Soziale Bewegungen
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Seit dem von Ingrid Gilcher-Holtey 1998 herausgegebenen Sammelband, der das schillernde Ereignisbündel „1968“ erstmals systematisch historisierte, hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft diesem Thema eingehend zugewendet. Zehn Jahre später gibt der Publikationsschub zu dem neuerlichen runden Jahrestag Anlass zu einer Zwischenbilanz. Das auffälligste Ergebnis ist dabei die im Grunde banale Erkenntnis, dass auch die historiographische Perspektive weder „objektiv“ noch homogen ist, sondern von wechselnden, zum Teil konkurrierenden Konjunkturen nationaler und zunehmend auch internationaler Geschichtskulturen beeinflusst wird. Dass der Wissenschaftsanspruch mit der Involvierung der Akteure in die Konflikte der Gegenwartsgesellschaft strukturell kollidiert, gehört zu den Selbstverständlichkeiten zeithistorischer Forschung. Dies gilt nicht nur für ehemalige Akteure, deren Beteiligung häufig bekannt ist und in die Bewertung ihrer publizistischen Produktion einfließt. Auch der angebliche Objektivitätsvorsprung der so genannten „Nachgeborenen“ macht deren empathische Distanz nicht automatisch wett, sondern erweist sich erst in der diskursiv zu ermittelnden Überzeugungskraft des jeweiligen Produkts. Insofern ist die Kontroverse um die aktuellen Neuerscheinungen zu begrüßen, während die immer wieder repetierten Hinweise auf die generationelle Zugehörigkeit ihrer Autoren in den Nebel vager Evidenzen führen. Dass sich beim Thema „1968“ professionelle Intellektualität und autobiographische Motive stark vermischen, ändert daran nichts.
„…als explodierte gerade ein Elektrizitätswerk“. Klang und Revolte in der Bundesrepublik um 1968
(2011)
Die 1960er-Jahre hatten einen ebenso neuartigen wie vielstimmigen Sound, und musikalische Klänge stellten eine wichtige Triebkraft des Wandels um 1968 dar. Weitgehend ungeklärt ist bisher, wie sich Klang und Revolte zueinander verhielten. Der Aufsatz untersucht die Bedeutung elektroakustisch verstärkter Musik in der Bundesrepublik um 1968 in drei Schritten: Erstens wird der Kampf der Beat- und Rockmusik um gesellschaftliche Anerkennung beschrieben, wobei der Streit um die steuerrechtliche Einstufung von Konzerten besonders aufschlussreich ist. Zweitens wird die Bedeutung des technisch verstärkten Klangs für die Entstehung einer jugendlichen Massenkultur dargestellt, drittens das Verhältnis von Klang und Text analysiert. Dem antikapitalistischen Zeitgeist entsprechend wurden politische Positionen gelegentlich auch in den Texten formuliert. Doch das rebellische Potenzial der Rockmusik wurde nicht primär in politisch expliziten Aussagen gesehen, sondern im Sound, der als „authentisches“ Kommunikationsmedium zwischen Bands und Publikum galt.
In der Anti-Apartheid-Bewegung spielte Musik als politisches Medium eine herausragende Rolle, besonders in den 1980er-Jahren. Auf der Basis von Quellenmaterial aus England und aus Südafrika untersucht der Aufsatz die Kontroverse um Paul Simons Album »Graceland« (1986) vor dem Hintergrund des Kulturboykotts. Dieser sollte das Apartheid-Regime auf dem Gebiet der Kultur isolieren, wurde aber seit Mitte der 1980er-Jahre von der Opposition innerhalb Südafrikas immer mehr als Fessel betrachtet. Der African National Congress (ANC) betrieb eine Modifikation des Boykotts – gegen den Widerstand der britischen Anti-Apartheid-Bewegung. Die Kontroverse um »Graceland« steigerte noch die Verwirrung: Es gab unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob Simon durch seine Zusammenarbeit mit südafrikanischen Musikern den Kulturboykott gebrochen habe und wie dies eventuell zu sanktionieren sei. Der Versuch, in Zeiten gesteigerter Medialisierung grenzüberschreitende kulturelle Ströme durch politische Instanzen kontrollieren zu wollen, war letztlich zum Scheitern verurteilt.
