Transnationale Geschichte
Ein stärkerer Dialog, ja eine Zusammenarbeit zwischen der europäischen und der außereuropäischen Zeitgeschichte ist dringend notwendig. Hierfür ist die Geschichte der einzelnen Weltregionen im 20. Jahrhunderts zu verwoben und geprägt von globalen Krisen, weltweiten kulturellen Strömungen und sozioökonomischen Strukturen. Allerdings sehe ich die Notwendigkeit einer solchen Kooperation weniger darin begründet, dass - wie es der Einleitungstext in Anknüpfung an Fernand Braudel formuliert - Europa beständig über seine Grenzen hinausgegriffen“ habe. Dies klingt, als ob sich Europa vor allem deswegen mit dem Rest der Welt beschäftigen müsse, da es diesen nachhaltig geprägt habe. Die Sichtweise, dass Europa vornehmlich als Kolonialmacht und modernisierende Schockwelle mit anderen Erdteilen in Berührung kam, sollte neu überdacht werden.
„Was machen Sie eigentlich noch außer Afrika?“, fragte mich vor einigen Jahren ein jeder Ironie unverdächtiger Professor für Neuere, also vor allem deutsche Geschichte. Denn noch immer gilt in der „Zunft“ deutscher Historiker zwar als breit ausgewiesen, wer seine Forschungsschwerpunkte etwa im Kaiserreich und in der DDR-Geschichte hat - die Beschäftigung mit fast 50 Ländern südlich der Sahara (oder analog etwa mit Lateinamerika) über mehrere Jahrhunderte hinweg wird in der Regel als exotisches Laster angesehen, dem allenfalls ergänzend zu frönen sei. Nun ist Provinzialismusschelte auf die Dauer für alle Beteiligten ermüdend; der Nachweis etwa, dass hierzulande ausgerechnet methodisch als besonders progressiv daherkommende Fachorgane sich als regional besonders introspektiv, nämlich germanozentrisch erwiesen haben, ist ohnehin längst - und sine ira et studio - geführt worden.
Rethinking the boundaries of Europe is an earnest exercise that calls for critical reconsideration of our existing spatio-temporal constructions. First of all, it should be established that this kind of an exercise does not only necessitate a re-mapping of the cartographical space within which “Europe” is placed, but more so a re-thinking of the intellectual space within which history is situated.
Die Website dokumentiert ein überaus ambitioniertes und in dieser Form konkurrenzloses Projekt gleichen Namens, das von sechs Museen bzw. Forschungseinrichtungen aus ebenso vielen Ländern betrieben wird. Es verzeichnet Erinnerungsorte in Europa, die die Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkrieges sowie des Spanischen Bürgerkrieges zum Gegenstand haben bzw. von diesen historischen Ereignissen selbst nachhaltig beeinflusst und geprägt wurden. Das Projekt wurde laut Auskunft eines deutschen Mitarbeiters in nur einem Jahr auf die Beine gestellt - diese Information findet sich jedoch nicht in dem überaus knappen Einführungstext. Daraus ergibt sich bereits ein zentraler Kritikpunkt: Wenn der Besucher der Website etwas mehr Informationen zum Projekt und zur Zielgruppe erhielte, ließen sich etliche Fragen und Unzufriedenheiten vermeiden. Eine Website sollte ohne zusätzliche Informationen verständlich und nutzbar sein.
„Auf einer Weltkarte ist Europa kaum zu sehen“ - so lautet der erste Satz eines Essays zur europäischen Geschichte, den der französische Historiker Fernand Braudel in den 1980er-Jahren verfasste und der erst kurz nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Braudel beschränkt sich nicht darauf, jene geographische Ausgangsposition des Kontinents weiter zu erläutern, die in den vergangenen Jahrhunderten den Schauplatz vielfältiger europäischer Geschichte bildete. Vielmehr zeigt er, wie sehr Europa beständig „über seine räumlichen Grenzen hinausgegriffen“ habe. Braudels Europa ist auch im ausgehenden 20. Jahrhundert noch fast überall, obwohl der Kontinent mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und im Zuge der Dekolonisation vermeintlich in seine alten Grenzen zurückverwiesen worden war.
Im Juni/Juli 1976 wurde eine Air France-Maschine nach Entebbe (Uganda) entführt; dabei trennte ein deutsch-palästinensisches Terrorkommando die jüdischen von den nichtjüdischen Passagieren und behielt allein die jüdischen Geiseln in seiner Gewalt. Skizziert wird, welche Bedeutung den äußerst medienwirksamen Flugzeugentführungen der Jahre 1968–1977 im Kontext der Entwicklung des internationalen Terrorismus zukam. Vor allem anhand der Reaktionen auf den Sechstagekrieg von 1967 und die Entebbe-Entführung von 1976 wird gezeigt, dass das Verhältnis der deutschen Linken zum Staat Israel und zur NS-Vergangenheit entgegen früheren Annahmen ambivalent und problematisch blieb. Unter dem Deckmantel des Antiimperialismus schlug die Haltung der vorgeblich geschichtsbewussten ‚68er‘ zum Nahostkonflikt zeitweise in offenen Antisemitismus um.
Viele amerikanische Präsidenten haben ihre Amtszeit unter ein prägnantes Motto gesetzt. John F. Kennedys Leitmotiv, die „New Frontier“, hat sich tief in das amerikanische Gedächtnis eingegraben. Es wurde zum Schlüsselbegriff für die Ziele seiner nur rund 1.000 Tage währenden Präsidentschaft; für jene Zeit, die in den Augen vieler Zeitgenossen das Ende der langen Nachkriegsjahre verkörperte. Mit jugendlichem Elan und Charisma sowie einem informell-charmanten, medienwirksamen Politikstil stand „JFK“ für ein neues Amerika. Bei der „New Frontier“ ging es somit weniger um neue Grenzen als um das grenzenlos Neue im Rahmen einer imperialen Präsidentschaft.
Der Mainzer Europa-Kongress im März 1955 war ein publizistisch stark beachtetes Ereignis, zudem dasjenige, mit dem das knapp fünf Jahre zuvor ins Leben getretene Institut für Europäische Geschichte erstmals bewusst den Lichtkegel der Öffentlichkeit suchte. Die Tagung wurde von mehr als 300 Wissenschaftlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus 16 Staaten besucht, sprengte die räumlichen Kapazitäten des Instituts bei weitem und musste deswegen an den prominentesten Platz der Rheinstadt verlagert werden, nämlich in das Kurfürstliche Schloss. Schon im Folgejahr, 1956, konnte der Direktor der ausrichtenden Institutsabteilung, Martin Göhring, die gedruckte Dokumentation dieses Kongresses vorlegen. Sie trug denselben Titel wie die Tagung selbst: „Europa - Erbe und Aufgabe“.
Am Beispiel Willy Brandts und seiner Beziehungen zu den USA wird deutsche und amerikanische Außenpolitik als transnationale Mediengeschichte interpretiert. Wie wirkte sich das besondere Verhältnis zu den USA auf den medialen und politischen Stil der Bundesrepublik aus? Dies wird erstens anhand der publizistischen Vermittlung von Brandts Reisen in die USA und der daraus resultierenden Imagebildung untersucht. Zweitens wird nach amerikanischen Einflüssen auf Brandts Inszenierungspraktiken und die damit verbundene Medienberichterstattung gefragt; dabei steht John F. Kennedy als Vorbild im Zentrum. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt auf der Zeit von 1958 bis 1961.
Der Western im Osten. Genre, Zeitlichkeit und Authentizität im DEFA- und im Hollywood-Western
(2004)
„Die Söhne der großen Bärin“ (1966) war der erste von insgesamt 13 Westernfilmen der DEFA. Die Resonanz des DDR-Publikums war überwältigend – ähnlich wie bei den Karl-May-Verfilmungen in der Bundesrepublik. Der Anspruch der DEFA lautete, „Abenteuerfilme in historischem Gewand“ zu zeigen. Durch geschichtliche Korrektheit wollte man den Gründungsmythos der USA, der im Filmgenre des Western massenmediale Verbreitung erfahren hatte, und auch das tagespolitische Geschehen kritisch kommentieren. Bei einem Vergleich des DEFA-Films „Ulzana“ (1974) und der US-Produktion „Broken Arrow“ (1950), die beide Authentizität reklamierten, wird deutlich, wie an Konventionen von Filmgenres angeknüpft und zugleich durch eine Fiktion von historischer Realität versucht wurde, diese Konventionen zu überwinden. Der Aufsatz untersucht, ob und inwieweit die DEFA-Produktionen das Genre Western ästhetisch und inhaltlich umwandelten.
Der Quellenwert von Fotografien für die Geschichtswissenschaft ist unbestritten. Dennoch dienen solche visuellen Dokumente in historiografischen Werken weit häufiger der Illustration als der Argumentation. Dies hängt mit den methodischen Problemen der Interpretation von Bildern im Allgemeinen und Fotografien im Besonderen zusammen.
Der Nationalsozialismus bzw. der Faschismus sowie der Zweite Weltkrieg sind in den Öffentlichkeiten und Geschichtsschreibungen vieler europäischer Länder zentrale Themen. Aber nicht nur die Ereignisse selbst, sondern auch die Erinnerung an sie und die Geschichtspolitik werden seit etwa 20 Jahren intensiv erforscht. Der Aufsatz stellt die Hauptströmungen der Gedächtnisgeschichte dar und fragt nach dem Verhältnis nationalgeschichtlicher und europäischer Perspektiven. Zweitens wird zu erklären versucht, warum gerade die Erinnerung an den Holocaust in Europa so breiten Raum einnimmt. In einem Ausblick zu Gedenktagen wird das Dilemma der „Europäisierung der Erinnerung“ verdeutlicht, das sich heute zwischen rein künstlichen Konstruktionen eines gemeinsamen Gedächtnisses einerseits und der negativen Fixierung auf den Holocaust andererseits auftut.
Three processes provided a dynamic of violence that involved the whole continent of Europe in varying degrees. First, “total war” meant the escalation of violence applied to the entire population of enemy states. Second, “totalitarian” ideologies drew on the experience of war and sought to annihilate their own projected antagonists. Third, the tension between territory, peoples, and nation-states was resolved through ethnic violence. The worst episodes of violence, especially the Holocaust, combined all three processes. Democratic states were affected by the same violence but to a much lesser extent, due to inbuilt restraints. Determining whether this dynamic of violence was distinctively European or one dimension of a wider modernity means rethinking European history in a global historical context.
Europäische Zeitgeschichte beruht auf unterschiedlichen Meisterzählungen, zu denen sie in einem Wechselverhältnis steht. Sie sollte von einem geografischen Begriff von Europa ausgehen, der den Westen wie den Osten gleichermaßen umgreift und keine vorgegebenen ,europäischen Werte" annimmt. Quellenzugang, Fragestellungen und regionaler Forschungsstand variieren beträchtlich. Während die wirtschafts- und politikhistorische Integrationsforschung zu Westeuropa institutionalisiert ist und abgesicherte Ergebnisse aufweist, fehlt dies für die osteuropäische Integration noch weitgehend. In dem Aufsatz werden darüber hinaus unterschiedliche Sektoren einer ver-gleichenden europäischen Geschichte benannt. Hier zeichnen sich neue Wege ab, die zum Teil auch gesamteuropäische Ansätze verfolgen. Durch den Pluralismus von Integrations- und vergleichender Geschichte könnten eindimensionale Meistererzählungen differenziert werden.
Die Spaltung Europas im Kalten Krieg hatte zur Folge, dass sich westlich und östlich des Eisernen Vorhangs unterschiedliche Vorstellungen über „Europa“ entwickelten. Während in Westeuropa die europäische Einigung zu einem festen Referenzrahmen wurde, der über die Jahre ein mehr oder weniger homogenes Europabild generierte, gab es einen solchen Rahmen innerhalb des Ostblocks nicht. „Europa“ war dort Chiffre diverser offizieller wie inoffiziell-oppositioneller Diskurse. Dies reichte von der Verteufelung der „europäischen Integration“ als eines imperialistischen Bündnisses in den 1950er-Jahren über die Wiederkehr „Europas“ während des KSZE-Prozesses (der auf sowjetischer Seite allerdings eine antiamerikanische Stoßrichtung zugrunde lag) bis hin zu den positiven Europa-Bezügen der Dissidenten in den 1980er-Jahren, als die Selbstidentifikation mit Europa der Abgrenzung gegenüber Russland und dem Kommunismus diente.
„Die Geschichte kehrt an ihre Schauplätze zurück, wird anschaulich und lebendig - und rückt wieder in die Nachbarschaft großer Literatur“, heißt es im Klappentext von Karl Schlögels Buch „Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik“. Dies ist konventionelle Verlagswerbung, charakterisiert die Arbeiten des 1948 geborenen Historikers aber sehr treffend. Schlögel, der seit 1994 den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) innehat, bemüht sich seit langem darum, die Städte und Regionen des östlichen Europas wieder ins westliche Bewusstsein zu bringen, und er tut dies auf eine Weise, die nicht nur für das Fachpublikum interessant ist.1 Für seine Bücher hat Schlögel diverse Auszeichnungen erhalten; in diesem Herbst werden ihm der Georg-Dehio-Preis des Deutschen Kulturforums östliches Europa sowie der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen.
