Wissenschaft
Im Mai 2020 haben die Allianz der Gleichstellungsbeauftragten der außeruniversitären Forschungsorganisationen (AGbaF) und die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) eine Umfrage unter den Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen durchgeführt. Anlässe hierfür waren die alarmierenden Befunde über die Verstärkung der strukturellen Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen und weiterer Statusgruppen in den jeweiligen Organisationen seit Beginn der Corona-Pandemie sowie das Sammeln von Daten zur Impulssetzung im Rahmen eines gemeinsam geplanten Online-Meetings. Ziel der im Mai 2020 lancierten Umfrage war es, durch standardisierte Nachfragen und damit quantifizierbaren Rückmeldungen eine solide Datenbasis aus den jeweiligen Organisationen zur Gleichstellungssituation und eine Grundlage für gleich- stellungsorientierten Handlungsbedarf zu erhalten.
381 Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen erhielten einen kurzen Fragebogen zu ihrer Einschätzung der Lage hinsichtlich der Verstärkung struktureller Nachteile für Frauen in wissenschaftlichen Kontexten in Zeiten von Corona und den sich daraus ergebenden Herausforderungen für die Gleichstellungsarbeit. Der Rücklauf lag mit 210 ausgefüllten Bögen bei 55%. Es beteiligten sich 18 Universitäten, 13 Fachhochschulen / (Fach-)Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, 6 Künstlerische Hochschulen und 173 Forschungsinstitute (Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer Gesellschaft, Leibniz Gemeinschaft, Helmholtz Gemeinschaft).
Seit anderthalb Jahrzehnten widmet sich die Geschichtswissenschaft verstärkt dem Thema „Bild“. Dabei wurden zahlreiche, im Zuge des pictorial bzw. iconic turn in der Kunst- und der Kulturwissenschaft entwickelte Bildtheorien in den geschichtswissenschaftlichen Methodenapparat integriert. Einer der unter HistorikerInnen umstrittensten Ansätze ist die von dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp entwickelte Bildakttheorie, die Bilder nicht nur als Ausdruck und Widerschein historischer Vorgänge, sondern als autonome, wirkmächtige Akteure begreift, die historische Prozesse auszulösen in der Lage sind. Philipp Molderings sprach mit Horst Bredekamp über die veränderte Bedeutung von Bildern in der Geschichtswissenschaft, die Skepsis von HistorikerInnen gegenüber der Bildakttheorie und über die Notwendigkeit, verstärkt die historische Eigendimension der Bilder zu erforschen.
In dem Forschungsprojekt „Künstlerische Strategien zur Befragung von Geschichtsbildern seit den 1990er Jahren“ geht es um den Erkenntnisbereich der Geschichte in der Kunst nach dem Ende des Kalten Kriegs. Es knüpft damit an die Tradition des Historienbildes an, das im 20. Jahrhundert seinen Niedergang erfuhr. Doch nach seinem Ende beschäftigen sich Künstler*innen in ihren Arbeiten weiterhin mit geschichtlichen Ereignissen aus Vergangenheit und Gegenwart – das Historienbild ist von noch genauer zu definierenden Geschichtsbildern abgelöst worden.
Geschichte der Zukunft
(2023)
Wie ändert sich unser Blick auf das 20. und 21. Jahrhundert, wenn wir sie durch die „Brille“ der Zukunft betrachten? Welchen Mehrwert an Erkenntnis liefert eine Geschichte der Zukunft? Der Beitrag skizziert die Forschungsgeschichte und Analysekategorien sowie die methodischen Ansätze und Erkenntnispotenziale einer Erschließung des vergangenen Künftigen. Der Fokus liegt auf der deutschen, europäischen und amerikanischen Zeitgeschichte im globalen Rahmen.
