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Kontextualisierung oder Eine Fotografie und ihre Geschichte(n). Entstehung – Verbreitung – Rezeption
(2022)
Jede Fotografie hat ihre eigene Entstehungsgeschichte. Eine Person drückt mit einer individuellen Intention auf den Auslöser einer Kamera: Die Linse ist dabei auf ein Motiv gerichtet, das für den Bruchteil einer Sekunde abgelichtet und konserviert wird. Vielleicht zeigt es Menschen, Tiere, Landschaften, einen Straßenzug, Gebäude oder den Wimpernschlag eines historischen Ereignisses. Fotografien stehen je nach Fundort oder Publikationsart entweder für sich oder in Sinnstrukturen, die beispielsweise aus weiteren Fotografien, Notizen, Bildunterschriften oder Texten bestehen können. Die Verbreitungswege und Verwendungsweisen von Fotografien sind vielfältig. Jeder Mensch betrachtet eine Fotografie vor dem Hintergrund eigener Lebenserfahrungen und -eindrücke sowie durch eine medial geprägte Bilderwelt. Somit ist Kontextualisierung analytisch auf den drei Ebenen der Produktion, Verbreitung und Rezeption zu denken.
Honeckers Herrscherporträt zeigt in seinen zahllosen einzelnen Varianten weder Emotionen, noch ist es räumlich oder zeitlich klar zuzuordnen. Die Botschaft, die es aussendet, ist abstrakt: Das SED-Parteiabzeichen an Honeckers Revers führt dem Betrachter die kollektive Kraft der kommunistischen Partei vor, lässt in seiner korrekten Kleidung die staatsmännische Handlungssicherheit erkennen und strahlt im unverwandten Blick die ruhige Selbstgewissheit der Herrschaftselite aus. Wenn die Visualisierung des bürgerlichen Politikers im 20. Jahrhundert in seiner Körperlichkeit nacheinander Würde, Leistung und Glaubwürdigkeit präsentierte, wie Thomas Mergel dies am Beispiel deutscher Politikerfotos beschrieben hat,so stellt das kommunistische Funktionärsporträt die überindividuelle Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Ordnung vor.
Die Aufnahme hält eine dramatische Szene fest: Angehörige der Volksmarinedivision erwidern am Morgen des 24. Dezember 1918 das von Regierungstruppen auf sie gerichtete Artilleriefeuer, das eben ihre Verteidigungsstellung im Pfeilersaal des Berliner Schlosses getroffen hat; sechs Mann richten in fieberhafter Eile die durcheinandergeworfenen Maschinengewehre neu aus, ohne einen Blick für den tot vor ihnen liegenden Kameraden übrig zu haben; ein weiterer Matrose spurtet mit einer Munitionskiste über den von Glassplittern und Mobiliartrümmern übersäten Teppich, um Nachschub an die Frontlinie zu bringen.
Alle ausgestellten 100 Werke aus der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eint, dass sie im Augenblick der Verfolgung entstanden und nicht retrospektiv nach dem Ende des Krieges oder im Abstand von Jahrzehnten auf die Ereignisse blicken. Jedes Bild vereint drei Ebenen in sich, die die Bildtexte zu verbinden suchen: das Dargestellte, den Darstellenden sowie die Überlieferung des Werkes. Der hervorragende Katalog analysiert zudem Text, Kontext und Subtext der Bildinhalte. Zugleich geht die Ausstellung auf einer weiteren Ebene auch der Frage nach, wie unter den Umständen von Lager und Ghetto das Material für das Anfertigen der Kunstwerke beschafft werden konnte. Gemalt wurde auch auf Kartoffelsäcken und auf Watteverpackungen; für Linolschnitte wurden alte Reifen verwandt. Doch die meisten Werke sind auf Papier meist minderer Qualität entstanden und deshalb konservatorisch heikel. Überlebt haben die verbotenen Bilder in Tongefäßen oder anderen Verstecken.
Das bislang unveröffentlichte Manuskript von Soupaults Reportage „über Westdeutschlands Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem“ aus dem Jahr 1950, an deren Abdruck damals weder US-amerikanische noch französische und schweizerische Zeitungen interessiert waren, und die zugehörigen Fotoaufnahmen sind nun erstmals in einem sehr ansprechend gestalteten Band im Heidelberger Verlag Das Wunderhorn publiziert worden. Herausgeber ist Manfred Metzner, der Nachlassverwalter der 1996 in Versailles verstorbenen Soupault, deren Bilder zuletzt in der Ausstellung „Das Auge der Avantgarde“ im Zeppelin Museum Friedrichshafen gezeigt wurden.
Im Jahr 2014 beschloss die zwölf Jahre nach ihrem Tod von Freund*innen der Fotografin gegründete Abisag Tüllmann Stiftung die Übergabe des fotografischen Werks an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Letztere sollte den Nachlass Abisag Tüllmanns sichern, erschließen und zugänglich machen. Der damalige Leiter der bpk-Bildagentur Hanns-Peter Frentz und Heidi List als Vertreterin der Abisag Tüllmann Stiftung verfolgten mit ihrer Arbeit das Ziel, einen Großteil des Nachlasses nicht nur für die wissenschaftliche, sondern auch für die allgemeine Öffentlichkeit zu bewahren und online zugänglich zu machen.
Das Ausstellungskonzept „Talents“ ist ein Förderprogramm für junge Fotografen und Kunstkritiker. Es wird seit 2006 jährlich von c|o Berlin ausgeschrieben und vom Gründungspartner Deutsche Börse AG finanziell unterstützt. Das Thema der Ausschreibung ist jeweils vorgegeben und besitzt in der Regel einen weiten Interpretationsrahmen. Die Jury dieses Talentwettbewerbs besteht aus Kuratoren, Bildwissenschaftlern, Journalisten und Fotografen. Bewertet wird, laut Selbstbeschreibung, die Umsetzung des vorgegebenen Themas in ein „inhaltlich und ästhetisch qualitativ hochwertiges“ Werk.
Die Ausschreibung mit dem Thema „Memories“ gewann – neben den weiteren Preisträgern Iveta Vaivode, Marc Beckmann, Krzysztof Pijarski – der 1981 in Halle geborene Emanuel Mathias. Seine Arbeit mit dem Titel „Kunst, Freiheit und Lebensfreude“ ist derzeit in den Ausstellungsräumen von c|o Berlin in der Nähe des Bahnhof Zoo zu sehen.
Kairos ist ein Nebendarsteller im olympischen Spektakel griechischer Mythologie. Er ist der „Gott des glücklichen Moments“. Dargestellt mit einer unübersehbaren Stirnlocke, die es zu ergreifen gilt in dem einen, dem richtigen Moment.
Diesem jüngsten Sohn des Zeus begegnete der Immobilienmakler und Hobbyhistoriker John Maloof im Jahr 2007. Und er traf die richtige Entscheidung im unwiederbringlich richtigen Moment. Für den Preis von 380 Dollar ersteigerte er in einem Chicagoer Auktionshaus mehrere Kartons voller Negative. Erhofft hatte er sich Bilder über sein Chicagoer Stadtviertel Portage Park für eine Chronik dieses Teils der Stadt, an der er gerade arbeitete. Gefunden hat er Fotografien aus den Jahren 1950 bis weit in die 1990er-Jahre von einer ihm unbekannten Fotografin: Vivian Maier.