografie lässt sich beobachten, dass das koloniale Bestreben, „Ordnung“ in die Begegnung mit der ruandischen Kultur und Gesellschaft zu bringen, ab Ende des 19. Jahrhunderts Eingang in die koloniale Fotografie fand.
Manche Bilder sind versehen mit Legenden, in denen sich die Ethnifizierung erkennen lässt. Die Anthropologen gingen davon aus, dass sich wissenschaftliche Beweise für die Existenz von drei klar voneinander abgegrenzten „Ethnien“ erbringen ließen. In Wirklichkeit herrschten Spekulationen und grundlegende Missverständnisse bezüglich der demografischen Struktur des fremden Landes vor. Zweifellosigkeiten wurden behauptet, und das in einem Land, mit dem zuvor nicht die geringsten Kontakte bestanden hatten. Es kam zu einer Vielzahl von Missverständnissen und Fehlinterpretationen, die dem kolonialen Überlegenheitsgefühl der deutschen Fotografen geschuldet waren.
Ein Album – eine Erzählung?
(2024)
Jedes Fotoalbum hat eine Erzählung, sie verläuft auf zwei Ebenen. Eine ist im Fotoalbum selbst enthalten, und die Fotos sind ihre Eckpunkte. Die Anordnung im Album setzt die Bilder mit ihren Protagonisten, Orten und Ereignissen in Beziehung. Doch erst die betrachtende Person verbindet diese Bilder zu einer Geschichte, zu einer zweiten, die aber mit der ersten verbunden ist.
Ein Familienfest
(2024)
Welche Geschichte kann ein Bild erzählen? Am Beispiel eines Fotos aus dem Album der Familie Lindenberger, auf dem sich mehrere Generationen der Familie zu einem besonderen Anlass versammelt und diesen Moment für die Erinnerung künftiger Generationen festgehalten haben, möchte ich eine kurze Geschichte dieser Familie erzählen. Trotz wechselnder Lebensumstände ist es der Familie gelungen, ihre Geschichte fotografisch zu dokumentieren.
Ein jüdisches Fotoalbum!?
(2024)
Joseph und Helene Lindenberger kommen aus jüdischen Familien. Im Jahr 1938 flohen sie mit ihren Kindern vor den Nazis nach Palästina. Damit handelt es sich um ein Fotoalbum aus jüdischer Perspektive! Doch wo finden sich vermeintlich jüdische Symbole, Orte oder aber das Wort „jüdisch“? Und wo zeigt sich die Verfolgung durch die Nazis? Welche Hinweise geben uns die eingeklebten Fotos oder die Bildunterschriften darauf, dass es sich um das Fotoalbum einer jüdischen Familie handelt?
Was macht ein Foto privat oder öffentlich? Laut Fachliteratur ist dies abhängig vom Kontext: der Entstehung und Verwendung des Bildes. Entscheidend für die Bestimmung sind demnach der Fotograf, das Motiv, die Absicht des Fotografen sowie die Intentionen der abgebildeten Personen und nicht zuletzt der nachfolgende Gebrauch der Fotografie.
Die Kuratorin des Jüdischen Museums Berlin trägt Handschuhe, während sie die 31 Seiten des Fotoalbums umblättert. Sie hat das Album der Familie Lindenberger für unser Projekt im Rahmen des Public History-Studiengangs ausgewählt. Wir, Studierende und Dozentin, stehen im Kreis um sie herum und betrachten die 95 dort eingeklebten Fotografien. Eine Woche später sehen wir uns im Seminarraum der Freien Universität Berlin die Fotografien des Albums noch einmal an. Biografische Angaben zur Geschichte der Familie haben wir aus dem Jüdischen Museum erhalten. Sie ermöglichen die Identifikation und familiäre Zuordnung vieler Bilder. Langsam werden uns die auf den Fotografien dargestellten Menschen vertraut, und wir erkennen schließlich die engsten Familienmitglieder auf den ersten Blick.