Zwei Pressefotografien zeigen Menschen unterschiedlicher Migrantengruppen: eine türkische „Gastarbeiterfamilie“ und sogenannte Aussiedlerkinder. Beide Bilder stehen in einem engeren inneren Zusammenhang, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Im Juli 1973, vier Monate vor Verkündung des „Anwerbestopps“ von Arbeitskräften aus Südeuropa, titelt „Der Spiegel“: „Gettos in Deutschland. Eine Million Türken“. Auf dem Cover des Nachrichtenmagazins ist eine achtköpfige, vermutlich türkische Familie abgebildet: fünf Kinder, Mutter, Vater und ein weiterer männlicher Verwandter oder Freund der Familie. Das zweite Bild zeigt ein modernes Sprachlabor im Durchgangswohnheim Unna-Massen im Jahr 1971: An Arbeitsplätzen, die mit Trennwänden voneinander abgeschirmt sind, sitzen „Aussiedlerkinder“ und erhalten über Kopfhörer Deutschunterricht.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Frank Rexroth bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Maren Möhring bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Sebastian Conrad bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
At the beginning of the 20th century population growth, urbanisation and housing shortage were challenges throughout Europe. Consequently, epidemics and even pandemics were common. However, during the same era, significant advances in medicine occurred, leading in more effective vaccines, antibiotics, and chemicals against vermin. Moreover, healthy lifestyle was promoted via campaigns, including educational posters. Simultaneously, the concept of the new, modern citizen evolved. In our research project, we analyse and compare Finnish, German and Soviet posters educating citizens in improving their everyday habits, living environments and, in the end, their health. Our aim is to find out, what were the methods and means of the visual health education of the 20th century, and what kind of ideals were pictured in health promotion posters.
Der koloniale Blick auf Osteuropa. Der Auftritt von Harald Welzer als Symptom deutscher Schieflagen
(2024)
Am 8. Mai 2022 war in der Talkshow von Anne Will der Krieg Russlands gegen die Ukraine Thema. Die Gäste waren der Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert, der ehemalige CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der Botschafter der Ukraine in Deutschland Andrij Melnyk, die Fraktionsvorsitzende der Grünen Britta Haßelmann sowie der Soziologe/Sozialpsychologe Harald Welzer. Jede Einladungsliste einer Talkshow folgt einer bestimmten Logik: Es sollen konträre Positionen aufeinandertreffen und Repräsentant:innen aus Medien, Gesellschaft und Politik und (manchmal) der Wissenschaft vertreten sein. Auf den ersten Blick könnte man also sagen, dass diese Runde durchaus gut gewählt war mit Stimmen bei denen es absehbar war, dass die Debatte kontrovers werden würde. Tatsächlich aber war die Rollenzuweisung Welzers von vorneherein problematisch: Er ist zwar zweifelsohne ein ausgewiesener Wissenschaftler, der mit "Opa war kein Nazi" auch für die Geschichtswissenschaft ein wichtiges Buch vorgelegt hatte, Osteuropa-Expertise besitzt Welzer hingegen nicht.
Vor knapp drei Jahren, im Sommer 2019, feierten Studierende aus der Ukraine, Russland und Deutschland in Bremen mit einem Grillfest am Weserstrand den Abschluss eines herausfordernden Geschichtsprojekts: Ein Jahr lang hatten sie intensiv an einer gemeinsamen Internetplattform gearbeitet, die als "Open Memory Map" Informationen zu Orten der Erinnerung an vergessene Opfergruppen des Nationalsozialismus präsentiert. Der unerklärte Krieg in der Ostukraine begleitete das Projekt. Dass sich ukrainische und russische Geschichtsstudierende dennoch begegneten, zusammenarbeiteten und austauschten, war ein erklärtes Ziel von Organisator:innen und Geldgebern. Zugleich war es die größte Herausforderung.
Potsdam 1993: In einer Broschüre zur Stadtentwicklungsplanung trifft Urbanität auf Naturraum: drei Hochhäuser am Wasser. Eine attraktive Wohnlage? Oder eine Störung des Bildes einer Stadt, die hier nur ausschnitthaft zu erkennen ist? Ohne Kontext lässt sich dieses Foto vielfach interpretieren. Es könnte der Eindruck entstehen, die drei Gebäude seien brachial in die Erde gerammt worden und würden den idyllischen Uferbereich stören. Oder strecken sie sich symbolisch, gar majestätisch gen Himmel und stehen für technischen Fortschritt und modernen Wohnkomfort in einer Großstadt mit Wasserlage?
Noch stärker als die Folgen des Ersten Weltkriegs wurde die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg durch dessen Visualisierung in der Fotografie und im Film geprägt: durch die NS-Kriegspropaganda ebenso wie durch private Fotografien des Kriegsgeschehens oder auch durch Dokumentationen von Kriegsverbrechen. Während zum Kriegsende hin die NS-Propaganda mit Bildern und Filmen den „Durchhaltewillen“ steigern sollte, dokumentierten die alliierten Medien die nun zu Tage tretenden Massenverbrechen der Nationalsozialisten. Daneben findet sich auf deutscher Seite in den letzten Kriegswochen eine Fotografie der „Katastrophe des Krieges“, die nun auf deutschem Boden stattfand. Parallel entstanden so zwei Bilderwelten, die sich in den ersten Nachkriegsjahrzehnten wenig berührten, jedoch Strategien unterschiedlicher Erinnerungsdiskurse zum Ausdruck brachten.
