21. Jahrhundert
Refine
Year of publication
- 2023 (19) (remove)
Document Type
- Online Publication (12)
- Journal Article (7)
Has Fulltext
- yes (19)
Das westdeutsche Abschieberegime entstand im Kontext der Problematisierung von People of Color, die seit 1950 in die Bundesrepublik einreisten, um dort ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen. Die junge Republik lud Menschen aus sich dekolonisierenden Ländern zunächst ein, um sich von der Rassenideologie des National- sozialismus zu distanzieren und sich gegenüber dem Sozialismus zu profilieren. Dabei bestand jedoch weiterhin die im Kern völkische Prämisse, dass People of Color nicht langfristig bleiben sollten. Die Herstellung ihrer Rückführbarkeit manifestierte sich in der Rechts-, Verwaltungs- und Betreuungspraxis lokaler Behörden und Wohlfahrtsverbände, wodurch diese Prämisse in das Ausländergesetz von 1965 einging. Das Gesetz machte insbesondere »außereuropäische« Migrant*innen abschiebbar, denen es pauschal kriminelle Täuschungsabsichten und extremistische Politisierung unterstellte. Es verrechtlichte zudem eine pseudomoralische Rückkehrpflicht von People of Color unter Verweis auf ihren Entwicklungsauftrag in den Herkunftsländern und auf tradierte Geschlechterrollen. Diese Normen waren in der Bundesrepublik permanent abrufbar und wurden sukzessive auf andere Migrant*innen angewandt.
Jenseits der Binaritäten von zwei Geschlechtern, zwei Gendern und zwei möglichen Strukturen des Begehrens versteht dieser Beitrag Queerness als ein Netz, in dem alle Aspekte des Begehrens und der Sexualität, einschließlich der Hegemonie der Heteronormativität, miteinander in Beziehung stehen und fließend ineinander verwoben sind. Ich verwende ‚Queer‘ hier als ein analytisches Konzept, um auf nicht-heteronormative Strukturen des Begehrens und der Sexualität zu verweisen, ohne mich auf die Kategorien der Vergangenheit festzulegen. Mit anderen Worten: Ich versuche, der Fluidität, die queere Theorien betonen, treu zu bleiben. Queer wird hier nicht nur gedacht als ein Oberbegriff für alle Formen gleichgeschlechtlichen Begehrens und geschlechtlicher Nonkonformität. Vielmehr verwende ich queer um Identitätszwängen zu entrinnen, und so in den Archiven auch Stimmen zu finden, die sich nicht unter den je zeitgenössischen Begriffen subsumieren lassen.
Der chilenische Architekt Miguel Lawner (geboren 1928) ist ein engagierter und leidenschaftlicher Vertreter der vom „Bauhaus“ inspirierten Ideen der Sozialen Architektur. Seit den 1950er Jahren setzt er sich für das Recht auf Wohnraum und würdiges Wohnen ein und beteiligt sich an sozialen Bewegungen.
Der Band, mit dem Titel „Evelyn Richter“, um den es in diesem Text gehen soll, ist kein Katalog, selbst wenn er im Impressum so bezeichnet wird. Vielmehr ist er ein Glücksfall für alle Bücherliebhaber:innen. Für Visual Historians wird dieser exzellente Band ein Standardwerk zur Fotografie-Geschichte der DDR werden. Und für all jene, die sich für das Leben der großen Fotografin Evelyn Richter in der DDR interessieren, ist es ein Pageturner und eben keines der oft üblichen Coffee Table Books mit der Bezeichnung Katalog, die sich hochglänzend und schwer eher zum Pressen von Pflanzen eignen, als dass sie einen Mehrwert jenseits der Finissage der jeweiligen Ausstellung hätten.
Herausgegeben wurde das Buch „Evelyn Richter“ von der Historikerin und Kuratorin Linda Conze und der Kunstwissenschaftlerin Jeannette Stoschek, im Auftrag des Evelyn Richter & Ursula Arnold Archivs der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und dem Museum der bildenden Künste Leipzig. Es erschien im Verlag Spector Books (Leipzig).
Sprache formt die Wirklichkeit, in der wir leben. Diese Annahme bedeutet im Umkehrschluss, dass wir durch eine bewusste Nutzung von Sprache diese Wirklichkeit mitgestalten können. Dies ist ein grundlegender Gedanken vieler sozialer Bewegungen, so auch von trans* Bewegungen weltweit. Gerade für Personengruppen, die sehr lange abwertenden, stigmatisierenden und verletzenden Fremdbezeichnungen ausgesetzt waren oder es noch immer sind, spielt die selbstbestimmte Bezeichnung von Identitäten eine große Rolle. Gleichzeitig sind Selbstbezeichnungen komplex, vielfältig und ständig im Wandel, sodass der Versuch einer Beschreibung und Einordnung von Begrifflichkeiten immer eine lokal und zeitlich begrenzte Momentaufnahme bleiben muss. Dies gilt auch für den folgenden Versuch eines kurzen Überblicks über Begriffe, die seit dem letzten Jahrhundert für trans* Personen im deutschsprachigen Raum wichtig waren oder sind.
