21. Jahrhundert
Refine
Year of publication
Document Type
- Journal Article (126)
- Online Publication (85)
- Part of a Book (7)
- Book (1)
Is part of the Bibliography
- no (219) (remove)
Das westdeutsche Abschieberegime entstand im Kontext der Problematisierung von People of Color, die seit 1950 in die Bundesrepublik einreisten, um dort ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen. Die junge Republik lud Menschen aus sich dekolonisierenden Ländern zunächst ein, um sich von der Rassenideologie des National- sozialismus zu distanzieren und sich gegenüber dem Sozialismus zu profilieren. Dabei bestand jedoch weiterhin die im Kern völkische Prämisse, dass People of Color nicht langfristig bleiben sollten. Die Herstellung ihrer Rückführbarkeit manifestierte sich in der Rechts-, Verwaltungs- und Betreuungspraxis lokaler Behörden und Wohlfahrtsverbände, wodurch diese Prämisse in das Ausländergesetz von 1965 einging. Das Gesetz machte insbesondere »außereuropäische« Migrant*innen abschiebbar, denen es pauschal kriminelle Täuschungsabsichten und extremistische Politisierung unterstellte. Es verrechtlichte zudem eine pseudomoralische Rückkehrpflicht von People of Color unter Verweis auf ihren Entwicklungsauftrag in den Herkunftsländern und auf tradierte Geschlechterrollen. Diese Normen waren in der Bundesrepublik permanent abrufbar und wurden sukzessive auf andere Migrant*innen angewandt.
Cemal Kemal Altun nahm sich am 30. August 1983 durch einen Sprung aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts das Leben. Damit wollte er seiner Abschiebung in die Türkei und der dort drohenden Folter entgehen. Dreizehn Monate Auslieferungshaft und ein zermürbendes Rechtsverfahren machten den »Fall Altun« zum Symbol der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit bundesdeutscher Ausweisungspraxis. Der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen ermahnte die deutschen Behörden, ihre inhumane Behandlung von Migrant*innen zu beenden. Der Europarat protestierte, und die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg wurde hinzugezogen. In der Bundesrepublik traten Aktivist*innen in Hungerstreik, und etwa 10.000 Menschen setzten ein Zeichen, als sie Altuns Leichenzug durch West-Berlin in einen Protestmarsch verwandelten. Anti-Abschiebe-Proteste nahmen zu und institutionalisierten sich Mitte der 1980er-Jahre in Form von Kirchenasyl, Flüchtlingsräten, Pro Asyl, Fluchtburg-Bewegung, migrantischer Selbstorganisation und antirassistischen Initiativen.
Die erstmalige persönliche Teilnahme des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an der diesjährigen UN-Vollversammlung 2023 in New York und an einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats haben die Abwesenheit des von ihm angesprochenen Gegenübers, des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sichtbar gemacht – eine Leerstelle, die aufgrund der Forderung des russischen UN-Botschafters, dem ukrainischen Präsidenten das vorgesehene Eröffnungsstatement der Sicherheitsratssitzung im letzten Moment zu entziehen, noch deutlicher wurde. Nach der Annexion der Krim hatte sich Putin 2015 noch mit einer Rede an die 70. UN-Generalversammlung gewandt, in der er unter anderem auch den Krieg der Separatisten im Donbas gegen die Ukraine zu rechtfertigen suchte. Den Wettbewerb um die globale Medienöffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit Wladimir Putin mit dem Besuch des wieder ernannten chinesischen Außenministers Wang Yi im Kreml am selben Tag zu gewinnen versuchte, hat der ukrainische Präsident aktuell wohl für sich entscheiden können.
Der chilenische Architekt Miguel Lawner (geboren 1928) ist ein engagierter und leidenschaftlicher Vertreter der vom „Bauhaus“ inspirierten Ideen der Sozialen Architektur. Seit den 1950er Jahren setzt er sich für das Recht auf Wohnraum und würdiges Wohnen ein und beteiligt sich an sozialen Bewegungen.
Jenseits der Binaritäten von zwei Geschlechtern, zwei Gendern und zwei möglichen Strukturen des Begehrens versteht dieser Beitrag Queerness als ein Netz, in dem alle Aspekte des Begehrens und der Sexualität, einschließlich der Hegemonie der Heteronormativität, miteinander in Beziehung stehen und fließend ineinander verwoben sind. Ich verwende ‚Queer‘ hier als ein analytisches Konzept, um auf nicht-heteronormative Strukturen des Begehrens und der Sexualität zu verweisen, ohne mich auf die Kategorien der Vergangenheit festzulegen. Mit anderen Worten: Ich versuche, der Fluidität, die queere Theorien betonen, treu zu bleiben. Queer wird hier nicht nur gedacht als ein Oberbegriff für alle Formen gleichgeschlechtlichen Begehrens und geschlechtlicher Nonkonformität. Vielmehr verwende ich queer um Identitätszwängen zu entrinnen, und so in den Archiven auch Stimmen zu finden, die sich nicht unter den je zeitgenössischen Begriffen subsumieren lassen.
Historische Erzählungen und Kunstwerke von und über LSBTIQ*s sind in deutschen Museen immer noch unterrepräsentiert. Sind sie doch vorhanden, ist die Darstellung oft einseitig. Wahrlich queere Zugänge zu Ausstellungen und musealen Sammlungen sind noch rarer gesät. Wo das Problem liegt und wie geglückte Versuche aussehen können, davon erzählt dieser Essay.