Mit grandiosem Erfolg war 1995/96 am gleichen Ort die Vorgängerausstellung „Berlin - Moskau 1900-1950“ gezeigt worden. Diesen Begeisterungsvorschuss haben die Veranstalter nun entschlossen aufs Spiel gesetzt. Die Fortsetzung erinnert daran, was damals so faszinierte: Als eine Art Zeitmaschine machte „Berlin - Moskau 1900-1950“ den Besuchern die politischen und ästhetischen (Alb-)Träume der ersten Jahrhunderthälfte sinnlich-intellektuell erfahrbar. Anstatt aber auch unsere posttotalitären Nachkriegszivilisationen durch ein solches Prisma zu betrachten, präsentierte man im Herbst 2003 eine umfangreiche Zusammenstellung moderner Kunst aus sechs Jahrzehnten.Über Bord geworfen wurde alles andere, was das öffentliche Leben dieser Zeit geprägt hat: Architektur, Kino, Radio, Theater, Presse, Fernsehen, Denk- und Mahnmäler, Freizeitparks, Werbung, Wohnkultur, Sport und Städtebau. Übrig blieben rund 500 Kunstwerke, von denen die meisten zu den Städten Moskau und Berlin in keiner erkennbaren Beziehung stehen.
In den über 60 Jahren, die seit den Ereignissen bei Stalingrad von 1942/43 vergangen sind, ist das Geschehen in den Erinnerungskulturen zahlreicher Länder immer wieder neu entworfen, umgewandelt und mit unterschiedlichen Deutungsebenen verknüpft worden. Die Muster der Erinnerung waren und sind eng verbunden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zum Zeitpunkt ihrer Verbreitung, und sie standen bzw. stehen noch immer in einem gespannten Verhältnis zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über „Stalingrad“: So ging der Krieg für die Deutschen bereits im Winter 1941 verloren, und es folgten für Deutschland verlustreichere Kriegsphasen. Dass „Stalingrad“ in der deutschen und sowjetischen Erinnerungskultur bis heute eine herausragende Bedeutung einnimmt, steht dazu in offensichtlichem Widerspruch und kann nur gedächtnisgeschichtlich erklärt werden.
Das Thema Migration hat auch in der Museumslandschaft Konjunktur. Auf Konferenzen werden Formen der Erinnerung von Einwanderung diskutiert, Ausstellungen nehmen sich europaweit verstärkt des Themas an, und in neugestalteten oder überarbeiteten Dauerausstellungen wird der Komplex zum integralen Bestandteil musealer Präsentationen. Neben Migration als Thema für das Museum steht dabei zunehmend die Gründung eigenständiger Institutionen im Raum. Der neuartige Typ Migrationsmuseum soll dabei, seinen Vordenkern gemäß, die übergeordnete Relevanz des Themas signalisieren, einen Erinnerungs- und Repräsentationsort schaffen sowie eine Plattform zur Auseinandersetzung über heutige Einwanderungsgesellschaften bieten. Die Gründung solcher Migrationsmuseen betreiben derzeit Initiativen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich.
Die amerikanische Aggression in Vietnam ist in Europa und Nordamerika als „der Vietnamkrieg" bekannt. Sinnvoller wäre es aber, den Konflikt im Kontext von nationalen Befreiungskriegen als „Indochinakonflikt" zu bezeichnen. Es handelte sich um mehrere Kriege, die miteinander verwoben sowie durch lokale, metropolitane und internationale Faktoren geprägt waren. Der Indochinakonflikt verdeutlicht die Handlungsautonomie von Klientelsystemen im Kalten Krieg; er verweist auf die ideologische und machtpolitische Fragmentierung des so genannten kommunistischen Blocks. Unterhalb der Ebene der globalen Auseinandersetzung war das System des Kalten Krieges multipolar konfiguriert.
Von 1950 bis 1980 vervielfachten sich Zahl und Größe religiöser Minderheitengruppen in Großbritannien aufgrund der Nachkriegszuwanderung, doch anders als bei vorangegangenen Wanderungen und im Unterschied zur Gegenwart wurden die verschiedenen Glaubensrichtungen der neuen Einwanderer während dieses Zeitraums kaum thematisiert. Dieser Zugang ist vor dem Hintergrund einer untergehenden Kolonialmacht zu sehen, die an der Illusion eines Commonwealth mit gleichberechtigten Untertanen („subjects“) festhielt, aber die eigene Dominanz nicht aufgeben wollte. Das Gruppenmerkmal „race“ diente in der Endphase des Empires als allumfassendes Etikett, das weitere Differenzierungen überflüssig machen sollte. Eine neue Minderheitengeneration, die die Religion seit den 1980er-Jahren als wichtiges Element der Abgrenzung entdeckt hat, und das davon unabhängige Aufkommen des islamistischen Terrorismus haben die Phase des religiösen Desinteresses beendet.
Mit keinem anderen Bild verbindet sich der Schrecken des Vietnamkrieges und der Schrecken des Krieges im Allgemeinen so sehr wie mit dem Foto des Mädchens Kim Phúc. Die Aufnahme machte der vietnamesische Fotograf Nick Ut am 8. Juni 1972 in der Nähe des Dorfes Trang Bang. Sein vielfach ausgezeichnetes Bild wurde zu einer zentralen Ikone des 20. Jahrhunderts. Als solche führt sie im kollektiven Gedächtnis mittlerweile ein eigenes Leben und konstituiert eine Wirklichkeit, die mit der ursprünglich abgebildeten nur noch wenig gemein hat. Immer wieder ist das Bild politisch, kommerziell und religiös funktionalisiert und in neue Kontexte gestellt worden. Der Aufsatz rekonstruiert die politischen und medialen Zusammenhänge, in denen das Bild entstand. Zugleich verfolgt er den jedem großen Krieg nachfolgenden Prozess der Überzeichnung und Überschreibung der ursprünglichen Bilder sowie der mit wachsendem Zeitabstand zunehmenden Legenden- und Mythenbildung.
The blossoming of military history in Germany offers the chance to set new agendas beyond conventional narratives. The notion of a distinct authoritarian Prusso-German militarism, set against political modernity and civil society, has long served as the master narrative of modern German military history. But this narrative no longer holds any promise. It fails to situate the German experience within a common European and transatlantic military political realm and war culture; it ignores the centrality of technocratic reasoning and industrialized warfare for any understanding of the German military; it offers too overblown and simplistic a portrayal of societal militarization; and it downplays militarist multiplicities and the transformations of the early 20th century. This narrative has the additional disadvantage of cutting off the history of the military and war after 1945 from what came previously.
Kürzlich hat Hans Günter Hockerts darauf verwiesen, dass in der sich diversifizierenden „jüngeren“ Zeitgeschichte Fragen nach Migration neben Geschlecht, Generation oder Konsum einen Aufschwung nehmen - womit die zeithistorische Forschung allgemeinen historiographischen Trends folgt. Dies ist ganz wesentlich Klaus J. Bade zu verdanken, der seit den späten 1970er-Jahren auf die Bedeutung der Migration von Polen und polnisch-russischen Juden nach Preußen und später in das Deutsche Reich für die Konstituierung der deutschen Nation hingewiesen und daraus allgemeinere Überlegungen zur Migration als Thema der Sozialgeschichte entwickelt hat. Auch durch das von ihm geleitete Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) wurde der Stellenwert der historischen Migrationsforschung in der deutschen Geschichtswissenschaft erhöht. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass Migration in der deutschen Zeitgeschichte eher als Spezialfeld bzw. als randständiges Phänomen der Sozial(staats)geschichte angesehen wird.
„Nach Weltkrieg und Holocaust scheint heute erreicht, was undenkbar war: Deutschland ist ein Musterbeispiel für eine gelungene Demokratisierung und eine Nation unter Gleichen.“1 Interessanterweise könnte dieser Satz, der ein Buch des Jahres 2004 bewirbt, nicht in Merritts Übersichtswerk zur Umfrageforschung der amerikanischen Militärregierung stehen, das doch gerade den Anfang der gelungenen Demokratisierung schilderte.
Eine Geschichte des wissenschaftlichen Fortschritts müsste zugleich eine Geschichte des Verlustes und des Vergessens sein. Zu solchen Überlegungen wird gedrängt, wer die Studien von Joseph B. Schechtman und Eugene M. Kulischer über die Bevölkerungsverschiebungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Hand bekommt. Bekanntlich ist das Problem von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlungen im Zusammenhang der Jugoslawienkriege und anderer „ethnischer Säuberungen“ wieder zu einem brisanten Thema geworden, das die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich ziehen konnte. Für die neuere Forschung – etwa Klaus J. Bades „Europa in Bewegung“ (2000) oder Norman Naimarks „Fires of Hatred“ (2001) – sind Kulischer und Schechtman kein monumentaler Referenzpunkt, sondern nur eine Fußnote.
Kolonialkrieg, Globalstrategie und Kalter Krieg. Die Emergencies in Malaya und Kenya 1948–1960
(2005)
Kein Staat der Welt hat während des Kalten Krieges öfter Krieg geführt als Großbritannien. Obwohl das Königreich ein Hauptakteur des Ost-West-Konfliktes und die größte Kolonialmacht der Erde war, erklären sich diese „heißen Kriege" im Kalten Krieg weder aus der Blockkonfrontation noch aus der Logik eines kolonialen Freiheitskampfes wirklich hinreichend. Man kann diese Kriege nur verstehen, wenn man sie als Resultate einer auf die Weltmachtrolle und das Selbstverständnis als Imperialmacht zentrierten Kollektivmentalität in den politischen und militärischen Eliten des Mutterlandes begreift. Die „heißen Kriege" waren in erster Linie ein Ausfluss globalstrategischen Sicherheitsdenkens. Der Artikel zeigt dies am Beispiel der Emergencies (Ausnahmezustände) in Malaya und Kenya, die für die strategische Verteidigung der Indikregion bedeutsam waren.
Seit sich die republikanische Regierungsform in Frankreich endgültig durchgesetzt hatte (1875), waren vier Gruppen von Franzosen Diskriminierungen ausgesetzt, die im Staatsangehörigkeitsrecht festgeschrieben waren: französische Frauen, die Ausländer heirateten; algerische Muslime, Eingebürgerte und Juden. Die Republik erkannte sie als Franzosen an, gewährte ihnen aber nicht in jeder Hinsicht gleiche Rechte. Heute sind diese Diskriminierungen verschwunden. Doch zwei der vier Gruppen – die Juden und die algerischen Muslime – tragen weiterhin die gelebte Erfahrung und die Erinnerung früherer Diskriminierungen, auch wenn sie inzwischen völlig gleichberechtigt sind und zum Teil Anerkennung oder Reparationen erhalten haben. Der Aufsatz soll verstehen helfen, warum dies so ist, und greift dafür auf psychoanalytische Erklärungsansätze zurück. In beiden Fällen gab es ein zweites Ereignis, das die schmerzliche Vergangenheit reaktivierte: eine Rede de Gaulles 1967 bzw. die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1993. Dieses zweite Ereignis geschah in einer Zeit formaler Rechtsgleichheit und wies dennoch auf die Zeit der Diskriminierung zurück.
Der Aufsatz skizziert Migrationen aus der Volksrepublik Polen (1949–1989). Besonders berücksichtigt werden dabei die Politik der Ausreiseverhinderung seit den späten 1940er-Jahren und die Errichtung eines Grenzkontrollsystems nach sowjetischem Vorbild, die neuen Möglichkeiten für Migrationen im Jahr 1956 und danach, die relative Öffnung zum Westen in den 1970er-Jahren und die Erosion der restriktiven Ausreisepolitik in den 1980er-Jahren, die schließlich zum Exodus von 1987–1989 führte. Der Beitrag nennt wichtige Faktoren der Migrationsentwicklung: die Muster und Institutionen der „Passpolitik“ (die mit der generellen Entwicklung des Herrschaftssystems verbunden war), die Dynamik von Migrantennetzwerken, relative Deprivation und Entfremdung von „Volkspolen“, Druck von außen und Schattenwirtschaft.
Seit den 1960er-Jahren wurden für die Migranten in der Bundesrepublik Radiosendungen und Zeitschriften in ihrer jeweiligen Nationalsprache produziert. Die Entwicklung dieser Medien wurde von weitgreifenden Konflikten geprägt, die sich im Kontext internationaler Auseinandersetzungen um die politische Beeinflussung der so genannten „Gastarbeiter“ entfalteten. Zum einen stand die Gründung und Finanzierung von „Gastarbeitersendungen“ bzw. „Gastarbeiterzeitschriften“ im Rahmen des Kalten Krieges: Die Medien sollten die Zuwanderer vom (befürchteten) Konsum fremdsprachiger Auslandsprogramme abhalten, welche die Ostblockstaaten zu propagandistischen Zwecken ausstrahlten. Zum anderen konnten die meist autoritären Heimatregierungen der Migranten die Kritik nicht dulden, die in den „Gastarbeitersendungen“ zum Ausdruck gebracht wurde. Daraus entwickelten sich schwerwiegende diplomatische und innerdeutsche Spannungen. Trotz aller politischen Schwierigkeiten orientierten sich die Programme inhaltlich vor allem an den sozialen Bedürfnissen der Migranten.
