Oral History
Der Weg zur Friedlichen Revolution in der DDR bis in die ersten Jahre im vereinigten Deutschland ist einer der wichtigsten und weitreichendsten Prozesse der deutschen Zeitgeschichte. Gerade oder vielleicht, weil die Einheit heute eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint und bereits eine Generation herangewachsen ist, die nur das geeinte Deutschland erlebt hat, kommen der Forschung und der Vermittlung der Transformationsgeschichte große Bedeutung zu. Nicht zuletzt erhalten die Forschungsergebnisse zur Transformationsgeschichte auch deshalb viel Aufmerksamkeit, weil das Gefühl der Ungleichheit noch immer vorhanden ist, trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs vieler ostdeutscher Regionen. Diese Wahrnehmung ist keineswegs unberechtigt: So sind etwa Ostdeutsche in Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin unterrepräsentiert.
Die Friedliche Revolution des Jahres 1989 rückte die Geschichte der SED-Diktatur und der deutschen Teilung auf die Agenda der bald darauf gesamtdeutschen Erinnerungskultur. Dreißig Jahre später ist die Geschichte der kommunistischen Diktatur selbstverständliches Thema von Museen und Gedenkstätten, Lehrplänen, der Belletristik und TV-Produktionen. Einschlägige Jahrestage werden gleichermaßen im Osten wie im Westen Deutschlands begangen. Wissenschaftliche Studien füllen ganze Bibliotheken. Zeitweilig hieß es sogar, die DDR sei überforscht — eine These, die mehr über den Überdruss ihrer Urhebern als über den Forschungsgegenstand aussagte. Welches Forschungspotential im Thema steckt, zeigt der 2016 erschienene Sammelband „Die DDR als Chance“ auf.
Besucht man heute das Gelände, auf dem sich ab 1940 das nationalsozialistische Konzentrationslager Gusen befand, das lange Zeit größte KZ auf österreichischem Gebiet, mag der Anblick überraschen: Das ehemalige Lagergelände, das direkt an der Straße zwischen Linz und Mauthausen liegt, ist nun eine idyllische Siedlung mit Einfamilienhäusern, kleinen Gärten und Heckenzäunen, durchkreuzt von ruhigen Straßen mit lieblichen Namen: Spielplatzstraße, Parkstraße, Blumenstraße. Einzig ein monumentaler Betonbau am Rand der Siedlung stört die Idylle und erinnert daran, was zwischen dem 25. Mai 1940 und dem 5. Mai 1945 an diesem Ort geschehen ist.
Selten trafen im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess Ost- und Westdeutsche so unmittelbar aufeinander wie in den brandenburgischen Gutsdörfern, wo nach 1990 zurückgekehrte Adelsfamilien ein Auskommen mit der sozialistisch geprägten Dorfbevölkerung finden mussten. Beide Gruppen sind durch eine geteilte Vergangenheit bis zur Enteignung 1945 miteinander verbunden, waren aber in den folgenden vierzig Jahren voneinander getrennt. Im früheren Gutsdorf wurden wie unter einem Brennglas spezifische Probleme und Dynamiken sichtbar, die in der Transformationszeit überall im Osten Deutschlands auftraten.
Für dieses Projekt wurden 21 Interviews mit adligen Rückkehrer*innen und Dorfbewohner*innen unterschiedlicher Generationen in drei ausgewählten Dörfern geführt. Alle Personen- und Ortsnamen in dieser Studie wurden anonymisiert, um nach den Standards der Oral-History-Forschung die Persönlichkeitsrechte der Befragten zu wahren. Ergänzt wurden die mündlichen Erzählungen mit schriftlichen Überlieferungen aus brandenburgischen Kreisarchiven und dem Landesarchiv in Potsdam.
In den drei untersuchten Dörfern versuchten die westdeutschen Adelsfamilien, die nach dem Ende der DDR in das Gutsdorf ihrer Vorfahren zurückgekehrt waren, sich den Raum des früheren Gutes wieder anzueignen. Da die Enteignungen zwischen 1945 und 1989 von staatlicher Seite aus nicht rückgängig gemacht wurden, verhandelten nun Dorfbewohner und Adlige miteinander über den Verkauf, die Verpachtung und die weitere Nutzung der Immobilien des früheren Gutes. In den Erzählungen der befragten Interviewpartner*innen über die Umgestaltung der Schlösser, Gutshäuser, Kirchen, Friedhöfe, Felder und Wälder offenbarten sich die neuen sozialen Beziehungen nach dem Ende der DDR.
„Empört Euch!“ war Mitte Februar 2011 für die Dauer von wenigen Minuten in Lichtbuchstaben an verschiedenen Gebäuden Berlins zu lesen, vom Kurfürstendamm bis an den Potsdamer Platz. Die Aufforderung war mehr als ein Werbegag des Ullstein-Verlags für seinen gleichnamigen Bestseller, der wohl auch in Deutschland ohne diese Publikumsaktion per „fahrender Lichtinstallation“ ausgekommen wäre. Es handelt sich bei der kleinen Schrift aus der Feder des 93-jährigen Stéphane Hessel um einen Import aus Frankreich, dem Land, dem hierzulande eine große, wenn nicht die Empörungstradition zugeschrieben wird – kaum ein deutscher Feuilletonartikel oder Radiokommentar, der zum Verständnis des Erfolgs von Hessels Bändchen in Frankreich denn nicht auch auf diese Empörungsgeschichte verweist; gelegentlich wird sogar bis zur Fronde im 17. Jahrhundert zurückgegangen.
Queere Geschichtsschreibung steckt auch 2022 im deutschsprachigen Raum immer noch in den Anfängen. Die Erforschung lesbischer* Geschichte wurde sehr lange hauptsächlich von Aktivist*innen geleistet, die in politischen Projekten oder finanziert durch kleinere Aufträge nach Spuren lesbischen* Lebens suchten und Stimmen von Zeitzeug*innen aufzeichneten. In der universitären Welt ist lesbische* Geschichtsschreibung bisher allenfalls punktuell zu finden. Folgende Ausführungen zur Situation frauenliebender Frauen* in psychiatrischen Kliniken nach 1945 werden mehr Fragen als Forschungsbefunde enthalten, da sich unsere Forschungen noch in den Anfängen befinden.