Die erstmalige persönliche Teilnahme des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an der diesjährigen UN-Vollversammlung 2023 in New York und an einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats haben die Abwesenheit des von ihm angesprochenen Gegenübers, des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sichtbar gemacht – eine Leerstelle, die aufgrund der Forderung des russischen UN-Botschafters, dem ukrainischen Präsidenten das vorgesehene Eröffnungsstatement der Sicherheitsratssitzung im letzten Moment zu entziehen, noch deutlicher wurde. Nach der Annexion der Krim hatte sich Putin 2015 noch mit einer Rede an die 70. UN-Generalversammlung gewandt, in der er unter anderem auch den Krieg der Separatisten im Donbas gegen die Ukraine zu rechtfertigen suchte. Den Wettbewerb um die globale Medienöffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit Wladimir Putin mit dem Besuch des wieder ernannten chinesischen Außenministers Wang Yi im Kreml am selben Tag zu gewinnen versuchte, hat der ukrainische Präsident aktuell wohl für sich entscheiden können.
Cemal Kemal Altun nahm sich am 30. August 1983 durch einen Sprung aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts das Leben. Damit wollte er seiner Abschiebung in die Türkei und der dort drohenden Folter entgehen. Dreizehn Monate Auslieferungshaft und ein zermürbendes Rechtsverfahren machten den »Fall Altun« zum Symbol der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit bundesdeutscher Ausweisungspraxis. Der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen ermahnte die deutschen Behörden, ihre inhumane Behandlung von Migrant*innen zu beenden. Der Europarat protestierte, und die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg wurde hinzugezogen. In der Bundesrepublik traten Aktivist*innen in Hungerstreik, und etwa 10.000 Menschen setzten ein Zeichen, als sie Altuns Leichenzug durch West-Berlin in einen Protestmarsch verwandelten. Anti-Abschiebe-Proteste nahmen zu und institutionalisierten sich Mitte der 1980er-Jahre in Form von Kirchenasyl, Flüchtlingsräten, Pro Asyl, Fluchtburg-Bewegung, migrantischer Selbstorganisation und antirassistischen Initiativen.
»Es gibt ein Menschenrecht auf Bleiberecht!«, verkündete Sevim Dağdelen, damals Bundestagsabgeordnete für Die Linke, im März 2006. Dabei bezog sie sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall »Sisojeva u.a. gegen Lettland« vom Juni 2005. Es ging dabei um das Ehepaar Svetlana Sisojeva und Arkady Sisojev, die zur Zeit der Sowjetunion Ende der 1960er-Jahre nach Lettland gekommen waren und dort auch eine Tochter bekommen hatten. Ihr Aufenthaltsstatus blieb nach der Unabhängigkeit des baltischen Staates 1991 ungeklärt, da Lettland die Annexion des schon in der Zwischenkriegszeit unabhängigen Landes durch die Sowjetunion 1940 bzw. 1944 nicht anerkannte und die zur Sowjetzeit ins Land gekommenen Personen daher als Ausländer bzw. Staatenlose betrachtete, die gegebenenfalls das Land zu verlassen hätten. Aus einer Binnenmigration wurde somit quasi rückwirkend eine internationale Migration. In ihrer Beschwerde beim EGMR machte die Familie geltend, dass der lettische Staat durch seine Weigerung, ihren Aufenthaltsstatus zu regeln, ihr Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK) verletze. Der EGMR schloss sich mehrheitlich dieser Auffassung an, woraus die Bundestagsabgeordnete Dağdelen folgerte: »Es gibt – unter bestimmten Bedingungen – ein Menschenrecht auf Bleiberecht, das der ausländerrechtlichen Allmacht der Nationalstaaten Grenzen setzt. Dieses Recht steht auch nicht im ›humanitären Ermessen‹ der Behörden. Es gilt absolut!«
Im Dezember 2020 gab der schwedische Möbelhersteller IKEA bekannt, die weltweite Distribution seines gedruckten Warenkatalogs nach 70 Jahren einzustellen. Im deutschsprachigen Feuilleton wurde diese Nachricht zum Ereignis: »Auch das noch: Den IKEA-Katalog gibt’s nur noch digital«, stellte Jens Jessen in der »ZEIT« leicht ironisch fest. Angesichts der Unsicherheiten, die von der globalen Covid-19-Pandemie ausgingen, schien im nun umso wichtiger gewordenen Bereich des Wohnens eine weitere Konstante des Alltagslebens wegzubrechen. Der ausbleibende Katalog veranlasste einige Kommentator*innen zu sehr persönlichen Formen der Anteilnahme und Abschiedsbekundung. Mitunter ließen diese, nostalgisch gefärbt, das eigene Erwachsenwerden Revue passieren – schließlich waren die IKEA-Kataloge in den Industriestaaten weltweit ein Teil davon. So erscheint der Möbelkatalog als Medium zum Träumen, als warenästhetischer Coming-of-Age-Roman, der Jugendliche im Akt des Durchblätterns von Erwachsenenleben und Unabhängigkeit fantasieren lässt; als Schwelle in eine selbstständige, bessere Zukunft: »Du warst das Fenster, das reale Einrichtungshaus die Tür.« Das IKEA-Du, das in den Katalogen und Einrichtungshäusern propagiert wird – die Bundesrepublik hat es dankend umarmt und vielfach verflucht.