Transformation
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Die Folgen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation Ostdeutschlands sind in der jüngsten Zeit wieder verstärkt in den öffentlichen Fokus geraten. Vor dem Hintergrund mehrerer ostdeutscher Landtagswahlen im Jahr 2019 wird medial zunehmend eine Aufarbeitung der als (Um-) Bruchszeit wahrgenommenen Periode der frühen 1990er Jahre gefordert. Als zentraler Akteur dieser Phase bietet eine Erforschung der Geschichte der Treuhandanstalt (THA) Zugänge, die sowohl für gesellschaftliche Debatten als auch für die zeithistorische Forschung neue Impulse geben können. Welche Quellen sind dafür besonders relevant, und inwiefern eignet sich die THA als Forschungsgegenstand?
Die Einheit als „soziale Revolution“. Debatten über soziale Ungleichheit in den 1990er Jahren
(2019)
Die DDR-Sozialpolitik vermittelte Sicherheit und Geborgenheit, das „Recht auf Arbeit“ war verfassungsmäßig verankert – all dies besaß einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf soziale Strukturen und Wertorientierungen für die Zeit nach 1990. Diese Erfahrungen waren tiefgreifend und zentraler Vergleichsmaßstab in einer Zeit, in der individualistische Strategien der Daseinsbewältigung zunehmend wichtiger werden sollten. Mit den Unwägbarkeiten der postindustriellen Gesellschaft hingegen war die Bundesrepublik seit Mitte der 1970er durch die Erfahrung von (Massen-)Arbeitslosigkeit und den Auswirkungen des globalen Strukturwandels bereits konfrontiert. Hier wie dort existierten Ungewissheiten und soziale Unsicherheiten, die das Zustandekommen damaliger Wahrnehmungsweisen sozialer Umbrüche erklären. Dergestalt ist der damalige Umgang mit sozialer Ungleichheit ein besonders frappierendes Beispiel für die umkämpfte zeitgenössische wie nachträgliche Ausdeutung des Einigungsgeschehens, das es gilt, in seinen historischen Bedingtheiten auszuleuchten – nicht zuletzt deshalb, weil vieles von dem bis heute nachwirkt.
Selten trafen im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess Ost- und Westdeutsche so unmittelbar aufeinander wie in den brandenburgischen Gutsdörfern, wo nach 1990 zurückgekehrte Adelsfamilien ein Auskommen mit der sozialistisch geprägten Dorfbevölkerung finden mussten. Beide Gruppen sind durch eine geteilte Vergangenheit bis zur Enteignung 1945 miteinander verbunden, waren aber in den folgenden vierzig Jahren voneinander getrennt. Im früheren Gutsdorf wurden wie unter einem Brennglas spezifische Probleme und Dynamiken sichtbar, die in der Transformationszeit überall im Osten Deutschlands auftraten.
Für dieses Projekt wurden 21 Interviews mit adligen Rückkehrer*innen und Dorfbewohner*innen unterschiedlicher Generationen in drei ausgewählten Dörfern geführt. Alle Personen- und Ortsnamen in dieser Studie wurden anonymisiert, um nach den Standards der Oral-History-Forschung die Persönlichkeitsrechte der Befragten zu wahren. Ergänzt wurden die mündlichen Erzählungen mit schriftlichen Überlieferungen aus brandenburgischen Kreisarchiven und dem Landesarchiv in Potsdam.
In den drei untersuchten Dörfern versuchten die westdeutschen Adelsfamilien, die nach dem Ende der DDR in das Gutsdorf ihrer Vorfahren zurückgekehrt waren, sich den Raum des früheren Gutes wieder anzueignen. Da die Enteignungen zwischen 1945 und 1989 von staatlicher Seite aus nicht rückgängig gemacht wurden, verhandelten nun Dorfbewohner und Adlige miteinander über den Verkauf, die Verpachtung und die weitere Nutzung der Immobilien des früheren Gutes. In den Erzählungen der befragten Interviewpartner*innen über die Umgestaltung der Schlösser, Gutshäuser, Kirchen, Friedhöfe, Felder und Wälder offenbarten sich die neuen sozialen Beziehungen nach dem Ende der DDR.
Die für Mittel- und Osteuropa vielfach proklamierte „Rückkehr der Städte“ (Karl Schlögel) nach 1989 ist nicht nur ein Ergebnis wiedergewonnener kommunal- und verwaltungspolitischer Kompetenzen, sondern lässt sich auch als Folge einer weitgefächerten Aneignung und Reorganisation des Stadtraumes interpretieren. So besitzt der ostdeutsche Umbruch- und Transformationsprozess eine eigene räumlich-physische Dimension. Diese entfaltet jenseits von nationaler Grenzöffnung oder Neubestimmung territorialer Verwaltungseinheiten insbesondere in der Regional- und Lokalgeschichte als Handlungs- und Diskursgegenstand eine substantielle politische wie lebensweltliche Wirkmächtigkeit. Der Wandel umfasste, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, verschiedene Formen, Varianten und Stadien und korrespondierte mit der „eigentümlichen Prozessstruktur“ von Gesellschaftstransformationen und ihren kleineren politisch-gesellschaftlichen Transformationszyklen.
Nach dem Ende der DDR in Ostdeutschland und im gegenwärtigen Großbritannien zeigt sich ein ähnliches Phänomen: In nicht geringem Umfang wurde das Eigentum an Häusern und Wohnungen vom Grundeigentum getrennt. Anders formuliert: Jemand war zwar Haus- oder Wohnungseigentümer*in, aber besaß nicht den Boden, auf dem das Haus stand. Manchmal wussten die Haus- oder Wohnungseigentümer*innen nicht einmal, wem das dazugehörige Grundstück gehört. Daraus entstanden Abhängigkeiten, Ungleichheiten und Konflikte. Wie aber konnte die privateigentumsfördernde britische Politik, vor allem unter Margaret Thatcher, und die privateigentumsstörende DDR-Politik zu ähnlichen Effekten führen? Und macht ein solcher, eher unkonventioneller Vergleich überhaupt Sinn?
Das neu entflammte öffentliche und zeithistorische Interesse an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation Ostdeutschlands nach dem Zusammenbruch der DDR kommt bisher meist ohne Seitenblicke auf die parallelen Entwicklungen in Ostmittel- und Osteuropa aus. Vielmehr wird die Frage, wie die DDR nach 1989/90 zu „Ostdeutschland“ wurde, immer noch im Wesentlichen innerhalb eines deutsch-deutschen Bezugsrahmens diskutiert. Seine neuerliche Brisanz gewinnt dieser unverkennbar aus der Gegenwart, in der viele westdeutsch Sozialisierte „den Osten“ aufs Neue zur hoffnungslosen Problemzone der ansonsten gefestigten bundesdeutschen Demokratie stilisieren. Dagegen greifen nicht wenige Ostdeutsche zur Selbstviktimisierung als identitätspolitischer Strategie und glauben, in der Treuhand jene Übeltäterin ausgemacht zu haben, die für alle Verletzungen der ostdeutschen Seele verantwortlich zu machen sei.