Michael Lindenberger, der das Fotoalbum seiner Großeltern dem Jüdischen Museum Berlin stiftete, sprach im Interview über seine bewegte Familiengeschichte, den Nachlass seiner Eltern und seinen Wunsch, die Erinnerungen zu bewahren. Das Fotoalbum der Familie Lindenberger stammt aus dem Jüdischen Museum Berlin, wo es zwar teilweise erfasst, aber noch nicht vollständig erschlossen oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Aus diesem Grund wurde es für das Projekt ausgewählt.
Flucht in den Strandurlaub?
(2024)
Das Fotoalbum der Familie Lindenberger enthält – für ein solches keineswegs unüblich – auch einige Fotografien aus Urlauben am Meer. So sieht man dreimal Joseph Lindenberger am Strand, einmal im Badeanzug lesend auf einer Decke sitzend, ein weiteres Mal im Bademantel in einem Boot sitzend und zu guter Letzt in Hemd und Krawatte sich auf ein Boot stützend. Im Hintergrund der ersten beiden Bilder, die in einem Doppelabzug vorliegen, sieht man ein auf Stelzen gebautes, langes Strandhaus, das vermutlich zu einer Landungsbrücke weiter ins Meer hinein führt. Eine ebensolche kann man im Hintergrund des dritten Bildes sehen, dessen Aufnahmeperspektive auf das Meer gerichtet ist. Die drei Bilder eignen sich für eine über das Biografische hinausreichende Betrachtung.
Ein Schwerpunkt der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin sind sogenannte Familienkonvolute, die starke biografische Bezüge aufweisen und dem Museum von Stifterinnen und Stiftern aus der ganzen Welt geschenkt wurden. Neben anderen Objekten umfassen diese Bestände viele Dokumente und zahlreiche Fotografien, darunter um die 400 Fotoalben.
Fotograf gesucht
(2024)
Immer, wenn man (historische) Fotos und Fotoalben verstehen möchte, ist eine der zentralen Fragen: Wer hat das Foto gemacht? Nur selten geben private Alben darüber direkt Auskunft. Gleichzeitig geben die Fotos Hinweise, um zumindest Vermutungen anzustellen. Die Beziehung zwischen fotografierender und fotografierter Person ist ein wesentlicher Teil des Entstehungszusammenhangs. Sie kann uns Aufschluss über Hierarchien, Freiwilligkeit oder Zwang und Intention(en) des Fotos geben. Versuchen wir, den Fotografen zu finden.
Fotografierte Kuriosität
(2024)
Dieses Foto ist aus ganz verschiedenen Gründen auffällig: Helene, die Frau auf Skiern links im Bild, ist sehr schick und untypisch für ihr Vorhaben gekleidet. Sie trägt eine Mütze mit einer auffälligen Schleife und einen Kurzmantel mit Schößchen und Pelzkragen. Im Bildvordergrund sind zwei schlittenartige Gefährte mit Lenker und Bremse zu sehen. Auf einem davon sitzt ein junger Mann, hinter ihm eine junge Frau mit Trillerpfeife im Mund und auf dem anderen ein Junge. Sie sind nahezu gleich angezogen: dunkle Hosen, Schutz an den Schienbeinen, heller Pullover mit Schal und Mütze oder Rollkragen, helle Handschuhe. Am rechten hinteren Bildrand steht ein Junge auf Skiern hinter einer Kamera auf einem Stativ und blickt durch den Sucher auf eine Gruppe von Kindern im Hintergrund, die etwas unsortiert auf ihren Schlitten sitzen.
Joseph und Helene am 1. Mai?
(2024)
Auf dem vorliegenden Bild posiert Joseph vor einem Lastwagen. Helene schaut zusammen mit einem Kind aus der Fahrerkabine in die Kamera. Auf der Ladefläche stehen weitere Kinder sowie eine abgeschnittene größere Person. Die Abgebildeten tragen weiße Hemden und einige der Kinder auch weiße Hüte – sie wirken aufgeregt. Mindestens zwei der Kinder halten kleine einfarbige Fahnen in ihren Händen.
Ziel meines Forschungsprojekts ist es, Kolonialfotografien von Menschen und Landschaften Kameruns, die zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs produziert wurden, zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der aktuellen – nicht nur in Deutschland – geführten Debatten über das unzureichend aufgearbeitete „Erbe“ des Kolonialismus ist dieses Thema von hoher Aktualität. Die Vielfalt deutscher Kolonialbilder zu Kamerun ist Ausgangspunkt des Forschungsprojekts. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Rolle kolonialer Bilder in der Vermittlung anthropologischen Wissens über Menschen fremder Herkunft im Kontext europäischer bzw. deutscher Kolonialherrschaft.
