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Das Revolutionsjahr 1848 markiert den Aufbruch in die Moderne. Nicht zuletzt Berlin wurde zum Schauplatz einer fundamentaldemokratischen Bewegung bis dahin unbekannten Ausmaßes, in Dimensionen, wie sie - so muß man leider ergänzen - in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten in den an traditionsbildenden demokratischen Ereignissen armen deutschen Staaten eine seltene Ausnahme geblieben sind.
It is difficult to state conclusively whether the German revolution of 1848 was a success or a failure. I take a more sceptical view of the positive consequences of this revolution view than many recenbt historians of the period, at least in Germany. In order to explain and substantiate this position, I will begin by outlining a few theses taking a closer look at the character of the German revolution of 1848 and its social and political base. Then I shall discuss the question of the 'success or failure of the revolution' and the long-term effects of the events and developments of the year 1848. In the following I shall concentrate primarily on Prussia as the centre of the later German
Empire, and I shall focus particularly on the situation in the cities.
Die Revolution ist nicht mehr aufzuhalten: Zehntausend Berliner Bürger strömen am 18. März 1848 friedlich vor dem Stadtschloss zusammen - in hoffnungsfroher Erwartung der Reformen, die der preußische König Friedrich Wilhelm IV. an diesem Tag verkünden würde. Unter anderem soll die Pressezensur aufgehoben werden. Doch vor dem Stadtschloss sieht sich die Menge unerwartet einem gewaltigen Aufgebot an Soldaten gegenüber. Dann lösen sich - ein Versehen - zwei Schüsse. Panik bricht aus, die Menge stiebt auseinander. Nur wenig später errichten erzürnte Arbeiter und Bürger die ersten Barrikaden. Binnen Stunden entlädt sich eine über Jahrzehnte aufgestaute Spannung: Immer wieder waren in Preußen Freiheit und Mitbestimmung in Aussicht gestellt worden, immer wieder harren sich
die reaktionären Kräfte durchgesetzt.
Gut einen Monat nach der Märzrevolution, am 20. April 1848, wurde in Berlin ein junger Mann verhaftet. Der junge Mann - sein Name war Gustav Adolf Sehlöffel und er war zu diesem Zeitpunkt ein 19jähriger Student - hatte es damals vor allem als Herausgeber und alleiniger Redakteur einer in hoher Auflage vertriebenen Zeitschrift in der preußischen Hauptstadt zu erheblicher Popularität gebracht. In der zweiten Nummer dieser wie ein Flugblatt vertriebenen Zeitschrift - nach dem Vorbild von Jean-Paul Marats »Ami du Peuple« - Der Volksfreund genannt, hatte Sehlöffel sein politisches Programm zu Papier gebracht, die radikale Version eines Menschenrechts- bzw. Grundrechtekatalogs: »Alle Bürger im Staate sind gleich, Adel und Titel aufgehoben. Weder Glaubensbekenntnis noch Besitz bewirken einen Unterschied der Rechte«, lautete der erste Artikel des Programms. In den folgenden Artikeln verlangte Sehlöffel darüber hinaus die »Aufhebung aller [noch bestehenden] Feudallasten ohne Entschädigung«, uneingeschränkte Presse-, Rede- und Lehrfreiheit, die vollständige Trennung der Kirche vom Staat, die »Einsetzung eines Arbeiterministeriums« sowie eine Gesetzgebung, die »einzig und allein in den Händen des Volkes« ruhe.
Über die Jahrhunderte wurde Arbeit in Europa zur ethischen Pflicht, zum Lebenssinn und zum Menschenrecht aufgewertet. Auf diesem Hintergrund gewann die Kritik an der schlechten Realität der Arbeit im Kapitalismus im 19. Jahrhundert ihre große historische Kraft. Sie verband sich mit der Hoffnung und dem Versprechen, in einer zukünftigen klassenlosen Gesellschaft Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde für alle zu verwirklichen. Der Arbeiter und die Arbeiterklasse galten als Motoren des historischen Fortschritts, als Träger einer historischen Mission, auch und gerade im Bolschewismus. Das 20. Jahrhundert hat diese Hoffnungen weitgehend zerstört. Aber überlebt nicht doch manches davon in der heutigen Arbeitsgesellschaft, die sich derzeit grundlegend verändert und deren Zukunft gestaltet werden kann?
