2/2011 Politik und Kultur des Klangs im 20. Jahrhundert
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„Können die Tonlandschaften unserer Vorfahren rekonstruiert werden?“ fragte David Lowenthal, als die UNESCO 1976 ihr groß angelegtes Projekt der „tönenden Umwelt“ auf den Weg brachte. Dahinter steht die Frage, was eigentlich mit den Tönen, mit den „Sounds“ geschehen ist, nachdem diese artikuliert worden sind und sich durch Schallwellen ausgebreitet haben? Die Übertragung der Schwingungen von einem schwingungsfähigen Körper zum anderen ist aufgrund der physikalischen Gegebenheiten endlich; der Sprechakt als Teil menschlichen Handelns ist zeit- und ortsgebunden. Die Sprechschallübertragung vollzieht sich in einem raum-zeitlich gebundenen Schallfeld.
Die neuen Technologien des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die zum ersten Mal die Reproduktion. Aufzeichnung, Manipulation und Übertragung des Tons ermöglichten, haben offensichtlich tief greifende Auswirkungen auf die Modalitäten der auditiven Wahrnehmung mit sich gebracht, sowie zur Gestaltung neuer Öffentlichkeiten beigetragen. Die These dieses Beitrages ist, dass sich gerade in diesen Zeiten des technologischen Wandels die Tätigkeit des Hörens als ein besonders umkämpftes Feld innerhalb der Konstruktion von Öffentlichkeit zeigt.
LautSprecher-Passagen. Zu den Umbauten eines Dispositivs der Massenkommunikation vor und nach 1945
(2008)
7. Oktober 1965: Die DDR begeht ihren 16. Gründungstag. Gefeiert wird mit einer Parade auf einem Truppengelände westlich von Berlin. Plötzlich ertönt infernalischer Lärm, der sehr allmählich nur das Trompetensolo aus dem Hollywood-Film "Verdammt in alle Ewigkeit" freigibt. Das Solo schlägt die Marschmusik. Durchsagen folgen: Diese Stimme kennt man in und um Berlin, auch wenn die NVA-Soldaten nicht sehen, wer spricht. Die Stimme gehört Hein Gerull, dem sogenannten >Schallkämpfer<, offiziell Redakteur einer vom Berliner Senat und der Bundesregierung finanzierten mobilen Lautsprecheranlage, besser bekannt als "Studio am Stacheldraht".
»Hits für das Tonbandgerät, Alben für den Plattenspieler? Die Markteinführung des Tonbandgerätes in Westdeutschland und die Urheberrechtsdebatte über Musikaufnahmen jugendlicher Konsumenten in den 1950er und 1960er Jahren«. Since the late 1950s, tape recorders were increasingly to be found in West German households. This device for the first time gave the consumers the opportunity to record music from records or from the radio. This triggered off discussions between the record industry and the GEMA (Society for musical performing and mechanical reproduction rights) on the one hand and tape recorder producers and users on the other hand. Whereas the former complained about falling record sales and called for the introduction of copyright fees, the latter argued that the tape recorder offered a large range of applications and that therefore a collective charging of producers and/ or users would not be justified. Against the background of the changing legal situation, the article retraces the copyright debate and evaluates the opponents’ arguments. In spite of the manifold functions of the tape recorder, young consumers predominantly employed it to record their favourite light music. But these appropriation practices did not cause an overall decline in record sales but rather a change in music consumption patterns. While the possibility of recording single hits did in fact lead to falling sales figures of 45rpm-discs, sales of longplaying-records rose considerably
Is popular music a tool of consumer capitalist recuperation or can it be a weapon of revolutionary change? The career of the radical rock band Ton Steine Scherben, founded in West Berlin in 1970, suggests that at certain moments, radical music and radical politics can be mutually constitutive. The band’s history provides a richer understanding of the radical left-wing scene in West Berlin at a key moment of transition from the student movement of the 1960s to the anarchist and terrorist scenes of the 1970s, illustrating how an analysis of popular music in its social and cultural setting can broaden historical analysis.
