Internationale Organisationen
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In Nürnberg formulierten die Alliierten 1945 erstmals das völkerrechtliche Prinzip, dass allgemeine Menschenrechte über nationalem Recht stehen. Damit wurde es möglich, staatlich sanktionierte Verbrechen zu ahnden – in diesem Fall die deutschen Verbrechen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs. Seit den 1990er-Jahren haben diverse vergleichbare Prozesse stattgefunden, etwa zu den Ereignissen in Jugoslawien, Ruanda und Kambodscha. Dass das Führungspersonal eines Landes für Kriegsverbrechen und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ strafrechtlich belangt werden kann, war im 20. Jahrhundert stark umkämpft und ist bis heute nicht vollständig durchgesetzt. Der Aufsatz stellt die drei wichtigsten Etappen im Überblick dar: die Leipziger Prozesse nach dem Ersten Weltkrieg, die Prozesse von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Debatte um die Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Strittig war und ist vor allem, inwieweit auch Großmächte wie die USA bereit sind, universellen Menschenrechten und einer supranationalen Autorität gegenüber herkömmlichen nationalen Souveränitätsrechten einen Vorrang einzuräumen.
Angela Davis war eine der intellektuellen Leitfiguren der afroamerikanischen Bewegungen für Freiheit und Gleichheit in den USA. Als sie von 1970 bis 1972 inhaftiert war, gab es in der DDR eine breite Solidaritätskampagne, initiiert von der SED-Führung und mobilisiert durch die Massenorganisationen. Diese Kampagne verweist auf eine transnationale Dimension in der Geschichte der DDR; Davis wurde als „unsere Genossin“ vereinnahmt. Der Beitrag zeigt, welche Bedeutung die Kampagne im Rahmen der internationalen Anerkennungsbestrebungen der DDR hatte, welchen Stellenwert sie aber auch innenpolitisch gewann. Nach ihrer Freilassung besuchte Davis 1972 und 1973 die DDR und wurde als sozialistische Heldin präsentiert. Dies ist nicht allein als Ausdruck propagandistischer Steuerung zu verstehen, sondern zugleich als Teil einer genuinen Alltagskultur des Kalten Kriegs in der DDR.
Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) bildet einen Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechte. Das gilt nicht nur für die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Etablierung von indigenen Menschenrechten, sondern auch für das internationale Menschenrecht selbst. Denn die Entwicklung indigener Menschenrechte steht exemplarisch für die Vielfältigkeit und die Multiplizierung des Menschenrechts. Sie zeigt, dass Menschenrechte sich seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 weiterentwickeln, ausdifferenzieren und verändern können, ohne damit die Idee von Menschenrechten zwangsläufig zu unterminieren. Gleichzeitig zeigt sie in all ihren (teilweise nach wie vor bestehenden) Kontroversen, dass die Prozesse der Multiplizierung und Entwicklung von Menschenrechten weder bruchlos noch widerspruchsfrei verlaufen. Indigene Menschenrechte stehen mithin für die sensible Balance zwischen dem Festhalten an der Idee von Menschenrechten einerseits und der Notwendigkeit ihrer zeithistorischen Veränderung und Herausforderung andererseits.
Die Arbeitsumstände der westlichen Korrespondenten, die während des Ost-West-Konflikts aus der Hauptstadt der Sowjetunion berichteten, waren ein alltäglicher Ausdruck gerade jener widersprüchlichen politischen Entwicklungen, über die sie eigentlich informieren wollten, zu denen ihnen aber oft der Informationszugang und die erforderlichen Übermittlungswege versperrt waren. Der Beitrag beleuchtet die Hindernisse, mit denen die Journalisten um 1960 zu kämpfen hatten und die ihnen selbst nur in zweiter Linie berichtenswert erschienen. Wie gingen die Journalisten an der Schnittstelle zwischen Ost und West mit solchen Schwierigkeiten um? Wenn man die Tätigkeit der westlichen, speziell der westdeutschen Korrespondenten in Moskau näher betrachtet, wird es möglich, ein vielschichtiges und präzises Bild des Ost-West-Konflikts jenseits der außenpolitisch-diplomatischen Ebene zu erhalten sowie die in den westlichen Medien verbreiteten Nachrichten als kontextgebundene Produkte zu analysieren.
