Dekolonisation
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Im Juni 2020 nahm Emery Mwazulu Diyabanza einen aus dem Tschad stammenden hölzernen Grabpfosten aus dem 19. Jahrhundert und versuchte hiermit das Museum zu verlassen. Er rechtfertigte seine Tat, dass er gestohlenes Eigentum zurückfordere. Im Oktober verurteilte ein Gericht ihn wegen Diebstahl zu einer Geldstrafe. Der aus dem Kongo stammende Diyabanza dokumentierte die Aktion auf youtube und leistete hiermit einen Beitrag für die aktuelle Debatte um Restitution von Objekten, die in kolonialen Kontexten erworben wurden.
„Wem gehört Kulturgut?“ – Diese Frage wird in den letzten Jahren verstärkt diskutiert. Die Aufmerksamkeit für koloniale Sammlungen wird dabei durch Forderungen aus den sogenannten Herkunftsländern oder Interventionen wie dem Sarr/Savoy-Bericht bestärkt. Sie trifft auf eine Diskussion um Deutschlands koloniale Vergangenheit, die sich derzeit vor allem an Forderungen der Herero und Nama, an Straßennamen, am Humboldt Forum oder an Diskussionen um Rassismus festmacht.
In der aktuellen Debatte wird dabei oft übersehen, dass bereits vor einigen Jahrzehnten intensive Debatten um postkoloniale Restitution geführt wurden. Ziel dieses Beitrages ist es, diese Fragen an einem historischen Beispiel zu untersuchen und verschiedene Perspektiven auf die Frage, wem Kulturgut gehört, aufzuzeigen.
Auf dem Höhepunkt der internationalen Auseinandersetzung um postkoloniale Restitutionsfragen tagte im Mai 1980 erstmals ein neuer UNESCO-Ausschuss mit der kuriosen Bezeichnung Intergovernmental Committee for Promoting the Return of Cultural Property to Its Countries of Origin or Its Restitution in Case of Illicit Appropriation. Das kurz ICPRCP genannte Komitee sollte als vermittelnde Instanz zwischen Kulturgüter besitzenden und zurückfordernden Staaten tätig werden. Doch seine Gründung wurde, davon zeugt dieser Name, von heftig geführten Deutungskämpfen über die zentralen Begriffe „restitution“ und „return“ begleitet.
Restitution, Rückgabe, oder auch Transfer gehören heute zum Standardvokabular von postkolonialer Museumspraxis und auswärtiger Kulturpolitik, in der medialen Berichterstattung werden sie oft synonym verwendet. Dabei waren diese Termini ursprünglich eng mit divergierenden Interpretationen der kolonialen Vergangenheit, institutionellen Selbstverständnissen und entwicklungspolitischen Interessen verbunden.
Rückkehr oder Flucht? Als im Sommer und Herbst 1975 Hunderttausende aus Angola und Mosambik in Portugal eintrafen, schien die Not der Menschen offensichtlich und die Sache klar – doch sie war es nicht. Portugal hatte zwar 1960 die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert. Die Regierung vertrat aber den Standpunkt, dass die Ankommenden, von denen viele Hals über Kopf aufgebrochen waren und nun mittelos und tief verunsichert in Notunterkünfte gebracht wurden, keine „Flüchtlinge“ seien.Rückkehr oder Flucht? Als im Sommer und Herbst 1975 Hunderttausende aus Angola und Mosambik in Portugal eintrafen, schien die Not der Menschen offensichtlich und die Sache klar – doch sie war es nicht. Portugal hatte zwar 1960 die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert. Die Regierung vertrat aber den Standpunkt, dass die Ankommenden, von denen viele Hals über Kopf aufgebrochen waren und nun mittelos und tief verunsichert in Notunterkünfte gebracht wurden, keine „Flüchtlinge“ seien.
Ab 2016 wurden in der Bundesrepublik Forderungen von Politiker:innen laut, in der Strafverfolgung erweiterte DNA-Analysen zuzulassen. Würden an einem Tatort DNA-Spuren gefunden, sollten diese nicht mehr allein genutzt werden dürfen, um zu überprüfen, ob sie mit einem Eintrag in der DNA-Datenbank des BKA übereinstimmen oder um das chromosomale Geschlecht der Person zu bestimmen. Durch das neue Verfahren sollten auch Erkenntnisse über die „biogeographische Herkunft“ und über die Augen-, Haar- und Hautfarbe der unbekannten Person (sogenannte „Phänotypisierung“) gewonnen werden können. Gegen diese Forderungen gab es erhebliche Kritik. Wissenschaftsforscher:innen und Minderheitenverbände wiesen u.a. darauf hin, dass mit dem Verfahren keineswegs individuelle äußerliche Merkmale aus der DNA direkt „abgelesen“ würden. Es handelt sich hingegen um ein statistisches Verfahren, das durch den Abgleich vorgefundenen Erbmaterials mit genetischen Datenbanken lediglich Wahrscheinlichkeiten aufstellt. Zudem ergäben sich die ermittelten Herkunftskategorien keineswegs aus genetischen Fakten, sondern seien Ergebnis historisch gewachsener gesellschaftspolitischer Konstruktionen darüber, welche Menschen eine Gruppe bilden. Eindeutige Aussagen über die „Herkunft“ einer Person oder gar über deren Aussehen ließen sich dadurch jedenfalls nur selten machen. Dennoch stimmte der Bundestag im Mai 2019 der Einführung zumindest der Phänotypisierung zu. Was diese verspricht, kommt der alten Sehnsucht entgegen, eine eindeutige Verbindung zwischen Erbgut einerseits und Aussehen und „Herkunft“ von Menschen andererseits herzustellen.
Solidarität und Alltag der DDR aus der Sicht exilierter Mitglieder des African National Congress
(2023)
»Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.« So lautet das letzte der 1958 von Walter Ulbricht verkündeten »Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik« (auch: »Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen«), die von 1963 bis 1976 Teil des SED-Parteiprogramms waren.1 Die sozialistische Variante der christlichen Zehn Gebote findet sich häufig auf der ersten Seite von »Brigadetagebüchern«, die Beschäftigtenkollektive in der DDR und in anderen staatssozialistischen Ländern verfassten. Über die Grenzen der DDR hinaus stellten auch »Freundschaftsbrigaden« der Freien Deutschen Jugend (FDJ) solche Brigadetagebücher zusammen, um ihre Aufenthalte in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu dokumentieren. Diese Quellen geben einen wertvollen Einblick in die sozialistische Globalisierung und deren Alltagspraktiken.
In this article I examine the context for the British bank Barclays’ decision to disinvest from South Africa in 1986, with special attention to the impact of the Anti-Apartheid Movement’s campaign against the bank. The 18-year long campaign against Barclays – the largest bank in South Africa at the time and the fourth largest foreign-owned corporation – points to significant developments within the fields of corporate social responsibility and the potential influence of social movements on multinational corporations. Applying the theoretical approach of subpolitics as developed by Ulrich Beck in combination with the later subdivision by Boris Holzer and Mads P. Sørensen into a passive and an active form, it is possible to analyse the decisions of both anti-apartheid activists and Barclays on similar terms. The conclusions drawn in this article emphasise the idea that economic decisions taken by multinational corporations may have unintended political consequences and, furthermore, that the awareness of this phenomenon has contributed to the development of corporate social responsibility. Finally, I suggest that the campaign against Barclays generated public attentiveness towards the social responsibility of businesses.
The debates about what to do with collections from colonial contexts, and how to deal with them, have developed pace and unexpected momentum in the last three years. This is especially true for artifacts from the African continent, whether they are in museums or collections in Europe, North America, or elsewhere outside the continent. But the same is true under different circumstances, and we do not want to pass over this, for colonial collections and museums in Africa. Let's take a closer look at both in light of recent debates.
The discussions about whether, to whom and when under which circumstances a return, or rather indeed: an unequivocal restitution is appropriate or not, have recently experienced differentiations. This applies already to the preconditions of most restitutions, namely the opening and making accessible of the inventories. While some think that in principle everything should be put online, another opinion maintains that whenever possible, the creators or original holders should have their say beforehand, especially in the case of 'sensitive' objects such as those containing human remains, of a sacred nature, or photographs of contexts of violence. This has also brought other issues into focus – questions about the various forms of rights of disposal, about the forms and functions of museums in Africa, and in Europe and elsewhere.
Die Vorwürfe gegen den Kameruner und in Südafrika lebenden Historiker Achille Mbembe, er sei Antisemit, „Israel-Hasser“ und habe zudem den Holocaust relativiert, lösten eine kontroverse und verbissene Diskussion aus, die in Feuilletons, sozialen Medien, aber auch auf politischer Ebene insbesondere Mitte letzten Jahres heftig ausgetragen wurde. In diesem Zusammenhang gerieten auch die diversen heterogenen, unter dem Signet „postkoloniale Theorie“ firmierenden Ansätze unter Beschuss, für die Mbembe als wichtigster afrikanischer Repräsentant steht, obgleich er sich mehrfach von ihnen distanziert hat. So beklagte er etwa in seinem Buch „On the Postcolony“ (2000) die Gegenstandsferne postkolonialer Perspektiven auf Afrika, die komplexe Phänomene wie Staat und Macht auf Diskurse und Repräsentationsmodelle reduzieren würden.
Russlands Krieg gegen die Ukraine enthüllte nicht nur den imperialen Großmachtanspruch herrschender Eliten in Russland, sondern auch ein generelles kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber Ukrainer:innen. Darüber hinaus beklagen immer wieder Stimmen aus Kasachstan, Georgien und Usbekistan den kolonialistischen Habitus einiger geflüchteter Russ:innen. Diese Einstellungen haben ihre Wurzeln im russländischen Imperium, denn die Revolution und Gründung der Sowjetunion brachen nur bedingt mit dem imperialen Erbe des Zarenreiches. Spätestens seit den 1930er Jahren stand, nach einigem nationalpolitischen Hin- und Her, das russische Volk auch in öffentlichen Diskursen an der Spitze der sowjetischen Völker. In einem kurzen, aber besonders repräsentativen Beispiel möchte ich zeigen, wie in der Zwischenkriegszeit diese Hierarchisierung durch öffentlich publizierte Fotografien suggestiv vermittelt wurde.