Visual-History
Der erste Band der 2015 von Costanza D’Elia gegründeten Zeitschrift „Visual History. Rivista internazionale di storia e critica dell’immagine” wird mit einem Zitat aus „L’orologio“ („Die Uhr“) eingeleitet, einer der bedeutendsten politischen Romane der italienischen Nachkriegszeit, den der Schriftsteller und Maler Carlo Levi 1950 veröffentlichte. Die Auswahl der Zeilen erfolgte nicht zufällig: Ein Mensch, verzweifelt ob der „Unfähigkeit zu leben“, stößt „in immer neue Wissensgebiete vor, auf der ständigen Suche nach etwas, das ihm hoffnungslos verborgen bleiben würde“.
Die Ausstellungsankündigung „Ruth & Lotte Jacobi“, die im Rahmen des EMOP Berlin – European Month of Photography 2020 präsentiert wurde, klingt vielversprechend: „Zum ersten Mal ist das fotografische Werk – bestehend aus Porträts, Stillleben, Reportagen, Lichtbildern und Experimentalaufnahmen – dieser vierten Generation einer jüdischen Fotografenfamilie in einer Ausstellung vereint.“ (Einführungstext) Selten haben Besucher*innen die Möglichkeit, sich Werke von Fotografinnen vergleichend anzusehen. Viel zu häufig werden diese als Einzelgängerinnen und Ausnahmen präsentiert.
Der vorliegende Beitrag richtet seinen Blick auf die japanische Kriegs- und Frauenfotografie, die in NS-Fotoillustrierten den deutschen Rezipient*innen als eine konsequente Antwort auf Armut und Kriminalität in Asien präsentiert wurde, und fragt danach, welche Wechselwirkungen hierbei mit den deutschen Kriegsfotografien der Propagandakompanien (PK) entstanden.
Schwitzende Werkarbeiter in der DDR, Menschen im Porträt, Bilder als kombinierte Triaden, die ihnen einen neuen Sinn geben – die aktuelle Werkschau des Berliner Fotografen Ludwig Rauch erzählt im Cottbusser Dieselkraftwerk Geschichte und Geschichten. Es geht um die DDR, um Menschen und ihre Biografien: sichtbar gemacht in Porträts und Serien. Das Altern, der Tod und vor allem das Leben sind Motive in Rauchs Werkschau, die er unter dem Titel Noch ein Leben zusammenfasst. Auf drei Etagen begegnen die Ausstellungsbesucher unterschiedlichsten Arbeiten, die auf teilweise überraschende Weise zusammengehören.
Die Sonderausstellung „SW5Y“ (Sea-Watch – 5 Years) präsentiert in Fotografie und Zeichnungen Eindrücke, Menschen und Momente aus fünf Jahren ziviler Seenotrettung an der tödlichsten Grenze der Welt – dem Mittelmeer. Mit dokumentarischen und künstlerischen Arbeiten gewährt die Ausstellung Einblicke in den Alltag der zivilen Seenotrettung, zeigt aktive Rettungseinsätze und präsentiert aktuelle Perspektiven auf Flucht und Migration.
Skiurlaube
(2024)
Durch ihre Aufbewahrung und Erhaltung geben die Fotografien einen Einblick in besondere Momente der Familiengeschichte. Die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen die Familie Lindenberger in verschiedenen Lebenslagen, von alltäglichen Szenen bis hin zu ihrer Freizeit. Bemerkenswert im Fotoalbum sind auch die Seiten, die die Bilder der Familie vom Skiurlaub präsentieren. In Deutschland wurde das Skifahren im späten 19. Jahrhundert populär, auch für den Mittelstand. Etwa 35.000-40.000 Deutsche standen auf Skiern. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern war die Zahl sehr hoch, wie eine Münchner Zeitung im Jahr 1912 berichtete. Fotos aus dem Skiurlaub waren daher gleichzeitig auch ein Statussymbol.
Queuing as a quintessential experience of Soviet everyday life: hardly any other motif has shaped our images of the late Soviet Union as much as the long lines of people persevering in front of shops and grocery stores. Besides hopes of purchasing essential and rare goods, the social aspect of this practice was also important, as exemplified by Vladimir Sorokin’s 1983 novel “The Queue” surrealistically exploring interactions of people queuing for an unknown commodity, or Olga Grushin’s 2010 book “The Line”, which unfolds a Soviet family’s everyday longings, hopes and obsessions based on rumours about a concert by a famous exiled composer, and a street kiosk that may or may not have tickets on sale.
Annette Vowinckel ist Leiterin der Abteilung Zeitgeschichte der Medien- und Informationsgesellschaft am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und außerplanmäßige Professorin im Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im von Janaina Ferreira dos Santos und Iulia Sucutardean geführten multimedialen Interview für das Online-Portal „Visual History“ (visual-history.de) stellt die Historikerin ihr neues Buchprojekt Zentralbild, Photo International and the Visual Politics of Late State Socialism vor, geht auf die Methoden ihrer Quellenarbeit ein und betont, wie digitale Tools die Arbeit von Historiker:innen in vielerlei Hinsicht vereinfachen können.
1917 veröffentlichte das US-amerikanische Magazin „Vanity Fair“ einen Artikel mit der Überschrift „Moving Pictures for Golfers“. Das war nichts Ungewöhnliches, denn Sport war eines der Themen, die das zumeist weiße, urbane, gebildete Publikum dieses Lifestyle-Magazins ansprach. Außergewöhnlich waren die beiden Bilderserien, die den Artikel illustrierten – bestehend aus je 22 individuellen Fotos zeigten sie zwei Golfer beim Abschlag des Balls. Die bloße Anzahl unterschiedlicher Bilder athletischer Körper in diesem Zeitraum ist ein Indikator für ihre Relevanz. Und jenseits dieser quantitativen Beobachtung waren große mediale Räume von diesen Darstellungen besetzt, von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, über Werbeposter, Sammelkarten und Kunst bis hin zu Lehrfilmen, Wochenschauen und Spielfilmen. Das Projekt widmet sich diesen Quellen als eine ausdrücklich transnational ausgerichtete Kulturgeschichte der USA.
Eine schwarz-weiße Fotografie mit neun Personen, die zu einem Gruppenbild versammelt sind: Sieben Personen stehen, zwei sitzen. Alle tragen einen Lendenschurz, der den Blick auf die untergewichtigen, ausgezehrten, geschwächten Körper freigibt. Drei Personen stützen sich mit einem Stock ab, einige tragen Halsketten als Schmuck. Auch Ringe um die Knöchel sind zu sehen. Es ist unklar, ob es sich dabei vielleicht um Eisenketten handelt. Die Blicke sind meist auf den Betrachtenden gerichtet, nur die sitzenden Personen scheinen die Augen geschlossen zu haben. Im Hintergrund sieht man eine karge Landschaft; ein Zelt am rechten oberen Bildrand fällt ins Auge. Weitere Details sind bei näherem Hinsehen erkennbar, ohne den Betrachtenden genauen Aufschluss über die Personen, den Ort oder die Zeit der Aufnahme zu geben. Man ist auf Spekulationen angewiesen: „Afrikaner“, dem Aussehen nach? Der Landschaft zufolge möglicherweise ein Ort im südlichen Afrika. Material und Art der Aufnahme lassen auf einen lange zurückliegenden Entstehungszeitraum schließen.