Die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten sowie aus Ostmittel- und Osteuropa ist seit den 1990er-Jahren wieder zu einem bedeutenden Thema der breiteren Öffentlichkeit geworden. Dies zeigen verschiedene Publikationen, Fernsehfilme und nicht zuletzt die Debatte um ein „Zentrum gegen Vertreibungen“. Die Hinwendung der Öffentlichkeit zu diesem Thema war von einem Perspektivwechsel in der Geschichtswissenschaft begleitet. Auch hier fand und findet das Thema ein verstärktes Interesse, das sich in zahlreichen Tagungen und oftmals vergleichenden fachwissenschaftlichen Publikationen niederschlägt.
Nachdem sie über lange Zeit ein gleichsam illegitimes Studienobjekt war, hat die Geschichte der französischen Einwanderungspolitik inzwischen ihren Adelsbrief erhalten. Das Überangebot an Archiven mit ministeriellen Runderlassen, Verordnungen und Korrespondenzen hat es einigen Autoren ermöglicht, peinlich genaue Topographien der Verwaltungsbehörden zu liefern. Diese Analyse staatlichen Handelns beschränkt sich auf die Mitglieder der Ministerialkabinette und die hohen Funktionäre, vernachlässigt aber die Rolle derjenigen Beamten, die mit der Ausführung der Gesetze beauftragt sind. Um mit dieser Art Reduktionismus zu brechen, ziehe ich einen Blickwinkel vor, der sich auf die administrativen Praktiken konzentriert und bereits von Michel Foucault vorgeschlagen worden ist: „[...] es geht nicht darum, die regulierten und legitimen Formen der Macht in ihrem Kern und in ihren allgemeinen Mechanismen oder ihren Gesamtwirkungen zu analysieren. Es geht vielmehr darum, die Macht an ihren Grenzen, in ihren äußersten Verästelungen, dort, wo sie haarfein wird, zu erfassen, die Macht also in ihren regionalsten und lokalsten Formen und Institutionen zu packen, besonders dort, wo sie sich über die Rechtsregeln, von denen sie organisiert und begrenzt wird, hinwegsetzt und sich konsequent über diese Regeln hinaus verlängert, sich in die Institutionen eingräbt, in Techniken verkörpert und zu materiellen, vielleicht sogar gewaltsamen Interventionsinstrumenten greift.“ Ein solches Vorhaben legt es nahe, auf eine Quelle zurückzugreifen, die von den Migrationshistorikern bislang wenig herangezogen worden ist: die personenbezogenen Aufenthaltsdossiers, die von den Beamten der Präfektur geführt werden.2 Als Akten mit Personenstandsangaben unterliegen sie einer mindestens 60-jährigen Sperrfrist. Allerdings kann für wissenschaftliche Zwecke ohne weiteres eine Sondergenehmigung zur Akteneinsicht beantragt werden, wenn die Anonymität der genannten Personen garantiert wird.
This article discusses key aspects of the symbolic politics of the British and West German anti-nuclear-weapons movements in the late 1950s and early 1960s. More specifically, it examines the interaction between protest, politics, the media and the public sphere. It proposes two analyses of the protests: first, as the creation of a public sphere by means of "street politics" and, second, as a key to establishing an emotional community of protesters both in a national and transnational context. The media played a crucial role by enabling isolated protests to be perceived as parts of broader movements. The article argues that protests in both countries by and large adhered to, rather than transcended, the dominant national cultural codes. These movements thus exemplify the ways in which international relations, transnational links and national protest traditions interact.
Der Irak-Krieg des Jahres 2003 wurde von zwei Bildern eingerahmt: Eines zeigt die Bombardements am Anfang und eines den Fall der Saddam-Statue auf dem Firdos-Platz am Ende. Lange vor dem Beginn des Krieges war bereits viel über die Taktik des amerikanischen Militärs geschrieben worden. Ein Militärschlag, wie es ihn noch nie gegeben hatte, sollte ihn eröffnen. „Shock and Awe“ wurde von der Bush-Administration als Bezeichnung ausgegeben, und noch Anfang März wurde die „MOAB“ getestet, die „Mother of all Bombs“. Schon der Name ließ sich leicht mit dem geplanten Irak-Krieg in Verbindung bringen, hatte Saddam Hussein den Zweiten Golfkrieg 1991 doch als „Mother of all Battles“ bezeichnet.
Das Beschreibungs- und Erklärungsmodell der „neuen Kriege“, wie es vor allem der Politologe Herfried Münkler entwickelt und publizistisch äußerst wirkungsvoll vertreten hat, kommt ohne die Berücksichtigung der medialen Faktoren nicht mehr aus. An wesentlichen Stellen seiner scharfsinnigen historischen Phänomenologie des Krieges, die gerade durch die Konfrontation der Aktualität mit den Erscheinungsformen der vormodernen Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts ihre besondere Prägnanz gewinnt, wird immer wieder auf die gewandelte Rolle des Fernsehens verwiesen. In den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten beiden Jahrzehnte werde der Kampf mit Waffen „zunehmend durch den Kampf mit Bildern konterkariert“. TV-Kamerateams seien für die Kriegsparteien inzwischen ein beliebig handhabbares Instrument der Aufmerksamkeitssteuerung, ja die durch Fernsehbilder erst hergestellte „Weltöffentlichkeit“ sei zur „Ressource“ des Krieges geworden. Münklers Argumentation kulminiert dann in der These, die „Verwandlung der Berichterstattung über den Krieg in ein Mittel seiner Führung“ bedeute den „wahrscheinlich größte[n] Schritt bei der Asymmetrisierung des Krieges“. Ein Hauptbefund der Studie, die Ablösung der staatlich monopolisierten Kriege durch radikal asymmetrische Formen der Auseinandersetzung, wird also am Medium Fernsehen festgemacht - alles deutet darauf hin, dass Münklers Konzept der „neuen Kriege“ eine umfassende Theorie ihrer medialen Repräsentation quasi mitformuliert. Doch dieser Eindruck täuscht. Die medialen Spiegelungen der kriegerischen Ereignisse und vor allem der audiovisuelle Diskurs des Fernsehens werden nur am Rande beachtet; Münkler belässt es bei Anmerkungen und Anfügungen. Nur eingestreut wird der Hinweis, man dürfe den „wachsenden Einfluss der Medien auf die politischen Entscheidungsabläufe“ nicht unterschätzen. Dabei bietet Münklers Konzept der „neuen Kriege“ eigentlich alle Voraussetzungen, um eine solche Beiläufigkeit zu überschreiten, denn optisch-visuelle Begriffe fungieren als Grundkategorien: „Erscheinungsformen“ und „Erscheinungsweisen“ der „neuen“ Realitätsformationen sollen aufgezeigt werden. Alles kreist um die Problematik der Sichtbarkeit; eine unübersichtliche „Gemengelage“ wird als das hervorstechendste Charakteristikum der aktuellen Kriege kenntlich gemacht.
Die historische Migrationsforschung steht mitunter vor dem Problem, dass viele Methoden und Materialien, die in den übrigen Sozialwissenschaften zum Standard gehören, nicht zur Verfügung stehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die häufig stark betonte quantitative oder administrativ-juristische und politische Perspektive erweitert werden soll auf sozialkulturelle Phänomene, etwa auf Fragen der Konstitution von Gruppen und Gemeinschaften, der Identitätsbildung und des Identitätswandels sowie der Vielfalt der Adaptionsstrategien und ihrer Motivationen. Methoden der Oral History fallen praktisch völlig aus, wenn die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg oder gar noch frühere Epochen untersucht werden sollen. Auch schriftliche Zeugnisse aus dem Kreis der Wandernden bzw. Gewanderten sind äußerst rar, und wenn sie vorliegen, bilden sie einen sehr eng eingegrenzten Ausschnitt aus dem sozialen Spektrum des Migrationsgeschehens ab. Schwierig zu beantworten ist insbesondere die Frage nach dem Alltagsleben und den Sozialbeziehungen innerhalb von Einwanderergruppen sowie nach deren Beziehungen zu den vollberechtigten Staatsangehörigen.
Ein Foto von der US-amerikanischen Flaggenhissung auf der japanischen Insel Iwo Jima vom Februar 1945 entwickelte sich noch während des Zweiten Weltkrieges zu einer national mobilisierenden Ikone für letzte Kriegsanstrengungen. Nach dem Krieg betonte das US Marine Corps mit diesem Foto seine Leistungen und seine Eigenständigkeit. Ein Bronzedenkmal, das 1954 am Rande von Arlington eingeweiht wurde, war gleichsam die dreidimensionale Umsetzung des Fotos und Ausdruck des Selbstbewusstseins des Marine Corps. Dieser Beitrag geht der Konkurrenz nationaler Indienstnahme und sektoraler Interessen bis in die Gegenwart nach. Aufgezeigt werden die unterschiedlichen medialen Repräsentationen der Iwo-Jima-Geste und ihre wechselnden Bedeutungen – beispielsweise die fotografische Aktualisierung im Zusammenhang des 11. September 2001. So entsteht ein Panorama der nationalen Ikonographie der USA seit dem Zweiten Weltkrieg.
Es herrscht Bürgerkrieg, Bürokratie und Korruption lähmen die Regierung, das Parlament ergeht sich in endlosen Debatten - dies ist die Situation, in der sich die Demokratie selbst den Todesstoß versetzt: Sie ruft nach einem starken Mann. Damit beginnt der Aufstieg eines Politikers zur Herrschaft über das Imperium in der Star-Wars-Galaxis. „Um weiterhin allgemeine Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten, wird die Republik umgestaltet werden, und zwar zum ersten galaktischen Imperium zum Wohle und Nutzen einer stabilen und sicheren Gesellschaft“, erklärt der künftige Diktator, während sich die Kamera öffnet und den Blick auf eine unüberschaubare Masse begeistert zustimmender Parlamentarier freigibt. Nur sehr leise gibt es auch eine kritische Stimme zu hören: „So geht die Freiheit zu Grunde mit donnerndem Applaus.“ Die imperiale Machtübernahme steht im Mittelpunkt der Handlung des Star-Wars-Films „Die Rache der Sith“, der im Mai 2005 als sechster und letzter Film der Serie in die Kinos kam.
Der Begriff „Imperium“ kehrt verstärkt in den historisch-politischen Diskurs zurück, und wer ihn heute benutzt, redet in der Regel über die Vereinigten Staaten von Amerika.1 Während des Kalten Krieges sprach man von „Blöcken“ oder „Lagern“, doch seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat der Versuch, Geschichte als eine Folge von Großreichen zu denken, spürbar Aufwind. Eine solche Perspektive ist keineswegs neu; vielmehr kann sie auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Klassiker des imperialen Genres ist Edward Gibbons Werk „Decline and Fall of the Roman Empire“ (1776-1788), das man zu seiner Zeit als Kritik an der westlichen Welt und Parabel auf die Krise des britischen Weltreiches lesen konnte.2 Parallel zur Rede über den Niedergang von Imperien diskutierte man seit dem Ende Roms ihre Übertragung. So prophezeite der britische Philosoph George Berkeley bereits 1752 eine transatlantische translatio imperii: „Westward the course of empire takes its way“, schrieb er und meinte die Neue Welt.3 Im 19. Jahrhundert war die Erwartung amerikanischer Größe schon ein Allgemeinplatz des politischen Denkens.4 Mit dem Eingreifen der USA im Ersten Weltkrieg und Woodrow Wilsons Credo, Amerikas Mission sei „to make the world safe for democracy“, endete die von den Gründervätern verordnete Ära der Isolation endgültig. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren die USA eine globale Weltmacht, und seit Ende des Zweiten Weltkrieges überstieg ihre militärische, ökonomische und kulturelle Macht diejenige anderer Nationalstaaten. Hier setzte die gegenwärtige Rede vom amerikanischen Imperium und dem „US-Imperialismus“ ein.
Niall Ferguson, vormals Fellow and Tutor in Modern History in Oxford und jetzt Professor of International History an der Harvard University, steht ohne Zweifel in der Tradition debattierfreudiger und argumentationsstarker britischer Historiker. Neben fundierten Einzelstudien, vor allem zur Geschichte Hamburgs in der Weimarer Republik und zur Geschichte der Familie Rothschild, zielen seine häufig provozierenden Arbeiten auf eine breite historisch interessierte Öffentlichkeit.1 Mit seiner medialen Präsenz steht er in der Tradition britischer „Tele-Dons“ nach dem Vorbild des Oxford-Historikers A.J.P. Taylor. Der Blick in die Vergangenheit dient auch für Ferguson nicht allein der Aufklärung der Gegenwart, sondern als konkrete Handlungsanweisung in politischen Krisen und damit der Legitimation des Historikers als eines politischen Ratgebers. Dazu kommt die ausgeprägte Lust des Autors an der Dekonstruktion vermeintlich etablierter historischer Wahrheiten. Aber bereits im Falle seines provozierenden Buches über Großbritanniens Rolle im Ersten Weltkrieg2 monierten nicht wenige Rezensenten, dass Ferguson sich verzweifelt bemühe, Türen einzurennen, die seit langem offen stehen.
