Soziale Bewegungen
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„Empört Euch!“ war Mitte Februar 2011 für die Dauer von wenigen Minuten in Lichtbuchstaben an verschiedenen Gebäuden Berlins zu lesen, vom Kurfürstendamm bis an den Potsdamer Platz. Die Aufforderung war mehr als ein Werbegag des Ullstein-Verlags für seinen gleichnamigen Bestseller, der wohl auch in Deutschland ohne diese Publikumsaktion per „fahrender Lichtinstallation“ ausgekommen wäre. Es handelt sich bei der kleinen Schrift aus der Feder des 93-jährigen Stéphane Hessel um einen Import aus Frankreich, dem Land, dem hierzulande eine große, wenn nicht die Empörungstradition zugeschrieben wird – kaum ein deutscher Feuilletonartikel oder Radiokommentar, der zum Verständnis des Erfolgs von Hessels Bändchen in Frankreich denn nicht auch auf diese Empörungsgeschichte verweist; gelegentlich wird sogar bis zur Fronde im 17. Jahrhundert zurückgegangen.
In konfessionsvergleichender Perspektive behandelt der Beitrag das Verhältnis der christlichen Großkirchen zu den sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Genauer untersucht werden die Interaktionen mit den frühen Protestbewegungen, der Studentenbewegung, der „Dritte-Welt“-Bewegung sowie der Friedensbewegung. Die Abgrenzungs- und Transferprozesse zwischen Kirchen und Bewegungssektor werden als Reaktionen des kirchlich verfassten Christentums auf die Wandlungsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft verstanden. Es wird gezeigt, dass die beiden Kirchen aus strukturellen, kirchenpolitischen und theologischen Gründen bei ähnlichen Herausforderungen verschieden agierten. Als Bindeglieder zu den sozialen Bewegungen werden die Bewegungsgruppen innerhalb und am Rande der Kirchen ausgemacht, die oft transkonfessionell handelten. Sie beförderten innerhalb der Bewegungen eine Moralisierung der Politik und in ihren Kirchen eine Politisierung der Religion.
The American evangelist Billy Graham held several revival meetings – so-called crusades – in West Germany in the 1950s and 1960s. Many thousands of Germans came to hear him. This article explores the reasons for Graham’s success in the Federal Republic in the context of a transatlantic religious and cultural history. Graham’s campaigns were embedded in the discourse of rechristianization and secularization after the end of the Second World War. Leading Protestant bishops such as Otto Dibelius and Hanns Lilje supported him. Furthermore, Graham’s campaigns played an important role in the West German culture of the Cold War as political stagings of the Free World consensus. In addition, the orchestration of the crusades reconciled religion and consumerism. Billy Graham’s crusades are a prism through which to explore important modernization processes in German Protestantism in the first two decades of the Federal Republic.
Die Transformationsprozesse im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts waren begleitet von einem tiefgehenden Wandel des Sicherheitsverständnisses. Das Vertrauen in die sicherheitsstiftende Funktion des Staates schwand, und neue Krisendiskurse entstanden. Der Aufsatz untersucht dies am Beispiel der NATO-Nachrüstung und der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland um 1980. In der damaligen Auseinandersetzung spiegelt sich ein scharfer Streit über das Verständnis von Sicherheit. Darüber hinaus artikulierte sich in der Kritik der Friedensbewegung am System der nuklearen Abschreckung ein massives Unbehagen an jener technisch-industriellen Modernität, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert ausgeformt hatte. Daher ist die „nukleare Krise“ der Zeit um 1980 auch als eine Modernitätskrise zu verstehen. Absolute Sicherheit kann es in der Moderne nicht geben; sie bleibt ein letztlich unerreichbares Ziel – eine Utopie. Gleichwohl entzog der Protest der Friedensbewegung – nicht nur in der Bundesrepublik – der nuklearen Abschreckung ihre politische und moralische Legitimität. Trotz der 1983 durchgesetzten Nachrüstung war die frühere Akzeptanz der Abschreckung in der Endphase des Kalten Kriegs nicht wiederherzustellen.
Berlin-Moabit, 1971: Drei Anwälte sitzen im Gerichtssaal – der eine, Horst Mahler, als Angeklagter, dem die Mitgliedschaft in der Roten Armee Fraktion (RAF) vorgeworfen wird; die beiden anderen, Hans-Christian Ströbele und Otto Schily, als seine Verteidiger. Ein Foto dieser Szene wählt die Regisseurin Birgit Schulz als Einstieg für ihren Dokumentarfilm „Die Anwälte“ über die Lebensläufe von Mahler, Ströbele und Schily, die sich damals in jenem Gerichtssaal kreuzten, in dem sie nun für den Film interviewt wurden. Doch geht Schulz weit über diesen Schnittpunkt hinaus. Sie nutzt das Foto als Ausgangspunkt für eine filmische Parallelbiographie, die den Werdegang der drei Anwälte bis in die Gegenwart verfolgt. Die Protagonisten werden nicht allein als „RAF-Anwälte“ beschrieben – eine Kennzeichnung, gegen die sie sich auch selbst verwahren. So betont Schily, wie unsinnig das Label „Terroristenanwalt“ sei. Man werde ja auch nicht zum „Mörderanwalt“, wenn man einen Mörder verteidige, oder zu einem „Flick-Untersuchungsanwalt“, nur weil man den gleichnamigen Untersuchungsausschuss geleitet habe. Damit gibt Schily das Stichwort für eine weitere zentrale Episode der jüngeren bundesdeutschen Zeitgeschichte, die der Film in biographisch verdichteter Form erzählt. „Eine deutsche Geschichte“ lautet schließlich auch der Untertitel des Films, dessen Protagonisten die Geschichte der Bundesrepublik gleichermaßen entscheidend mitgestaltet haben, wie sie umgekehrt von ihr geprägt wurden.
