Wissen
Few of Hannah Arendt’s declarations have had as enduringly a controversial legacy as the one she gave in her famous 1964 West German television conversation with Günter Gaus, proclaiming uncompromised loyalty to her first language – German – despite Hitler. The statement was misconstrued as a privileging of the language of the perpetrators and expressing a bias against Eastern European Jews. In conversation with the recent ›Taytsh turn‹ (Saul Zaritt) in Yiddish Studies, this article focuses instead on two Yiddish newspaper articles published by Arendt in 1942 and 1944 and explores what I call a ›Taytsh move‹ in Arendtʼs language politics. Taytsh, an alternative name for the Yiddish language meaning, literally, German, foregrounds (Jewish) cultures’ inherent translational mode and interconnectivity with the world that makes and sustains these cultures. Arendt reactivated the inherent unbordered nature of languages – with an awareness of the dangers of monolingualism; for the sake of overcoming reductive constructions of Jewishness and modern identity; against the atomizing forces of fascism.
Als im Herbst 2017 der Berliner Antisemitika-Sammler Wolfgang Haney starb, wurden verschiedene Personen und Institutionen unruhig. Was wird aus der Sammlung? Kommt sie auf den Markt und geht als Gesamtwerk verloren? Welche Akteure und Logiken treten auf den Plan und konkurrieren um die ganze Sammlung oder um Einzelobjekte? Werden die Dauerleihgaben, die in großen Museen gezeigt werden, auf der Stelle zurückverlangt? Gibt es für öffentliche Einrichtungen Handlungsspielraum? Können, dürfen, sollen Steuergelder in den Ankauf judenfeindlicher Artefakte fließen? Wie werden sich die Erben verhalten?
»Kern/Schumann I und II« sind wichtige Quellen für den Wandel der Arbeitswelt, allerdings können die Studien aufgrund ihres spezifischen Untersuchungsdesigns nur auf bestimmte geschichtswissenschaftliche Fragen Antworten geben: Sie konzentrierten sich auf Erwerbsarbeit und besonders auf die industrielle Stammbelegschaft. Begrenzt erkennbar sind deshalb Erfahrungen von Migranten und Frauen sowie unterschiedliche Beschäftigungsarten und -bereiche. Hierzu versprechen andere SOFI-Studien mehr Auskunft.[52] Die Vorstellung von »Kern/Schumann I und II« in diesem Beitrag ist verbunden mit einem Plädoyer, die große Vielfalt der SOFI-Studien für Zwecke der Geschichtswissenschaft zu nutzen.
Wann und wie wandelten sich in der DDR-Gesellschaft langfristig politische Einstellungen und Wertorientierungen, wie sie dann 1989 in der Herbstrevolution sichtbar wurden? Anknüpfend an Konrad H. Jarauschs These von der »Umkehr« als fundamentalem Demokratisierungsprozess im geteilten Nachkriegsdeutschland untersucht der Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen der Stellvertreterbefragungen, die das westdeutsche Meinungsforschungsunternehmen Infratest im Auftrag der Bundesregierung von 1968 bis 1989 durchgeführt hat. Befragt wurden westdeutsche Besucher der DDR über die Ansichten eines von ihnen definierten Gesprächspartners im ostdeutschen Staat, den sie besucht und mit dem sie ausführlich gesprochen hatten. Dieser Serie zufolge stand eine breite und wachsende »schweigende Mehrheit« der DDR-Einwohner dem System distanziert gegenüber, war aber weder im westlichen noch im östlichen Sinne besonders ideologisch präformiert. Sie maß die DDR vor allem an ihren praktischen Leistungen im Hinblick auf Lebensstandard und Perspektiven. Das Interesse an Politik sank ab Mitte der 1970er-Jahre, stieg dann aber wieder an und orientierte sich zunehmend an westlichen Politikformen.