Herfried Münkler, seit 1992 Professor für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin, betrachtet Imperien als „eine Form von Problembearbeitung neben der des Staates und anderen Organisationsformen des Politischen“. Idealtypisch unterscheidet er zwischen dem „pluriversen Ordnungsmodell der Politik“, d.h. einer von mehr oder weniger gleichberechtigten Staaten ausgehandelten Weltordnung, und dem imperialen, d.h. von einer klaren Vormacht bestimmten Ordnungskonzept. Dieser Gegensatz könne auch und gerade viele Konfliktlagen des 20. Jahrhunderts erklären. Anders als die Imperialismustheoretiker, die imperiale Herrschaftsformen seit Ende des 19. Jahrhunderts auf unterschiedliche Weise kritisiert haben, fragt Münkler zunächst einmal wertfrei nach den Merkmalen von Imperien, den Quellen ihrer Macht, ihren Stabilitätsbedingungen und Techniken der Krisenbewältigung sowie nach den Ursachen ihres Scheiterns. Sein universalhistorischer Blick reicht vom Imperium Romanum über das Mongolenreich, die frühneuzeitlichen See-Imperien und das russische Zarenreich bis zum heutigen Europa und den USA.
Im Gegensatz zu Teilen Asiens, wo die Unabhängigkeitskämpfe etwa in Indochina und Malaya durch langjährige militärische Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren, kam es auf dem afrikanischen Kontinent nur in Algerien zu einem vergleichbar blutigen Dekolonisationskrieg. Das heißt freilich nicht, dass das Ende der europäischen Empires im Rest von Afrika ein friedlicher Prozess gewesen wäre. In der britischen Siedlerkolonie Kenia etwa mussten im Zuge des so genannten Mau-Mau-Aufstandes Tausende von Menschen ihr Leben lassen. Mehr als 1.000 Afrikaner wurden auf der Grundlage von hastig verabschiedeten Antiterrorgesetzen gehenkt, weit mehr als in jedem anderen kolonialen Konflikt einschließlich Algeriens.1 Doch es war vor allem der Algerienkrieg, welcher sich im Bewusstsein der Zeitgenossen mit spätkolonialer Gewalt und Gegengewalt verknüpfte.2 Und wie kaum ein zweiter Autor hat der intensiv am algerischen Unabhängigkeitskampf beteiligte Frantz Fanon damalige Debatten über den Prozess der Dekolonisation, über die Berechtigung antikolonialer Gewalt sowie über die Zukunft der „Dritten Welt“ geprägt.
„Eine neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse“. Hitlers Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939
(2006)
Als Hitler am 6. Oktober 1939 seine Rede im Reichstag hielt, war der Angriffskrieg gegen Polen bereits zu Ende. Am 27. September hatten die Verteidiger Warschaus kapituliert, nachdem die deutsche Luftwaffe und Artillerie die polnische Hauptstadt nahezu verwüstet hatten. Einen Tag später vollzog der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag die Aufteilung Polens, die bereits im geheimen Zusatzabkommen des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August beschlossen worden war. Der 1919 errichtete polnische Staat war zerschlagen worden - zum vierten Mal in der polnischen Geschichte.
In der gegenwärtigen Debatte über Imperien wird die konstitutive Bedeutung des Raumes hervorgehoben. Seine Repräsentation in Gestalt von Karten wird aber bisher selten zum Forschungsgegenstand gemacht, obwohl Untersuchungen zum British Empire auf den Zusammenhang von kognitiven und materiellen Karten für die Ausbildung eines Raumbewusstseins innerhalb des Imperiums und in Bezug zur Welt verweisen. In der Sowjetunion war die Produktion und Verbreitung von Karten von Anfang an ein grundlegender Bestandteil imperialer Politik, weil das dokumentierte Wissen über das Territorium, seine Strukturen und Bewohner eine Voraussetzung für eine umfassende Sowjetisierungspolitik darstellte. Einer der sowjetischen „Vermesser“ war der ungarische Kartograph Alexander (Sándor) Radó, der seit den 1920er-Jahren an der Produktion sowjetischer und europäischer Atlanten beteiligt war. Die Karten sind in mehrfacher Hinsicht Dokumente eines imperialen Konstruktionsprozesses, weil sie einerseits als Projektionsfläche genutzt wurden und andererseits die innenpolitische Entwicklung in der Sowjetunion spiegelten und beeinflussten.
Die Geschichte und Rezeptionsgeschichte von Spielfilmen in der Bundesrepublik Deutschland lässt sich als eine Konfliktgeschichte beschreiben. Der Beitrag gibt einen Überblick zum Forschungsstand und nimmt mit dem Skandal um Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ (1963) einen der Höhepunkte der filmischen Skandalgeschichte in den Blick. Zeitgenössische Kommentatoren sahen die westdeutsche Aufregung um den Film, die sich insbesondere in der Aktion „Saubere Leinwand“ ausdrückte, im internationalen Vergleich als außergewöhnlich an. Eine nähere Betrachtung der internationalen Reaktionen auf „Das Schweigen“ zeigt demgegenüber, dass die bundesdeutsche Empörung keineswegs aus dem Rahmen fiel. Die Darstellung von Sexualität in „Das Schweigen“ wurde länderübergreifend in ganz Europa als ein Tabubruch empfunden. Entscheidend für die unterschiedlichen Rezeptionsweisen war allerdings, in welcher Länge (d.h. mit welchen Schnitten) Bergmans Werk jeweils in die Kinos kam.
IVAR und BILLY, zwei Regalsysteme von IKEA, stehen nicht nur für ein jahrzehntelanges Erfolgskonzept der schwedischen Möbelfirma, sondern auch für eine neue ästhetische und geistige Haltung, die sich im Verlauf der 1970er-Jahre auf breiter Basis durchgesetzt hat. Bedeutsam waren und sind die IKEA-Regale zunächst einmal für die Designgeschichte; zugleich lassen sich an ihrem Erfolg breitere Trends der Konsum-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte ablesen.
Wer es wieder oder erstmals zur Hand nimmt, dem fällt sofort auf, wie flott sich das handliche Buch mit seinen 180 Seiten und weit über 50 Abbildungen und Tabellen lesen lässt. Kurz und bündig formuliert das Team um Dennis Meadows bereits in der Einführung seine Grundaussage: Rasches Handeln sei erforderlich, denn wenn „die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht“ (S. 17). Dieser Schlussfolgerung lagen etwa 18 Monate Forschung und ein computergestütztes Weltmodell zugrunde, mit dessen Hilfe Ursachen und Folgen exponentiellen Wachstums anhand der genannten fünf makroökonomischen Basistrends und ihrer Wechselwirkungen berechnet werden sollten.
Friedliches Auseinanderwachsen. Überlegungen zu einer Sozialgeschichte der Entspannung 1960–1980
(2007)
Der Artikel skizziert die politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaften Ost- und Westeuropas in der Ära der Entspannungspolitik. Die Hauptthese lautet, dass die diplomatische Annäherung der beiden Blöcke von einem gegenläufigen Auseinanderwachsen der west- und osteuropäischen Länder begleitet war. Während die westlichen Gesellschaften neue politische Aktionsmöglichkeiten in Form von sozialen Bewegungen erlebten, blieb dies im Osten wegen des Machtmonopols der kommunistischen Parteien unmöglich bzw. war mit weitaus größeren Schwierigkeiten verbunden. Auch neue (jugend)kulturelle Erscheinungsformen wie bestimmte Mode- und Musikströmungen konnten im Westen eine Normalität erreichen, die im Osten nicht möglich war. Die Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre führte im Westen zu einem Ab- bzw. Umbau der fordistischen Produktionsweise, während die realsozialistischen Staaten an alten Strukturen festhielten. Während diese Trends der 1970er-Jahre heute fast teleologisch auf den Zusammenbruch des Kommunismus vorauszudeuten scheinen, war dies für die Zeitgenossen nicht der Fall. Im Gegenteil: Viele Beobachter sahen eine mögliche Konvergenz der beiden Systeme.
Der Artikel betrachtet die späten 1960er- und die 1970er-Jahre als eine Umbruchszeit, in der in West- wie in Osteuropa fundamental neue Gesellschaftsentwürfe formuliert wurden. Ausgehend von 1968 als transnationalem Protestjahr wird gefragt, inwieweit sich die an Bedeutung zunehmenden Oppositionsbewegungen im östlichen Teil Europas von den neuen sozialen Bewegungen in Westeuropa unterschieden. Dabei werden die Geschlechterbeziehungen in den staatssozialistischen Gesellschaften ins Zentrum der Analyse gerückt, und es wird herausgearbeitet, inwieweit die Formung der Geschlechterverhältnisse durch staatliche wie oppositionelle Politik neue Gesellschaftsentwürfe beeinflusste. Die Konservierung traditioneller Geschlechterverhältnisse war sowohl für die Regime als auch für die oppositionellen Bewegungen funktional. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass im östlichen Europa - im Gegensatz zu Westeuropa und den USA - aus den gesamtgesellschaftlichen Protestbewegungen keine einflussreiche Frauenbewegung hervorging.
Wenn man ein Buch nennen müsste, das am meisten zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen hat, stünde Solženicyns „Archipel Gulag“ sicher an vorderer Stelle. Aleksandr Isaevič Solženicyn, Jahrgang 1918, war als Offizier wegen einiger abfälliger Briefzeilen über Stalin 1945 verhaftet worden und brachte acht Jahre in sowjetischen Lagern und Haftanstalten zu. Nach seiner Freilassung wurde er nach Kasachstan verbannt und 1956 rehabilitiert. Mit der Publikation der Erzählung „Ein Tag im Leben des Ivan Denisovič“ (1962) gelangte er rasch zu literarischem Ruhm, sah sich aber mit dem Ende des sowjetischen „Tauwetters“ seiner Publikationsmöglichkeiten zunehmend beraubt. Seit 1958 hatte er an dem monumentalen „Archipel Gulag“ gearbeitet, dies aber geheimgehalten. Als der KGB im August 1973 das Manuskript beschlagnahmte, ließ Solženicyn den ersten Band im Pariser Emigranten-Verlag YMCA-Press veröffentlichen. Der zweite und der dritte Band erschienen 1974 und 1976. Im Jahr 1985 folgte eine einbändige, gestraffte Fassung des Werks. In der Sowjetunion konnte der „Archipel Gulag“ erst 1989 veröffentlicht werden. Solženicyn war 1974 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden und lebte im amerikanischen Exil, bis er 1994 nach Russland zurückkehrte.
Die Reise als Ware. Die Bedeutung der Pauschalreise für den westdeutschen Massentourismus nach 1945
(2008)
Die rasch wachsende Zahl von Urlaubsreisen war in der frühen Bundesrepublik eng mit dem Durchbruch der Pauschalreise zum Massenkonsumgut verbunden. Die ökonomische Transaktionskostentheorie hilft, die Ursachen dieses Prozesses zu verstehen. In den 1960er-Jahren entwickelte sich die Pauschalreise zum Motor des Massentourismus, weil sie besonders die Organisation einer Auslandsreise stark vereinfachte. Dennoch blieben traditionelle schichtenspezifische Unterschiede im Reiseverhalten bis in die 1970er-Jahre bestehen. Wie bereits in der Vorkriegszeit waren die neuen Mittelschichten die Träger eines modernen, konsumorientierten Freizeitverhaltens, das in der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft der 1960er-Jahre seine soziokulturelle Vorbildwirkung entfalten konnte und allmählich zur selbstverständlichen Praxis wurde. Der Aufsatz analysiert die Geschäftsmodelle der großen Reiseveranstalter, liefert statistische Angaben zur wachsenden Popularität von Pauschalreisen und verdeutlicht die Sehnsucht der Bundesbürger nach dem sonnigen Süden.
Im Mai 2006 einigten sich Vertreter der elf Aufsichtsländer darauf, die Ressourcen des Internationalen Suchdienstes (ISD) des Internationalen Roten Kreuzes in Arolsen für die historische Forschung zu öffnen. Bis zum Oktober 2006 unterzeichneten die einzelnen Regierungen das entsprechende Protokoll. Die Ratifizierung durch die beteiligten Staaten zog sich allerdings noch bis November 2007 hin. Für den Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Jakob Kellenberger, nahm damit „ein langer und schwieriger Prozess“ sein Ende. Nach jahrzehntelanger Kritik an der Abschottung scheinen die Tore des Suchdienstarchivs nun endlich aufgestoßen zu werden.
Die Geschichte der „Chinesenviertel“ und chinesischer Migranten in europäischen Metropolen demonstriert, wie „Fremde“ zur Gefahr für die nationale Arbeit und für die Großstädte stilisiert wurden; sie zeigt aber auch, wie Migranten wirtschaftliche Nischen besetzen und schließlich als kulturelle Bereicherung akzeptiert werden konnten. In Hamburg präfigurierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ausgeprägter Hygiene-Diskurs die vehemente Ablehnung, während sich die Behörden in Rotterdam anfangs indifferent verhielten und die dortige Bevölkerung in den frühen 1930er-Jahren durchaus Empathie mit arbeitslosen Chinesen zeigte. In London wiederum schlug die anfängliche Toleranz seit dem Ersten Weltkrieg in Abwehr um. Ab den 1950er- und 1960er-Jahren setzte mit dem großen Erfolg chinesischer Gastronomie eine neue Phase chinesischer Migration ein, die nun als kulinarische Bereicherung der urbanen „Konsumgesellschaft“ allgemein anerkannt wurde. Während ein kosmopolitischer Charakter von westeuropäischen Metropolen seit den 1970er-Jahren als mehr oder minder selbstverständlich gilt, ist die Geschichte chinesischer Migranten in Westeuropa ein gutes Beispiel für den langen und unebenen Weg zur multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft.
