Global History
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Am 12. Oktober 1960 ergriff Nikita Sergeevič Chruščev in der UNO während der Rede des philippinischen Delegierten Lorenzo Sumolong seinen Schuh, schlug damit auf seinen Tisch und ereiferte sich: „Warum darf dieser Nichtsnutz, dieser Speichellecker, dieser Fatzke, dieser Imperialistenknecht und Dummkopf – warum darf dieser Lakai der amerikanischen Imperialisten hier Fragen behandeln, die nicht zur Sache gehören?“ Chruščev war zunächst mit seinem Auftritt sehr zufrieden – er berichtete seinem Berater Oleg Trojanovskij, er habe etwas verpasst; sie hätten großen Spaß gehabt. Die sowjetische Presse verschwieg den Vorfall, während sich die westliche über die „Schusterdiplomatie“ halb ereiferte, halb amüsierte. Interessant ist, dass hier vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von „Diplomatie“ zum Ausdruck kamen. Während der konsternierte Chruščev meinte, die UNO sei ein Parlament wie das House of Commons in London, wo es zur Kultur des Hauses gehöre, durch Raunen, Rufen und Gesten seinen Unmut kundzutun, fand die westliche diplomatische Welt ihr Urteil bestätigt, dass der sowjetische Partei- und Regierungschef im besten Fall ein Politclown, im schlechtesten einfach unzurechnungsfähig sei. Der berühmte Vorfall in der UNO macht deutlich, dass auf westlicher Seite eine klare Norm diplomatischen Verhaltens existierte, an der Chruščev gemessen wurde, während dieser experimentierte, improvisierte und etwaige Normen ignorierte.
Having for a long time been an area of research mainly reserved for specialists in international relations and political scientists, the international organizations (IOs) that first emerged in the twentieth century’s pre-World War II decades have also attracted renewed interest of historians for the past several years. This development has its place in a movement of ‘globalization’ within the discipline, evident in both themes and practice. The nation, the region, and the village remain pertinent units for study, but the historian interested in global history approaches them in relation to other spaces, reflecting renewed attention to connections and forms of circulation traditionally neglected in specialized studies. As will be argued below, in their role as observation posts, the IOs and international associations here comprise an especially productive area of research, in effect opening access to work on complexly intermeshing ‘circulatory regimes’.
In Nürnberg formulierten die Alliierten 1945 erstmals das völkerrechtliche Prinzip, dass allgemeine Menschenrechte über nationalem Recht stehen. Damit wurde es möglich, staatlich sanktionierte Verbrechen zu ahnden – in diesem Fall die deutschen Verbrechen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs. Seit den 1990er-Jahren haben diverse vergleichbare Prozesse stattgefunden, etwa zu den Ereignissen in Jugoslawien, Ruanda und Kambodscha. Dass das Führungspersonal eines Landes für Kriegsverbrechen und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ strafrechtlich belangt werden kann, war im 20. Jahrhundert stark umkämpft und ist bis heute nicht vollständig durchgesetzt. Der Aufsatz stellt die drei wichtigsten Etappen im Überblick dar: die Leipziger Prozesse nach dem Ersten Weltkrieg, die Prozesse von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Debatte um die Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Strittig war und ist vor allem, inwieweit auch Großmächte wie die USA bereit sind, universellen Menschenrechten und einer supranationalen Autorität gegenüber herkömmlichen nationalen Souveränitätsrechten einen Vorrang einzuräumen.
„Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Sebstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.“
Der Bau der neuen UNESCO-Gebäude in Paris war in den 1950er-Jahren von Konflikten begleitet, die auf die schwierige Genese einer neuen internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verweisen. Der Aufsatz knüpft an jüngere Forschungen zur internationalen Geschichte sowie zu internationalen Organisationen an. Im Hinblick auf die UNESCO interessieren erstens die Etappen der Auseinandersetzung und zweitens die Bauten selbst. Drittens geht es um Gebrauchsweisen und Lesarten des Gebäudeensembles. Die Analyse beruht auf der These, dass die durch die Architektur geschaffene räumliche Ordnung und die verwendeten Materialien als bedeutungstragend zu verstehen sind. Allerdings deckte sich das realisierte Gebäude nicht völlig mit den Programmen und Wunschvorstellungen seiner Initiatoren. Die zeitgenössischen Kritiken sowie heutige Analysen geben den Blick frei auf nicht weiter explizierte Annahmen und Hierarchien, die die Organisation als politische und soziale Ordnung in den 1950er-Jahren prägten – und sie möglicherweise nach wie vor bestimmen.