Materialität der Erinnerung
(2024)
31 weiße Seiten aus dickem Papier, hochkant nahezu quadratisch, getrennt durch ebenfalls weißes Pergaminpapier, sind eingebunden in mittelbraunen, glatten Kunststoff, welcher einen Ledereinband imitieren soll. Das Album der Familie Lindenberger ist relativ klein: 25 cm hoch, aufgeklappt 45 cm breit und knapp 5 cm dick. 99 Schwarz-Weiß-Bilder in unterschiedlichen Formaten sind vorder- und rückseitig fest eingeklebt auf Seiten – ein Teil der Seiten bleibt leer. Die meisten Bilder sind Einzelabzüge, seltener sind zwei Fotos als Doppelabzüge auf einer Pappe. Die Fotos sind eine Mischung aus professionell aufgenommenen Bildern, wie die Logos der Fotografen am Fotorand zeigen, und spontaneren, selbst gemachten Aufnahmen.
Wolfsburg wurde, mehr noch als andere Städte, von Zuwanderung geprägt. Insbesondere „Gastarbeiter“ aus Italien und ihre nachgezogenen Familien machten seit den 1960er Jahren einen großen Anteil der Bevölkerung und insbesondere der Belegschaft des Volkswagenwerks aus. Sie prägten die Stadt auch als Gründer:innen zivilgesellschaftlicher Initiativen, als Unternehmer:innen oder Angestellte der Kommune. In den letzten Jahren fand diese Facette Wolfsburgs zunehmend auch Niederschlag in der stadtgeschichtlichen Forschung sowie der lokalen Erinnerungspolitik.
In diesem Kontext wurde der 60. Jahrestag der Ankunft italienischer Arbeiter in Wolfsburg im Jahr 2022 mit der Ausstellung „Percorsi di vita. Lebenswege nach Wolfsburg“ gewürdigt, die von der Stadt Wolfsburg und der dortigen italienischen Konsularagentur gefördert wurde. Hierzu erschien eine gleichnamige, reich bebilderte Begleitpublikation. Kern des Bandes sind zwölf kurze Graphic Novels, die von den Künstler:innen Hannah Brinkmann, Magdalena Kaszuba, Birgit Weyhe, Lukas Jüliger, Joachim „Ali“ Altschaffel und Jeff Chi gestaltet wurden.
Skiurlaube
(2024)
Durch ihre Aufbewahrung und Erhaltung geben die Fotografien einen Einblick in besondere Momente der Familiengeschichte. Die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen die Familie Lindenberger in verschiedenen Lebenslagen, von alltäglichen Szenen bis hin zu ihrer Freizeit. Bemerkenswert im Fotoalbum sind auch die Seiten, die die Bilder der Familie vom Skiurlaub präsentieren. In Deutschland wurde das Skifahren im späten 19. Jahrhundert populär, auch für den Mittelstand. Etwa 35.000-40.000 Deutsche standen auf Skiern. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern war die Zahl sehr hoch, wie eine Münchner Zeitung im Jahr 1912 berichtete. Fotos aus dem Skiurlaub waren daher gleichzeitig auch ein Statussymbol.
„Geschichte ist oft bilderlos.“ – Damit stellt sich die Frage, wie man in der Präsentation und Vermittlung von Geschichte mit bildlichen Überlieferungslücken umgeht? Es stellt sich aber auch die Frage nach dem Umgang mit überlieferten Bildern, die aus rassistischen, diskriminierenden oder ethischen Gründen nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen gezeigt werden sollten. Wie visualisiert man also Ereignisse, die nicht oder nur bedingt bildlich darstellbar sind? Diesen und weiteren Fragen ging ein dezidiert interdisziplinär ausgerichteter Workshop am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung unter dem Titel „Was man nicht sieht! Perspektivwechsel durch Comics“, geleitet von Christine Bartlitz (Potsdam) und Irmgard Zündorf (Potsdam) nach.