Experten, Stiftungen und Politik. Zur Genese des globalen Diskurses über Bevölkerung seit 1945
(2008)
Der Aufsatz untersucht die weltweite Popularisierung des bevölkerungspolitischen Diskurses und leistet damit einen Beitrag zur kritischen Historisierung gegenwärtiger Deutungsmuster. Wie und warum entwickelte sich ein zunächst nur von wenigen Experten als Problem wahrgenommenes Phänomen zu einem globalen Diskurs über die Gegenwart und Zukunft der Menschheit? Im Kontext von Kaltem Krieg und Dekolonisierung rückte das Bevölkerungswachstum in der „Dritten Welt“ in den Mittelpunkt demographischer Überlegungen. Amerikanische Stiftungen, überzeugt von der humanitären und sicherheitspolitischen Relevanz des Bevölkerungswachstums, setzten sich massiv für eine globale biopolitische Steuerung ein. Seit Beginn der 1960er-Jahre beeinflussten die Stiftungen und die „epistemische Gemeinschaft“ der Bevölkerungsexperten dann auch maßgeblich das Handeln der US-Regierung. Schließlich schwenkten die Vereinten Nationen um 1970 ebenfalls auf eine neo-malthusianische Politik ein. Damit entwickelte sich die Steuerung des Bevölkerungswachstums zu einem zentralen, weithin unstrittigen, aber doch interessengeleiteten Aspekt von Weltinnenpolitik.
Nach 1989/90 wurde kriegerische Gewalt innerhalb Europas auf neue Weise zum Thema und gerade auch für Intellektuelle zu einer unerwarteten Herausforderung. Die Diskussion unter deutschsprachigen Schriftstellern über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien war hauptsächlich eine Debatte um Peter Handke. Sie fungierte als eine Art Stellvertreterdebatte, während engagierte politische Interventionen deutscher Literaten meist ausblieben. In seinen kontroversen Texten seit 1996 versuchte Handke einen ‚dritten‘ Standpunkt jenseits der zweiwertigen Logik des politischen Diskurses in den Medien zur Geltung zu bringen. Dennoch tendierte sein ‚poetischer‘ Blick auf Serbien zunehmend zur politischen Parteinahme, wie etwa seine Annäherung an den in Den Haag angeklagten serbischen Präsidenten Miloševic zeigt. Obwohl seine Sprache eine Alternative zum ‚herrschenden‘ medialen Diskurs suchte, wurde sie wie die Figur ‚Peter Handke‘ letztlich von den Regeln der politischen Öffentlichkeit absorbiert.
Körper – Kosmos – Kybernetik. Transformationen der Religion im „New Age“ (Westdeutschland 1970–1990)
(2008)
Das „New Age“ wird üblicherweise als Ergebnis oder Ereignis der Privatisierung und Pluralisierung der Religion nach „1968“ begriffen. Der vorliegende Beitrag betrachtet diese Zuordnung als erweiterungsbedürftig und unterzieht einige der zentralen Deutungsmuster innerhalb des „New Age“ einer diskursgeschichtlichen Relektüre. Auf diese Weise geraten drei Transformationsprozesse in den Blick, die das „New Age“ in den 1970er- und 1980er-Jahren als „Neue Religion“ in das Zentrum des gesellschaftlichen Wandels rückten: Somatisierungs-, Orientalisierungs- und Kybernetisierungsprozesse. In einem weitgehend unbekannten Ausmaß wurde insbesondere die Sorge um den „eigenen“ Körper zum Referenzpunkt religiöser Kommunikation. Entgegen der Säkularisierungsthese verlor die Religion in diesem Kontext keineswegs an gesellschaftlicher Relevanz.
Die „Réflexions sur la violence“ von Georges Sorel (1847-1922) gelten bis heute als eine wichtige Inspirationsquelle linker wie rechter Gewaltlegitimation. Ihr Autor, ein französischer Straßen- und Brückenbauingenieur, der nach 25 Berufsjahren 1892 sein Amt aufgab, um sich fortan gelehrten Studien zu widmen (ein geerbtes Familienvermögen machte dies möglich), durchlief selbst den intellektuellen Parcours vom linken zum rechten Rand des europäischen politischen Spektrums und wieder zurück. Sorels Interessen reichten von der frühen Kirchengeschichte bis hin zu Philosophie, Psychologie und Soziologie; vor allem aber richteten sie sich auf die klassischen Schriften des Marxismus, denen er ausführliche Analysen widmete. Er kommentierte das politische Zeitgeschehen in seinem Heimatland, verfolgte die Revisionismusdebatte der deutschen Sozialdemokratie mit großem Interesse und stand mit Benedetto Croce, Vilfredo Pareto und anderen italienischen Denkern in engem Kontakt.
Der Beitrag verfolgt die Karriere eines Bildes der amerikanischen Fotografin Dorothea Lange, das im März 1936 als Presseaufnahme in Umlauf kam und in der Folge unter dem Titel „Migrant Mother“ zu einer Ikone der Großen Depression in den USA wurde. Das Foto wird hier erstmals im Zusammenhang der gesamten Serie von sieben Aufnahmen analysiert, der es entnommen ist. Ausgehend vom politisch-sozialen Kontext des New Deal leistet der Autor eine ikonographische Analyse; er arbeitet die semantischen Überschreibungen und Adaptionen des Bildes im Verlauf seiner Rezeptionsgeschichte heraus und ordnet das Foto schließlich vier verschiedenen Diskursen zu, die die Semantik der „Migrant Mother“ maßgeblich bestimmt haben. Die historische Bedeutung von Dokumentarfotografie erweist sich dabei im Wesentlichen als eine Funktion der sozialen und diskursiven Praxis ihrer Verwendung.
Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende des „Dritten Reichs“ fahndet die deutsche Justiz noch immer nach einzelnen NS-Tätern. Für Hinweise zur Ergreifung des heute 93-jährigen Dr. Aribert Heim, der als SS-Lagerarzt im Konzentrationslager Mauthausen Häftlinge durch Herzinjektionen tötete, ist eine Belohnung von 130.000 Euro ausgesetzt. Dennoch wirft Efraim Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Center in Jerusalem und Initiator der „Operation Last Chance“, den deutschen Justizbehörden zögerliche Ermittlungen vor, „als wollten sie die hundertsten Geburtstage [der Täter] abwarten“. Über die Aussichten, einen NS-Täter verurteilen zu können, zeigten sich allerdings selbst engagierte Juristen vor dem Hintergrund der sich auftürmenden Beweisschwierigkeiten und der altersbedingten Verhandlungsunfähigkeit vieler Angeklagter schon Ende der 1970er-Jahre pessimistisch. So können die von großer medialer Aufmerksamkeit begleiteten Versuche, die Täter zur Verantwor-tung zu ziehen, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Strafverfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in wenigen Jahren unwiderruflich enden wird.
Das Fotoarchiv der Reemtsma Cigarettenfabriken besteht aus ungefähr 70.000 Aufnahmen, die als Einzelbilder, in Fotoalben, als Negative oder Dias gesammelt wurden. Die Überlieferung umfasst Aufnahmen aus dem Zeitraum vom Umzug des Unternehmens von Erfurt nach Altona-Bahrenfeld im Jahr 1923 bis zur Übernahme durch Imperial Tobacco im Jahr 2002 und spiegelt das breite Spektrum der firmenbezogenen Fotografie zwischen Dokumentation, Selbstdarstellung und Werbung: Hier finden sich Aufnahmen aus dem Betrieb oder zur Firmengeschichte ebenso wie Bildmaterial für Broschüren, Mitarbeiterzeitschriften oder Werbekampagnen. Eine Besonderheit sind die Bilder der „Tabakreisen“, auf denen bekannte Fotografen und Bildjournalisten den Tabakanbau in verschiedenen Gebieten und die Verarbeitung dokumentierten; zwei dieser Reportagen werden im Folgenden beispielhaft vorgestellt. Sofern die Fotografie in der Werbung eingesetzt wurde - was seit den 1920er-Jahren zunehmend geschah und wofür die beiden ausgewählten Teilbestände ebenfalls Beispiele sind -, überschneiden sich die Bestände des Fotoarchivs mit jenen des Werbemittelarchivs. Dieses enthält als nahezu vollständige Überlieferung der Werbeaktivitäten Reemtsmas aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis in die jüngste Vergangenheit insgesamt etwa 3.500 Plakate, 25.000 Anzeigen, 12.000 bis 15.000 Packungen und über 50.000 Aufsteller, Schilder, Aufkleber und ähnliches, dazu Werbepläne und interne Dokumente.
Mitten in der Stadt, direkt neben dem Viktualienmarkt, eröffnete im Frühjahr 2007 das Jüdische Museum München. Integriert in ein Ensemble aus der neuen Hauptsynagoge, dem jüdischen Gemeindezentrum und dem Stadtmuseum, soll es nicht nur ein Ort von Geschichte und Erinnerung sein, sondern ein Ort der Gegenwart, Kommunikationsraum und Haus der Begegnung. Jüdisches Leben in den verschiedensten Facetten in Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen - das ist Konzept und Ziel des neuen Museums.
Weltweit ist wohl kaum eine Schützenwaffe so verbreitet und hat einen derart legendären Ruf wie „die Kalaschnikow“. Der nach seinem Konstrukteur Michail Timofejewitsch Kalaschnikow benannte Maschinenkarabiner AK-47 (Автомат Калашникова образца 47) bildete den Ausgangspunkt für eine ganze Familie automatischer Infanteriewaffen, die umgangssprachlich als „Kalaschnikow“ bezeichnet werden - seien es sowjetische Originale, Lizenzproduktionen oder illegale Nachbauten aus pakistanischen Dorfschmieden. Die Kalaschnikow ist auch rund 60 Jahre nach ihrer Einführung in die sowjetischen Streitkräfte aus dem weltweiten Gewaltgeschehen nicht wegzudenken. Mit je nach Schätzung insgesamt 50, 70 oder gar über 100 Millionen Exemplaren ist sie längst zum Synonym für Kleinwaffen geworden, mit denen Jahr für Jahr Hunderttausende Menschen getötet werden. In den im Schatten der Atombombe geführten „kleinen“ Kriegen ist die Kalaschnikow somit gleichsam zu einer kumulativen Massenvernichtungswaffe geworden. Ursächlich für ihre weite und andauernde Verbreitung war die Verbindung von einfach gehaltener Konstruktion mit einer relativ guten Schussgenauigkeit und hohen Zuverlässigkeit. Die Kalaschnikow funktioniert unter allen Gefechtsbedingungen, was sie zur bevorzugten Waffe für Kriege in der „Dritten Welt“ macht. Im vorliegenden Beitrag soll ein kurzer Überblick zur Geschichte und symbolischen Aufladung dieser Waffe gegeben werden. Auf den ersten Blick mag es befremden, eine Waffe als zeithistorische „Quelle“ vorzustellen, doch ist damit selbstverständlich keine Verherrlichung militärischer Technik und Gewalt beabsichtigt, sondern gerade ein kritischer Blick auf den militärischen, terroristischen und symbolischen Gebrauch einer Waffe, deren zeitgeschichtliche Bedeutung leider unbestreitbar ist.
Drei Bücher haben im 20. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Bild der Deutschen über die Sowjetunion geprägt: René Fülöp-Millers „Geist und Gesicht des Bolschewismus“ aus dem Jahr 1926, Klaus Mehnerts „Der Sowjetmensch“ aus dem Jahr 1958 und Lois Fisher-Ruges „Alltag in Moskau“ aus dem Jahr 1984. Allen drei Publikationen ist gemeinsam, dass sie kaum auf die historischen Ereignisse oder das politische Tagesgeschäft zu sprechen kommen, sondern einen Einblick in die sowjetische Alltagskultur zu geben versuchen. Den Autoren der drei Bücher war von Anfang an klar, dass sie eigentlich Unmögliches vorhatten: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, alle Facetten einer Gegenwartskultur zu erfassen und darzustellen. Im Fall der Sowjetunion kam erschwerend dazu, dass man kaum auf verlässliche Quellen zurückgreifen konnte: Die Kultur teilte sich in einen offiziellen Betrieb und einen verbotenen Untergrund, soziologische Daten waren nicht erhältlich oder manipuliert, die Gesprächspartner mussten immer auf der Hut vor den staatlichen Überwachungsorganen sein. So blieb den Autoren nichts anderes übrig, als sich auf ihre persönliche Erfahrung zu stützen, die naturgemäß nur einen beschränkten Radius aufwies. Der Erfolg der genannten Bücher verdankte sich nicht nur ihrem Inhalt, sondern auch dem Erscheinungsdatum, das jeweils eine Wendezeit markierte: Fülöp-Miller lieferte nach zehn Jahren Sowjetregime eine erste Bilanz, Mehnert dokumentierte das Ende des Stalinismus, Fisher-Ruge gab einen Einblick in die gesellschaftlichen Startbedingungen der Perestrojka.
