1930er
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Vor allem drei Faktoren bestimmten während des "Dritten Reiches" die Struktur der Frauenarbeit: erstens die geschlechtsspezifische, biologistisch begründete Diskriminierung, zweitens der klassenbezogene Aspekt sowie drittens der Rassismus. Zweifelsohne waren alle drei Faktoren für das Verhalten des NS-Regimes gegenüber Frauen und für die Wandlungen der Struktur lohnabhängiger, idustrieller Frauenarbeit während des "Dritten Reiches" relevant. Entscheidend ist jedoch die Frage nach der Gewichtung der drei Faktoren: ...
»Staat« und »Wissenschaft«, die beiden Zentralkategorien des Titels dieses Aufsatzes, scheinen auf den ersten Blick eindeutig. Sie sind es jedoch keineswegs. Bevor auf die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) und ihre Geschichte während des »Dritten Reiches« eingegangen werden kann, soll deshalb zunächst in groben Zügen geklärt werden, was die Begriffe »Staat« und »Wissenschaft« während der NS-Zeit bedeuteten.
In der neueren Forschung zur Geschichte des "Dritten Reichs" hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, daß die Industriearbeiterschaft zwar überwiegend in Distanz zum NS-Regime blieb, jedoch keineswegs rebellisch, sondern eher resigniert bis apathisch auf die tiefgreifenden Veränderungen nach 1933 reagierte. Die Frage, warum dies so war, ist bisher nicht schlüssig beantwortet worden. (...)
Zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft hatten im Gefüge der deutschen Reichsbehörden buchstäblich kaum einen Stein auf dem anderen gelassen: Die Dienstgebäude vieler Reichsministerien in Berlin waren schwer beschädigt und ihre Akten, sofern nicht unter Trümmern begraben oder bei Kriegsende vernichtet, in alle Himmelsrichtungen verstreut. Aber auch im übertragenen Sinne stand am Ende der NS-Herrschaft kaum ein Stein mehr auf dem anderen. Der expandierende Bereich des Autobahnbaus war auf Hitlers Weisung wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machteroberung aus dem Verkehrsministerium ausgegliedert worden. Das Reichsfinanzministerium hatte einen beträchtlichen Teil seines Einflusses auf die Haushalte der einzelnen Ressorts verloren, dem Reichsarbeitsministerium waren Zuständigkeiten in der Arbeitsmarkt-, Lohn- und Wohnungsbaupolitik entzogen worden, und das Reichswirtschaftsministerium hatte Schlüsselbereiche wie die Energiepolitik abtreten müssen. Besonders in den Kriegsjahren büßten nahezu alle Reichsministerien erhebliche Kompetenzen ein, und manchen war am Ende der NS-Herrschaft kaum mehr als eine funktionell entkernte Fassade geblieben.
Der Beitrag verfolgt die Karriere eines Bildes der amerikanischen Fotografin Dorothea Lange, das im März 1936 als Presseaufnahme in Umlauf kam und in der Folge unter dem Titel „Migrant Mother“ zu einer Ikone der Großen Depression in den USA wurde. Das Foto wird hier erstmals im Zusammenhang der gesamten Serie von sieben Aufnahmen analysiert, der es entnommen ist. Ausgehend vom politisch-sozialen Kontext des New Deal leistet der Autor eine ikonographische Analyse; er arbeitet die semantischen Überschreibungen und Adaptionen des Bildes im Verlauf seiner Rezeptionsgeschichte heraus und ordnet das Foto schließlich vier verschiedenen Diskursen zu, die die Semantik der „Migrant Mother“ maßgeblich bestimmt haben. Die historische Bedeutung von Dokumentarfotografie erweist sich dabei im Wesentlichen als eine Funktion der sozialen und diskursiven Praxis ihrer Verwendung.
Russlands Krieg gegen die Ukraine enthüllte nicht nur den imperialen Großmachtanspruch herrschender Eliten in Russland, sondern auch ein generelles kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber Ukrainer:innen. Darüber hinaus beklagen immer wieder Stimmen aus Kasachstan, Georgien und Usbekistan den kolonialistischen Habitus einiger geflüchteter Russ:innen. Diese Einstellungen haben ihre Wurzeln im russländischen Imperium, denn die Revolution und Gründung der Sowjetunion brachen nur bedingt mit dem imperialen Erbe des Zarenreiches. Spätestens seit den 1930er Jahren stand, nach einigem nationalpolitischen Hin- und Her, das russische Volk auch in öffentlichen Diskursen an der Spitze der sowjetischen Völker. In einem kurzen, aber besonders repräsentativen Beispiel möchte ich zeigen, wie in der Zwischenkriegszeit diese Hierarchisierung durch öffentlich publizierte Fotografien suggestiv vermittelt wurde.