In der langen Geschichte technomorpher Modellierungen des Politischen markiert „The Nerves of Government“ einen Paradigmenwechsel. Hatte Thomas Hobbes rund 300 Jahre zuvor das moderne politische Denken mit einer geometrisch-mechanischen Staatsphilosophie begründet, so durfte Karl W. Deutschs umfassende Modellstudie als erster ernstzunehmender Versuch gelten, die in den 1940er-Jahren angestoßene informationstechnische Revolution in ein politisches Vokabular zu übersetzen. Tatsächlich konnte (und wollte) das Ensemble von Begrifflichkeiten, das auf diese Weise Einzug in die politische Rationalität des 20. Jahrhunderts hielt, seine Wurzeln im Feld der Nachrichten- und Regelungstechnik nicht verbergen. Vielmehr bestand Deutschs Grundannahme gerade darin, „daß Regierungsapparate und politische Parteien nichts anderes als Netzwerke zur Entscheidung und Steuerung sind, daß sie auf Kommunikationsprozessen beruhen und daß in gewisser Hinsicht ihre Ähnlichkeit mit der Technologie der Nachrichtenübertragung groß genug ist, um unser Interesse zu erregen“ (S. 211).
Der für uns ungewöhnlich klingende Name „Deutsches Hygiene-Museum“ bezeichnet ein einzigartiges Spezialmuseum in der gegenwärtigen Museumslandschaft. Im Zentrum seiner Arbeit stehen der Mensch und die unterschiedlichen Aspekte des menschlichen Lebens, eingebettet in den natur-, kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Kontext. Doch warum trägt das Museum diesen eigenartigen und belasteten Namen, der museologischen Marketingstrategien so gar nicht entspricht und die heutigen Ausstellungsinhalte höchst unvollständig beschreibt? Dies ist nur aus der Geschichte des Museums und seiner Themen zu erklären.
Computerliebe. Die Anfänge der elektronischen Partnervermittlung in den USA und in Westeuropa
(2020)
Lange vor der Ära des Online-Datings begannen Heiratsagenturen und Partnerschaftsvermittlungen in den USA und in Europa den Computer einzusetzen, um die Märkte der »einsamen Herzen« zu erobern. Der Beitrag untersucht die Geschichte dieser elektronischen Kontaktvermittlung zwischen den 1950er- und den 1980er-Jahren. Wie änderten sich Vorstellungen von Liebe, Partnerschaft und Ehe im Zeitalter der »technokratischen Hochmoderne«? Und welche Rolle spielte der Computer dabei als »Elektronen-Amor« und »Matchmaking Machine«? Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte der Rechner zum »wissenschaftlichen« Werkzeug einer Optimierung des Privaten. Dabei reflektierte die Geschichte der elektronischen Partnervermittlung – von der »Eheanbahnung« bis zum »Single-Dating« – einen tiefgreifenden soziokulturellen Wandel. Allerdings gab es zugleich eine erstaunliche Persistenz tradierter Werte und Muster des Kennenlernens. So eröffnete das Computer-Dating einerseits gerade für Frauen neue Wege der Partnerwahl. Andererseits (re)produzierte es soziale, ökonomische, religiöse und kulturelle Trennlinien der Gesellschaft. Die »Algorithmen der Liebe« suchten vornehmlich nach Übereinstimmungen; sie schrieben dabei konventionelle Geschlechterbilder und soziale Rollenzuweisungen fort.
»I Have Diabetes. Am I to Blame?«, fragte Rivers Solomon im Oktober 2016 in der »New York Times«. Der Artikel war von der Redaktion mit »Disability« getaggt worden, und in ihm verschränkten sich die Beschreibungen von erlebten und zugewiesenen körperlichen und mentalen Defiziten. Solomon war 26 Jahre alt, Afroamerikanerin, dick. Sie kritisierte, dass ihre Krankheit anderen deshalb als selbstverschuldet gelte, als Resultat von mangelndem Wissen und Willen.