Da hier die Wandlungen des Revolutionsbegriffes und ebenso die beträchtlichen Kontinuitäten im Revolutionsverständnis in langfristiger Perspektive zu thematisieren sind, werden im folgenden einleitend (I.) die Begriffe von Revolution, wie sie bis zum Januar/Februar 1848 die öffentliche Diskussion bestimmten, vorgestelit. Im anschließenden Abschnitt (II.) wird das allmählich schärfer konturierte Revolutionsverständnis der Zeitgenossen bis Juni 1848 skizziert. Danach wird (III.) ausführlicher dargesteilt, warum und in welcher Weise die Pariser Junirevolution eine nachhaltige Umwertung des Revolutionsbegriffes zur Folge hatte. Besonders in diesem und dem IV. Abschnitt, in dem es um die Ausbildung der Revolutionsbegriffe der verschiedenen politischen Strömungen geht, wird den Verästelungen des Revolutionsbegriffes nachgespürt. In dem Maße, wie die verschiedenen politischen Strömungen sich auskristallisierten und entschiedener voneinander abgrenzten, gewann auch der Revoiutionsbegriff der verschiedenen 'Parteien' an Kontur. Dem Pluralismus der 'Parteien' entsprach eine Pluralität der Revoiu- tionsbegriffe.
Im Zentrum dieses Aufsatzes steht die europäische Dimension der Revolution. Sie läßt sich auf knappem Raum freilich nicht gleichmäßig ausleuchten. Ich werde mich auf die städtische Revolution konzentrieren - den für den gesamten Revolutionsprozeß eminent wichtigen Agrarbereich also ausklammern - und hier wiederum vor allem die Entwicklungen und Ereignisse in den drei europäischen Revolutionsmetropolen Paris, Wien und Berlin in den Blick nehmen. Der preußischen Metropole gilt darüber hinaus besondere Aufmerksamkeit, weil sie sich im Revolutionsjahr zur informellen Hauptstadt des 1848/49 staatlich ja nur vorübergehend geeinten Deutschlands mauserte. Die folgenden Ausführungen gliedern sich in acht Abschnitte. Sie beginnen jeweils mit einer These, die dann in mehr oder weniger groben Strichen ausgemalt wird.
Berlin
(1998)
»Der Riß, welcher durch alle unsere gesellschaftlichen Verhältnisse geht«, war in Berlin - so konstatierten kritische Zeitgenossen wie der Frühsozialist Ernst Dronke bereits zu Beginn der vierziger Jahre - viel tiefer, die soziale Polarisierung in der preußischen Hauptstadt weit stärker fortgeschritten als in allen anderen deutschen Städten, von Wien vielleicht abgesehen. Berlin war eine »zweifelhafte Schöne«, eine »Braut der Zukunft«, spöttelte ein anderer demokratischer Zeitgenosse, der Schriftsteller Heinrich Bettziech (der unter seinem Pseudonym >Beta< im Revolutionsjahr als Satiriker zu einigem Ruhm gelangen sollte) gleichfalls um 1845: »Ihr Kostüm ist schäbig-gentil, hier und da äußerst kostbar und glänzend, aber wenn sie den Fuß hebt, kann man die zerrissenen Sohlen bemerken, und der feine Strumpf könnte auch besser gestopft seyn.« Berlin, so Bettziech weiter, oszilliere zwischen zwei Polen, nämlich dem »der Vornehmheit und des Staatsglanzes um das Brandenburger und das Potsdamer Thor herum« und seinem Gegenstück: »Nach den vielen entgegengesetzten Thoren hin breitet sich der viel umfangreichere Pol des Proletariats, des Verbrechens und der Armuth aus, durchspickt von Industrie und Dampffabrikation.«
Die Geschichte der Revolution von 1848 ist auch eine Geschichte des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, in Berliner Perspektive: zwischen Hauptstadt und Provinz. Zwar haben neuere Untersuchungen gezeigt, daß die Agrarbevölkerung keineswegs so konservativ war, wie die traditionelle Revolutionshistoriographie häufig annahm. Namentlich in Schlesien, im Rheinland, in der Pfalz, in den hessischen und den südwestdeutschen Mittelstaaten schlug die demokratische Bewegung auch auf dem Land kräftige Wurzeln. Aus der Sicht der Berliner Zeitgenossen und hier namentlich der demokratischen Bewegung war die „Provinz“ jedoch tiefschwarz. Dieser Eindruck halle durchaus seine Berechtigung. Denn die „rote“ Hauptstadt war gleichsam von einem Ring kleinerer „schwarzer“ Städte umgeben.