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Da hier die Wandlungen des Revolutionsbegriffes und ebenso die beträchtlichen Kontinuitäten im Revolutionsverständnis in langfristiger Perspektive zu thematisieren sind, werden im folgenden einleitend (I.) die Begriffe von Revolution, wie sie bis zum Januar/Februar 1848 die öffentliche Diskussion bestimmten, vorgestelit. Im anschließenden Abschnitt (II.) wird das allmählich schärfer konturierte Revolutionsverständnis der Zeitgenossen bis Juni 1848 skizziert. Danach wird (III.) ausführlicher dargesteilt, warum und in welcher Weise die Pariser Junirevolution eine nachhaltige Umwertung des Revolutionsbegriffes zur Folge hatte. Besonders in diesem und dem IV. Abschnitt, in dem es um die Ausbildung der Revolutionsbegriffe der verschiedenen politischen Strömungen geht, wird den Verästelungen des Revolutionsbegriffes nachgespürt. In dem Maße, wie die verschiedenen politischen Strömungen sich auskristallisierten und entschiedener voneinander abgrenzten, gewann auch der Revoiutionsbegriff der verschiedenen 'Parteien' an Kontur. Dem Pluralismus der 'Parteien' entsprach eine Pluralität der Revoiu- tionsbegriffe.
Die Revolution ist nicht mehr aufzuhalten: Zehntausend Berliner Bürger strömen am 18. März 1848 friedlich vor dem Stadtschloss zusammen - in hoffnungsfroher Erwartung der Reformen, die der preußische König Friedrich Wilhelm IV. an diesem Tag verkünden würde. Unter anderem soll die Pressezensur aufgehoben werden. Doch vor dem Stadtschloss sieht sich die Menge unerwartet einem gewaltigen Aufgebot an Soldaten gegenüber. Dann lösen sich - ein Versehen - zwei Schüsse. Panik bricht aus, die Menge stiebt auseinander. Nur wenig später errichten erzürnte Arbeiter und Bürger die ersten Barrikaden. Binnen Stunden entlädt sich eine über Jahrzehnte aufgestaute Spannung: Immer wieder waren in Preußen Freiheit und Mitbestimmung in Aussicht gestellt worden, immer wieder harren sich
die reaktionären Kräfte durchgesetzt.
Obgleich der Berliner Handwerkerverein erst 1850 verboten - und 1859 erneut ins Leben gerufen - wurde, beschränken sich die folgenden Ausführungen im wesentlichen auf die Zeit bis Anfang 1848: Mit der Berliner Märzrevolution brach eine neue Zeit an, während der der große Handwerkerverein an Bedeutung verlor. Die über den März 1848 hinausreichenden Wirkungen des Handwerkervereins, seine Bedeutung als Keimzelle der späteren Arbeiterbewegung, werden nur gestreift. In anderer Beziehung wird uns die in dem eingangs zitierten Satz von Born aufgeworfene Frage allerdings näher interessieren: Lange vor der Märzrevolution hatten Vertreter der Obrigkeit den gleichen Verdacht geäußert, bei dem Handwerkerverein handele es sich um einen “Heerd der Hegung und Verbreitung politisch gefährlicher Bestrebungen". Die Frage, warum der Verein von den Behörden dennoch nicht kurzerhand verboten wurde, bedarf der Klärung. In diesem Zusammenhang müssen ferner die Querverbindungen zu liberal- bürgerlichen Vereinen, die in der ersten Hälfte der vierziger Jahre ins Leben gerufen wurden, und zum Bund der Kommunisten wenigstens in groben Zügen nachgezeichnet werden. Schließlich ein terminologisches Problem: Eigentlich müßte man nicht von einem, sondern von vier Berliner Handwerkervereinen in der Zeit des Vormärz sprechen; denn neben dem 'großen' existierten in der preußischen Hauptstadt noch drei kleinere. Allein die Zahl der Mitglieder des ‘großen’ Handwerkervereins (nach seinem Gründer und langjährigen Vorsitzenden auch: Hedemannscher Handwerkerverein genannt) übertraf die der drei kleineren um das vier- bis achtfache. Um ihn geht es in erster Linie: Wenn im folgenden im Singular von 'Handwerkerverein’ die Rede ist, ist stets der große, Hedemannsche gemeint.
Berlin, die "geist- und staubreiche Hauptstadt Preußens", sei, so hat der Schriftsteller Heinrich Bettziech unter seinem Pseudonym "Beta" in einer vor dem Ausbruch der Revolution veröffentlichten Schrift behauptet, moderne Weltstadt und zugleich "ungezogenes Lieblingskind der neueren und neuesten deutschen Cultur und Civilisation".
Die traditionelle Revolutionshistoriographie hat für den deutschen Raum bisher in aller Regel lediglich die beiden Großmächte Preußen und Österreich sowie die deutschen Mittelstaaten, Bayern, Württemberg und vor allem das revolutionsbewegte Baden, seltener die hessischen Staaten, Sachsen oder das Königreich Hannover in den Blick genommen, nur ausnahmsweise die deutschen Klein- und Zwergstaaten. Diese Schieflage ist durch die im Jubiläumsjahr 1988 publizierten Forschungsergebnisse zwar ein wenig austariert worden. Aber auch wenn kleinere Fürstentümer jüngst ihre Revolutionshistoriker gefunden haben, so sind die vielschichtigen Beziehungen, das Spannungsverhältnis zwischen benachbarten Groß- und Mittelmächten einerseits sowie Klein- und Zwergstaaten andererseits für die Jahre 1848/49 bisher kaum untersucht worden.
Die Revolution von 1848/49 ist die einzige geblieben, die gesamteuropäische Dimensionen besaß. Sie erfaßte die Schweiz, Frankreich, alle deutschen Staalen, das dreigeteilte Polen (hiervor allem das preußiscl1e Großherzogtum Posen), sämtliche Landesteile der Habsburgermonarchie, neben dem heutigen Österreich mit dem Zentrum Wien vor allem 'Böhmen und Mähren' (heute Tschechien und Slowakei) sowie die ungarische Reichshälfte, die neben eiern heutigen Ungarn außerdem u. a. Slowenien, Kroatien, Serbien und Transsylvanien (das heutige Rumänien) einschloß. Von der Revolution erfaßt wurde außerdem das 'Königreich' Lombardo-Venetien, das damals gleichlalls zum österreichischen Vielvölkerstaat gehörte, Piemont-Sardinien, die (Groß-)Herzogtümer Parma, Modena und Toskana, der Kirchenstaat und nicht zuletzt das sozialökonomisch besonders rückständige Königreich der beiden Sizilien mit der Hauptstadt Neapel. Weitgehend unberührt von revolutionären Erschütterungen blieben lediglich die beiden konstitutionell-parlamentarischen Monarchien in Belgien und Groß Britannien (damals die 'fortgeschrittensten' politischen Systeme) und das zaristische Rußland, in den Augen der Zeitgenossen der „Hort der Reaktion'. In den Niederlanden und den skandinavischen Staaten kam es mehr zu Reformschüben denn zu 'echten' Revolutionen, in dem seit 1830 selbständigen Griechenland , in Irland und in Spanien nur zu kleineren, lokalen Aufständen.