1900-1945
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Am Beispiel Hamburgs wird untersucht, wie die Geräusche einer bedeutenden Hafenstadt auf die einheimische Bevölkerung und auf Besucher wirkten. Die Klänge der Schiffssirenen, mitunter als „herrlicher Lärm“ bezeichnet, banden die Bewohner emotional an ihre Stadt. Auch bei Auswärtigen hinterließ das akustische und visuelle Erlebnis des Hamburger Hafens einen nachhaltigen Eindruck, nicht zuletzt da Hafengeräusche mit Fernweh und Abenteuerlust assoziiert wurden. Schon seit dem frühen 20. Jahrhundert griffen Massenmedien und Massenkultur die maritime Geräuschkulisse auf. Sehr populär wurde etwa die 1929 begonnene, bis heute fortgeführte Radiosendung „Hamburger Hafenkonzert“. Auch in Filmen fungierten maritime Klänge als variierende Bedeutungsträger. Während sich die ökonomische und soziale Bedeutung des Hafens für die Stadt Hamburg seit den späten 1960er-Jahren veränderte, werden maritime Sounds und Images auf medialer Ebene fortgeschrieben.
Als das Institut für Zeitgeschichte 2005 ankündigte, dass es in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv und dem Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg eine ambitionierte 16-bändige Quellenedition zur Geschichte des Holocaust starten werde, mögen manche Fachkollegen und interessierte Laien verwundert gewesen sein. Wie zeitgemäß kann ein solches Vorhaben noch sein – angesichts rasanter technischer Veränderungen und damit verbundener Möglichkeiten der Speicherung und Verbreitung von in den Archiven ‚eingelesenen‘ Akten? Demgegenüber lässt sich die Ansicht vertreten, dass die professionelle Durchführung eines derartigen Projekts längst überfällig war. Wie der Mitherausgeber Dieter Pohl treffend argumentiert hat, ist es trotz mancher Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte und ungeachtet aller Widrigkeiten zu einem Paradigmenwechsel gekommen – vor allem in der systematischen Erfassung des erhaltenen Materials durch die internationale Vernetzung verschiedener Forschungsgemeinschaften.
Vor einer Trivialisierung des Holocaust warnend, bezeichnete Claude Lanzmann vor acht Jahren den Regisseur Steven Spielberg als „eine Art big brother der Erinnerung“. Damit gehörte Lanzmann zu einem Kreis von Historikern, Publizisten und Gedenkstättenmitarbeitern, die massive Kritik an Spielbergs ambitioniertem Vorhaben äußerten, weltweit möglichst viele Überlebende des Holocaust zu befragen. Die Gegenstimmen waren vielfältig und bezogen sich unter anderem auf die in den 1990er-Jahren noch gewöhnungsbedürftige Tatsache, dass Spielberg die digitalisierten Videointerviews in einem computergestützten, internetfähigen Riesenarchiv des Holocaust speichern wollte. Zudem bestand die Sorge, Spielbergs Medienpräsenz und erfolgreiche Sponsorenwerbung werde dazu führen, dass anderen, seit Jahrzehnten arbeitenden Oral-History-Projekten keinerlei Förderung mehr zukomme. Beanstandet wurde auch, dass nicht professionell ausgebildete Personen als Interviewer eingesetzt wurden. Wegen der hohen Zahl archivierter Aussagen von Überlebenden werde sich der inhaltliche Fokus von den Getöteten hin zu jenen verschieben, die der Ermordung entgangen waren. So werde die Geschichte des Holocaust als Geschichte eines Triumphs erzählt, die sie historisch nicht sei. Die Interviews seien darauf angelegt, genau jene Gefühle hervorzurufen, die Raul Hilberg für unlauter hielt: „There is nothing to be taken from the Holocaust that imbues anyone with hope or any thought of redemption.“ Tatsächlich kann die Interviewsammlung Spielbergs vielzitierten und wegen seiner Assoziation zu verbrannten Leichen etwas obszön wirkenden Anspruch, „jedes Körnchen Asche“ aufzusammeln, nicht einlösen. Denn diejenigen, die sprechen können, haben, wie Primo Levi es nannte, „den tiefsten Punkt des Abgrunds“ nicht berührt. Deutlich wird jedoch Spielbergs nachdrücklicher, fast obsessiv wirkender Versuch, vergehende Erinnerungen an den Holocaust vor dem Vergessen bannen zu wollen.
Die visuelle Überlieferung aus der Zeit der NS-Diktatur lässt sich nur interdisziplinär erforschen. Die fotografische Massenkommunikation, die im NS-Staat dem Propagan-daministerium unterstellt wurde, kann mit herkömmlichen zeithistorischen Methoden, aber auch mit dem kunstwissenschaftlichen Instrumentarium allein nicht umfassend erklärt werden. Qualitative Ansätze etwa der Kommunikationswissenschaft bieten zusätzliche Möglichkeiten des Erkenntnisfortschritts – nicht zuletzt im Hinblick auf die private Fotografie. Im Paradigma der „Bildwissenschaft“ können sich die Kompetenzen der Einzeldisziplinen neu verbinden und zum differenzierten Verständnis der NS-Herrschaft einen wichtigen Beitrag leisten. Der Aufsatz skizziert zunächst die fotohistorische Erforschung der NS-Zeit seit den 1980er-Jahren. Gefragt wird dann nach der Überlieferungssituation in den Archiven und den Auswirkungen der Digitalisierung. Eine zentrale These lautet dabei, dass sich das Problem der bisher oft mangelhaften Klassifizierung und Erschließung von Fotomaterial durch dessen digitale Zirkulation weiter verschärft.
„Umwelt“ ist in aller Munde. Längst sind es nicht mehr nur die Birkenstock-Sandalen oder „Jesuslatschen“ tragenden „Ökos“, die den Umweltschutz auf ihren Baumwoll- oder Jutetaschen propagieren, sondern es gehört generell zum guten Ton, sich mindestens verbal für den Erhalt einer lebenswerten Umwelt einzusetzen. Umwelt(schutz) ist aus den alltäglichen Praktiken und gesellschaftlichen Diskursen sowie nationaler, internationaler und supranationaler Politik nicht mehr wegzudenken. Die Umweltbewegung erhielt ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts einen solch zentralen Stellenwert, wie es zuvor nur die Arbeiterbewegung und die nationalen Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert vermocht hatten. Dabei hat sich die Umweltbewegung über einen vergleichsweise viel kürzeren Zeitraum konstituiert und eine Vielzahl einflussreicher Institutionen auf allen Ebenen hervorgebracht. Doch welche Möglichkeiten hat die zeithistorische Forschung, um die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte und der Gegenwart unter dem Aspekt „Umwelt“ zu analysieren – jenen Jahrzehnten, die auch als „Ära der Ökologie“ beschrieben werden?
Das Deutsche Historische Museum (DHM) ist Teil einer vernetzten Erinnerungslandschaft, die aus Museen, Gedenkstätten, Mahnmalen und anderen Gedenkorten besteht. Für die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist diese Erinnerungslandschaft nicht nur in Berlin und seinem Umland besonders vielgestaltig. Während die meisten Museen und Gedenkstätten Objekte bzw. Dokumente zu ihrem jeweiligen Spezialgebiet sammeln, hat das DHM den Auftrag, zur gesamten deutschen Geschichte im europäischen Kontext zu sammeln. Da die Bestückung der Dauerausstellung mit Originalen das vorrangige Sammlungsziel ist, wird am DHM nicht ganz so detailliert gesammelt wie an den thematischen Spezialmuseen und Gedenkstätten. Gesucht werden vielmehr aussagekräftige und anschauliche Originale, die einen historischen Sachverhalt exemplarisch verdeutlichen.
