Geschichtspolitik
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Katalysator wider Willen. Das Humboldt Forum in Berlin und die deutsche Kolonialvergangenheit
(2019)
Das neu-alte Schloss steht bereits. Die Baugerüste sind Ende 2018 gefallen und haben den Blick auf die rekonstruierten Barockfassaden an der Nord-, West- und Südseite freigegeben. Lediglich die moderne Ostfassade lässt von außen erkennen, dass es sich bei dem Gebäude auf dem Berliner Schlossplatz nicht wirklich um das alte Stadtschloss handelt, sondern um eine Teilrekonstruktion. In deren Innerem soll ab Ende 2019, im 250. Geburtsjahr Alexander von Humboldts, das Humboldt Forum etappenweise eröffnen. Neben Sonderausstellungsflächen, Veranstaltungsräumen und einer Ausstellung zur Geschichte des Ortes im Erdgeschoss sowie Ausstellungen des Landes Berlin und der Humboldt-Universität im ersten Obergeschoss wird es im zweiten und dritten Obergeschoss die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst beherbergen, die beide zu den Staatlichen Museen zu Berlin gehören und damit Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind.
Das Ziel der 1787 geschriebenen US-Verfassung sei es, so heißt es in der Präambel, »to form a more perfect union«. Damals war offen, ob das politische Experiment auf dem nordamerikanischen Kontinent erfolgreich sein oder ob es aufgrund von inneren und äußeren Konflikten schon bald scheitern würde. Entsprechend nannte das 1782 entstandene Great Seal of the United States, auf dem auch das bekannte Präsidentensiegel basiert, eine bis heute nicht völlig eingelöste Aufgabe: »E pluribus unum«, »Out of Many, One«, also aus vielen Einzelstaaten einen gemeinsamen Staat zu machen.
Blickt man vom Ufer der Motława in Gdańsk Richtung Norden, schiebt sich ein Bauwerk in den Blick, das sich deutlich von seiner Umgebung abhebt: ein schräg stehender langgestreckter Quader, der dem Anschein nach gleich umkippen wird. Statisch droht zwar kein Unglück, die Schieflage des Gebäudes verdeutlicht aber im übertragenen Sinn, wie es um das Innenleben des Bauwerkes steht. Es beherbergt das Museum des Zweiten Weltkrieges. Kein anderes Museum in Polen hat in den vergangenen Jahren mehr Kontroversen ausgelöst als das Projekt in Gdańsk. Obwohl in Polen zu Recht von einem Museumsboom gesprochen werden kann und es durchaus weitere Steine des Anstoßes gegeben hätte, ist nur der Streit um das Museum in Gdańsk so eskaliert.
Seit den 1980er-Jahren erleben wir in der Bundesrepublik und auch in anderen Ländern einen Museumsboom, der noch lange nicht abgeschlossen zu sein scheint. Er zeichnet sich nicht allein durch immer neue Museumsgründungen und hohe Besuchszahlen aus, sondern auch durch eine umfassende mediale Begleitung und öffentliche Diskussion von Museums- und Ausstellungseröffnungen. Gleichzeitig wandeln sich Funktion und Selbstverständnis vieler Museen seit Beginn des 21. Jahrhunderts: weg von elitären Bildungseinrichtungen, hin zu Orten des zivilgesellschaftlichen Austauschs und der Partizipation. Dieser Wandel in der Museumswelt trifft gegenwärtig auf ihrerseits gewandelte geschichtspolitische Ansprüche, die an die Museen herangetragen werden.
Sie stehen vor Rathäusern, auf Friedhöfen, auf öffentlichen Plätzen und in Parks. Denkmäler, die an die Konföderierten erinnern, gehören zum typischen Stadtbild in den US-amerikanischen Südstaaten. Was im Zusammenhang mit den Nationalstaaten in Europa plausibel erscheint, wirft im US-amerikanischen Kontext Fragen auf, fand das Gedenken an die Konföderation doch in eben jenem Staat statt, der die Unabhängigkeit des Südens vereitelt hatte. Die Denkmäler können Aufschluss darüber geben, was die Denkmalsstifter für erinnerungswürdig hielten (und was nicht) und wie sich die Monumente in das kollektive Gedächtnis in den Südstaaten einpassten. Aufgrund der Niederlage des Südens ist es umso interessanter, was Denkmäler in den Südstaaten vor dem Hintergrund der Selektivität des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft aussagen sollten und wie sich diese Aussage womöglich über die Jahrzehnte hinweg veränderte. Anhand von drei Denkmälern im Bundesstaat North Carolina soll diese Entwicklung exemplifiziert werden.
"Für das Jahr 2013 hatte der Berliner Senat ein Themenjahr ausgerufen:
'Zerstörte Vielfalt. Berlin im Nationalsozialismus'. Zwischen dem
30. Januar und dem 9. November sollte an die Machtübernahme der
Nationalsozialisten vor 80 Jahren und an die Novemberpogrome vor
75 Jahren erinnert werden. Über 1000 Veranstaltungen konnten in der
Stadt besucht werden: Ausstellungen der großen Museen und Gedenkorte,
der Regional- und Stadtmuseen, kleiner privater, zivilgesellschaftlicher, kirchlicher oder gewerkschaftlicher Initiativen, dazu Konzerte,
Lesungen, Theateraufführungen.(...)"
