Afrika
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Im Frühjahr 2020 tauchten die Begriffe »Postkolonialismus«, »postkoloniale Theorie« und verwandte Kategorien mit ungewohnter Dichte in den deutschen Feuilletons auf, waren Gegenstand von Streitgesprächen im Radio und aufgeregten Twitter-Kommentaren. Zentraler Anlass für die ambivalente Hausse des Postkolonialismus war die Erklärung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, der Kameruner Historiker Achille Mbembe sei wegen antisemitischer Positionen als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale »nicht geeignet«. Daraus entwickelte sich eine heftige und durchaus verwirrende Debatte, in der Klein und gleichgesinnte Mbembe-Kritiker*innen des Rassismus und McCarthyismus gescholten wurden, während andere anhand weniger Passagen aus Mbembes umfangreichem Werk nicht nur darauf insistierten, er sei Antisemit und »Israel-Hasser«, sondern zugleich die »postkoloniale Theorie« anprangerten, als deren wichtiger Vertreter Mbembe gilt. Irritierend daran war nicht allein der Gestus, mit dem beispielsweise so mancher Journalist auftrat, als sei er der erste, der Kritik am Postkolonialismus oder an Mbembe übe. Insgesamt fiel zudem auf, wie sehr die Debatte auf einer bestenfalls oberflächlichen Lektüre relevanter Texte basierte. Dies galt zum Teil auch für jene, die etwa die Antisemitismusvorwürfe gegen Mbembe vehement ablehnten. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, die in der Öffentlichkeit rasch zu einer der führenden Verteidiger*innen Mbembes aufstieg, gestand zunächst freimütig ein, sie könne seiner Theorie eigentlich gar nicht so richtig folgen.
»Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.« So lautet das letzte der 1958 von Walter Ulbricht verkündeten »Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik« (auch: »Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen«), die von 1963 bis 1976 Teil des SED-Parteiprogramms waren.1 Die sozialistische Variante der christlichen Zehn Gebote findet sich häufig auf der ersten Seite von »Brigadetagebüchern«, die Beschäftigtenkollektive in der DDR und in anderen staatssozialistischen Ländern verfassten. Über die Grenzen der DDR hinaus stellten auch »Freundschaftsbrigaden« der Freien Deutschen Jugend (FDJ) solche Brigadetagebücher zusammen, um ihre Aufenthalte in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu dokumentieren. Diese Quellen geben einen wertvollen Einblick in die sozialistische Globalisierung und deren Alltagspraktiken.
Emmanuel Macron ist nicht nur der erste französische Präsident, der nach der Kolonialzeit seines Landes geboren wurde, sondern auch der erste, der unumwunden von einer Kolonialschuld spricht und bereits 2017 – unter zum Teil heftiger Kritik – sein Vorhaben andeutete, Rückführungen von Kulturobjekten in ihre Herkunftsländer im Globalen Süden anzuregen. Nach seiner Wahl beauftragte er die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Intellektuellen Felwine Sarr damit, einen Bericht zu verfassen, der darlegen sollte, wie ein solches Verfahren gelingen kann.
Im Gegensatz zu Deutschland ist auf politischer Ebene in Frankreich also recht viel in Bewegung. Allerdings ist die Resonanz aus der Bevölkerung – wiederum anders als im deutschsprachigen Raum – zurückhaltender, wie Bénédicte Savoy im Gespräch mit Gabriele Metzler berichtet. Das Videointerview war Teil der Vorlesung Der lange Nachhall des Kolonialreichs. Deutsche Geschichte im europäischen und globalen Kontext seit 1919, die Metzler im ersten pandemiebedingt digitalen Universitätssemester, dem Sommersemester 2020, an der Humboldt-Universität zu Berlin hielt. Mit freundlicher Genehmigung der Gesprächspartnerinnen durfte es an dieser Stelle veröffentlicht werden.
In den vergangenen Jahren hat das Thema der Translokation von Objekten, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Verlagerung von Kunstwerken, und der Frage ihrer Restitution eine stärkere Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung erhalten. Mit „Beute. Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe“ gesellt sich nun eine Übersicht der visuellen Repräsentation von Kulturgutverlagerungen unter asymmetrischen Machtverhältnissen und deren Folgen zum größer werdenden Reigen von Publikationen zu diesem Themenkomplex hinzu. Der „Bildatlas“, zusammen mit einer Anthologie von Texten zum Thema, ist die erste Publikation der Ergebnisse des von 2017 bis 2020 von Bénédicte Savoy an der Technischen Universität in Berlin geleiteten Forschungsclusters translocations – Historical Enquiries into the Displacement of Cultural Assets.
Eine Mutter mit Kind. Den Blick gesenkt, hat sie ihre Aufmerksamkeit in diesem Moment ganz auf den kleinen Sohn gerichtet. Fest hält sie ihn im Arm, so als befürchte sie, dass ihr jemand ihr Ein und Alles nehmen könnte. Um sie herum verschwimmt die Welt in Dunkelheit. Es ist eine Szene voller Trauer und Hoffnung zugleich, ein würdevoller Augenblick, der in seiner Intimität fast spirituell anmutet – und das überlebensgroß. Festgehalten hat ihn der haitianisch-spanische Street-Art-Künstler Axel Void (bürgerlich: Alejandro Hugo Dorda Mevs) auf 9 mal 9 Metern Fläche einer Gebäudefassade direkt am River Irwell, der Stadtgrenze zwischen Manchester und Salford in Englands Nordwesten. Sein Werk, sagt der Künstler, sei den einfachen Leuten gewidmet, „those with nothing who gave their everything”. Gemeint seien all jene, denen (staatliches) Unrecht widerfuhr: Mutter und Kind stünden als Symbol für die Zehntausenden, „who came to St Peter’s Field that day”. Worauf sich Void dabei konkret bezieht, wird anhand eines Wortes klar, das er quer über sein Bild geschrieben hat: Peterloo.