Ein knappes Jahrhundert zuvor wäre Solomons Erkrankung anders verstanden worden, folgt man Arleen Marcia Tuchmans 2020 veröffentlichter Geschichte von Diabetes in den USA. Tuchman zeigt, dass die Krankheit zwar schon am Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Folge von übermäßigem Essen und mangelnder Bewegung erklärt, gleichzeitig aber mit spezifischen Befähigungen in Verbindung gebracht wurde. Diabetes galt als typische Krankheit der Erfolgreichen und Modernen. 1936 beschrieb ein Artikel im Magazin »Collier’s« Diabetiker*innen als »bessere Bürger«, die besonders selbstständig und intelligent sein mussten, um ihre Krankheit managen und mit ihr überleben zu können. Galten Afroamerikaner*innen noch zu diesem Zeitpunkt als kaum anfällig für Diabetes (weil sie nicht für »zivilisiert« genug gehalten wurden), wurden sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu typischen Diabetes-Patienten. Die Krankheit wandelte sich zum Zeichen von Verantwortungslosigkeit und ungesundem Lebensstil.
Das Beispiel zeigt, wie historische Phänomene von unterschiedlichen Fähigkeitsnormen durchzogen sind. Im Vordergrund meiner Skizze steht dabei nicht der behinderte oder von Behinderung »bedrohte« Körper. Vielmehr interessiere ich mich für die Geschichte der Normen und Prämissen »fähiger« Körper und Subjekte, die bestimmten Menschen bzw. Menschengruppen zu- oder abgesprochen werden. Die ganz knappe Historisierung von Diabetes steht exemplarisch für den Blickwechsel, der sich mit einer Critical Ability History vornehmen lässt.
Extravagante Danksagungen in literarischen und wissenschaftlichen Büchern werden regelmäßig in den Massenmedien und auf Social Media zur Unterhaltung verbreitet und debattiert. Auch am Beispiel von in Danksagungen nicht erwähnten Mitarbeiter:innen und Ghostwritern werden verschiedene Auslegungen guter wissenschaftlicher Praxis und redlichen Schreibens diskutiert. Für Danksagungen interessieren sich jedoch nicht nur die Massenmedien, sondern erst recht die Wissenschaftler:innen selbst. Zwar sind akademische Danksagungen von der geistes- und geschichtswissenschaftlichen Forschung bisher kaum systematisch untersucht worden. Gleichwohl stellen sie einen von Fachkolleg:innen aufmerksam rezipierten Paratext dar, der ebenfalls der Unterhaltung dienen kann, durch den sie sich aber auch ein Bild vom jeweiligen Autor bzw. von der Autorin verschaffen. Anhand von Danksagungen wird überprüft, in welchen fachlichen Schulen sich die Autor:innen verorten, für welche Unterstützung sie sich bei wem bedanken, welche privaten Ansichten und Angelegenheiten sie preisgeben und inwiefern sie fachliche Konventionen einhalten. Umgekehrt ist dieser prüfende Blick der Kolleg:innen den Verfasser:innen von Danksagungen bekannt. Über die Geste hinaus bieten Danksagungen den Autor:innen daher die Möglichkeit, sich den Kolleg:innen als Wissenschaftler:in und (Privat-)Person zu präsentieren.
Eine aufschlussreiche Debatte um die Frage nach der Beeinträchtigung der deutschen Sprache durch die NS-Zeit fand 1963 in Walter Höllerers zwei Jahre zuvor gegründeter Zeitschrift »Sprache im technischen Zeitalter« statt. Hier wurden drei Beiträge aus dem englischsprachigen Ausland dokumentiert, von denen George Steiners Essay »Das hohle Wunder« besonders heftige Antworten provozierte. Unser Aufsatz rekapituliert Steiners sprachkritische Intervention im Rahmen des damaligen literarischen Resonanzraums und untersucht zunächst Auffälligkeiten der unautorisierten ersten Übersetzung von Steiners Text. Im Zentrum steht dann die Kritik der um Repliken gebetenen Autorinnen und Autoren, unter denen mit Hilde Spiel, Marcel Reich-Ranicki, François Bondy und Hans Weigel mehrere jüdische Persönlichkeiten waren. Wir diskutieren, warum diese dem Befund Steiners widersprachen und ihr Vertrauen in die deutsche Sprache bekundeten. Der Aufsatz schließt mit Wolfgang Hildesheimer, dessen Blick auf das Deutsche als Tätersprache durch seine Arbeit als Übersetzer bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen geprägt war.