Gewalt verstehen
(2008)
Weil sie verletzt und Schmerzen verursacht, ist Gewalt eine fortwährende Irritation, eine Herausforderung für das Verstehen. Deshalb versuchen Historiker, die auf der Suche nach dem Sinn des vergangenen Geschehens sind, Gewalt als Ausnahmehandlung zu rationalisieren, „die Fassungslosigkeit zu domestizieren, sie wegzuerklären“.1 Denn das Verstehen kommt immer dann ins Spiel, wenn man sich nicht mehr im Selbstverständlichen bewegt und sich das Bedrohliche wieder in die vertraute Selbstverständlichkeit einfügen soll.2 Wer im dauerhaften Kriegszustand lebt, wird die Frage nach den Ursachen der Gewalt möglicherweise für überflüssig halten; wer hingegen nur den Frieden kennt, braucht eine Begründung für die Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun. Man könnte auch sagen, dass Historiker Gewalt gewöhnlich als abweichendes Verhalten klassifizieren. Aus dieser Perspektive kommen ihre Fragen. Warum tun Menschen einander verstörende Grausamkeiten an?
Im Sommer 1940 kam es in Moskau zu einer denkwürdigen Begegnung. Stalin hatte erfahren, dass sein Jugendfreund, Sergei Kawtaradze, verhaftet und in ein Lager gebracht worden war. Als er davon hörte, erteilte er die Anweisung, den Freund zu entlassen und ihm eine Wohnung in Moskau zu verschaffen. Eines Abends überkam Stalin das Bedürfnis, ihn zu besuchen. Er befahl seinen Geheimdienstchef zu sich, den Georgier Lawrentij Berija, und gemeinsam fuhren sie zu Kawtaradze. Sie klingelten an der Wohnungstür, und eine Frau, die sich mit den Kawtaradzes die Behausung teilte, öffnete die Tür. Als sie den Diktator und seinen Gehilfen im Hausflur stehen sah, geriet sie außer Fassung. Sie stolperte und fiel rückwärts in den Flur. Berija fing sie auf und sagte: »Warum haben Sie denn Angst vor dem Vater der Völker?« Die Frau antwortete: »Ich dachte, dass das Portrait Stalins auf mich zukommt.«
Noch immer liegen NS- und Genozidforschung weit auseinander – und sind zugleich doch eng miteinander verbunden. Denn zum einen bildet der Holocaust für die Genozidforschung bis heute die Matrix der unterschiedlichsten Typologieversuche. Zum anderen gründet die These von der Singularität des Holocaust notwendig, obgleich meist nur implizit auf dem Vergleich mit anderen Massenmorden. Dennoch arbeiten beide Disziplinen bis heute vielfach nebeneinander her. NS-Forscher ignorieren die Forschungsergebnisse zu den übrigen Völkermorden im 20. Jahrhundert weitgehend und perpetuieren damit die Singularitätsthese durch den eigenen eingeengten, überwiegend nationalgeschichtlich-deutschen Horizont. Die zahlreichen Bücher zu Genoziden basieren hingegen oft auf einem Kenntnisstand des Holocaust, der aus den 1970er-Jahren stammt, und beziehen sich damit sich auf eine gänzlich veraltete Matrix, die wiederum die eigenen Schlussfolgerungen verzerrt.
Fotografien haben für die historische Forschung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dienten sie vormals zumeist der Textillustration, werden sie inzwischen als eigenständige historische Quellen ernstgenommen. Die einschlägigen Publikationen, die sich entweder theoretisch mit der Visual History auseinandersetzen oder aber an konkreten Beispielen sich bildhafter Quellen annehmen, sind kaum mehr zu überblicken. Eine Gemeinsamkeit ist dabei: Nicht mehr nur der Bildinhalt spielt für die Geschichtswissenschaft eine Rolle; gefragt wird auch nach dem Entstehungskontext, der Überlieferung und der Rezeption der Bilder. Damit gerät zugleich die bisher übliche Aufbewahrungspraxis der Fotografien im Archiv in den Fokus: Die meist thematische Ordnung der Materialien lässt häufig keine Rückschlüsse auf diese neuen Fragen zu.
