Eliten
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Die Nationale Volksarmee (NVA) war das bedeutendste bewaffnete Organ der DDR. Sie entstand im Kalten Krieg der fünfziger Jahre aus getarnten militärischen Vorläufern heraus als eine vorgeblich wahrhafte „Arbeiter-und-Bauem-Armee“. In Wirklichkeit bildeten das ostdeutsche Militär und die mit ihm verbundenen anderen bewaffneten Kräfte von Anfang an obrigkeitsstaatliche Machtinstrumente im Dienste der SED-Politik, der sie sich völlig unterordneten.
Keine Institution des Staates DDR hat seit dessen Zusammenbruch solche Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Bei der Aufarbeitung dieses „erschreckendsten und zugleich groteskesten Teils des SED-Herrschaftssystems“ herrschte und herrscht ein erheblicher Nachholbedarf - und aufgrund der nach Art und Maß einmaligen Aktenöffnung besteht auch eine gute Chance, zu grundlegenden Wissensfortschritten über diesen Eckpfeiler des Staatssozialismus zu gelangen. Ihrer Genese nach steht diese Aufarbeitung in einem dezidiert politischen Kontext, der den Diskurs über das in der Zeitgeschichte ohnehin übliche Maß hinaus prägt. Die folgende Skizze befaßt sich mit den in diesem Zusammenhang eher vernachlässigten hauptamtlichen Mitarbeitern, die die Funktion der Staatssicherheit als wichtigstem repressiven Instrument der Parteidiktatur praktisch ausführten und die Herrschaftsinteressen gegenüber inoffiziellen Zuträgern und „Publikum“ vermittelten und durchsetzten. Im folgenden soll untersucht werden, welchen Platz das Personal der Staatssicherheit innerhalb der soziopolitischen Gesellschaftsstruktur der DDR einnahm, inwiefern sich diese Position funktional und intentional als „elitär“ definieren läßt und welche besonderen Ausprägungen das Selbstverständnis der MfS-Mitarbeiter im Kontext des „kollektiven Bewußtseins“ im Staats- und Parteiapparat der DDR aufwies. Zudem sollen genetische Ursprünge und soziobiographische Grundlagen dieses Selbstbildes Umrissen und schließlich Erosionsprozesse in der Endphase der DDR in den Blick genommen werden.
Berufliches Selbstbild. Arbeitshabitus und Mentalitätsstrukturen von Software-Experten in der DDR
(1999)
Im kapitalistischen Westen gelten Software-Entwickler spätestens seit den achtziger Jahren als Innovatoren, die im Zuge der fünften Phase der Industriellen Revolution manche überkommene Autoritäts-, Wirtschafts- und Sozialstrukturen durchbrochen haben, um ihr innovatives Potential zu entfalten, allerdings mit schwacher emanzipatorischer Auswirkung, beispielsweise für Frauen. Bislang ist aber wenig über die Ingenieure und Ingenieurinnen, die Mathematiker und Mathematikerinnen bekannt, die in der DDR die Software-Entwicklung zu einem der erfolgreichsten Gebiete der Industrieforschung gemacht haben. Diese Experten, die als eine bedeutende Teilelite im Sinne einer „funktionalen Elite“ bzw. einer „Dienstklasse“ begriffen werden können, sind bisher kaum Untersuchungsgegenstand der sozial- bzw. kulturgeschichtlich orientierten Elitenforschung gewesen. Dieser Zustand ist in erster Linie auf die Quellenlage zurückzufuhren. Als wenig ergiebig für die Sozial- und Kulturgeschichte erwiesen sich die Akten relevanter Betriebs- und Parteiarchive aus der Ära Honecker. Für unsere Zwecke weit ergiebiger, obwohl mit quellenkritischen Problemen eigener Art behaftet, bleiben die Oral History-Methoden, die hier zur Anwendung kommen sollen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das von der amerikanischen Stiftung „National Science Foundation“ finanziert wird, sind Gespräche mit zwanzig Software-Ingenieuren der ehemaligen DDR geführt worden. Bei den Interviews, die im Schnitt eine bis zwei Stunden dauerten, wurde ein Fragenkatalog verwendet, der thematische Schwerpunkte setzte und Vergleichbarkeit gewähren sollte. Viel Wert wurde darauf gelegt, dem Gesprächspartner die Gelegenheit zu bieten, innerhalb des vorgegebenen Rahmens Gedanken selbst zu formulieren und einzuordnen, sowie assoziativ zu den Themen zu gelangen, die wichtige Momente der beruflichen Identität berühren. Bei diesen Tiefengesprächen sollten also keine quantitativ verwertbaren Daten gewonnen, sondern vielmehr individuell geprägte Mentalitätsstrukturen und Verhaltensweisen exemplarisch untersucht werden. Dabei war das Gruppenspezifische herauszuarbeiten.
Die DDR-Elitenforschung geht zunehmend über politikgeschichtliche Problemformulierungen bzw. die „klassische“ Sozialprofilanalyse hinaus und nimmt kultur-, mentalitäts- und alltagsgschichtliche Fragestellungen in den Blick; das Interesse richtet sich auf Einstellungen und Wertorientierungen, Arbeits- und Lebensstile, auf Habitus und Alltagspraxis von Eliten. Die folgende Studie thematisiert, mit exemplarischem Anspruch, einen Ausschnitt aus dieser Problematik: den Verwaltungsstil der zentralen Planbürokratie der DDR - der Staatlichen Plankommission (SPK) und der Branchenministerien - in der ersten Fünfjahrplanperiode.
Wie alle gesellschaftlichen Bereiche der DDR wurde auch die Landwirtschaft wesentlich vom Wirken der jeweiligen Verantwortungsträger gestaltet. Für den Bereich der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe, die seit den sechziger Jahren sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) der DDR bewirtschafteten, waren das die Leiter der Volkseigenen Güter (VEG). Neben den LPG-Vorsitzenden bildeten die VEG-Direktoren die wichtigsten Entscheidungsträger auf dem Gebiet der Landwirtschaft. In den siebziger Jahren wurde dieser Kreis um die Leiter der in einer Kooperation zusammenarbeitenden Betriebe - Kreisbetriebe für Landtechnik, Agrochemische Zentren, Verarbeitungsbetriebe u. a. - ergänzt. Wie das industrielle Führungspersonal zählten VEG-Direktoren zum unteren Bereich des staatlichen Apparatesystems, der Zugang zu den politischen Entscheidungszentren war ihnen verwehrt. Ihre potentielle „Macht“ ergab sich aus der ernährungssichernden Funktion der VEG. Es wundert daher nicht, daß die SED auf die Auswahl der Direktoren so früh wie möglich Einfluß nahm. Mit dem Ziel, der Partei eng verbundene und gleichzeitig qualifizierte Fachleute einzusetzen, erfolgte bis Mitte der sechziger Jahre ein umfassender Wechsel an der Spitze der VEG. Bisher Benachteiligte erhielten unter Brechung des Bildungsmonopols Aufstiegschancen, die sie zu nutzen wußten. Für ihre weitere berufliche Entwicklung waren vor allem ökonomische Probleme der Güter entscheidend, auf die daher in der Arbeit Bezug genommen wird.
Während die soziale Struktur und die Funktion der ostdeutschen Führungsgruppen bis hinein in ihre sektoralen Gliederungen inzwischen mit einer Reihe von Fallstudien zumindest im Ansatz beschrieben und analysiert wurden, liegen für den Bereich der Motivation, der Selbst- und Fremdwahmehmung sowie der mentalen Disposition der Eliten im „Arbeiterund Bauemstaat“ kaum gesicherte Befunde vor. Dies gilt, obwohl dieses Problem und Themenfeld inzwischen als ein Desiderat der zeitgeschichtlichen DDR-Forschung erkannt, diskutiert und methodisch problematisiert wurde.
Existierten in der Gesellschaft der DDR überhaupt Eliten? Die Antwort auf diese Frage ist umstritten. Wenn es Eliten gab, was machte sie dazu, wie agierten sie, wer gehörte zu ihnen? Andererseits, wenn sie fehlten, wer oder was befand sich an ihrer Stelle und warum? Oder gab es in der sozialen Struktur der sozialistischen Gesellschaft gar keine adäquaten Funktionen und Positionen, die sich einer Elite zuschreiben ließen? Solche Fragen verweisen auf ein kontrovers diskutiertes Thema, dem sich im Laufe der neunziger Jahre auch die zeithistorische DDR-Forschung verstärkt zuwandte. Die in diesem Sammelband vereinten Beiträge sind aus dieser Diskussion hervorgegangen.