Music played an important role as a political medium for the anti-apartheid movement, particularly in the 1980s. Drawing on sources from the UK and South Africa, the article investigates the controversy surrounding Paul Simon’s album Graceland (1986) against the backdrop of the cultural boycott against South Africa. The aim of the boycott was to isolate the apartheid regime in the field of culture, but from the middle of the 1980s, the opposition within South Africa increasingly regarded it as an obstacle. The African National Congress (ANC) pursued a modification of the boycott against the resistance of the British Anti-Apartheid Movement (AAM). The controversy over Graceland only served to compound the confusion: opinions differed as to whether Simon had really breached the cultural boycott by collaborating with South African musicians, and on how this could potentially be sanctioned (in either sense of the word). The incident shows that the attempt to control transnational cultural currents through political institutions in times of increased mediatisation was ultimately doomed to failure.
As one of the most viewed films on apartheid South Africa, Sir Richard Attenborough’s Oscar-nominated Cry Freedom helped push the atrocities of the apartheid system to the forefront of public attention. The screenplay was based on South African journalist Donald Woods’ autobiographical books Biko (1978) and Asking for Trouble (1981), which detail Woods’ relationship with Biko and the court trial following Biko’s death in police custody.
In this article I examine the context for the British bank Barclays’ decision to disinvest from South Africa in 1986, with special attention to the impact of the Anti-Apartheid Movement’s campaign against the bank. The 18-year long campaign against Barclays – the largest bank in South Africa at the time and the fourth largest foreign-owned corporation – points to significant developments within the fields of corporate social responsibility and the potential influence of social movements on multinational corporations. Applying the theoretical approach of subpolitics as developed by Ulrich Beck in combination with the later subdivision by Boris Holzer and Mads P. Sørensen into a passive and an active form, it is possible to analyse the decisions of both anti-apartheid activists and Barclays on similar terms. The conclusions drawn in this article emphasise the idea that economic decisions taken by multinational corporations may have unintended political consequences and, furthermore, that the awareness of this phenomenon has contributed to the development of corporate social responsibility. Finally, I suggest that the campaign against Barclays generated public attentiveness towards the social responsibility of businesses.
Guerrilla Mothers and Distant Doubles: West German Feminists Look at China and Vietnam, 1968–1982
(2015)
Communist China and Vietnam looked like the future to many West German feminists in the years after 1968. This article reconstructs a lost history of influence, identification and emulation, tracing some of the ways that Chinese and Vietnamese communism inspired and attracted West German feminists from the late 1960s to the early 1980s. Beginning in a spirit of socialist universalism, West German feminists drew on reports of the experience of East Asian women who they felt lived in the ›liberated zones‹ of post-revolutionary society. Like the French radicals who declared that ›Vietnam is in our factories‹, West German feminists created a global framework for their activism. Looking east, they borrowed or adopted models of consciousness-raising and direct action from China and Vietnam. This article tracks the arc of exchange, from the enthusiasm of the late 1960s and 1970s to the West German feminist disenchantment with both East Asian communism and the global South by the early 1980s.
Warum Südafrika? Die Politik des britischen Anti-Apartheid-Aktivismus in den langen 1970er Jahren
(2017)
Die weltweite Anti-Apartheid-Bewegung war »die erste erfolgreiche transnationale soziale Bewegung in der Ära der Globalisierung«. So sieht es Francis Nesbitt, der argumentiert: »Das Ungewöhnliche an ihr war das Ausmaß der Unterstützung, die sie von Einzelpersonen, Regierungen und Organisationen auf allen Kontinenten erfuhr. Soziale Bewegungen erreichen selten auch nur annähernd eine solche internationale Unterstützung wie die gegen das rassistische Apartheidregime in Südafrika.« Nesbitts Urteil steht stellvertretend für die Sicht anderer Historiker, die jüngst begonnen haben, sich mit dem Anti-Apartheid-Aktivismus zu befassen. Sie alle betonen das große Maß an Zuspruch, das dieser erfahren habe. Bislang haben sie es jedoch kaum unternommen, zu untersuchen und zu erklären, wie sich diese Unterstützung im Lauf der Zeit veränderte, oder der Frage nachzugehen, warum sich bestimmte Einzelpersonen und Organisationen in der Bewegung gegen das südafrikanische Apartheidregime engagierten.