Als sich am 16. Dezember 1943 das „Europakränzchen“ im Hotel Esplanade in Berlin traf, eröffnete Hans Kehrl, Chef des Planungsamts im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, die Sitzung mit einem Rückblick: Er erinnerte an die „Geburt der europäischen Idee [im] Sommer 1940“, bedauerte jedoch, dass die Zusammenarbeit „der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ immer noch zu wünschen übrig lasse. Diese Europa-Rhetorik ist kein Einzelfall, sondern zeigt sich in zahllosen Dokumenten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Das immense Interesse an einer möglichen ‚Neuordnung‘ Europas im nationalsozialistischen Deutschland fand allerdings in der historischen Forschung nach 1945 zunächst keinen Widerhall. Mittlerweile haben die nationalsozialistischen Europavorstellungen mehr Aufmerksamkeit gefunden; entsprechende Quellensammlungen sind jedoch weiterhin rar. In diesem Beitrag werden mit „Anatomie der Aggression“ von Gerhart Hass und Wolfgang Schumann, „Europa und das 3. Reich“ von Hans Werner Neulen sowie „National Socialist Ideas on Europe“ von Michael Salewski drei relevante Zusammenstellungen erläutert und problematisiert.
Das 1951 gegründete Bundeskriminalamt (BKA) rekrutierte seine Beamtenschaft zunächst aus ehemaligen Angehörigen der nationalsozialistischen Polizei. Ein vom BKA 2008 in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse der Aufsatz resümiert und reflektiert, ging drei Fragen nach: Welchen Einfluss gewannen die reaktivierten NS-Polizisten auf Konzeptionen und Praxis des BKA? Wie prägten die Erfahrungen, welche diese Polizisten vor 1945 gemacht hatten, das Amt nach 1945? Wie wurde die NS-Vergangenheit eines Teils der Gründergeneration innerhalb des BKA thematisiert? Während der 1950er-Jahre testeten die ehemaligen NS-Polizisten, inwieweit sie alte Konzepte im BKA würden fortführen können. In den 1960er-Jahren gerieten diese Beamten unter wachsenden Anpassungsdruck. Auf den radikalen Umbau der Behörde in den 1970er-Jahren besaßen sie keinen Einfluss mehr. Letztlich haben die im BKA reaktivierten NS-Polizisten den Rechtsstaat nicht gefährdet; gerade für die Verfolgten der NS-Zeit aber bleiben ihre Nachkriegskarrieren ein Skandal. Von übergreifendem Forschungsinteresse ist dabei die Analyse spezifischer Organisationskulturen und ihrer Transformationen.
Das Thema Migration hat auch in der Museumslandschaft Konjunktur. Auf Konferenzen werden Formen der Erinnerung von Einwanderung diskutiert, Ausstellungen nehmen sich europaweit verstärkt des Themas an, und in neugestalteten oder überarbeiteten Dauerausstellungen wird der Komplex zum integralen Bestandteil musealer Präsentationen. Neben Migration als Thema für das Museum steht dabei zunehmend die Gründung eigenständiger Institutionen im Raum. Der neuartige Typ Migrationsmuseum soll dabei, seinen Vordenkern gemäß, die übergeordnete Relevanz des Themas signalisieren, einen Erinnerungs- und Repräsentationsort schaffen sowie eine Plattform zur Auseinandersetzung über heutige Einwanderungsgesellschaften bieten. Die Gründung solcher Migrationsmuseen betreiben derzeit Initiativen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich.
„Seine Darstellung wird keiner politischen Gruppe der Gegenwart viel Freude machen“, prophezeite Klaus Epstein 1963 in der „Historischen Zeitschrift“. Gemeint war die im Jahr zuvor erschienene Habilitationsschrift des jungen Politikwissenschaftlers Kurt Sontheimer, der sich in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre intensiv mit dem rechten „antidemokratischen Denken“ in der Weimarer Republik auseinandergesetzt hatte. In der Tat: Vor allem national-konservativen Kreisen in Wissenschaft und Publizistik musste Sontheimers Buch ein Ärgernis sein. Sein Gegenstand war eben nicht rein historischer Natur. Das Buch handelte von Deutschlands erstem ernstzunehmendem Experiment mit liberaler Demokratie, das gerade einmal 30 Jahre zuvor gescheitert war. Weimar war - mal mehr, mal weniger evident - integraler Bestandteil des bundesrepublikanischen Erfahrungs- und Deutungshorizonts.