Das Ende des Kalten Krieges oder wie man alt wird. Man wird unwillkürlich zum Historiker der Zeit, deren Zeitgenosse man gewesen ist. Eine Epoche ist zu Ende gegangen, und wenn man diese beschreibt, beschreibt man zugleich auch ein Stück des eigenen Lebens, und umgekehrt: Das individuelle Leben fällt mit der historischen Zeit zusammen. Das hat nichts mit Selbstliebe oder Selbstüberschätzung zu tun. Man merkt es, wenn man mit jungen Leuten zusammen ist, mit denen man über Ereignisse spricht, die vor ihrer Geburt liegen, die man selbst aber miterlebt hat. Man berichtet aus der eigenen Zeit, die ihre Vorzeit ist. Es ist lohnend, sich dieser Zeit genau zu erinnern. Die subjektive Erinnerung bewahrt Details, Nuancen, Valeurs, die im Betrieb der Geschichtsforschung entweder gar nicht vorkommen oder später, wenn man deren Fehlen bemerkt, mühsam rekonstruiert werden müssen.
Die Teilung Europas und ihre Überwindung. Überlegungen zu einem Ausstellungskonzept für Berlin
(2009)
Die von Winston Churchill in seiner Fulton-Rede über den „Eisernen Vorhang“ im März 1946 konstatierte Teilung Europas war eine zentrale, wenn nicht sogar die wichtigste Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie zerriss nicht nur die Stadt Berlin, sondern auch Deutschland und den gesamten europäischen Kontinent, indem sie eine physische Barriere zwischen dem Osten und dem Westen errichtete, die zumindest nach dem Mauerbau immer schwerer zu überwinden wurde. Im Kalten Krieg gruppierten sich die europäischen Länder in ideologische Lager und bildeten zwei militärische Bündnissysteme, die sich feindlich gegenüberstanden. Während sich der Westen im Rahmen der EG auch ökonomisch allmählich integrierte, gelang dieser Prozess im Osten mit dem COMECON nur teilweise. Wegen der manifesten Krisen von 1948/49 und 1958-1961 sowie dem Bau der Mauer wurde die frühere deutsche Hauptstadt Berlin zum Symbol dieser Auseinandersetzung der Blöcke. Da sich der Konflikt aufgrund des Viermächtestatus hier verdichtete, wäre Berlin auch der geeignete Ort, um die gegenseitige Bedrohung in einem Museum anschaulich zu machen. Die Überwindung der Folgen der Teilung Europas bleibt eine wichtige Aufgabe der gegenwärtigen Politik; deshalb müsste eine solche Einrichtung nicht nur die vergangenen Spannungen musealisieren, sondern sollte auch das Potenzial der Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Zukunft verdeutlichen.
Wie haben sich die Perspektiven auf die NS-Zeit seit 1989/90 verändert? Nach einem knappen Rückblick auf die „historiographische Systemkonkurrenz“ in der Ära des Kalten Krieges werden zunächst wichtige Blickerweiterungen skizziert, die bereits vor 1989/90 einsetzten: die wachsende Aufmerksamkeit für alltagsgeschichtliche Zusammenhänge sowie vor allem für die Verfolgung und Ermordung der Juden. Die Zäsur von 1989/90 brachte für die NS-Forschung einen zusätzlichen Schub, weil sie die Bedeutung von Akteuren in historischen Entscheidungssituationen nachhaltig in den Vordergrund rückte. Der Aufsatz erläutert darüber hinaus drei Stränge der aktuellen NS-Forschung: Ansätze einer integrierten Geschichte, die eine dichotomische Betrachtung von Opfern und Tätern überwinden; die Europäisierung und Globalisierung nicht nur der Erinnerungspolitik, sondern auch der wissenschaftlichen Arbeiten zur NS-Zeit; sowie das übergreifende Phänomen einer verstärkten Medialisierung von Geschichte.
Der „Kalte Krieg“, so er sich denn als sinnvoller Epochenbegriff durchsetzt, sollte vorerst nicht insgesamt musealisiert werden. Eine Darstellung der Teilung Berlins, Deutschlands und Europas, aber auch der wechselnden und fortdauernden Verflechtungen würde einen bescheideneren und angemesseneren Rahmen bilden. Eine Ausstellung könnte dabei ein Kern sein, sollte jedoch vor allem eines leisten: eine vielfältige Erinnerungslandschaft in Berlin, in Deutschland, in Europa erschließen und neugierig auf sie machen.
Der Aufsatz skizziert die Geschichte und die Veränderungen eines der bedeutendsten Porträts der Zeitgeschichte: des Mao-Porträts auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) in Peking. Er spannt den Bogen von 1949 bis in die Gegenwart und untersucht dabei die unterschiedlichen Funktionen und Gebrauchsweisen des Bildes als Herrschaftssymbol, als Ikone der studentischen Protestbewegungen des Westens und der Pop Art um 1968, als kollektivem Protestobjekt im Frühjahr 1989, als Motiv der chinesischen Gegenwartskunst sowie als Bestandteil des Alltagskults. Ein besonderer Akzent wird dabei auf die immanenten Wirkungspotenziale des Bildes und den Ort seiner Präsentation gelegt. In allgemeinerer Perspektive versteht sich der Aufsatz als Plädoyer für eine Visual History von Herrscherbildern der Zeitgeschichte.
Für den „Kalten Krieg“ gibt es eine Vielzahl von Definitionen und historiographischen Zugängen. In der Regel ist die Epoche zwischen 1947 und 1989/91 gemeint, wobei die Zeit ab 1917 als Vorspann oder auch die Transformationsphase nach 1991 mitunter in die Betrachtung einbezogen werden. Der Kalte Krieg wird häufig als ein „Weltanschauungskrieg“ charakterisiert, der durch die Bipolarität der Supermächte und ihrer jeweiligen politischen Allianzen, die atomare Aufrüstung und den stets angedrohten, aber in Europa nie offen ausgetragenen militärischen Konflikt gekennzeichnet war, während gleichzeitig Stellvertreterkriege in der so genannten Dritten Welt entfacht wurden. Die Zeit des Kalten Krieges bzw. des Ost-West-Konflikts und der Teilung Europas ist inzwischen gut erforscht, wegen des wachsenden Zeitabstands in der breiteren Öffentlichkeit aber nicht mehr allgemein präsent. Deshalb hat eine international zusammengesetzte Gruppe von Politikern und Wissenschaftlern im Juni 2008 den Aufruf zur Gründung eines „Museums des Kalten Krieges - Teilung und Befreiung Europas“ formuliert, das am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie eingerichtet werden soll. Auch unabhängig von der Frage, ob dieser Plan letztlich Erfolg haben wird, ist eine Debatte lohnend, wie sich die Epoche des Kalten Krieges museal präsentieren und verständlich machen lässt.
Träume und Realitäten. Timothy Garton Ashs Reportagen über die „Refolution“ in Ostmitteleuropa
(2009)
Das Buch galt uns bei seinem Erscheinen als Geheimtipp – ein Werk nicht nur der genauen Analyse, sondern einer beeindruckenden Deutung. Für eine Interpretation des verwirrenden Geschehens, das wir erlebten, benötigten wir so etwas ganz dringend. Ich habe das Buch allerdings erst 1992 gründlich gelesen, zumindest steht in meiner Bibliothek die in jenem Jahr erschienene Taschenbuchausgabe. Die Seitenangaben im vorliegenden Text beziehen sich alle auf diese Ausgabe.
What is the link between consumer society, fear of a nuclear war, design, modernity and utopia? According to the curators David Crowley and Jane Pavitt, the answer can be summarized in one concept: the Cold War. ‘Cold War Modern’ is an exhibit intending to show how the two postwar superpowers, the US and the USSR, engaged in aggressive contests in art, architecture and design in order to ‘demonstrate a superior vision of modernity’.
In der Fülle an Literatur über Strafprozesse gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher nimmt ein Buch einen besonderen Platz ein: Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“. Kaum ein anderes Werk zu diesem Thema hat derart kontrovers geführte und lange nachwirkende Diskussionen ausgelöst. Bis heute wird Arendts Buch als eines der ersten zur Hand genommen, wenn es um den 1961 in Jerusalem durchgeführten Prozess gegen Adolf Eichmann geht, den ehemaligen SS-Obersturmbannführer und Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes. Viele andere Arbeiten über den Fall Eichmann sind heute dagegen nahezu vergessen oder nur einem engeren Publikum bekannt.
A Cold War Museum for Berlin
(2009)
The Cold War is ancient history to young people now. They have no idea of the underlying issues that fueled the Cold War or how it evolved and affected people’s lives. Current college and university students (aged 18-26) were between zero and six years old when the Berlin Wall came down, which is to say they did not live during the Cold War and have no direct understanding of what it was. It really is history to them, seemingly as distant as World War II or maybe even the French Revolution. The Cold War world, of mutually assured destruction, communism vs. capitalism, and Berlin on the front line divided by a wall, has been replaced by fears of terrorism, global warming, and financial crisis.
Im Frühjahr 2007 veröffentlichte der „Spiegel“ eine Hommage an das „neue Berlin“. Die Titelstory über die „Wiederkehr einer Metropole“ – „Aufgebaut von den Preußen, geschändet von den Nazis, zerstört von den alliierten Bombern, meldet sich Berlin auf der Weltbühne zurück“ – nimmt ihren Ausgangspunkt am „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Zitiert wird aus der Besucherordnung, die ein Begehen im Schritttempo vorschreibt, die Lärmen, lautes Rufen und Rauchen verbietet und somit „eigentlich genau regelt, in welcher Gefühlslage hier in den Abgrund der deutschen Geschichte geschaut werden soll“. Doch die Jugendlichen, „die seit den ersten Frühlingstagen […] wieder das Denkmal bevölkern, denken nicht daran, hier nur Trauerarbeit zu leisten. Eine siebte Klasse aus Fürth, soeben noch ergriffen von den Dokumenten im Souterrain des Denkmals, spielte vergangenen Donnerstag inmitten des Stelenfeldes Fangen. Als sich zwei Schüler plötzlich in die Arme fielen, kreischten sie.“ Diese Szene wird zum Symbol für die neue „Leichtigkeit“, die Berlin im Umgang mit seiner traumatischen Vergangenheit erlangt habe: „Vielleicht gibt es ja im Leben jeder Stadt so etwas wie eine Relativitätstheorie. Jedes Ereignis, auch das finsterste, verblasst demnach mit der Zeit. […] Das neue Berlin ist mehr als nur ein Ort des Gedenkens und Trauerns – fröhlich, frech und manchmal mit dreister Leichtigkeit findet die Preußen-Hauptstadt zu einer neuen Identität.“
Um Genaueres über die friedliche Revolution in der DDR zu erfahren, muss man nicht lange in Büchern suchen; für viele Fragen reicht der schnelle Klick ins Internet. Sofort stößt man auf eine Reihe deutschsprachiger Themenportale, die auf hohem Niveau Auskunft geben – sowohl über die Chronologie der Ereignisse vom Herbst 1989 in der DDR als auch über die Faktoren, die zum Umbruch führten. Einige dieser Portale bieten sogar eine große Fülle an Bildern und Dokumenten. Hier zusätzlich fremdsprachige Internetportale zu bemühen ist nicht unbedingt erforderlich.
Seit der Industrialisierung gehören Auslandsreisen zu den bevorzugten Informations- und Wissensquellen deutscher Unternehmer. Wichtigstes Reiseland war in der Frühphase der Industrialisierung zunächst England als „first industrial nation“. Deutsche Unternehmer importierten von dort technische Innovationen und Know-How, auf legalem oder auch auf illegalem Wege und in Form von Industriespionage. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden die USA für deutsche Unternehmer interessanter, wohingegen Japan erst weit nach dem Zweiten Weltkrieg ins Blickfeld geriet. Während zwischen den „westlichen“ Industrienationen der Informationsfluss vergleichsweise unproblematisch verlief, gab es im japanischen Fall erhebliche interkulturelle Hürden zu überwinden.
„Anarchie der Zellen“.
Geschichte und Medien der Krebsaufklärung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Am Beispiel des Films „Krebs“ (1930) wird die historische Bedeutung und Funktion von Filmen im Rahmen der Gesundheitsaufklärung analysiert. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert und verstärkt durch den Ersten Weltkrieg etablierten sich in verschiedenen Ländern Kampagnen zu medizinischen und hygienischen Themen. Neben Plakaten und Ausstellungen erschienen Filme als ein ideales Medium der Wissensvermittlung. Die Filme verknüpften Inszenierungen von Wissenschaft mit gesellschaftspolitischen Visionen und Aufforderungen für das individuelle Verhalten. Ein zentraler Akteur war dabei – vor und nach 1945 – das Hygiene-Museum in Dresden, das unter anderem den Film „Krebs“ produzierte. Die Argumentationsstrategien dieses Films werden hier näher untersucht, um damit einen Einblick in die Entstehung der Wissensgesellschaft im 20. Jahrhundert zu geben. Der Aufsatz verbindet medizin-, medien- und museumsgeschichtliche Zugänge mit Fragen der Körpergeschichte und des social engineering.
