Flucht und Vertreibung
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Die Geschichte der Aussiedlung sudetendeutscher Antifaschisten und ihrer Integration in die Nachkriegsgesellschaft der SBZ/DDR gehört in den Gesamtzusammenhang der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ostdeutschland und Osteuropa sowie ihrer Integration in die Gesellschaft der beiden deutschen Teilstaaten. Unter den insgesamt etwa vier Millionen geflohenen, vertriebenen und ausgesiedelten Deutschen, die in der sowjetischen Besatzungszone verblieben, bildeten die über 800 000 Deutschen aus der Tschechoslowakei die zweitgrößte Gruppe. Etwa 50 000 von ihnen, mehrheitlich ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) und der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei (DSAP), kamen als sogenannte Antifa-Umsiedler in die SBZ.
»Hitler has won another victory at Bermuda […].« So kommentierte die Zeitung der zionistischen Arbeiterbewegung in den USA, »The Jewish Frontier«, die Bermuda-Konferenz vom April 1943. Was war passiert? Nach der Konferenz von Evian im Juli 1938 (und ihrem ernüchternden Ergebnis) war dies der zweite Versuch, mit einer internationalen Konferenz die Frage der jüdischen Flüchtlinge zu klären. Doch wie bereits 1938 am Genfer See, als sich außer der Dominikanischen Republik alle Teilnehmerstaaten weigerten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, kam auch auf Bermuda keine Lösung zustande, obwohl an den mörderischen Absichten und Praktiken Nazi-Deutschlands 1943 kein Zweifel mehr bestand. Der World Jewish Congress (WJC) hatte für die Gesandten eine Informationsmappe zusammengestellt, die die nationalsozialistische Vernichtungspolitik darlegte und zum entschlossenen Handeln aufrief. Doch die Gesandten der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, die auf der britischen Inselgruppe im Nordatlantik zusammenkamen, um über die Aufnahme europäischer Juden zu verhandeln, begruben die Idee einer groß angelegten Rettungsaktion rasch. Beide Staaten begnügten sich mit Symbolpolitik und kleinteiligen Maßnahmen. Zwar wurde das Intergovernmental Committee on Refugees (ICR) reaktiviert, welches nach der Evian-Konferenz gegründet worden war und sich größtenteils als ineffektiv herausgestellt hatte. Doch blieb das ICR auch für den Rest des Krieges unbedeutend.
Angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Bildern für die Erinnerung und insbesondere von Fotos für das »Erscheinungsbild« der jüngeren Geschichte ist es frappierend, dass das Bildgedächtnis zur Zwangsmigration der Deutschen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs und in seinem Gefolge bislang kaum Beachtung gefunden hat. Erst in den letzten Jahren haben einige Historikerinnen und Historiker auf diese wichtige Forschungslücke hingewiesen und versucht, sich den kollektiven Bilderwelten von Flucht und Vertreibung anzunähern. Bislang wurden dabei insbesondere zentrale Bildmotive von ikonischer Qualität eruiert – wie der Flüchtlingstreck und das Mutter-Kind-Motiv –, ihre politisierten Entstehungskontexte untersucht und ihr strategischer Gebrauch in der Vertreibungserinnerung bestimmt.
Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) spricht von der größten humanitären Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg (UNHCR 2014) und die Anzahl an Asyl- und Schutzsuchenden in Europa nimmt Ausmaße wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr an. Die Themen Flucht und Flüchtlingsaufnahme werden in Öffentlichkeit und Politik kontrovers diskutiert. Für die Sozialwissenschaften sind die Themen Vertreibung, Zwangsmigration und Flüchtlingsschutz nicht nur hoch aktuell, sondern fundamental mit der Organisation und Gestalt der modernen Staatenwelt verbunden. Aus vielfältigen Gründen sind Menschen gezwungen, auf der Suche nach Unterstützung und politischem Schutz ihre Länder zu verlassen. In der nationalstaatlich organisierten Welt können fundamentale Rechte nur gewährleistet werden, wie Hannah Arendt es bekanntermaßen ausdrückte, sofern man das Recht hat, Rechte zu haben (Arendt 1994: 290-302). Jene, die aus ihren Herkunftsländern fliehen, klagen damit nicht nur gegenüber der restlichen Welt ihre Menschenrechte ein, sie stellen auch grundsätzliche Fragen an die Sozialwissenschaften. Wie gehen in unserer globalen Gesellschaft, aber auch regional, national und lokal, Flucht und Vertreibung einher mit humanitärer Unterstützung, mit dem Anspruch auf Rechte und Schutz für Flüchtlinge? Damit verbunden sind auch Fragen von Sicherheitspolitik, Grenzschutz, Rassismus und ökonomischen Interessen, um nur einige Themen zu benennen. Flüchtlinge existieren tatsächlich und metaphorisch zugleich an der Peripherie und im Zentrum.
Jürgen Thorwalds „Die große Flucht“, erstmals 1949/50 in zwei Bänden erschienen und zuletzt 2005 wieder aufgelegt, ist eines der verbreitetsten Werke über das Ende des Zweiten Weltkriegs im Osten sowie Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung. In den 1950er-Jahren gehörte Konrad Adenauer zu den Lesern, und bis heute argumentiert Erika Steinbach mit Elementen aus Thorwalds Darstellung. Sehr früh hatte Thorwald (Pseudonym für Heinz Bongartz) exklusiven Zugriff auf eine Fülle von Dokumenten und Zeitzeugenberichten. Sein Erfolg lässt sich jedoch eher mit der besonderen Darstellungsweise erklären, die sich zugleich sachlich und emotional gibt. Historiographischer Anspruch und literarische Verdichtung sind in dem Werk eng verbunden. Ästhetisch knüpfte Thorwald an den Kriegsbericht an, zu dem er als Autor journalistischer Artikel und Bücher über Luftwaffe und Marine vor 1945 selbst beigetragen hatte. Gleichzeitig bilden Thorwalds Bücher spezifische diskursive Formationen der Nachkriegszeit ab.