Der erste Bundespräsident Theodor Heuss (1884–1963) gab und gibt nur selten Anlass zu Debatten. Wenn er im Fokus einer kritischen Öffentlichkeit steht, dann meistens wegen seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus vor und nach 1945. Insbesondere seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 im Reichstag sorgte zeit seines Lebens und darüber hinaus für Kontroversen. Aber auch eines seiner erfolgreichsten Bücher brachte ihn immer wieder unter Rechtfertigungsdruck. So hatte ein Verteidiger im Ulmer Einsatzgruppen-Prozess 1958 die Strategie verfolgt, die Angeklagten unter Verweis auf Heuss’ Studie »Hitlers Weg« zu entlasten. Nach seinem Tod lobten manche Historiker den sachlichen Ton und die Hellsichtigkeit dieser Schrift. Horst Möller hingegen wandte 1990 ein, dass Heuss im Kosmos seines bildungsbürgerlichen Denkens die Nationalsozialisten wie politische Gegner, nicht wie politische Feinde behandelt habe, welche die parlamentarische Bühne für die öffentliche Auseinandersetzung abschaffen und ihre Widersacher vernichten wollten. Andere kritisierten Fehleinschätzungen oder sahen im Buch gar »eine Stimme für Hitler«.
Der Begriff „Imperium“ kehrt verstärkt in den historisch-politischen Diskurs zurück, und wer ihn heute benutzt, redet in der Regel über die Vereinigten Staaten von Amerika.1 Während des Kalten Krieges sprach man von „Blöcken“ oder „Lagern“, doch seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat der Versuch, Geschichte als eine Folge von Großreichen zu denken, spürbar Aufwind. Eine solche Perspektive ist keineswegs neu; vielmehr kann sie auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Klassiker des imperialen Genres ist Edward Gibbons Werk „Decline and Fall of the Roman Empire“ (1776-1788), das man zu seiner Zeit als Kritik an der westlichen Welt und Parabel auf die Krise des britischen Weltreiches lesen konnte.2 Parallel zur Rede über den Niedergang von Imperien diskutierte man seit dem Ende Roms ihre Übertragung. So prophezeite der britische Philosoph George Berkeley bereits 1752 eine transatlantische translatio imperii: „Westward the course of empire takes its way“, schrieb er und meinte die Neue Welt.3 Im 19. Jahrhundert war die Erwartung amerikanischer Größe schon ein Allgemeinplatz des politischen Denkens.4 Mit dem Eingreifen der USA im Ersten Weltkrieg und Woodrow Wilsons Credo, Amerikas Mission sei „to make the world safe for democracy“, endete die von den Gründervätern verordnete Ära der Isolation endgültig. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren die USA eine globale Weltmacht, und seit Ende des Zweiten Weltkrieges überstieg ihre militärische, ökonomische und kulturelle Macht diejenige anderer Nationalstaaten. Hier setzte die gegenwärtige Rede vom amerikanischen Imperium und dem „US-Imperialismus“ ein.
Northeim is a town on the Leine River situated in the hilly region of Lower Saxony between Hildesheim and Göttingen; to historians it is known as the location of William Sheridan Allen’s path-breaking study of the Nazi Machtergreifung. The book was based on a 1962 dissertation at the University of Minnesota, and Allen first published it while at the University of Missouri in Columbia in 1965. Within two years, it appeared in England and was translated into German and French. Allen had settled at the State University of New York in Buffalo by the time I read the second, revised edition (New York 1984), which I used to write this review. In the forty years since its publication, Allen’s readable history became a standard for undergraduates in North America; and his microhistory of the Machtergreifung has been replicated in most German localities. A number of American scholars in particular have followed in Allen’s footsteps: Peter Fritzsche, David Imhoof, Rudy Koshar, and others, including myself. Part of the reason for the interest of American doctoral students in German Mittelstädte is, of course, pragmatic. When one has limited time and money for a research trip abroad, it seems reasonable to select for study an ‘überschaubare’ provincial town. The peculiarities of American culture is surely another reason that historians from the United States look for the German equivalent of ‘middle America’ in what Mack Walker called ‘German home towns’.1 But in the end, German historians from many countries, including Germany, have adopted Allen’s method because close investigations of events ‘on the ground’ offer a necessary balance to modern German histories ‘writ large’.