un.sichtbar – Zur Einführung
(2024)
Studierende des Masterstudiengangs Public History der Freien Universität Berlin haben im Wintersemester 2023/24 mit Unterstützung von Christine Bartlitz (ZZF), Christoph Kreutzmüller (Selma Stern) und Theresia Ziehe (Jüdisches Museum) das Fotoalbum der deutsch-jüdischen Familie Lindenberger als zeitgeschichtliche Quelle im Sinne einer Visual History untersucht und sich dabei auf das Spannungsverhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem im Album und bei den einzelnen Bildern konzentriert. In dem Themendossier „un.sichtbar. Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969“ geben wir Einblicke in unsere Arbeit: In 17 Beiträgen nähern wir uns aus ganz unterschiedlichen Perspektiven den Bildern aus dem Album und stellen das Fotoalbum in Gänze sowie einzelne Fotografien im Detail vor, unter der Fragestellung: Was können uns die Bilder zeigen – und was zeigen sie nicht?
Im Vergleich zu älteren Untersuchungen zur Pressefotografie im Nationalsozialismus herrscht aktuell aufgrund der fortgeschrittenen Digitalisierung eine vollkommen neue Ausgangslage vor. Gerade Österreicht sticht im internationalen Vergleich positiv hervor.
Umso mehr springt die Diskrepanz zwischen zunehmender digitaler Verfügbarkeit von publizierter Fotografie und dem Fehlen systematischer Studien zur NS-Pressebildkultur in Österreichs Illustrierten ins Auge. In unserem Forschungsprojekt „Visuelle Öffentlichkeit im Nationalsozialismus“, das von 2023-2027 am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien durchgeführt wird, wollen wir die digitale Verfügbarkeit historischer Zeitungsbestände gezielt methodisch nutzen. In Zusammenarbeit mit dem Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften soll ein umfangreicher Bilderpool aus der österreichischen NS-Bildpresse als Untersuchungskorpus und Ausgangsbasis für quantitative und qualitative Analysen generiert werden. Während quantitative Erhebungen Aufschluss über die Bildakteur:innen der NS-Bildpresse und die visuelle Zusammensetzung der Illustrierten erlauben, soll in qualitativen Fallstudien mittels Bildanalysen und Bildvergleichen die Frage nach der propagandistischen Indienstnahme des Mediums Fotografie im Nationalsozialismus beantwortet werden.
Fotografien sind in ihrer Bildaussage nicht eindeutig. Sie geben nicht „die Realität“ wieder, sondern einen Augenblick, fotografiert aus einer ganz bestimmten Perspektive, mit einer ganz bestimmten Intention. Wir sollten uns Fotografien systematisch nähern, um diese Perspektiven zu erkennen, um den historischen Kontext und den persönlichen Hintergrund des Fotografen/der Fotografin zu verstehen. Dabei hilft es, sich zwei Fragen zu stellen: „Was sehen wir?“ und „Was sehen wir nicht?“
Über Ski, Boote und Autos
(2024)
Auf acht Fotos im Album der Familie Lindenberger fahren die Fotografierten Ski, Schlittschuh oder Schlitten. Auf zwei Bildern sitzen sie auf einer Kutsche und dreimal in einem Boot. Einmal zeigen sie sich mit einem Pferd, zweimal mit einem Fahrrad sowie zehnmal mit einem Auto. Auf 26 der insgesamt 95 Abzüge posieren die Fotografierten mit Fortbewegungsmitteln oder bewegen sich selbst mit ihnen fort.
Eine Entdeckung ist zu feiern mit der Potsdamer Ausstellung, die sich zentralen Arbeiten aus dem Werk der Fotografin Christina Glanz widmet. Genau genommen handelt es sich um die Chance zur Wiederentdeckung, symptomatisch spät im vereinten Deutschland. Denn die Berliner Fotografin Christina Glanz hatte bereits in den 1980er Jahren der DDR Aufmerksamkeit erregt und Anerkennung gefunden bei all denen, die sich für fotokünstlerische Positionen im geteilten Deutschland interessierten. Bereits 1982 und 1987 war Christina Glanz bei den letzten beiden Kunstausstellungen der DDR in Dresden vertreten.