Szenen aus einem Werbeclip sind mit der russischen Invasion Realität geworden: Taxifahrer und Geologiestudenten, Väter und Söhne, Programmierer und Vorarbeiter, Fußballfans und Nachbarn verteidigen mit Waffen ihre Heimat, wo russische Bomben Wohngebiete, Krankenhäuser, Kirchen und Museen treffen. Für Gesellschaften jenseits der Ostgrenze der EU ist es atemberaubend solche Taten anzusehen. Zugleich bemühen sich hier viele, Hilfe zu leisten durch Geld- und Sachspenden, Hilfsdienste an Bahnhöfen und Angebote für die Aufnahme des größten Flüchtlingsstroms, den Europa seit 1945 gesehen hat. Auch die Wissenschaft ist nicht untätig geblieben.
Zugleich hat dies alles historische Dimensionen. Dementsprechend haben Historiker:innen in der Ukraine ein Soundarchiv gegründet, um die Auswirkungen des Krieges in Podcasts zu dokumentieren. Hier spielt das renommierte Center for Urban History in Lwiw eine zentrale Rolle; es sammelt zugleich private Aufnahmen vom Kriegsalltag für sein Urban Media Archive. Und es hat ein Oral History Projekt gestartet, um die Erfahrungen der ersten Kriegstage weiter zu dokumentieren. Aber auch in Kiew und anderen Städten scannen Archivar:innen fieberhaft die Bestände – Bomben- und Granatangriffen zum Trotz.
Dabei ist nicht zu vergessen, dass all diese Menschen nicht nur Kämpfer:innen und Geflüchtete sind. In ihren Heimatstädten stehen Lebensräume, Erinnerungsorte und Gedächtnisspeicher unter Beschuss, die ihr Leben geprägt haben. Sie bei der Bewahrung und dem (Wieder-)Aufbau dieser Speicher zu unterstützen, ist die Kernaufgabe einer europäischen Geschichtswissenschaft.
Wer die lange Geschichte der „Wende“ und den Zusammenhang von Lebenswelt und Systemwechsel erforschen will, sieht sich mit einer Zweiteilung der Quellenüberlieferung konfrontiert. Während für die Phase bis 1989 und auch die Epochenzäsur 1989/90 häufig klassische Archivakten bereitstehen, ist die Überlieferung für die Zeit danach überwiegend von den Forschungsdaten der Sozialwissenschaften geprägt. Es ist also interdisziplinäres Arbeiten gefragt. Dabei geht es nicht nur um die geschichtswissenschaftliche Nutzung und Interpretation „fachfremder“ Quellen oder den Rückgriff auf Methoden anderer Disziplinen, sondern auch um die Weiterentwicklung von Methoden gemeinsam mit Wissenschaftler*innen anderer Fachrichtungen. Drei Szenarien seien hier skizziert.
Das Promotionsprojekt Aktion, Reaktion, Transformation: Die DDR in der Kunst nach dem Mauerfall (Arbeitstitel) hat sich zum Ziel gesetzt, eine erstmalige Übersicht und Kategorisierung der künstlerischen Auseinandersetzungen mit der DDR nach 1989 zu erstellen. Dabei werden die Zeitzeugnisse ebenso wie die Zeitzeugenschaft als Material in der Kunst ergründet und gegenübergestellt. Zur Erforschung des Themas wurden zwei Eingrenzungen vorgenommen. Der Zeitraum wurde auf dreißig Jahre, von 1989 bis 2019, festgelegt. Weiterhin werden fast ausschließlich Werke aus dem Bereich der Foto-, Video- und Installationskunst analysiert, da die Verarbeitung der Geschichte der DDR vornehmlich in diesen Gattungen stattfindet. Diese Vorgehensweise folgt dem allgemein zu beobachtenden Trend in der Gegenwartskunst, sich auf diese Weise mit historischen Ereignissen zu befassen. Diese Engführung ergibt sich somit aus dem vorhandenen Konvolut und dient der besseren Vergleichbarkeit der Werke.