Längst beerdigt und doch quicklebendig. Zur widersprüchlichen Geschichte der »autogerechten Stadt«
(2017)
Das Automobil steht gegenwärtig wieder einmal im Brennpunkt breiter gesellschaftlicher Debatten um Themen wie Elektromobilität, Car-Sharing, »autonomes Fahren« und verwandte Fragen. Darin kommt ein tiefer Umbruch der automobilen Kultur zum Ausdruck. Wie Konflikte um Fahrverbote in den Innenstädten, den Abriss automobiler Infrastrukturen oder die Erweiterung autofreier Zonen zeigen, erfasst dieser Umbruch auch und gerade die (großen) Städte. Vor dem Hintergrund eines sich andeutenden Abschieds von der Automobilität der Hochmoderne in den metropolitanen Räumen Europas und Nordamerikas gewinnt auch die retrospektive Reflexion über Entwicklungslinien und Wendepunkte der Raumentwicklung im Zeichen des Automobils in »seinem« 20. Jahrhundert stark an Interesse. Dies gilt umso mehr, als der epochemachende Leitbegriff der »autogerechten Stadt« die Genese und die Probleme städtischer Automobilität mehr verdeckt als freilegt.
Der Wohnungs- und Städtebau der Zwischenkriegszeit bildet ein Paradebeispiel für die Intentionen und Grenzen der frühen Rationalisierungsdiskurse als einem Kernelement des Fordismus. Der Erste Weltkrieg verhalf der Bewegung sowohl in Deutschland wie in Frankreich zum Durchbruch. Während in Frankreich die private Schwerindustrie trotz staatlicher Rahmensetzungen den Takt angab, wurden in Deutschland die ersten Pilotprojekte der Rationalisierung nach 1918 von sozialistischen „Bauhütten“ und den Kommunen realisiert. Die aus Amerika kommenden Konzepte von Ford, Taylor und Gilbreth wirkten als Katalysatoren auf die in Europa entwickelten Ideen. In der Weltwirtschaftskrise zeigte sich, dass die Rationalisierung im Bauwesen die steigenden Zinsbelastungen am Kapitalmarkt nicht ausgleichen konnte. Der Aufsatz vertritt die These, dass ungeachtet nationaler Varianten in Europa insgesamt die „endogenen“ Konzepte und Triebkräfte (wie Erster Weltkrieg, Wohnungsreform und Sozialpolitik) eine deutlich wichtigere Rolle spielten, als es das Schlagwort vom „Fordismus“ anzeigt.
Die Pyrenäen bilden eine natürliche Grenze zwischen Frankreich und Spanien, zwischen dem europäischen Hauptland und der iberischen Halbinsel. Dort, wo sie nicht in den Himmel ragen, in ihren Tälern und auf ihren Passhöhen sowie an den Meeren, waren die Pyrenäen auch stets eine tierra de paso, eine Transitzone. An ihren östlichen Ausläufern gibt es zwei bedeutende Übergänge. Einer liegt im sanften, flachen Tal von La Jonquera und quert die Landesgrenze bei Le Perthus. Der andere kreuzt an der Küste am Coll dels Belitres zwischen Cerbère (Frankreich) und Portbou (Spanien). Daneben und dazwischen durchziehen kleine Wege die Landschaft, offizielle und inoffizielle, Pfade für Schmuggler, Verfolgte, Fliehende. Jede Gegend und jede Route hat ihre Konjunktur. Die Hoch-Zeit dieser Transitlandschaft, als sich die europäische Kriegs- und Verfolgungsgeschichte des 20. Jahrhunderts an dieser Grenze kristallisierte, war zwischen dem Winter 1938/39, als der spanische Krieg mit dem Sieg Francisco Francos endete, und den Jahren 1940/41, bevor im Sommer 1941 die systematische Vernichtung der europäischen Juden begann.