Das Ende des Kalten Krieges oder wie man alt wird. Man wird unwillkürlich zum Historiker der Zeit, deren Zeitgenosse man gewesen ist. Eine Epoche ist zu Ende gegangen, und wenn man diese beschreibt, beschreibt man zugleich auch ein Stück des eigenen Lebens, und umgekehrt: Das individuelle Leben fällt mit der historischen Zeit zusammen. Das hat nichts mit Selbstliebe oder Selbstüberschätzung zu tun. Man merkt es, wenn man mit jungen Leuten zusammen ist, mit denen man über Ereignisse spricht, die vor ihrer Geburt liegen, die man selbst aber miterlebt hat. Man berichtet aus der eigenen Zeit, die ihre Vorzeit ist. Es ist lohnend, sich dieser Zeit genau zu erinnern. Die subjektive Erinnerung bewahrt Details, Nuancen, Valeurs, die im Betrieb der Geschichtsforschung entweder gar nicht vorkommen oder später, wenn man deren Fehlen bemerkt, mühsam rekonstruiert werden müssen.
Die Teilung Europas und ihre Überwindung. Überlegungen zu einem Ausstellungskonzept für Berlin
(2009)
Die von Winston Churchill in seiner Fulton-Rede über den „Eisernen Vorhang“ im März 1946 konstatierte Teilung Europas war eine zentrale, wenn nicht sogar die wichtigste Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie zerriss nicht nur die Stadt Berlin, sondern auch Deutschland und den gesamten europäischen Kontinent, indem sie eine physische Barriere zwischen dem Osten und dem Westen errichtete, die zumindest nach dem Mauerbau immer schwerer zu überwinden wurde. Im Kalten Krieg gruppierten sich die europäischen Länder in ideologische Lager und bildeten zwei militärische Bündnissysteme, die sich feindlich gegenüberstanden. Während sich der Westen im Rahmen der EG auch ökonomisch allmählich integrierte, gelang dieser Prozess im Osten mit dem COMECON nur teilweise. Wegen der manifesten Krisen von 1948/49 und 1958-1961 sowie dem Bau der Mauer wurde die frühere deutsche Hauptstadt Berlin zum Symbol dieser Auseinandersetzung der Blöcke. Da sich der Konflikt aufgrund des Viermächtestatus hier verdichtete, wäre Berlin auch der geeignete Ort, um die gegenseitige Bedrohung in einem Museum anschaulich zu machen. Die Überwindung der Folgen der Teilung Europas bleibt eine wichtige Aufgabe der gegenwärtigen Politik; deshalb müsste eine solche Einrichtung nicht nur die vergangenen Spannungen musealisieren, sondern sollte auch das Potenzial der Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Zukunft verdeutlichen.
Wie haben sich die Perspektiven auf die NS-Zeit seit 1989/90 verändert? Nach einem knappen Rückblick auf die „historiographische Systemkonkurrenz“ in der Ära des Kalten Krieges werden zunächst wichtige Blickerweiterungen skizziert, die bereits vor 1989/90 einsetzten: die wachsende Aufmerksamkeit für alltagsgeschichtliche Zusammenhänge sowie vor allem für die Verfolgung und Ermordung der Juden. Die Zäsur von 1989/90 brachte für die NS-Forschung einen zusätzlichen Schub, weil sie die Bedeutung von Akteuren in historischen Entscheidungssituationen nachhaltig in den Vordergrund rückte. Der Aufsatz erläutert darüber hinaus drei Stränge der aktuellen NS-Forschung: Ansätze einer integrierten Geschichte, die eine dichotomische Betrachtung von Opfern und Tätern überwinden; die Europäisierung und Globalisierung nicht nur der Erinnerungspolitik, sondern auch der wissenschaftlichen Arbeiten zur NS-Zeit; sowie das übergreifende Phänomen einer verstärkten Medialisierung von Geschichte.
Der „Kalte Krieg“, so er sich denn als sinnvoller Epochenbegriff durchsetzt, sollte vorerst nicht insgesamt musealisiert werden. Eine Darstellung der Teilung Berlins, Deutschlands und Europas, aber auch der wechselnden und fortdauernden Verflechtungen würde einen bescheideneren und angemesseneren Rahmen bilden. Eine Ausstellung könnte dabei ein Kern sein, sollte jedoch vor allem eines leisten: eine vielfältige Erinnerungslandschaft in Berlin, in Deutschland, in Europa erschließen und neugierig auf sie machen.
Der Aufsatz skizziert die Geschichte und die Veränderungen eines der bedeutendsten Porträts der Zeitgeschichte: des Mao-Porträts auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) in Peking. Er spannt den Bogen von 1949 bis in die Gegenwart und untersucht dabei die unterschiedlichen Funktionen und Gebrauchsweisen des Bildes als Herrschaftssymbol, als Ikone der studentischen Protestbewegungen des Westens und der Pop Art um 1968, als kollektivem Protestobjekt im Frühjahr 1989, als Motiv der chinesischen Gegenwartskunst sowie als Bestandteil des Alltagskults. Ein besonderer Akzent wird dabei auf die immanenten Wirkungspotenziale des Bildes und den Ort seiner Präsentation gelegt. In allgemeinerer Perspektive versteht sich der Aufsatz als Plädoyer für eine Visual History von Herrscherbildern der Zeitgeschichte.