»Hitler has won another victory at Bermuda […].« So kommentierte die Zeitung der zionistischen Arbeiterbewegung in den USA, »The Jewish Frontier«, die Bermuda-Konferenz vom April 1943. Was war passiert? Nach der Konferenz von Evian im Juli 1938 (und ihrem ernüchternden Ergebnis) war dies der zweite Versuch, mit einer internationalen Konferenz die Frage der jüdischen Flüchtlinge zu klären. Doch wie bereits 1938 am Genfer See, als sich außer der Dominikanischen Republik alle Teilnehmerstaaten weigerten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, kam auch auf Bermuda keine Lösung zustande, obwohl an den mörderischen Absichten und Praktiken Nazi-Deutschlands 1943 kein Zweifel mehr bestand. Der World Jewish Congress (WJC) hatte für die Gesandten eine Informationsmappe zusammengestellt, die die nationalsozialistische Vernichtungspolitik darlegte und zum entschlossenen Handeln aufrief. Doch die Gesandten der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, die auf der britischen Inselgruppe im Nordatlantik zusammenkamen, um über die Aufnahme europäischer Juden zu verhandeln, begruben die Idee einer groß angelegten Rettungsaktion rasch. Beide Staaten begnügten sich mit Symbolpolitik und kleinteiligen Maßnahmen. Zwar wurde das Intergovernmental Committee on Refugees (ICR) reaktiviert, welches nach der Evian-Konferenz gegründet worden war und sich größtenteils als ineffektiv herausgestellt hatte. Doch blieb das ICR auch für den Rest des Krieges unbedeutend.
Am 17. November 1922 erschien in der Wiener Tageszeitung „Neue Freie Presse“ ein „Vorschlag“, den man schon zwei Tage davor in der „Vossischen Zeitung“ hatte lesen können. Der Artikel stammte von Richard Coudenhove-Kalergi und bot eine pointierte Zusammenfassung seines wenig später erscheinenden Bandes „Pan-Europa“. Das Ziel des Autors: Europa solle sich zu einer politischen Einheit zusammenschließen.
»Es gibt ein Menschenrecht auf Bleiberecht!«, verkündete Sevim Dağdelen, damals Bundestagsabgeordnete für Die Linke, im März 2006. Dabei bezog sie sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall »Sisojeva u.a. gegen Lettland« vom Juni 2005. Es ging dabei um das Ehepaar Svetlana Sisojeva und Arkady Sisojev, die zur Zeit der Sowjetunion Ende der 1960er-Jahre nach Lettland gekommen waren und dort auch eine Tochter bekommen hatten. Ihr Aufenthaltsstatus blieb nach der Unabhängigkeit des baltischen Staates 1991 ungeklärt, da Lettland die Annexion des schon in der Zwischenkriegszeit unabhängigen Landes durch die Sowjetunion 1940 bzw. 1944 nicht anerkannte und die zur Sowjetzeit ins Land gekommenen Personen daher als Ausländer bzw. Staatenlose betrachtete, die gegebenenfalls das Land zu verlassen hätten. Aus einer Binnenmigration wurde somit quasi rückwirkend eine internationale Migration. In ihrer Beschwerde beim EGMR machte die Familie geltend, dass der lettische Staat durch seine Weigerung, ihren Aufenthaltsstatus zu regeln, ihr Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK) verletze. Der EGMR schloss sich mehrheitlich dieser Auffassung an, woraus die Bundestagsabgeordnete Dağdelen folgerte: »Es gibt – unter bestimmten Bedingungen – ein Menschenrecht auf Bleiberecht, das der ausländerrechtlichen Allmacht der Nationalstaaten Grenzen setzt. Dieses Recht steht auch nicht im ›humanitären Ermessen‹ der Behörden. Es gilt absolut!«
Cemal Kemal Altun nahm sich am 30. August 1983 durch einen Sprung aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts das Leben. Damit wollte er seiner Abschiebung in die Türkei und der dort drohenden Folter entgehen. Dreizehn Monate Auslieferungshaft und ein zermürbendes Rechtsverfahren machten den »Fall Altun« zum Symbol der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit bundesdeutscher Ausweisungspraxis. Der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen ermahnte die deutschen Behörden, ihre inhumane Behandlung von Migrant*innen zu beenden. Der Europarat protestierte, und die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg wurde hinzugezogen. In der Bundesrepublik traten Aktivist*innen in Hungerstreik, und etwa 10.000 Menschen setzten ein Zeichen, als sie Altuns Leichenzug durch West-Berlin in einen Protestmarsch verwandelten. Anti-Abschiebe-Proteste nahmen zu und institutionalisierten sich Mitte der 1980er-Jahre in Form von Kirchenasyl, Flüchtlingsräten, Pro Asyl, Fluchtburg-Bewegung, migrantischer Selbstorganisation und antirassistischen Initiativen.