Die Geschichtswissenschaft stellt sich auf der einen Seite als eine von vielen Disziplinen in einer Universitas litterarum dar, auf der anderen erhebt sie den Anspruch, „alles“ als ihren Gegenstand zu betrachten. War es bis 1945 üblich, in „Geschichte“ immer nur bestimmte Facetten des vergangenen Lebens von Völkern, Staaten, Gesellschaften zu sehen – die Schwerpunkte konnten wechseln, das unterlag einer Art „Mode“ – und diese dann wie in einem „Kanon“ aufzulisten, so ist dieser „Kanon“ seitdem immer fragwürdiger geworden. Zwar gibt es noch die konventionellen Einteilungen, etwa in politische, militärische, wirtschaftliche, kulturelle Geschichte, und die Strukturen traditionsreicher Universitäten werden oft durch althergebrachte Lehrstühle für verschiedene Teilgebiete der Geschichte bestimmt, aber das ist heute nicht mehr die Regel.
Das 20. Jahrhundert hat, in verschiedenen Speichermedien, musikalische Quellen in Hülle und Fülle überliefert. Die Geschichtswissenschaft macht bisher jedoch einen großen Bogen um diese klanglichen Hinterlassenschaften. Von dieser
Diskrepanz geht der folgende Text aus. Er wird erörtern, was gegen die Arbeit mit musikalischen Quellen spricht, warum sie dennoch wichtig sein könnte und welche Schleichpfade sich anbieten, um der Musik historisch auf die Spur zu kommen. Dabei wird weniger eine konkrete Programmatik entwickelt als ein Problem umkreist, das sich als unlösbar und gleichwohl aufschlussreich erweisen könnte.
Soundscape Stammheim
(2010)
Die Rote Armee Fraktion (RAF) markiert nicht nur in visueller, sondern auch in akustischer Hinsicht ein herausragendes Phänomen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. So war eine der ersten Stellungnahmen, die nach der Befreiung Andreas Baaders im Mai 1970 veröffentlicht wurde, eine Tonbandaufzeichnung Ulrike Meinhofs. Die Journalistin Michèle Ray hatte sie nach Abschluss ihres Interviews dem „Spiegel“ überlassen. Damit konnten die Aussagen Meinhofs zum Aufbau der Roten Armee nicht nur als Text, sondern auch als Ton der Nachwelt erhalten bleiben.
Die Medialisierung von Politik und Gesellschaft hat zweifellos mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Qualität erfahren. Diese ist mit dem Rundfunk, der in Deutschland zum ersten Mal auf dem Höhepunkt der Inflation, im Oktober 1923, auf Sendung ging, entscheidend befördert worden. Das Radio fungierte für die folgenden dreißig bis vierzig Jahre als Leitmedium, das als Ikone des Modernen und der Moderne galt.
Audiovisuelle (AV) Quellen überfluten unseren Alltag, viel unmittelbarer - um nicht zu sagen aufdringlicher - als dies traditionelle Quellen tun: Bestimmte historische Fotos sind allgegenwärtig, bestimmte Filmpassagen kennt man schon auswendig und das ohnehin erst später nachgesprochene Figlsche Diktum von 1945 „Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, kein Glas zum Einschneiden [...]", kann man schon nicht mehr hören: Verclippung der audiovisuellen Überlieferung im öffentlichen Geschichtsdiskurs nützt gerade diese Quellen in gewisser Weise ab. Doch damit muss - und kann man - leben, denn audiovisuelle Quellen haben - unter Umständen - einen langen Atem ...
„Heimat“ – so Grete Adam-Jäckel in den ersten Zeilen eines Gedichtes –, das ist „Wiesen- und Waldesrauschen“, „Sonne und Glockenklang“, „stilles nach innen Lauschen“, "rieselnder Bronnen Gesang“. Auch wenn die „wahre Heimat“ nach ‚Flucht und Vertreibung‘ ‚verloren‘ bzw. „nicht von dieser Welt“ ist, wie Adam-Jäckel schreibt, vermag sie in der Erinnerung ‚nachzuklingen‘. – Der vorliegende Aufsatz möchte das Fragenfeld um eine ,Ästhetik des Verlusts‘ zu musik- und klangbasierten Zusammenhängen öffnen und – im Anschluss an die Tagungsschwerpunkte zu Bilderwelten, Bildgedächtnis, populären Sujets und Darstellungsformen – einige Beobachtungen, Fragen und Perspektiven in die Diskussion einbringen, die um Musik bzw. Sound als erinnerungskulturelle Medien kreisen.