Die Geschichte setzt ihre Symbole: „IKW 69“ heißt eines davon und bezeichnet die wohl jüngste Investitionsruine im Lausitzer Braunkohlenrevier, ein Industriekraftwerk in Lauchhammer, das acht der umliegenden Brikettfabriken mit Dampf versorgen sollte. Mitte 1991 wurde der nach drei Jahren fast fertige Bau eingestellt, denn dieser Dampf fand keine Abnehmer mehr: Nach rund einem Jahrhundert endete hier die Brikettproduktion, nicht zuletzt, weil einer ihrer Großkunden, die Kokerei Lauchhammer, die Tore geschlossen hat. Auf andere Art symbolhaft erscheint auch der Wandel der regionaltypischen Textilindustrie, wo sich hinter den bröckelnden Fassaden alter Fabrikarchitektur seit 1990 zunehmend Stille ausbreitete.
Die Diskursgeschichte, die sich im Zuge des linguistic turn auch in Deutschland recht erfolgreich etabliert hat, eröffnet vielschichtige Zugänge, die auch für die Erforschung des Nationalsozialismus und des Holocaust wichtige Impulse zu geben vermögen. Dies gilt etwa für die Rolle von Homosexualitätsdiskursen in NS-Organisationen, für sprachliche Ausformungen genozidaler Gewalt und für narrative (Überlebens-)Strategien von Verfolgten. Besonders deutlich geworden sind die Verbindungen von sprachlichen Praktiken und Gewalt in der Diskussion über die 1995 veröffentlichten Tagebücher des Romanisten Victor Klemperer (1881–1960) aus der NS-Zeit. Diese Tagebücher hatten Klemperer, der den Holocaust in Dresden überlebte, als Vorarbeiten seiner Studie zur Sprache des „Dritten Reiches“ gedient. In dieser bereits 1947 erstmals erschienenen Arbeit argumentierte Klemperer, dass „der Nazismus […] in Fleisch und Blut der Menge […] durch die Einzelworte, die Redewendungen“ übergegangen sei, die ein Großteil der Bevölkerung „mechanisch und unbewußt übernommen“ habe. Während Klemperers Studie gerade in den letzten 15 Jahren wieder verstärkte Beachtung gefunden hat, bleibt ihre bedeu-tendste westdeutsche Parallelarbeit heute auffällig unterbelichtet: das von Dolf Sternberger (1907–1989) federführend konzipierte „Wörterbuch des Unmenschen“.
Der erste Flüchtlingsausweis der Welt war gleich ein Sondermodell: International ausgehandelt, wurde er im Völkerbund 1922 für staatenlose russische Flüchtlinge entwickelt, um eine neue Massenerscheinung im sortie de guerre zu kanalisieren – die von Krieg und Bürgerkrieg, Revolution und Vertreibungen ausgelösten Fluchtbewegungen. Dieses für ganz bestimmte Gruppen reservierte Identitätsdokument war unter Flüchtenden und Exilanten ebenso heiß begehrt wie auch verachtet, denn der während der 1920er-Jahre in mehr als 50 Ländern ausgestellte Pass-Ersatz war in seiner Rechtsqualität äußerst zwiespältig. Das Personendokument soll im Folgenden aus mehreren Forschungsperspektiven knapp beleuchtet werden, um zu einer Historisierung dieser ambivalenten Quelle der internationalen Flucht- und Asylgeschichte des 20. Jahrhunderts beizutragen. Um dieses zweidimensionale »Ding« der Rechtsgeschichte zum Sprechen zu bringen, sind auch Zugänge der Politik- und der Mediengeschichte sowie der Sozial- und der Alltagsgeschichte zu berücksichtigen.
Die volle Entwicklung der (west)europäischen Gesellschaften zu Massenkonsumgesellschaften gehört zu den bedeutendsten sozioökonomischen und soziokulturellen Wandlungsprozessen zwischen dem Beginn der Wiederaufbauära nach 1945 und der europäischen Epochenwende von 1989/90. Während die Entwicklung des Konsums materieller Güter bereits die Aufmerksamkeit zahlreicher Historiker/-innen gefunden hat, findet der Konsum immaterieller Dienstleistungsgüter eher eine stiefmütterliche Betrachtung.
