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Ist eine Geschichte ohne Dinge vorstellbar? Wohl kaum, denn auch der reine Gedanke benötigt Dinge, will er auf Dauer festgehalten werden. Ist eine Geschichtsschreibung ohne Dinge vorstellbar? Sehr wohl, wenn wir die in Bibliotheken und auf Festplatten angesammelte Geschichtsschreibung Revue passieren lassen. Dieses Dilemma der Diskrepanz zwischen der realen Welt, ihrer Wahrnehmung und der intellektuellen Reflexion betrifft zwar nicht allein die dingliche Dimension historischer Lebenswelten, doch stellt sich die Frage nach der Einbeziehung der materiellen Kultur in die historische Forschung aus mehreren Gründen besonders deutlich.
Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien
(2004)
Anknüpfend an Hans Rothfels` klassische Definition der Zeitgeschichte als ,Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung" wird das Verhältnis der auf analogen Aufzeichnungsverfahren basierenden audiovisuellen Medien zur heutigen Zeitgeschichtsforschung diskutiert. Die Durchsetzung des sozialen Gebrauchs dieser Medien ist Teil des Übergangs zur Konsumgesellschaft im 20. Jahrhundert. Zu fragen ist: Wie verändert sich die Kategorie der ,Mitlebenden", wenn sie als Menschen zu denken sind, deren Realitätsbezüge und Erinnerungen in hohem Ausmaß durch den alltäglichen Gebrauch von audiovisuellen Medien bestimmt sind? Die Ausbreitung dieser Medien beendete die Hegemonie der schriftlichen Kommunikation, die auch der akademischen Disziplin ,Zeitgeschichte' zu Grunde lag. Um ihre gesellschaftliche Kompetenz zu bewahren, muss Zeitgeschichte die audiovisuellen Medien daher umfassend in ihre Praxis integrieren - von der Forschung über die öffentliche Kommunikation bis hin zur Lehre.
Am 1. Oktober 1973 nahmen die Hochschulen (seit 1985 Universitäten) der Bundeswehr in Hamburg und München ihren Lehrbetrieb auf. Hervorgegangen aus jahrelangen Diskussionen über Bildung und Ausbildung in der Bundeswehr, sollten sie allen Offizieren ein vollwertiges wissenschaftliches Studium bieten, um sie für ihre militärischen Führungsaufgaben sowie für den zivilen Arbeitsmarkt nach ihrer Dienstzeit zu qualifizieren. Neben der Attraktivität der soldatischen Laufbahn kamen zwei weitere Argumente hinzu: zum einen die militärische Effektivität unter den Vorzeichen der wissenschaftlich-technischen Systemkonkurrenz im Kalten Krieg, zum anderen die integrative Funktion akademischer Bildung für Soldaten als »Staatsbürger in Uniform«. Erst das Ineinandergreifen dieser drei Argumentationsstränge ermöglichte die Gründung der Hochschulen, gegen die Kritik von konservativen Militärs und aus der Studentenbewegung. Der Aufsatz ordnet die verschiedenen Motivationen für die Akademisierung der Offizierslaufbahn seit den frühen 1960er-Jahren historisch ein und erklärt die Spannungen der Gründungsgeschichte im Kontext der allgemeinen Hochschulexpansion.
Richard Horton, ein britischer Arzt und Chefredakteur der einflussreichen medizinischen Fachzeitschrift »The Lancet«, löste Ende 2012 mit einer Serie von Twitter-Nachrichten eine hitzige Debatte aus. Polemisch zugespitzt kritisierte Horton den schädlichen Einfluss der Ökonomie auf das öffentliche Gesundheitswesen. In zehn Thesen beklagte er, dass die Wirtschaftswissenschaften keine Vorstellung von moralischem Handeln hätten und einem falschen Menschenbild folgten. Die Marktideologie lasse sich nicht vereinbaren mit den Werten, auf denen sozialstaatliche Gesundheitssysteme begründet seien. Auch wenn die Gesundheitsökonomie das Gegenteil behaupte – Gesundheit sei kein ökonomisches Gut. Horton folgerte: »Economics […] may just be the biggest fraud ever perpetrated on the world.«
»In den Musennestern, wohnt die süße Krankheit Gestern« – so schreibt Uwe Tellkamp im pathossatten Roman »Der Turm«, dem literarischen Abgesang auf die DDR. Er schildert darin ein Refugiumsbürgertum, das sich gegen die Zumutungen der DDR in den Villen der Dresdner Elbhänge eingenistet hat – Zumutungen, die nun offenbar mit der DDR nicht untergegangen sind, denn seit einiger Zeit gehört Tellkamp selbst zu einem rechtsintellektuellen Milieu ostdeutscher Neodissidenten, die sich von einem wie auch immer gearteten Mainstream ausgegrenzt fühlen. Sie erinnern an die DDR, beklagen ihr geistiges Exil, und einige von ihnen tragen zur Normalisierung der extremen Rechten in Ostdeutschland bei.
In den 1980er-Jahren erweiterte die In-vitro-Fertilisation (IVF) nicht nur die Möglichkeiten der Familienplanung, sondern eröffnete auch neue, rasch expandierende Forschungs- und Geschäftsfelder für Mediziner in der Bundesrepublik. Die Vermarktlichung der menschlichen Reproduktion war Gegenstand eines breiten Aushandlungsprozesses über das technisch Machbare und das ethisch Vertretbare. Der Aufsatz stellt die Reproduktionsmediziner in den Mittelpunkt: Als Anbieter von innovativen Dienstleistungen verfolgten sie neben einem wissenschaftlichen Fortschrittsstreben auch ökonomische Interessen. Über die Medien sowie als Mitglieder von Ethikkommissionen nahmen sie politischen Einfluss. Sie verstärkten die öffentliche Wahrnehmung der Reproduktionsmedizin und waren an der Erstellung von gesetzlichen Richtlinien für ihr Tätigkeitsfeld beteiligt. Die medial geübte Kritik betonte die Gefahren einer technokratisch-politischen Steuerung und mögliche Kontinuitäten zur NS-Zeit. Mit der Verabschiedung des – im internationalen Vergleich restriktiven – Embryonenschutzgesetzes von 1990 kam die Debatte zu einem vorläufigen Ergebnis, war und ist jedoch keineswegs beendet.