Hochgespannte Erwartung. H.G. Wells’ Utopie einer »befreiten Welt« am Vorabend des Großen Kriegs
(2014)
In der belletristischen Literatur spiegeln sich nicht nur die Vergangenheitsbilder einer Epoche, sondern ebenso ihre Vorstellungen von der Zukunft. Müsste man eine Rangliste der literarischen Propheten erstellen, welche als Seismographen die Erwartungen und Befürchtungen ihrer Zeit aufnahmen und verarbeiteten, so wäre dem britischen Autor Herbert George Wells (1866–1946) einer der obersten Plätze sicher. Wie kaum ein anderer Schriftsteller und Intellektueller der späten Viktorianischen Ära verknüpfte er in seinen Werken politische Zeitdiagnostik und phantastische Zukunftsvisionen, und dies nicht allein in den bekannten Klassikern der frühen Science-Fiction-Literatur »The Time Machine« (1895) und »The War of the Worlds« (1898). Wells war ein gleichermaßen populärer, produktiver wie politisch entschiedener Autor, der insgesamt mehr als 50 Romane und eine noch größere Zahl von Sachbüchern vorlegte, von zahllosen Erzählungen und journalistischen Gelegenheitsarbeiten ganz abgesehen.
The newly emerging historical scholarship on the era ›after the boom‹, on the marketization of societies in the wake of the neoliberal political reforms, deregulation, and privatization starting in the 1970s, has emphasized this threshold as an epochal break that was driven by large-scale structural shifts in the global economy, in social relations, and in cultural identities. This new accentuation of the economic and social transformation has, for good reason, eclipsed older historical traditions that focused on events, discourses, specific interests, and individual actors. The marketization of social relations is thus often considered to be the result of processes beyond the reach and scope of purposeful actors that promoted specific societal changes. While this historical focus is quite right in denying independent causal status to specific agents and the self-aggrandizement of vain leaders and their intellectual entourage, it tends to obscure the historical genesis of ideas and concepts that later became critical components of political leadership, and the specific constellations of interests, knowledge and actors that did prefigure and originally promote the marketization of economic and political institutions.
