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Die Vorstellung, das Konzentrationslager sei eine das Dritte Reich definierende Institution gewesen, ist zu einem Gemeinplatz über die 1930er Jahre geworden. Dies gilt ebenso für die Annahme, dass die deutschen Lager brutalere Instrumente waren, um Geist und Körper ihrer menschlichen Fracht zu brechen, als jede andere Form der Internierung. 1940 veröffentlichte der ungarische Autor und Journalist Arthur Koestler einen Bericht über seine Erfahrungen als Kommunist und Jude in Le Vernet, einem französischen Konzentrationslager für feindliche Ausländer. Zu seinem Glück wurde Koestler aus dem nahe der spanischen Grenze gelegenen Lager entlassen, bevor die Deutschen eintrafen.
Nach zwei großen Konjunkturen von den 1920er bis in die 1940er Jahre und von den 1960er bis in die 1970er Jahre war in den 1980er Jahren ein Niedergang der vergleichenden Faschismusforschung zu verzeichnen. Hans-Gerd Jaschke sprach für diese Zeit sogar von einem »theorielosen Empirismus« und einem Abrutschen in »marginale Fragestellungen« der Faschismusforschung. Die alten Bekannten aus den 960er und 1970er Jahren, wie etwa George L. Mosse, Stanley Payne, Wolfgang Schieder und später auch Wolfgang Wippermann, publizierten zwar nach wie vor wichtige Aufsätze und anregende Monographien und Sammelbände, aber die vergleichende Faschismusforschung hatte an Ausstrahlkraft verloren. Nicht unwesentlich hatten die Probleme der tradierten Faschismusforschung der 1970er Jahre zum Erliegen der Faschismusrezeption und -forschung geführt.
Wenige Fragen haben die historische Forschung zum Nationalsozialismus in den letzten Jahren so sehr beschäftigt wie jene nach der ›Volksgemeinschaft‹. Eine ganze Reihe internationaler Konferenzen hat sich mit diesem Thema befasst, ebenso zahlreiche methodische Aufsätze, Rezensionen, Überblicksdarstellungen, größere wie kleinere empirische Arbeiten deutsch wie englischsprachiger Historikerinnen und Historiker. Die Menge der entsprechenden Publikationen ist nur noch schwer zu überblicken: Die Bibliografie der Jahresberichte für deutsche Geschichte etwa verzeichnet für die Jahre seit dem Jahrtausendwechsel weit mehr als doppelt so viele Titel zum Schlagwort ›Volksgemeinschaft‹ wie für die vorangegangenen 25 Jahre und auch jenseits der schlichten Anzahl der ein schlägigen Publikationen kann man Ian Kershaw nur zustimmen, der von einer »Allgegenwart des Konzepts ›Volksgemeinschaft‹ in der gegenwärtigen Diskussion um das Dritte Reich« gesprochen hat.
Quelle: Verlag
Darf die Frage überhaupt noch gestellt werden? Oder vielmehr: Ist sie nicht längst, und zwar in aller Deutlichkeit beantwortet? Denn wer, wenn nicht die Nazis sollten Barbaren gewesen sein. Was dieses Urteil an Gewißheit verspricht, zerrinnt freilich schnell, sobald wir die Dinge näher betrachten und detaillierter nachfragen. Denn zweifellos waren die Nationalsozialisten keine barbarischen Usurpatoren, die aus fernen Ländern hereinbrachen, vielmehr stammten sie mitten aus der zivilisierten Gesellschaft Deutschlands. Wer also konnte zum Barbaren werden? Wie kann Zivilisation in nackte Barbarei umschlagen? Und wie umgekehrt aus Barbarei Zivilisierung entstehen? Die Entschiedenheit der Überzeugung, daß die Nazis Barbaren waren, scheint – so die Ausgangsvermutung dieses Aufsatzes – Vieldeutigkeiten zu verdecken, denen im folgenden nachgegangen werden soll. Insbesondere gilt es, die Rede von den barbarischen Nationalsozialisten mit den barbarischen Reden der Nationalsozialisten in Beziehung zu setzen. Dabei wird sich zeigen, daß auch sie sich des mächtigen Dualismus zwischen Zivilisation und Barbarei nicht entledigen konnten.
Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Nationen – das 20. das des Volkes. Ohne Zweifel liegen beide Begriffe eng beieinander, oftmals scheinen ihre semantischen Felder sogar kongruent zu sein – und doch fallen sie nicht in eins. Mit der Gleichsetzung von Volk und Nation geraten die Differenzen aus dem Blick, die das 20. Jahrhundert in seiner spezifischen Gewalttätigkeit vom 19. unterscheidet.
Das NS-Regime begann mit dem Ausnahmezustand. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 durch den Reichspräsidenten entsprach formal noch der Verfassung, obwohl die Präsidialkabinette der Weimarer Republik seit 1930 längst die verfassungsgemäße Balance zwischen Reichstag, Regierung und Präsidenten zugunsten autoritärer Regierungen ohne parlamentarische Mehrheit verschoben hatten und daher das Präsidialkabinett Hitler ebenso wenig wie seine Vorgänger dem demokratischen Inhalt der Weimarer Verfassung entsprach. Auch war der Wahlkampf zu den Reichstagswahlen Anfang März bereits von der Behinderung und Verfolgung der Opposition durch die Nationalsozialisten mit allen Mitteln des Staates, die ihnen nun zur Verfügung standen, gekennzeichnet.