Aspekte einer Theorie der auditiven Kultur. Ästhetische Praxis zwischen Kunst und Wissenschaft
(2010)
In den letzten Jahren wurde viel über die Situation in
den Geisteswissenschaften diskutiert, zur Debatte stand ein Paradigmenwechsel – die Idee der Geisteswissenschaften sollte durch die der Kulturwissenschaften ersetzt werden. Das Bestreben, die aktuellen Lebensverhältnisse in ihren kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Erscheinungsformen zum Thema der Wissenschaft zu machen, hatte zunächst, so könnte man die Entwicklung im 20. Jahrhundert zusammenfassen, die Neugründung von Wissenschaften zur Folge. Dazu gehören, mit unterschiedlichen Akzentuierungen und Orientierungen, Politologie und Soziologie ebenso wie etwa auch die Anthropologie. Diese Entwicklung setzte sich jedoch weiter fort. Die aktuelle Diskussion resultiert daraus, dass nun auch Bereiche erfasst sind, in denen traditionell ein anderes Wissenschaftsverständnis herrscht, nämlich das der Geisteswissenschaften.
Nach einer langen und noch immer anhaltenden Hochphase der Visual Studies haben sich die Geistes- und Kulturwissenschaften in den vergangenen Jahren verstärkt auch der Kulturbedeutung der Klänge und des Hörens zugewandt. Dies ging zunächst auf die Entwicklung in einzelnen Disziplinen zurück. Innerhalb der Medienwissenschaft waren hier besonders die Film Studies und Radio Studies federführend.
This article advocates that we should understand the sound history as a new way of investigating general history. It focuses upon auditory perception and the political economy of sound utterances, and therefore identifies sound production as an indicator of the valid political and social order. As such, the sound history unearths the specific acoustemology of a given historical society, the way in which people make sense of their world via sounds and their understanding of sound.
Die Forschungsrichtung der Sound Studies ist in den Geistes- und Kulturwissenschaften angekommen. Während bis vor wenigen Jahren noch häufig moniert wurde, dass der Gegenstand Sound in der kultur- und medienwissenschaftlichen Forschung notorisch unterrepräsentiert sei, lässt sich die Fülle der international erscheinenden Publikationen, die das Resultat eines zuletzt stark angewachsenen Interesses an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Phänomenen, Praktiken und Bedeutungen auditiver Kultur bilden, heute kaum mehr überblicken.
Wie klingt Sozialismus im urbanen Raum einer DDR-Bezirkshauptstadt? Diese Frage verknüpft Überlegungen zur Soundgeschichte einer Stadt mit den Aspekten Umwelt und öffentliche Hygiene. Lärm als Problemlage des städtischen Raumes auszumachen, erforderte Perspektivenwechsel, die nicht nur das DDR-Gesundheitswesen vor Herausforderungen stellte. Gesund zu werden, gesund zu bleiben, galten als Anforderungen öffentlich-administrativer Vorgaben an die private Lebensgestaltung. Die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen, das steckte sich die sozialistische Gesundheitsverwaltung als eines ihrer Ziele und Kernaufgaben.
Popgeschichte ist bisher vor allem eine Geschichte von Musik und Jugendkultur und sie beschreibt, wie bestimmte Musikstile zur Basis und zum Mittel für den Ausdruck eines je spezifischen Lebensgefühls wurden. Popästhetische Darstellungen wiederum fokussieren bestimmte Musikstile, deren Macher sowie die sich herausbildenden Hör- und Lebenskulturen der jeweiligen Anhängerschaften. Jedoch ist eine Geschichte des Pops mehr als eine Geschichte von Popmusik, Musikkonsum und der Herausbildung oftmals generationenspezifischer Identitäten und Lebensstile. Neben Hörern, Popstars und Popindustrie müssen am Schnittfeld von Pop-Machern und Pop-Hörern auch die Pop-Medien (Schallplatte, Tonband bzw. Kassette, MP3-Files und Streams) und die für das Hören notwendigen Geräte historisiert werden. Diese materiale Basis des Pop-Hörens – und damit auch Fragen ihrer Produktion, ihrer Aneignung und Nutzung – soll im Folgenden im Vordergrund stehen.