In modernen, auf Massenbewegungen und plebiszitärer Akklamation basierenden Diktaturen, die mit ihren spezifischen pseudodemokratischen Legitimationsstrategien die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt haben, bildet der Elitenwechsel eine integrale Komponente des ehrgeizigen Projekts, die Gesellschaft der politischen Herrschaft der jeweiligen Machthaber zu unterwerfen. In den west- und mitteleuropäischen Staaten waren dabei die vorangegangene Demokratisierung und die Ausweitung der politischen Partizipation ebensowenig vollständig reversibel wie die - durch neue Medien, Verkehrsmittel und Übermittlungstechniken begünstigte - Zunahme der sozialen Mobilität und Kommunikation seit dem späten 19. Jahrhundert. Diktatorische Regimes zielten deshalb zugleich auf eine gesellschaftliche Mobilisierung und auf die weitgehende ideologische Durchdringung sowie politische Formierung sozialer Strukturen und Beziehungen. Ausgehend von chiliastisch-eschatologischen Befreiungsvisionen, einem hypertrophen Voluntarismus und einem nahezu grenzenlosen Idealismus, sollten nicht nur Monopolpartei, Staat und Gesellschaft miteinander verschmolzen, sondern auch die Individuen zu „neuen Menschen“ umgeformt werden.
Im Mittelpunkt dieser Studie steht die Analyse einer Funktionärsschicht, an deren Zusammensetzung und Entwicklung exemplarisch Fragen beantwortet werden sollen, mit denen letztlich jedes politische System konfrontiert ist, das mit der alten politischen Ordnung radikal brechen und eine neue aufbauen will. Die Frage, ob die alten politischen Eliten aus der Nazizeit übernommen werden sollten, stand für viele Deutsche nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gar nicht erst zur Disposition. Dies unterbanden sowohl der alliierte Einspruch als auch die Haltung deutscher Hitlergegner. Damit war das Dilemma, das gerade in neuester Zeit in der Transformationsforschung diskutiert wird, ob die Zirkulation oder die Reproduktion von Eliten (oder eine Mischung von beidem) die Erfordernisse einer Stabilisierung des neuen Systems besser fordert, im Sinne des ersteren und damit der Ersetzung wichtiger Führungsgruppen entschieden. Inwieweit dieser Anspruch in den vier Besatzungszonen auch in die Realität umgesetzt werden konnte, war zunächst ebenso offen wie die Fragen, nach welchen Kriterien die neuen Eliten ausgewählt werden sollten und wie umfassend der Austausch von Funktionsträgem sein sollte. Wenn, wie in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR, die Elitenzirkulation schon früh nicht nach offenen, pluralistischen Gesichtspunkten, sondern im Sinne einer politischen Ideologie und damit auch einer bestimmten Führungsschicht entschieden wurde, dann stellten sich die Probleme noch um einiges komplizierter dar, da eine Gegenelite erst in Ansätzen vorhanden war und sie ihren Herrschaftsanspruch durch die Rekrutierung, Ausbildung und Fördemng von politisch unerfahrenen Führungspersonen durchsetzen mußte. Um die dabei angefallenen Schwierigkeiten, aber auch Erfolge wird es im folgenden gehen. Wo mußten Kompromisse geschlossen werden und wie erfolgreich war die DDR in ihrer Kaderpolitik? Welche Charakteristika bestimmten die neue Führungsschicht und wie änderten sie sich im Zeitverlauf? Die Politik der SED war nicht statisch, und Wandel und Beharrung können und sollen nicht nur an einzelnen Führungspersönlichkeiten wie Ulbricht und Honecker festgemacht werden. Vielmehr soll gerade aufgezeigt werden, daß die Versteinerungstendenzen der siebziger und achtziger Jahre nicht zuletzt als Reaktion auf die turbulenten Anfangsjahre der DDR zu verstehen sind.
In der Diskussion über die Kontinuität von Gesellschaftsstrukturen, die aus der ersten Jahrhunderthälfte in die beiden deutschen Staaten hineinragen und diese, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, prägten, hat die Frage nach den DDR-Eliten jüngst an Gewicht gewonnen. Standen zuvor ausschließlich die unter dem Blickwinkel einer retrospektiven Aufarbeitung des Nationalsozialismus problematisierten Kontinuitätslinien der Eliten in Westdeutschland im Mittelpunkt eines langsam gewachsenen zeitgeschichtlichen Interesses, kann seit 1990 auf ungleich besserer Quellengrundlage gefragt werden, wie es damit in der DDR bestellt war. In der westdeutschen Historiographie bestand schon länger ein Konsens darüber, daß es hier - anders als in der frühen Bundesrepublik - einen vollständigen Bruch für die maßgeblichen Karrieren in der Verwaltung, nicht jedoch in der Wirtschaft gegeben hat. Aber trotz aller Unterschiede gab es auch Parallelentwicklungen. Zu stark ähnelten sich die personellen Ausgangsbedingungen, als daß anzunehmen wäre, die in der Bundesrepublik anzutreffende Kontinuität in den Basisstrukturen der öffentlichen Verwaltung und in der Wirtschaft hätte keine Entsprechung auf östlicher Seite gefunden.