Der Beitrag befasst sich mit dem „Peckham-Experiment“, einem Forschungsprojekt, das in den 1930er- und 1940er-Jahren im „Pioneer Health Centre“ (PHC) durchgeführt wurde, einem Freizeit- und Gesundheitszentrum im Londoner Stadtteil Peckham. Im Fokus der Fallstudie steht die Genese neuen präventionsmedizinischen Wissens und neuer vorsorgebezogener Praktiken. Die beteiligten Experten versuchten, das „natürliche“ Potential von Individuen und die sozialen Beziehungen zwischen Familien zu nutzen, um ein gesundheitsförderliches Verhalten zu stimulieren. Das „Peckham-Experiment“ wird im Kontext der britischen wohlfahrtspolitischen Debatten und der biologisch-medizinischen Theorien seiner Gründungszeit analysiert. Gezeigt wird aber auch, dass der neue, stark auf Selbstverantwortung gerichtete Ansatz des PHC sich zudem aus den spezifischen Herausforderungen der „Laborsituation“ ergab, die im Laufe des Experiments zur Revision interventionistischer Vorannahmen führten. Allerdings waren andere Wissenschaftler skeptisch gegenüber den in Peckham gewonnenen Erkenntnissen. Zudem ließ sich das PHC nicht in den neuen „National Health Service“ integrieren. Beides bewirkte 1950 letztlich die Schließung des Centres.
Im März 1933 überfiel die SA das Amts- und Landgericht in Breslau. Jüdische Richter und Anwälte wurden, zum Teil unter schweren Misshandlungen, aus dem Gebäude getrieben und in den nächsten Tagen an der Ausübung ihrer Berufe gehindert. Die Justiz reagierte, indem sie ein sogenanntes Justitium verhängte: Für die Dauer von fünf Tagen wurden alle Termine abgesagt und alle Verfahren ausgesetzt. Im Rückblick stilisierten Zeitzeugen dieses Ereignis zum Streik. Der Beitrag skizziert zunächst die jahrhundertelange Rechtsgeschichte des Justitiums, das sich noch heute in der Zivilprozessordnung findet. Untersucht werden dann die näheren Umstände und Folgen der Breslauer Vorgänge von 1933. Dabei zeigt sich, dass der »Stillstand der Rechtspflege« tatsächlich kein Akt des Widerstandes gegen äußere Repression ist, sondern vielmehr ein juristischer Selbstbetrug: Auf die Gefahr von Rechtlosigkeit antwortet das Recht einfach mit dem Rekurs auf vorhandenes juristisches Vokabular, um eigene Handlungsfähigkeit zu suggerieren und selbst rohe Gewalt als Rechtszustand zu definieren.
„Anarchie der Zellen“.
Geschichte und Medien der Krebsaufklärung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Am Beispiel des Films „Krebs“ (1930) wird die historische Bedeutung und Funktion von Filmen im Rahmen der Gesundheitsaufklärung analysiert. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert und verstärkt durch den Ersten Weltkrieg etablierten sich in verschiedenen Ländern Kampagnen zu medizinischen und hygienischen Themen. Neben Plakaten und Ausstellungen erschienen Filme als ein ideales Medium der Wissensvermittlung. Die Filme verknüpften Inszenierungen von Wissenschaft mit gesellschaftspolitischen Visionen und Aufforderungen für das individuelle Verhalten. Ein zentraler Akteur war dabei – vor und nach 1945 – das Hygiene-Museum in Dresden, das unter anderem den Film „Krebs“ produzierte. Die Argumentationsstrategien dieses Films werden hier näher untersucht, um damit einen Einblick in die Entstehung der Wissensgesellschaft im 20. Jahrhundert zu geben. Der Aufsatz verbindet medizin-, medien- und museumsgeschichtliche Zugänge mit Fragen der Körpergeschichte und des social engineering.
Der polnische Antiliberalismus der 1920er- und 1930er-Jahre versteckte sich in den Formen des polnischen „Patriotismus“, des klassischen „Unabhängigkeitskämpfers“, in dem Wunsch, staatliche Souveränität durch Teilföderationen mit den Nachbarländern abzusichern. Politische Eliten im Polen der Zwischenkriegszeit haben keine Alternative dazu gesehen, mit Europa anders zu sprechen als aus der Position eines „starken“ Partners. Und diese Position glaubten sie nicht durch demokratische Reformen erreichen zu können, nicht durch einen liberalen Umgang mit den Minderheiten, nicht durch bilaterale oder transnationale Zusammenarbeit, sondern durch die Wiederbelebung der Idee der multinationalen Jagiellonischen Union. Sie war ihnen als „Vorstufe“ einer europäischen Integration genug. Näher erläutert werden zwei konkurrierende Varianten der antiliberalen Grundtendenz: Roman Dmowskis nationalistischer, pro-westlicher Entwurf einer mitteleuropäischen Föderation sowie Jozef Piłsudskis autoritärer Entwurf eines slawischen Großraums zwischen Deutschland und Russland.