Der Beitrag untersucht Motive und Voraussetzungen des Engagements west- bzw. gesamtdeutscher zivilgesellschaftlicher Initiativen in Belarus nach der Katastrophe von Tschernobyl. Gefragt wird, welche Wahrnehmungen und Maßstäbe von Sicherheit und Verunsicherung die Akteure leiteten. Die Fundamente des Engagements lagen in den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre – vor allem in der Anti-AKW- und der Friedensbewegung. Die zunehmende Sensibilisierung für ökologische Schäden, das sinkende Vertrauen in die schützende Rolle des Staates und wachsende Zweifel an der Autorität von „Experten“ verbanden sich mit einem Wandel in der Kommunikation von Emotionen. Angst und Verunsicherung wurden in der Spätphase des Kalten Krieges zum Mobilisierungspotenzial für ein zivilgesellschaftliches Handeln, das zum Teil bis heute andauert und vielfältige Kontakte zwischen Deutschland und Belarus etabliert hat.
Träume und Realitäten. Timothy Garton Ashs Reportagen über die „Refolution“ in Ostmitteleuropa
(2009)
Das Buch galt uns bei seinem Erscheinen als Geheimtipp – ein Werk nicht nur der genauen Analyse, sondern einer beeindruckenden Deutung. Für eine Interpretation des verwirrenden Geschehens, das wir erlebten, benötigten wir so etwas ganz dringend. Ich habe das Buch allerdings erst 1992 gründlich gelesen, zumindest steht in meiner Bibliothek die in jenem Jahr erschienene Taschenbuchausgabe. Die Seitenangaben im vorliegenden Text beziehen sich alle auf diese Ausgabe.
After the Second World War, West German Catholics placed more faith in religious miracles than they did at almost any other period in the modern era. West German congregations reported eleven apparitions of the Virgin Mary to Church officials be-tween 1945 and 1954, as well as Europe’s most prominent twentieth century case of stigmata. Existing scholarship links the popularity of these alleged miracles to the ways in which Marian symbolism articulated anxieties about war trauma and the Cold War. This article illustrates how an interconnected movement of rural women, provincial priests, concentration camp survivors, and former prisoners of war based around Marian visions and stigmata emerged as a reaction not only to the Cold War, but also to Americanisation, consumerism, and the Nazi past. To frame the bitter conflicts between Marian pilgrims and Church hierarchy about the recognition of religious miracles, the article utilises Pierre Bourdieu’s concept of ‘religious field’. It also takes into account the gendered character of the conflicts.
Um Genaueres über die friedliche Revolution in der DDR zu erfahren, muss man nicht lange in Büchern suchen; für viele Fragen reicht der schnelle Klick ins Internet. Sofort stößt man auf eine Reihe deutschsprachiger Themenportale, die auf hohem Niveau Auskunft geben – sowohl über die Chronologie der Ereignisse vom Herbst 1989 in der DDR als auch über die Faktoren, die zum Umbruch führten. Einige dieser Portale bieten sogar eine große Fülle an Bildern und Dokumenten. Hier zusätzlich fremdsprachige Internetportale zu bemühen ist nicht unbedingt erforderlich.
Seit dem von Ingrid Gilcher-Holtey 1998 herausgegebenen Sammelband, der das schillernde Ereignisbündel „1968“ erstmals systematisch historisierte, hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft diesem Thema eingehend zugewendet. Zehn Jahre später gibt der Publikationsschub zu dem neuerlichen runden Jahrestag Anlass zu einer Zwischenbilanz. Das auffälligste Ergebnis ist dabei die im Grunde banale Erkenntnis, dass auch die historiographische Perspektive weder „objektiv“ noch homogen ist, sondern von wechselnden, zum Teil konkurrierenden Konjunkturen nationaler und zunehmend auch internationaler Geschichtskulturen beeinflusst wird. Dass der Wissenschaftsanspruch mit der Involvierung der Akteure in die Konflikte der Gegenwartsgesellschaft strukturell kollidiert, gehört zu den Selbstverständlichkeiten zeithistorischer Forschung. Dies gilt nicht nur für ehemalige Akteure, deren Beteiligung häufig bekannt ist und in die Bewertung ihrer publizistischen Produktion einfließt. Auch der angebliche Objektivitätsvorsprung der so genannten „Nachgeborenen“ macht deren empathische Distanz nicht automatisch wett, sondern erweist sich erst in der diskursiv zu ermittelnden Überzeugungskraft des jeweiligen Produkts. Insofern ist die Kontroverse um die aktuellen Neuerscheinungen zu begrüßen, während die immer wieder repetierten Hinweise auf die generationelle Zugehörigkeit ihrer Autoren in den Nebel vager Evidenzen führen. Dass sich beim Thema „1968“ professionelle Intellektualität und autobiographische Motive stark vermischen, ändert daran nichts.