Im Jahr 2010 entzündete sich am Abschlussbericht einer vom Auswärtigen Amt eingesetzten Historikerkommission zur Geschichte des Ministeriums vor und nach 1945 eine außergewöhnlich heftige fachliche und öffentliche Debatte. Indem die Vorgeschichte der Einsetzung der Kommission, die grundlegende Struktur sowie Ablauf und Themen der Debatte skizziert werden, wird zunächst ein Überblick der Auseinandersetzung ermöglicht. Es entsteht das Bild einer von unterschiedlichen Faktoren bestimmten vielschichtigen Debatte, in der sich wissenschaftliche und (geschichts)politische Argumente in unterschiedlichen Anteilen mischten.
Wie Ernst Jandls Gedicht »markierung einer wende« grafisch und sprachlich zum Ausdruck bringt, war das europäische Ende des Zweiten Weltkrieges ein fundamentaler Einschnitt. Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht – am 7. Mai in Reims, am 8./9. Mai in Berlin-Karlshorst – fand ein Krieg seinen symbolischen Schlussakt, der von ungeheurer Gewalt und Zerstörung geprägt gewesen war. Weit über 50 Millionen Menschen waren im Verlauf des deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieges umgekommen, darunter etwa 30 Millionen Zivilisten. Die zeitgenössischen Erfahrungen vom Mai 1945 waren sehr unterschiedlich; sie hingen wesentlich davon ab, welche Position die einzelnen Akteure bis zum Kriegsende innegehabt hatten. Die körperlichen, seelischen und politischen Reaktionen auf die neue Lage umfassten ein breites Spektrum: Entkräftung und Tod noch nach dem Ende der Kampfhandlungen, Angst vor Rache und Bestrafung, Erleichterung über den Sturz des NS-Regimes, Apathie und Orientierungslosigkeit, Bemühungen um eine neue Identität, Hoffnung auf einen Neubeginn, Interesse an Schuld- und Gewissensfragen, Furcht vor Internierung oder Vertreibung und vieles mehr. Eine nicht genau ermittelbare Zahl vormaliger NS-Funktionsträger entzog sich einer möglichen Verurteilung durch Selbstmord, und generell war es für alliierte Beobachter überraschend, dass plötzlich so gut wie keine bekennenden Nazis mehr auffindbar waren. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg fanden offen revanchistische Bestrebungen in Deutschland keinen Nährboden, da die militärische und zugleich die geistig-moralische Niederlage nun noch grundlegender war. Die überlebenden Verfolgten des NS-Regimes konnten sich darüber allerdings nur eingeschränkt freuen; wer mit dem Leben davongekommen war, hatte meist irreversible psychische oder physische Schäden erlitten.
Die geschichtspolitischen Aktivitäten des Bundeskanzlers Helmut Kohl riefen während seiner Amtszeit vielfach Spott und bei späteren Rückblicken ebenfalls deutliche Kritik hervor. Der „Spiegel“ bezeichnete Kohl im April 1985, anlässlich der Affäre um den Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg, als „Tolpatsch in höchst sensitivem Gelände“ und beklagte seine „Sucht nach immer neuen Versöhnungsritualen“. Vor dem Hintergrund des Historikerstreits von 1986/87 wurde vielfach gewarnt vor „Entsorgungsversuche[n] zur deutschen Geschichte“ bzw. dem „Versuch, Vergangenheit zu verbiegen“. Diese zeitgenössische Sicht beeinflusste – gewiss nicht ohne Grund – auch wissenschaftliche Analysen. Sabine Moller nannte in ihrer politikwissenschaftlichen Diplomarbeit von 1998 die „Entdifferenzierung von geschichtlichen Ereignissen“ als ein Charakteristikum der Ära Kohl, und selbst der dem Kanzler gegenüber weniger kritisch eingestellte Rupert Seuthe schrieb Kohl in seiner Dissertation von 2001 ein „von Differenzierungsgeboten offensichtlich unbeeinträchtigtes Geschichtsverständnis“ zu.
Planprojekt Meistererzählung. Die Entstehungsgeschichte des "Lehrbuchs der deutschen Geschichte"
(2000)
Kein anderes historiographisches Unternehmen in der DDR hat im Kampf um die Deutungshoheit über die Vergangenheit eine so umfassende Rolle gespielt wie das Hochschullehrbuch der deutschen Geschichte. Es unterfing sich, die ganze historische Zeit von den Jäger- und Sammlerhorden im Altpaläolithikum bis zur deutschen Doppelstaatlichkeit in der Gegenwart darzustellen, und es spiegelte in den fünfunddreißig Jahren, die zwischen dem ersten Entwurf 1952 und den letzten Neuauflagen 1986 lagen, die ganze Wegstrecke von der Konstitution bis zur Erosion des sozialistischen Geschichtsbildes. „Es geht darum, den werktätigen Massen - den wahren Schöpfern der Geschichte - die Vergangenheit zu beleuchten, damit sie ihren heutigen Kampf mit den revolutionären Traditionen verbinden“ - mit diesen Worten umriß der wissenschaftliche Sekretär des Lehrbuch-Projekts 1955 die Aufgabe in einem für das „Neue Deutschland“ bestimmten Beitrag.