Es ist ein bisweilen befremdlicher erster Eindruck, den das Apartheid-Museum in Johannesburg für seine Gäste bereithält – während die Besucherin am Kassenhäuschen des Museums, auf halbem Weg zwischen der Johannesburger Innenstadt und dem Township Soweto gelegen, auf ihre Eintrittskarte wartet, trägt der Wind fröhliche Schreie herüber; Ausdruck der Achterbahnfahrten im nur einige Meter entfernt liegenden Vergnügungspark „Gold Reef City“. Einzig ein weitläufiger Parkplatz trennt den Themenpark, der mit einer disneyfizierten Repräsentation des Johannesburgs um 1900 aufwartet, und das zugehörige Kasino vom Museumskomplex. Für viele war dies zunächst ein Affront, etwa für die südafrikanische Autorin Nadine Gordimer, die „die Würde des südafrikanischen Freiheitskampfes“ durch den Rummel verletzt sah, gleichzeitig jedoch einräumte: „ Tatsache ist aber, dass wir ein eigenes Apartheid-Museum zwar diskutiert, aber nie zustande gebracht haben.“ Gordimers Bemerkung führt direkt in die Verwicklungen der südafrikanischen Kultur- und Erinnerungspolitik, für die das hier besprochene Großprojekt beispielhaft steht. Denn es war in der Tat das profane Anliegen, eine Kasinolizenz zu erlangen, das das gewaltige Museum möglich machte: Der „Community“ etwas „Greifbares“ zu geben war Bedingung für die Erteilung von „Gambling Licences“ ab 1994. In diesem Fall brachte der taktische Schritt eines der am besten besuchten Museen des Landes hervor.
Antisemit und Autokönig. Henry Fords Autobiographie und ihre deutsche Rezeption in den 1920er-Jahren
(2010)
Henry Ford gilt als ein Symbol der Moderne – er gab einer kapitalistischen Wirtschaftsform, dem Fordismus, den Namen. Fords Prominenz ist nicht zuletzt auf zwei Bücher zurückzuführen, die nach dem Ersten Weltkrieg unter seinem Namen erschienen und breit rezipiert wurden: „Der internationale Jude“ sowie „Mein Leben und Werk“. Beide Bücher verdanken sich Fords politischem Ehrgeiz und wurden als Vorschläge zur Gesellschaftsreform diskutiert. Ein Kernelement des Ford’schen Programms war massiver Antisemitismus: Erst eine auf der Betriebsgemeinschaft aufgebaute Gesellschaft ohne Händler, Bankiers und Intellektuelle – die mit Juden gleichgesetzt wurden – könne gerecht sein. Die Rezeption dieser Gesellschaftsvision in deutschsprachigen Zeitschriften der 1920er-Jahre legt die breite Akzeptanz von Antisemitismus und autoritären Strukturen offen. Während Ford seinen Antisemitismus nie verbarg, wird er auch in der seit 1945 geführten Diskussion über Fordismus nur als „Autokönig“ gesehen.
Der Bau der neuen UNESCO-Gebäude in Paris war in den 1950er-Jahren von Konflikten begleitet, die auf die schwierige Genese einer neuen internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verweisen. Der Aufsatz knüpft an jüngere Forschungen zur internationalen Geschichte sowie zu internationalen Organisationen an. Im Hinblick auf die UNESCO interessieren erstens die Etappen der Auseinandersetzung und zweitens die Bauten selbst. Drittens geht es um Gebrauchsweisen und Lesarten des Gebäudeensembles. Die Analyse beruht auf der These, dass die durch die Architektur geschaffene räumliche Ordnung und die verwendeten Materialien als bedeutungstragend zu verstehen sind. Allerdings deckte sich das realisierte Gebäude nicht völlig mit den Programmen und Wunschvorstellungen seiner Initiatoren. Die zeitgenössischen Kritiken sowie heutige Analysen geben den Blick frei auf nicht weiter explizierte Annahmen und Hierarchien, die die Organisation als politische und soziale Ordnung in den 1950er-Jahren prägten – und sie möglicherweise nach wie vor bestimmen.
Der Aufsatz leistet anhand des deutschen Beispiels einen Beitrag zur historischen Analyse von Ordnungsmodellen des 20. Jahrhunderts. Dem Schlagwort „Fordismus“ sollen mit Blick auf den Produktionsbereich schärfere Konturen gegeben werden. Zugleich wird der Akzent jedoch darauf gelegt, den Fordismus als Herrschaftstechnik in einem breiteren Sinne zu verstehen. Zunächst geht es um die Anfänge von Taylorismus und Fordismus sowie die Auswirkungen auf die Zusammensetzung der betroffenen Belegschaften, sodann um die Verbindungen des Fordismus mit unterschiedlichen politischen Systemen. Fordistische Elemente finden sich sowohl in demokratischen als auch in diktatorischen Kontexten. Diskutiert wird deshalb, wie fordistische, auf Rationalisierung und Effizienzsteigerung ausgerichtete Arbeitszusammenhänge die Macht- und Herrschaftsverhältnisse beeinflussten und welche Widerstandsformen sich entwickelten. Ein Ausblick richtet sich auf den so genannten Postfordismus, die „neuen Produktionskonzepte“ und die Frage nach der Zukunft des Fordismus.
Mit dem Übergang zum 21. Jahrhundert stellt sich die Frage nach den spezifischen Konturen des vergangenen 20. Jahrhunderts. Je nach Perspektive lassen sich unterschiedliche Aspekte herausarbeiten, die das letzte Jahrhundert über die Epochengrenzen hinweg entscheidend geprägt haben. Wenn Zeithistoriker versuchten, das – „kurze“ oder „lange“ – 20. Jahrhundert auf einen Begriff zu bringen, nannten sie es beispielsweise das „Zeitalter der Extreme“, „A Century of Genocide“, das „Jahrhundert des Industrialismus“ oder auch das „Zeitalter der (Hoch-)Moderne“, welches sich durch umfassendes technokratisches Ordnungs- und Planungsdenken ausgezeichnet habe. Unumstritten dürfte sein, dass der Fordismus und die damit verbundenen betrieblichen Rationalisierungsbewegungen ebenso zu den markanten Signaturen des vergangenen Jahrhunderts gehören wie die mit dem Fordismus verknüpfte Vision, gesellschaftliche Interessenkonflikte sozialtechnisch regulieren zu können. Darüber hinaus sollten die Volkswirtschaften, die Gesellschaften, die Städte und die Menschen analog zu den maschinengesteuerten Prozessen in den Fabriken rationalisiert werden, um eine größtmögliche Effizienz zu erzielen. Viele dieser technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bestrebungen verbanden sich bereits für die Zeitgenossen mit dem Namen des US-amerikanischen „Automobilkönigs“ Henry Ford.
Seit 2002 sammelt das von Justinian Jampol gegründete Wende-Museum in Los Angeles Artefakte und Dokumente aus dem Kalten Krieg. Der Schwerpunkt der nichtkommerziellen Sammlung, die mittlerweile über 100.000 Gegenstände enthält, liegt auf Objekten aus den Staaten des Warschauer Pakts, vor allem aus der DDR und der Sowjetunion, aber auch aus den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik. Zahlreiche Gegenstände geben Aufschluss über verschiedene Zivilschutzmaßnahmen, darunter drei vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) der DDR zusammengestellte Erste-Hilfe-Taschen.
So viel Krise war lange nicht. Spätestens die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der im Herbst 2008 astronomische Summen zur Stützung des internationalen Bankensystems mobilisiert wurden, machte offensichtlich, dass es sich diesmal nicht um einen letztlich sektoral oder regional begrenzten Einbruch der Finanzmärkte und Aktienkurse handelte wie bei der „Asienkrise“ 1997/98 oder beim Platzen der Dotcom-Blase im März 2000. Die wesentlich dramatischere öffentliche Wahrnehmung der Situation dürfte zum nicht geringen Teil die Undurchschaubarkeit jener „strukturierten Produkte“ reflektieren, die aus amerikanischen Immobilienspekulationen für jedermann zunächst eine weltumspannende Banken-, sodann eine allgemeine Wirtschaftskrise gemacht haben, deren Ende trotz der Erholungssignale der Finanzmärkte keineswegs ausgemacht ist.
Selten gerinnt „ein Stück empirisch orientierter, projektiver Gesellschaftstheorie“ (S. 13) aus der Feder eines Soziologen so rasch zum Schlagwort der Feuilletons wie Ulrich Becks „Risikogesellschaft“. Kurz vor der Drucklegung mit einem zweiten Vorwort versehen („Aus gegebenem Anlaß“), offerierte sich der Text selbst als Kommentar zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl; Beck ordnete den Vorfall historisch am Ende einer Kette von „zwei Weltkriege[n], Auschwitz, Nagasaki, dann Harrisburg und Bhopal, nun Tschernobyl“ ein (S. 7). Rhetorisch beginnend mit einem Paukenschlag, bleibt das Zugespitzte, Provokante für seinen Stil bis zur letzten Seite kennzeichnend. Die erste Auflage war schnell verkauft, schon 1987 erschien eine zweite, mittlerweile liegt das Buch in der 19. Auflage vor. Seit 1992 ist es auf Englisch und in vielen weiteren Sprachen auf dem Markt.
Heute gilt es als unbestritten, dass die allgegenwärtigen Geschichtsdarstellungen in den Medien massiv das Geschichtsbewusstsein prägen. Allerdings wurde selten gefragt, welche Konsequenzen dies für die Geschichtswissenschaft hat und wie diese damit umging. Ein früher Beitrag eines Historikers, der die Folgen von Geschichts-Fernsehserien für die Forschung reflektierte, stammt von Martin Broszat, der 1979 auf den damaligen Erfolg der amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“ reagierte. Seinen Aufsatz neu zu lesen lohnt in doppelter Hinsicht: Einerseits ist der Text ein frühes selbstkritisches Zeugnis dafür, wie ein renommierter Historiker aus einer medialen Geschichtsdarstellung einen Perspektivwechsel für die Forschung ableitet. Andererseits lässt sich der Artikel als eine trotzige Verteidigungsschrift der Zunft verstehen, die zahlreiche problematische Punkte aufweist, welche die Beziehung zwischen Geschichtswissenschaft und Medien bis heute prägen.
Von Amerika nach Japan – und zurück. Die historischen Wurzeln und Transformationen des Toyotismus
(2010)
Dieser Artikel zeichnet aus wirtschaftshistorischer Perspektive nach, unter welchen Bedingungen sich das Produktionsmodell des Toyotismus in Japan herausgebildet hat. Gezeigt wird, dass der Toyotismus ursprünglich aus einer Hybridisierung des Ford-Systems hervorgegangen ist: Er beruht auf einer Mischung aus japanischen Innovationen, fordistischen bzw. tayloristischen Elementen und heterodoxen Managementlehren aus den USA. Es wird erklärt, was sich hinter den toyotistischen Managementkonzepten kanban, Just-in-time, kaizen etc. verbirgt und wie diese bei Toyota seit den 1950er-Jahren zur Anwendung gelangten. Für die Zeit ab 1980 wird analysiert, wie sich der frühere Wissenstransfer umkehrte: Nun waren es Amerikaner, die von Japan zu lernen versuchten und dortige Konzepte unter dem Schlagwort „Lean Production“ übernahmen. Ob der Toyotismus damit ein internationales Referenzmodell der Produktions- und Arbeitsorganisation darstellt, ist allerdings noch offen.
Der Beitrag untersucht Motive und Voraussetzungen des Engagements west- bzw. gesamtdeutscher zivilgesellschaftlicher Initiativen in Belarus nach der Katastrophe von Tschernobyl. Gefragt wird, welche Wahrnehmungen und Maßstäbe von Sicherheit und Verunsicherung die Akteure leiteten. Die Fundamente des Engagements lagen in den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre – vor allem in der Anti-AKW- und der Friedensbewegung. Die zunehmende Sensibilisierung für ökologische Schäden, das sinkende Vertrauen in die schützende Rolle des Staates und wachsende Zweifel an der Autorität von „Experten“ verbanden sich mit einem Wandel in der Kommunikation von Emotionen. Angst und Verunsicherung wurden in der Spätphase des Kalten Krieges zum Mobilisierungspotenzial für ein zivilgesellschaftliches Handeln, das zum Teil bis heute andauert und vielfältige Kontakte zwischen Deutschland und Belarus etabliert hat.
In der Geschichtswissenschaft wurde in den letzten Jahren häufiger für eine transnationale Perspektive geworben. Diese soll die bislang eher national orientierte Geschichtsschreibung erweitern, indem Interaktionen, wechselseitige Wahrnehmungen und Transfers zwischen Ländern und Kulturen berücksichtigt werden. Bislang sind entsprechend konzipierte Studien jedoch noch rar, wenngleich viele Projekte in Arbeit sind. Zudem fällt eine gewisse Schwerpunktbildung auf: Epochal konzentrieren sie sich meist auf das ausgehende 19. Jahrhundert und die 1960/70er Jahre, thematisch auf einzelne Themen wie den Kolonialismus, die Migration, Wirtschaft, Wissenschaft oder soziale Netzwerke. Damit blieben viele klassische Bereiche der Zeitgeschichtsforschung eher ausgespart - wie der Nationalsozialismus (...)