Das Tagebuch des bulgarischen Kommunisten und Komintern-Vorsitzenden Georgi Dimitrov (1882-1949) gehört zu den erst in jüngerer Zeit zugänglich gewordenen Quellen, die Stalin jenseits historisch tradierter Klischees und der zumeist spekulativen Persönlichkeitsskizzen der älteren westlichen Literatur als einen Menschen mit konkret benennbaren Charakterzügen zeigen und darüber hinaus ein anschauliches Bild der Umgangs- und Kommunikationsformen in seinem Umfeld vermitteln. Bis 1991 im Archiv der Kommunistischen Partei Bulgariens aufbewahrt und unter Verschluss gehalten, zählt Dimitrovs Tagebuch, das die Jahre 1933 bis 1949 umspannt, zu den vielen archivalischen und sonstigen Quellen, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Ost- und Südosteuropa von der Geschichtswissenschaft erschlossen und zum Teil durch Editionen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. Das internationale Interesse an Dimitrovs Aufzeichnungen war so groß, dass die bulgarische Ausgabe (1997) wahlweise ganz oder in Auszügen ins Deutsche, Französische, Englische und Italienische übersetzt wurde.
Am 17. November 1922 erschien in der Wiener Tageszeitung „Neue Freie Presse“ ein „Vorschlag“, den man schon zwei Tage davor in der „Vossischen Zeitung“ hatte lesen können. Der Artikel stammte von Richard Coudenhove-Kalergi und bot eine pointierte Zusammenfassung seines wenig später erscheinenden Bandes „Pan-Europa“. Das Ziel des Autors: Europa solle sich zu einer politischen Einheit zusammenschließen.
Rereading a book is always an uncanny experience in multiple temporalities. If the linguistic turn has taught us anything, it is that the context of reading shapes the meaning of the text that is read. The historicist impulse to reconstruct the original context on the basis of the text itself is at best an asymptotic, at worst a quixotic, pursuit. Yet texts remain, some more so than others. Those texts which continue to be read and reread long after their original context has passed we call ‘classics’. This is a term most frequently applied to literature, of course, but also to philosophy and other scholarly works animated by a generalising impulse. It pertains to works, in other words, which lay claim to a significance transcending their original context. It is rarely applied to works whose principle value is empirical or narrowly scholarly. These are presumed to be only temporarily useful interventions into an ongoing scholarly debate, in which later works draw on and ‘supersede’ the insights of earlier ones, rendering their predecessors superfluous. (Rather the reverse of Jove and his children.) Consequently, relatively few works of historical scholarship are considered classics in the full sense. History’s emphasis on the particular, its frequent skepticism of theoretical generalisations, and its embrace of archival empiricism have all tended to preclude the emergence of a broad canon of ‘historical classics’. There have, however, been exceptions to this rule.
Urban Eyes. Deutschsprachige Fotograf:innen im New Yorker Exil in den 1930er und 1940er Jahren
(2023)
New York: Faszinosum – Freiheit – Vielfältigkeit – Überwältigung – Chaos – Orientierungslosigkeit. So in etwa erging es in den 1930er und 1940er Jahren auch jenen deutschsprachigen Fotograf:innen, die sich nach der Passage in die Emigration auf den Straßen in der US-amerikanischen Metropole wiederfanden. Die Großstadt war einigen von ihnen durch Medien der Weimarer Republik bekannt. Ihre Ankunft fand jedoch nicht im Kontext einer Reise statt, in der Sightseeing an erster Stelle stand.
Die Meinungen über das zweibändige, unabgeschlossene Werk des protestantischen Tübinger Kirchenhistorikers gehen auseinander: Für manche ist es eine Meistererzählung, die aufgrund ihrer Brillanz zum Standardwerk avancierte, trotz ihrer mehr als 1.200 Seiten umgehend in englischer Übersetzung erschien und monumentalen Geschichten der NS-Zeit wie jenen von Richard Evans und Hans-Ulrich Wehler zugrundeliegt. Andere sehen darin eine Fülle zugespitzter Thesen, voreiliger Urteile und falscher Zusammenhänge, die sich als nicht stichhaltig erwiesen hätten. Bis heute scheiden sich immer noch die Geister an Klaus Scholders großen Bänden über die Kirchen und das „Dritte Reich“.