Frauenbewegungen in ihren „langen Wellen“ (Ute Gerhard) weisen historische ‚Interferenzen‘ auf, die sich insbesondere an Konflikten, Brüchen ebenso wie Solidaritäten und Bündnissen zeigen. Diese Phänomene lassen sich in Frauenbewegungskontexten über große Zeiträume hinweg nachweisen.
In der Frauenbewegung des Kaiserreichs spielte der Konflikt zwischen bürgerlichen und proletarischen Frauen eine besondere Rolle, denn er führte hier zu einer selbstständigen Organisation und gezielten Mobilisierung von Arbeiterinnen jenseits der bürgerlichen Frauenvereine. Diese Konstellation erzeugte in der Geschichtsschreibung der Frauenbewegung, die mit den Aktivistinnen der ersten Welle einsetzte, von Beginn an Streitigkeiten darüber, wer zur Frauenbewegung zählte oder besser: wer nicht dazu gehören sollte.
In der Historiographie der Frauenbewegung, die anfangs von Aktivistinnen betrieben wurde, die sich selbst zum Forschungsgegenstand machten und damit ein politisches Programm verfolgten, dominierte lange die Betonung der Differenz. Die jüngere Forschung hat zwar den Blick geweitet, um der Heterogenität der Frauenbewegung im Kaiserreich Rechnung zu tragen, aber schreibt paradoxerweise die Marginalisierung der proletarischen Frauenbewegung tendenziell fort, indem sie sowohl ältere Narrative aus der Forschung übernimmt als auch implizit gegen die Renaissance der „Klassenfrage“ in der zweiten Rezeptionswelle der 1970er Jahre gerichtet ist.
Eine (schlaglichtartige) Rekonstruktion der Rezeptionsgeschichte erscheint lohnenswert, da dadurch Schieflagen und deren Ursachen offengelegt werden können. Wir vertreten in diesem Beitrag die These, dass sich das zeitgenössische Schicksal des doppelten Paria-Daseins der organisierten Proletarierin im Kaiserreich auf traurige Art und Weise in der gegenwärtigen Forschung wiederholt: Einerseits wird ihre Geschichte politisch marginalisiert, weil sie eine Frau ist, und andererseits, weil ihr als Sozialdemokratin/Sozialistin bis heute die eigene Autonomie abgesprochen wird.
Unser Beitrag versteht sich als Aufschlag einer möglichen Debatte und möchte dazu anregen, die proletarische Frauenbewegung als wichtige Referenzfigur der deutschen Frauenbewegungsgeschichte (wieder) wahrzunehmen, um der Heterogenität der Frauenbewegung(en) des Deutschen Kaiserreichs in einem intersektionalen Sinne gerecht zu werden.
Jenseits der Binaritäten von zwei Geschlechtern, zwei Gendern und zwei möglichen Strukturen des Begehrens versteht dieser Beitrag Queerness als ein Netz, in dem alle Aspekte des Begehrens und der Sexualität, einschließlich der Hegemonie der Heteronormativität, miteinander in Beziehung stehen und fließend ineinander verwoben sind. Ich verwende ‚Queer‘ hier als ein analytisches Konzept, um auf nicht-heteronormative Strukturen des Begehrens und der Sexualität zu verweisen, ohne mich auf die Kategorien der Vergangenheit festzulegen. Mit anderen Worten: Ich versuche, der Fluidität, die queere Theorien betonen, treu zu bleiben. Queer wird hier nicht nur gedacht als ein Oberbegriff für alle Formen gleichgeschlechtlichen Begehrens und geschlechtlicher Nonkonformität. Vielmehr verwende ich queer um Identitätszwängen zu entrinnen, und so in den Archiven auch Stimmen zu finden, die sich nicht unter den je zeitgenössischen Begriffen subsumieren lassen.