Der Beitrag untersucht die Genese des Weltkultur- und Naturerbes der UNESCO im breiteren Kontext der Auseinandersetzungen um eine Neujustierung der internationalen Ordnung in den 1960er- und 1970er-Jahren. Die politischen Debatten um die Definition und Auswahl eines „Erbes der Menschheit“ dienen als analytische Sonde, um Veränderungen im Verhältnis von Partikularismus und Universalismus auszuloten. Anhand exemplarischer Konfliktfälle wird gezeigt, dass sich das Kultur- und Naturverständnis zwischen 1950 und 1980 gravierend veränderte, so dass zwei konkurrierende Rationalitäten in das Welterbeprogramm eingingen. Zudem werden die Erwartungen analysiert, die sich an die neue Governance-Institution und ihren weltweiten Anspruch richteten. Aus beiden Aspekten lässt sich die ungleiche regionale Verteilung der Welterbestätten und das bis heute unausgewogene Verhältnis von Kultur- und Naturerbestätten erklären. Der Aufsatz leistet damit auch einen Beitrag zur Historischen Semantik der Begriffe „Kultur“, „Natur“ und „Erbe“ im 20. Jahrhundert.
Im Sommer 1968 wurde der nigerianische Bürgerkrieg durch die Veröffentlichung von Fotos hungernder ‚Biafrakinder‘ zu einem internationalen Medienereignis. Dieser „Bildakt“ bezog einen Teil seiner Wirkungsmacht daraus, dass viele Zeitgenossen die aktuellen Bilder mit Fotografien assoziierten, die während der Befreiung der Konzentrationslager 1945 entstanden waren. Gestützt auf Medienberichte, Publikationen von Aktivisten und Archivmaterial stellt der Aufsatz die Grundzüge der internationalen politischen Kommunikation über Biafra dar und analysiert die Bezüge zur beginnenden kulturellen Erinnerung an den Holocaust. Die Einschreibung Biafras in die Ikonographie des Holocaust ließ eine neuartige Rhetorik des Holocaust-Vergleichs entstehen, durch die sowohl der nigerianische Bürgerkrieg wie auch die Verbrechen des Nationalsozialismus als Genozid sichtbar wurden. Diese Rhetorik erzeugte zwar für kurze Zeit viel Aufmerksamkeit, ging jedoch an der komplexen Realität des Konflikts vorbei. Als sich herausstellte, dass Biafra kein ‚neuer Holocaust‘ war, verloren die Bilder und die dazugehörige Rhetorik des Vergleichs ihre Wirkungsmacht.
Politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Krisen haben im beginnenden 21. Jahrhundert mehr denn je einen globalen Zuschnitt. Wenn die Weltwirtschaft ins Wanken gerät, wenn die internationale Staatengemeinschaft Maßnahmen gegen Hungerkatastrophen zu ergreifen versucht, wenn ein nuklearer Unfall (wie zuletzt im Frühjahr 2011 in Japan) weltweite Auswirkungen zeitigt oder wenn vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die Verantwortlichen für die Massaker während des Jugoslawienkonflikts zur Rechenschaft gezogen werden – stets rückt die zwischenstaatliche, internationale Verständigung auf die Agenda. Auch die zeithistorische Forschung geht im frühen 21. Jahrhundert in wachsendem Maße über den Nationalstaat hinaus. Viele Arbeiten wählen einen europäischen Rahmen, erste Studien integrieren globalhistorische Bezüge. Eine gesteigerte Aufmerksamkeit kommt außerdem der lange Zeit von vielen nur wenig beachteten internationalen Sphäre zu. Der im Zeitalter der Extreme oft vergessene Internationalismus der Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg erlebt nun in der Historiographie ein breites Comeback.
Im Jahr 2000 bemerkte Wilfried Loth, dass unter deutschen Historikerinnen und Historikern bislang selten systematisch über Internationale Geschichte nachgedacht worden sei. Bis heute ist mit dem Ansatz der Internationalen Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts eher eine Perspektive auf die „große Politik“ und auf die klassische Diplomatiegeschichte verbunden. Daran hat auch die inzwischen weitgehend etablierte Umbenennung der „Geschichte der internationalen Beziehungen“ in „Internationale Geschichte“ nur wenig geändert. Die Bände, die in der von Loth gemeinsam mit Eckart Conze, Anselm Doering-Manteuffel, Jost Dülffer und Jürgen Osterhammel seit 1996 herausgegebenen Reihe „Studien zur Internationalen Geschichte“ erschienen sind, öffneten sich zwar durchaus sozial- und kulturhistorischen Ansätzen. Das Repertoire der Globalgeschichtsschreibung ist hier aber noch nicht ausgeschöpft worden. Innovative globalhistorische Monographien, wie beispielsweise Sebastian Conrads Untersuchung zu „Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich“, liegen für die deutsche Zeitgeschichtsforschung noch nicht vor. Für das ‚lange 19. Jahrhundert‘ hat Conrad es verstanden, gerade das Deutsche Kaiserreich als nationales Gebilde in den Bezugsrahmen Internationaler Geschichte einzuspannen und hierbei den deutschen Nationalismus „auch als Produkt und Effekt von Interaktionen, Austausch und Zirkulation innerhalb einer zunehmend vernetzten Welt“ zu analysieren.
Die Internationale Geschichte verzeichnet gegenwärtig einen Boom – auch und besonders in der Zeitgeschichte. Hatte sich die zeithistorische Forschung in der Bundesrepublik seit ihren Anfängen, Hans Rothfels folgend, zwar „im internationalen Rahmen“ positioniert, so galt das vorrangige Interesse doch den großen Problemen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Entsprechend standen die deutsche Politik im Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik sowie der Nationalsozialismus und seine Folgen lange Zeit im Fokus. Später traten die Fragen der Zweistaatlichkeit sowie, nach 1989/90, umfassende Forschungen zur DDR-Geschichte und zu den beiden deutschen Staaten im Europa des Kalten Kriegs hinzu. Auch die Geschichte Europas hat in der zeithistorischen Forschung seit langem viel Aufmerksamkeit gefunden; verglichen mit Osteuropa genoss „der Westen“ hier allerdings oft einen Vorrang.
Sowohl der Aufstieg der christlichen Rechten in den USA als auch der 11. September 2001 und seine Folgen haben erneut gezeigt, dass Religion und Politik keine Dichotomien darstellen, sondern vielfach miteinander verflochten sind. Das für die Erklärung dieses Sachverhaltes eminent wichtige Konzept der „Zivilreligion“ ist aber bislang hauptsächlich in den USA diskutiert worden und gerade von HistorikerInnen (sträflich) vernachlässigt worden. Wir plädieren im Folgenden für eine „offenere“ Definition von Zivilreligion sowie für eine intensivere Nutzung des Konzepts, um Phänomene des Religiösen im Politischen zu erklären sowie Politik-, Kultur- und Kirchengeschichte stärker miteinander zu vernetzen.
Wie viele andere, inzwischen zumeist und zu Unrecht als randständig behandelte Ideenlieferanten in der Bundesrepublik Deutschland der 1970er- oder 1980er-Jahre ist auch die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Marilyn Ferguson bislang noch kaum in den Genuss historiographischer Weihen gekommen. Im Gegensatz zu den Meisterdenkern der Frankfurter Schule oder liberalen und konservativen Cheftheoretikern sind Ferguson und andere Bezugsgrößen der „Gegenkultur“ und „alternativer“ Lebensweisen nach „1968“ selten zum Gegen-stand der Zeitgeschichtsschreibung geworden – zumal sich diese erst seit wenigen Jahren verstärkt Fragen der Religion zuwendet. Obwohl „Die sanfte Verschwörung“ in deutscher Übersetzung bis 1989 acht Auflagen erreichte und vom „Spiegel“ sehr treffend als „New-Age-Bibel“ bezeichnet wurde, findet sich in keiner der großen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik auch nur ein kurzer Verweis auf dieses Vademekum esoterischer Praktiken und Diskurse.
Ein Museum lässt Migranten sprechen. Die Wege jüdischer Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland
(2011)
Die Ausstellung „Ausgerechnet Deutschland!“ dokumentierte die Geschichte von 20 Jahren jüdischer Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Gleichzeitig ging sie über ein rein historisches Projekt hinaus: Das Jüdische Museum Frankfurt hat gezeigt, dass eine museale Darstellung nicht nur dokumentieren, sondern auch lebendige Gegenwartskulturen zum Sprechen bringen kann.
Der chinesische Premierminister Zhou Enlai soll in den 1970er-Jahren einmal bemerkt haben, es sei noch zu früh, die Bedeutung der Französischen Revolution zu beurteilen. Obwohl das Zitat vermutlich apokryph ist, wird es immer wieder gern bemüht, um die Flüchtigkeit des historischen Urteils zu illustrieren. Wer in solchen Zeiträumen wie der virtuelle Zhou denkt, dem muss der Versuch, nach gerade einmal zehn Jahren die Frage zu beantworten, ob die Terroranschläge des 11. September 2001 eine historische Zäsur markieren, einigermaßen absurd vorkommen. In der Tat ist gegenüber dem inflationären Gebrauch bedeutungsschwerer Begriffe wie Revolution, Epoche und Zäsur eine gesunde Skepsis angezeigt, denn in der Rückschau pflegt sich der historische Stellenwert vieler Ereignisse, welche die Zeitgenossen in Atem hielten, zu relativieren. Historiker sind sich bewusst, dass es sich bei Zäsuren um nachträgliche Konstruktionen von begrenzter räumlicher, zeitlicher und sachlicher Reichweite handelt. Dass mit wachsendem Zeitabstand auch die Klarheit des historischen Urteils zunimmt, wie es das Zhou-Zitat offenbar zum Ausdruck bringen soll, ist jedoch nicht zwingend. Genauso gut lässt sich argumentieren, nur Zeitgenossenschaft befähige zu der Empathie, die nötig sei, das Bewusstsein der Mitlebenden für einen unerwarteten und intuitiv als fundamental empfundenen historischen Bruch zu erfassen. Wer, wie der Verfasser, den Fall der Berliner Mauer vor Ort erlebt hat, wird alle Versuche, den Zäsurcharakter des 9. Novembers 1989 zu bestreiten, als blutleere Stubengelehrsamkeit empfinden.
Seit Oktober 2010 ist die Datenbank LONSEA („League of Nations Search Engine“) im Internet unter http://www.lonsea.org zu erreichen. Das Projekt, das am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg angesiedelt ist, erschließt Informationen zu internationalen Organisationen, ihrem Personal und ihren Aktivitäten in der Zeit zwischen 1918 und 1945.1 Durch die Sammlung dieser Angaben in einer relationalen Datenbank ist es erstmals möglich, die von der bisherigen Forschung beschriebenen Netzwerke in größerem Rahmen nachzuweisen und zu visualisieren. LONSEA ermöglicht damit eine neue Sicht auf den Völkerbund, die herkömmliche institutionen-, personen- und nationalgeschichtliche Ansätze erweitert. Der vorliegende Beitrag soll einerseits neue Möglichkeiten zur Verknüpfung von Quellenmaterial vorstellen und andererseits einen Zugang zu einer netzwerkbasierten Globalgeschichte aufzeigen.
Am 12. Oktober 1960 ergriff Nikita Sergeevič Chruščev in der UNO während der Rede des philippinischen Delegierten Lorenzo Sumolong seinen Schuh, schlug damit auf seinen Tisch und ereiferte sich: „Warum darf dieser Nichtsnutz, dieser Speichellecker, dieser Fatzke, dieser Imperialistenknecht und Dummkopf – warum darf dieser Lakai der amerikanischen Imperialisten hier Fragen behandeln, die nicht zur Sache gehören?“ Chruščev war zunächst mit seinem Auftritt sehr zufrieden – er berichtete seinem Berater Oleg Trojanovskij, er habe etwas verpasst; sie hätten großen Spaß gehabt. Die sowjetische Presse verschwieg den Vorfall, während sich die westliche über die „Schusterdiplomatie“ halb ereiferte, halb amüsierte. Interessant ist, dass hier vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von „Diplomatie“ zum Ausdruck kamen. Während der konsternierte Chruščev meinte, die UNO sei ein Parlament wie das House of Commons in London, wo es zur Kultur des Hauses gehöre, durch Raunen, Rufen und Gesten seinen Unmut kundzutun, fand die westliche diplomatische Welt ihr Urteil bestätigt, dass der sowjetische Partei- und Regierungschef im besten Fall ein Politclown, im schlechtesten einfach unzurechnungsfähig sei. Der berühmte Vorfall in der UNO macht deutlich, dass auf westlicher Seite eine klare Norm diplomatischen Verhaltens existierte, an der Chruščev gemessen wurde, während dieser experimentierte, improvisierte und etwaige Normen ignorierte.