Szenen aus einem Werbeclip sind mit der russischen Invasion Realität geworden: Taxifahrer und Geologiestudenten, Väter und Söhne, Programmierer und Vorarbeiter, Fußballfans und Nachbarn verteidigen mit Waffen ihre Heimat, wo russische Bomben Wohngebiete, Krankenhäuser, Kirchen und Museen treffen. Für Gesellschaften jenseits der Ostgrenze der EU ist es atemberaubend solche Taten anzusehen. Zugleich bemühen sich hier viele, Hilfe zu leisten durch Geld- und Sachspenden, Hilfsdienste an Bahnhöfen und Angebote für die Aufnahme des größten Flüchtlingsstroms, den Europa seit 1945 gesehen hat. Auch die Wissenschaft ist nicht untätig geblieben.
Zugleich hat dies alles historische Dimensionen. Dementsprechend haben Historiker:innen in der Ukraine ein Soundarchiv gegründet, um die Auswirkungen des Krieges in Podcasts zu dokumentieren. Hier spielt das renommierte Center for Urban History in Lwiw eine zentrale Rolle; es sammelt zugleich private Aufnahmen vom Kriegsalltag für sein Urban Media Archive. Und es hat ein Oral History Projekt gestartet, um die Erfahrungen der ersten Kriegstage weiter zu dokumentieren. Aber auch in Kiew und anderen Städten scannen Archivar:innen fieberhaft die Bestände – Bomben- und Granatangriffen zum Trotz.
Dabei ist nicht zu vergessen, dass all diese Menschen nicht nur Kämpfer:innen und Geflüchtete sind. In ihren Heimatstädten stehen Lebensräume, Erinnerungsorte und Gedächtnisspeicher unter Beschuss, die ihr Leben geprägt haben. Sie bei der Bewahrung und dem (Wieder-)Aufbau dieser Speicher zu unterstützen, ist die Kernaufgabe einer europäischen Geschichtswissenschaft.
„Anarchie der Zellen“.
Geschichte und Medien der Krebsaufklärung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Am Beispiel des Films „Krebs“ (1930) wird die historische Bedeutung und Funktion von Filmen im Rahmen der Gesundheitsaufklärung analysiert. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert und verstärkt durch den Ersten Weltkrieg etablierten sich in verschiedenen Ländern Kampagnen zu medizinischen und hygienischen Themen. Neben Plakaten und Ausstellungen erschienen Filme als ein ideales Medium der Wissensvermittlung. Die Filme verknüpften Inszenierungen von Wissenschaft mit gesellschaftspolitischen Visionen und Aufforderungen für das individuelle Verhalten. Ein zentraler Akteur war dabei – vor und nach 1945 – das Hygiene-Museum in Dresden, das unter anderem den Film „Krebs“ produzierte. Die Argumentationsstrategien dieses Films werden hier näher untersucht, um damit einen Einblick in die Entstehung der Wissensgesellschaft im 20. Jahrhundert zu geben. Der Aufsatz verbindet medizin-, medien- und museumsgeschichtliche Zugänge mit Fragen der Körpergeschichte und des social engineering.
Es gibt zahlreiche Gelegenheiten, um festzustellen, dass auch das eigene Selbst – entgegen jeglicher irrationalen Hoffnung – dem Alterungsprozess nicht entzogen ist. Eine Möglichkeit ist die Aufforderung, gut 25 Jahre nach seinem ersten Erscheinen ein Buch zu thematisieren, dessen Erstauflage in der eigenen akademischen Ausbildung nicht ganz unbedeutend war. Es war 1997, als mit Niklas Luhmanns »Gesellschaft der Gesellschaft« ein in mehrerlei Hinsicht schwergewichtiger Block mitten in die allgemeine Theoriediskussion hineinplumpste. Dass dieses Buch in der Erstausgabe mit schwarzem Einband daherkam, erschien mir damals durchaus folgerichtig und erinnerte an den gleichfarbigen Monolithen aus Stanley Kubricks »2001: A Space Odyssey«. Ähnlich Ehrfurcht gebietend gestaltete sich die Lektüre von Luhmanns Hauptwerk, vor allem dem Novizen in Sachen Systemtheorie, der ich damals war.
Ganz gegensätzlich zum teils immer noch lebendigen Vorurteil vom weltfremden Historiker, der lieber in staubigen Archiven wühle als sich im Netz zu tummeln, waren gerade die Geschichtswissenschaften sehr früh dabei, als in den 1990er-Jahren erste Versuche stattfanden, die Potenziale von Netzpublikation und -kommunikation auch für die Geisteswissenschaften fruchtbar zu machen. Viele der damaligen Initiativen haben sich – nicht zuletzt durch das Engagement Einzelner – bis heute gehalten, sich stetig weiterentwickelt und sind inzwischen Plattformen geworden, die wichtige Rollen im Arbeitsalltag der Wissenschaftler spielen, denken wir etwa an „H-Soz-u-Kult“ oder an die „sehepunkte“.