Der Kampf gegen Kindersterblichkeit wurde für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den 1970er-Jahren noch wichtiger als zuvor. Armut, Bevölkerungswachstum, Dekolonisierung und Menschenrechte waren prägende Themen auf der Agenda Internationaler Organisationen. In der WHO kam der »Teufelskreis« aus Mangelernährung und Krankheiten in den Blick. 1978 machte die WHO die Bekämpfung von Durchfall-Erkrankungen – eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern – zum Gegenstand eines globalen Programms. Bei der Ausgestaltung verschränkten sich medizinische Wissensproduktion, sozialwissenschaftliche Annahmen und politische Deutungskämpfe über adäquate Maßnahmen und Prioritäten. Neben Angehörigen medizinischer Berufe rückten Mütter als Akteurinnen in den Mittelpunkt. Betont wurde ihre Verantwortung für die Prävention von Kindersterblichkeit und Mangelernährung. Insbesondere das Stillen wurde aufgewertet, weil es gegenüber anderen Formen der Säuglingsernährung belegbare Vorteile für die gesundheitliche Entwicklung hatte. Während dies den Blick auf die Handlungsmacht von Frauen schärfte, konnte es zugleich eine Festschreibung auf die (exklusive) Rolle von Müttern in der Kinderpflege bedeuten. Programme gegen Mangelernährung und Kindersterblichkeit im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erlauben somit eine Analyse von Geschlechterverhältnissen in Entwicklungspolitik, Medizin und sozialer Praxis.
The fight against child mortality became even more important for the World Health Organisation (WHO) in the 1970s than before. Poverty, population growth, decolonisation and human rights were defining issues on the agenda of international organisations. At the WHO, the focus turned to the ›vicious circle‹ of malnutrition and disease. In 1978, the WHO made the fight against diarrhoeal diseases – one of the most frequent causes of death among children – the subject of a global programme. Medical knowledge production, social science assumptions and political battles over appropriate measures and priorities were intertwined in the design of the programme. In addition to members of the medical profession, mothers were now acknowledged as central actors with a responsibility for the prevention of child mortality and malnutrition. Breastfeeding in particular was valorised due to its proven advantages for child health development compared to other forms of infant nutrition. While this sharpened the focus on women’s agency, it could also imply a fixation on the (exclusive) role of mothers in child care. Programmes to combat malnutrition and child mortality in the last third of the 20th century thus allow an analysis of gender relations in development policy, medicine and social practice.
Der Beitrag untersucht die Genese des Weltkultur- und Naturerbes der UNESCO im breiteren Kontext der Auseinandersetzungen um eine Neujustierung der internationalen Ordnung in den 1960er- und 1970er-Jahren. Die politischen Debatten um die Definition und Auswahl eines „Erbes der Menschheit“ dienen als analytische Sonde, um Veränderungen im Verhältnis von Partikularismus und Universalismus auszuloten. Anhand exemplarischer Konfliktfälle wird gezeigt, dass sich das Kultur- und Naturverständnis zwischen 1950 und 1980 gravierend veränderte, so dass zwei konkurrierende Rationalitäten in das Welterbeprogramm eingingen. Zudem werden die Erwartungen analysiert, die sich an die neue Governance-Institution und ihren weltweiten Anspruch richteten. Aus beiden Aspekten lässt sich die ungleiche regionale Verteilung der Welterbestätten und das bis heute unausgewogene Verhältnis von Kultur- und Naturerbestätten erklären. Der Aufsatz leistet damit auch einen Beitrag zur Historischen Semantik der Begriffe „Kultur“, „Natur“ und „Erbe“ im 20. Jahrhundert.
It would be easy to presume that the Universal Declaration of Human Rights had always been a symbol of opposition and dissent in the German Democratic Republic. Passed by the United Nations General Assembly on December 10, 1948, the UDHR contained a number of provisions that contradicted the political and social order of the GDR as run by the Socialist Unity Party (SED). It demanded an independent judiciary, prohibited arbitrary arrest and invasion of privacy, and guaranteed the right to leave one’s own country. In East Germany, where the judiciary was firmly an ideological organ, the Stasi regularly conducted mass surveillance and arbitrary detention and those seeking to leave the country illegally were shot at the border, this would seem to be a document seen to be inherently hostile to SED rule. Even the social rights contained in the UDHR, in particular the right to strike, were contrary to the legal realities of East Germany where citizens could not demand rights from the state that would obstruct the will of the party.
Yet over the course of East Germany’s existence, the Universal Declaration was more likely to be invoked by the SED than by its domestic opponents. The SED came to view the Universal Declaration and the UN human rights system as a whole as an ally to the Socialist Bloc and the contents of the UDHR reflected in the achievements of socialism within the borders of the GDR. For decades this was not challenged by East Germans on a mass scale, until very suddenly in the late 1980s, human rights and the UDHR became symbols of the democratic opposition. This article will trace the trajectory of the UDHR in East German public discourse from its passage in 1948 and the reaction by the SED in the Soviet Occupied Zone, through the commemorations of the UDHR on its many anniversaries before the ultimate collapse of SED in 1989.
Im 20. Jahrhundert lässt sich die Geschichte der Menschenrechte in Phasen der Einigkeit zwischen einzelnen Staaten und jenen der Kontroverse erzählen. So gab es Zeiten der Übereinstimmung, in denen sich die Interessen von Staaten und Zivilgesellschaften überschnitten, was die Einführung und Durchsetzung universeller Normen möglich machte, etwa 1945, 1966, 1977 und 1990. Dazwischen gab es aber auch immer wieder Momente, in denen die internationale Gemeinschaft in eben diesen Normen eine Bedrohung sah. Die UNO-Menschenrechtspakte spiegeln diese wechselvolle Geschichte und zeigen, wie die Menschenrechte und das System zum Schutz dieser durch globale Konflikte und transnationale Aushandlungsprozesse geprägt wurden.
Safer Sex und Solidarität. Die Sammlung internationaler Aidsplakate im Deutschen Hygiene-Museum
(2013)
Plakate sind für die Kommunikation im Vorbeigehen gedacht und wenden sich an ein Massenpublikum. Für die Bildsprache und den Text des Plakats erfordert dies eine Reduktion auf das Wesentliche. Wird diese Technik des Reduzierens erfolgreich angewendet, verdichten Plakate bestimmte Leitideen ihrer Entstehungszeit – und genau das macht sie als Quellen für die Geschichtswissenschaft interessant. In den bedeutenden europäischen Plakatsammlungen liegt das Augenmerk meist auf Ausstellungs- und Filmplakaten, auf Wahl- und Propagandaplakaten sowie auf Werbeplakaten für Markenprodukte des 19. und 20. Jahrhunderts. Einen anderen Schwerpunkt legt die Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden (DHMD)1 mit rund 12.000 Plakaten. Dieser Bestand dokumentiert die deutsche Geschichte von „Gesundheit und Prävention“ sowie einzelne Kapitel der entsprechenden internationalen Geschichte vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Am 12. Oktober 1960 ergriff Nikita Sergeevič Chruščev in der UNO während der Rede des philippinischen Delegierten Lorenzo Sumolong seinen Schuh, schlug damit auf seinen Tisch und ereiferte sich: „Warum darf dieser Nichtsnutz, dieser Speichellecker, dieser Fatzke, dieser Imperialistenknecht und Dummkopf – warum darf dieser Lakai der amerikanischen Imperialisten hier Fragen behandeln, die nicht zur Sache gehören?“ Chruščev war zunächst mit seinem Auftritt sehr zufrieden – er berichtete seinem Berater Oleg Trojanovskij, er habe etwas verpasst; sie hätten großen Spaß gehabt. Die sowjetische Presse verschwieg den Vorfall, während sich die westliche über die „Schusterdiplomatie“ halb ereiferte, halb amüsierte. Interessant ist, dass hier vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von „Diplomatie“ zum Ausdruck kamen. Während der konsternierte Chruščev meinte, die UNO sei ein Parlament wie das House of Commons in London, wo es zur Kultur des Hauses gehöre, durch Raunen, Rufen und Gesten seinen Unmut kundzutun, fand die westliche diplomatische Welt ihr Urteil bestätigt, dass der sowjetische Partei- und Regierungschef im besten Fall ein Politclown, im schlechtesten einfach unzurechnungsfähig sei. Der berühmte Vorfall in der UNO macht deutlich, dass auf westlicher Seite eine klare Norm diplomatischen Verhaltens existierte, an der Chruščev gemessen wurde, während dieser experimentierte, improvisierte und etwaige Normen ignorierte.
Der Bau der neuen UNESCO-Gebäude in Paris war in den 1950er-Jahren von Konflikten begleitet, die auf die schwierige Genese einer neuen internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verweisen. Der Aufsatz knüpft an jüngere Forschungen zur internationalen Geschichte sowie zu internationalen Organisationen an. Im Hinblick auf die UNESCO interessieren erstens die Etappen der Auseinandersetzung und zweitens die Bauten selbst. Drittens geht es um Gebrauchsweisen und Lesarten des Gebäudeensembles. Die Analyse beruht auf der These, dass die durch die Architektur geschaffene räumliche Ordnung und die verwendeten Materialien als bedeutungstragend zu verstehen sind. Allerdings deckte sich das realisierte Gebäude nicht völlig mit den Programmen und Wunschvorstellungen seiner Initiatoren. Die zeitgenössischen Kritiken sowie heutige Analysen geben den Blick frei auf nicht weiter explizierte Annahmen und Hierarchien, die die Organisation als politische und soziale Ordnung in den 1950er-Jahren prägten – und sie möglicherweise nach wie vor bestimmen.
In der jüngeren zeithistorischen Forschung haben die europäischen Dimensionen des Nationalsozialismus an Konturen gewonnen. War die Historiographie der „Deutschen Katastrophe“ ein nationales Projekt sui generis und die ältere Forschung lange vorrangig auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Deutschen Reich selbst konzentriert, so rücken nun transnationale Fragen verstärkt ins Blickfeld. Im Sinne einer histoire croisée der europäischen Zwischenkriegszeit werden vergleichende wie verflechtungsgeschichtliche Ansätze enger aufeinander bezogen. Das Forschungsfeld hat sich dabei geöffnet – hin zu einer Gewaltgeschichte Europas im 20. Jahrhundert.
Politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Krisen haben im beginnenden 21. Jahrhundert mehr denn je einen globalen Zuschnitt. Wenn die Weltwirtschaft ins Wanken gerät, wenn die internationale Staatengemeinschaft Maßnahmen gegen Hungerkatastrophen zu ergreifen versucht, wenn ein nuklearer Unfall (wie zuletzt im Frühjahr 2011 in Japan) weltweite Auswirkungen zeitigt oder wenn vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die Verantwortlichen für die Massaker während des Jugoslawienkonflikts zur Rechenschaft gezogen werden – stets rückt die zwischenstaatliche, internationale Verständigung auf die Agenda. Auch die zeithistorische Forschung geht im frühen 21. Jahrhundert in wachsendem Maße über den Nationalstaat hinaus. Viele Arbeiten wählen einen europäischen Rahmen, erste Studien integrieren globalhistorische Bezüge. Eine gesteigerte Aufmerksamkeit kommt außerdem der lange Zeit von vielen nur wenig beachteten internationalen Sphäre zu. Der im Zeitalter der Extreme oft vergessene Internationalismus der Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg erlebt nun in der Historiographie ein breites Comeback.
Die Internationale Geschichte verzeichnet gegenwärtig einen Boom – auch und besonders in der Zeitgeschichte. Hatte sich die zeithistorische Forschung in der Bundesrepublik seit ihren Anfängen, Hans Rothfels folgend, zwar „im internationalen Rahmen“ positioniert, so galt das vorrangige Interesse doch den großen Problemen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Entsprechend standen die deutsche Politik im Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik sowie der Nationalsozialismus und seine Folgen lange Zeit im Fokus. Später traten die Fragen der Zweistaatlichkeit sowie, nach 1989/90, umfassende Forschungen zur DDR-Geschichte und zu den beiden deutschen Staaten im Europa des Kalten Kriegs hinzu. Auch die Geschichte Europas hat in der zeithistorischen Forschung seit langem viel Aufmerksamkeit gefunden; verglichen mit Osteuropa genoss „der Westen“ hier allerdings oft einen Vorrang.