Das neu entflammte öffentliche und zeithistorische Interesse an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation Ostdeutschlands nach dem Zusammenbruch der DDR kommt bisher meist ohne Seitenblicke auf die parallelen Entwicklungen in Ostmittel- und Osteuropa aus. Vielmehr wird die Frage, wie die DDR nach 1989/90 zu „Ostdeutschland“ wurde, immer noch im Wesentlichen innerhalb eines deutsch-deutschen Bezugsrahmens diskutiert. Seine neuerliche Brisanz gewinnt dieser unverkennbar aus der Gegenwart, in der viele westdeutsch Sozialisierte „den Osten“ aufs Neue zur hoffnungslosen Problemzone der ansonsten gefestigten bundesdeutschen Demokratie stilisieren. Dagegen greifen nicht wenige Ostdeutsche zur Selbstviktimisierung als identitätspolitischer Strategie und glauben, in der Treuhand jene Übeltäterin ausgemacht zu haben, die für alle Verletzungen der ostdeutschen Seele verantwortlich zu machen sei.
Im Jahr 2020 soll nach aktuellem Zeitplan das Humboldt Forum eröffnen – sollten bis dahin alle technischen Probleme gelöst sein. Damit würde nach über sechs Jahren Bauzeit das rekonstruierte Berliner Schloss der Öffentlichkeit übergeben. Mit der (teilweise) wiederhergestellten Hohenzollernresidenz kehrte dann nicht nur eines der markantesten Bauwerke in die historische Stadtmitte zurück. Im 30. Jahr der deutschen Einheit erhielte Berlin endlich jenes lang ersehnte Symbol, das die „neue“ Bundesrepublik und ihre Hauptstadt für alle Welt sichtbar an preußische Traditionen rückbinden soll: die der Aufklärung, der Toleranz und des Humanismus. Mit diesem Brückenschlag zum „anderen“ – besseren – Preußen hätte die Suche nach einer vom 20. Jahrhundert möglichst unbelasteten, Identität stiftenden Meistererzählung im Zeitalter „post-murum“ ihr (vorläufiges) Ende gefunden.
Die Umbrüche nach 1989 eröffneten für die niederschlesische Stadt Breslau neue Wege, mit seinem „fremden Erbe“ umzugehen. Nach über 40 Jahren politisch erzwungenen kollektiven Vergessens war das Tabu der multiethnischen und insbesondere deutschen Vergangenheit der Stadt gebrochen. Diese Stadt ist nämlich Teil des Gebietes, welches von einer massiven Zwangsmigration betroffen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als entsprechend den Bestimmungen der Potsdamer Konferenz 1945 die Grenzen europäischer Nationalstaaten neu gezogen wurden, folgte die „Umsiedlung“ von zwölf Millionen Menschen. Weite Teile multiethnischer Grenzgebiete, die für Zentral- und Osteuropa vor dem Zweiten Weltkrieg typisch waren, sollten von da an unter dem kommunistischen Diktat, zu monoethnischen Staaten werden. Die kulturelle Vielfalt in diesem von Hannah Arendt als „belt of mixed populations“ bezeichneten Territorium war 1989 nahezu vollständig homogenisiert worden.
Die Industriestadt Schlobin (Gebiet Homel) liegt im Südosten der Republik Belarus und galt im August 2020 als eine der Hochburgen der Protestbewegung gegen das Lukaschenka-Regime. Zwei der vielen Schlobinern und Schlobinerinnen, die sich gegen die Diktatur auflehnten, waren der 18-jährige Jauhen Kachanouski und der drei Jahre ältere Dzmitryj Hopta. Am 5. Februar 2021 wurden sie wegen Beteiligung an „schweren Unruhen“ und „Widerstand gegen die Miliz (Polizei)“ vom Rayongericht Schlobin zu einer Haftstrafe verurteilt: Kachanouski, der noch im August festgenommen worden war, soll dreieinhalb Jahre im Gefängnis verbringen; Hopta, der vor dem Prozess auf freiem Fuß geblieben war, zwei Jahre. Obschon Hopta milder als Kachanouski bestraft wurde, rückte vor allem der 21-jährige Schlobiner ins Blickfeld belarusischer Medien: Die in Schlobin als regimetreu und hart bekannte Richterin Iryna Pradun stellte sich auf die Seite des wenig überzeugenden Staatsanklägers Andrej Anoschka, der die drastischen Haftstrafen für die Angeklagten (dreieinhalb Jahre für Kachanouski und zweieinhalb Jahre für Hopta) gefordert hatte. Während Kachanouski seine Schuld bestritten und außerdem über polizeiliche Folter berichtet hatte, zeigte sich Hopta reumütig, wodurch seine Haftstrafe etwas verkürzt wurde. Hoptas geistige Behinderung und die Tatsache, dass sich der Beschuldigte seit Jahren in psychiatrischer Behandlung befindet, wurden hingegen außer Acht gelassen.
Ist der Fall Hopta eher ein Betriebsunfall der „übereifrigen Provinzjustiz“ oder verdeutlicht er vielmehr, dass die belarusische Diktatur in ihrer Repressionspolitik eine weitere rote Linie überschritten hat? Welche Rolle spielen Menschen mit Behinderung im Kontext der Protestbewegung? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrages.