Transnationale Geschichte
Refine
Year of publication
Document Type
- Journal Article (207)
- Online Publication (26)
- Part of a Book (10)
- Book (3)
Language
- German (246) (remove)
Has Fulltext
- yes (246) (remove)
Keywords
- Forschungsfelder (6)
- Begriffe (3)
- Deutschland (DDR) (2)
- Methoden (2)
- Amerikaner (1)
- Außenpolitik (1)
- Begriffe, Forschungsfelder (1)
- Berlin (West) (1)
- Deutschland (Bundesrepublik) (1)
- Entwicklungsländer (1)
In den ungarischen Wochenschauen der 1950er-Jahre, »diesen kurzen Propagandafilmen«, wie der ungarische Filmemacher Sándor Buglya schreibt, »sind nur die Bilder wahr. Was aber durch die Filme, die vorgetragenen Dialoge und den Kommentar präsentiert wird, ist eine ständige Lüge. Und natürlich tost ununterbrochen der Beifall. Die Kamera verstellt die Wahrheit, sie gaukelt wirklichkeitsferne Illusion vor.« Nun könnte man darüber streiten, was »wahre Bilder« sind. Entscheidend jedoch ist Buglyas Hinweis, dass jegliche Art von Film, sei es ein Dokumentar-, Wochenschau- oder Spielfilm, die vorfilmische Realität verändert. Buglya schildert, wie in ausländischen und Budapester Wochenschauberichten nahezu dasselbe Bildmaterial verwendet, jedoch mit einander entgegengesetztem Kommentar ausgestrahlt wurde: Während erstere (im Blick auf das Jahr 1956) die Ereignisse eines Volksaufstandes dokumentierten, galten für letztere dieselben Bilder als Beleg einer Konterrevolution. Der Dokumentarfilm, so Buglya, sei kein Abbild des Realen, sondern spiegele mehr oder weniger genau das Verhältnis des Regisseurs zur Wirklichkeit.
Unter denen, die vor der NS-Diktatur flüchteten, waren nicht wenige bildende Künstler/innen – so auch die deutsch-jüdische Bauhausfotografin Grete Stern (1904–1999), die 1935/36 nach Argentinien emigrierte. Trotz autoritärer politischer Tendenzen genoss sie dort deutlich mehr künstlerische Freiheit. Während der ersten beiden Amtszeiten des demokratisch gewählten Präsidenten Juan Domingo Perón (1946–1955), der sich vor allem in der staatlichen Kontrolle der Medien an den europäischen Faschismen orientierte, auf den sich wegen seiner Sozialpolitik jedoch auch linksgerichtete Bewegungen beriefen, veröffentlichte Stern in der Zeitschrift »Idilio« (»Idylle«) eine Serie von Fotomontagen. Nach einem Überblick zur peronistischen Kulturpolitik bildet die Einordnung dieser Montagen, die zusammen mit einer Traumdeutungs-Kolumne erschienen, den Schwerpunkt des Aufsatzes. In subtiler Weise kritisierte Stern soziokulturelle Missstände der Zeit. Zu einem ihrer Hauptthemen wurden die Geschlechterbeziehungen – ein Gebiet, auf dem sich das peronistische Regime nicht zuletzt in seiner umfangreichen Bildpropaganda rühmte, tiefgreifende Veränderungen hervorgebracht zu haben.
In der Anti-Apartheid-Bewegung spielte Musik als politisches Medium eine herausragende Rolle, besonders in den 1980er-Jahren. Auf der Basis von Quellenmaterial aus England und aus Südafrika untersucht der Aufsatz die Kontroverse um Paul Simons Album »Graceland« (1986) vor dem Hintergrund des Kulturboykotts. Dieser sollte das Apartheid-Regime auf dem Gebiet der Kultur isolieren, wurde aber seit Mitte der 1980er-Jahre von der Opposition innerhalb Südafrikas immer mehr als Fessel betrachtet. Der African National Congress (ANC) betrieb eine Modifikation des Boykotts – gegen den Widerstand der britischen Anti-Apartheid-Bewegung. Die Kontroverse um »Graceland« steigerte noch die Verwirrung: Es gab unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob Simon durch seine Zusammenarbeit mit südafrikanischen Musikern den Kulturboykott gebrochen habe und wie dies eventuell zu sanktionieren sei. Der Versuch, in Zeiten gesteigerter Medialisierung grenzüberschreitende kulturelle Ströme durch politische Instanzen kontrollieren zu wollen, war letztlich zum Scheitern verurteilt.
Während die Jahrzehnte des Booms nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine weitgehend stabile Ordnung geprägt waren, setzte mit dem Sinken wirtschaftlicher Wachstumsraten, dem Zerfall des internationalen Währungssystems und den beiden Ölpreiskrisen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Zeit zunehmender Komplexität unternehmerischer Entscheidungen ein. Statt der bis dahin dominierenden Orientierung an der Produktion wurde der Markt zum wichtigsten Bezugspunkt und die Kapitalrendite zum maßgeblichen Indikator. Am Beispiel des Chemiefaserproduzenten Enka Glanzstoff bzw. dessen Mutterkonzern Akzo wird gezeigt, auf welche Weise der Markt durch die Öffnung der Vorstandsetagen für externe Berater (in diesem Fall von McKinsey) an Bedeutung gewann. Seit den 1970er-Jahren wurden zahlreiche Unternehmen nach kompetitiv gedachten Organisationsprinzipien umstrukturiert. Trotz der Gegenwehr von Gewerkschaften und Betriebsräten schritt damit auch die interne Vermarktlichung von Unternehmen voran. Während die Unternehmen zudem stärker multinational agierten, gelang dies den Arbeitnehmervertretungen nicht in gleichem Maße.
Der Ruf des Marktes ist lädiert. Die internationalen Finanzkrisen der letzten Jahre haben Ängste vor einem offenbar politisch unbeherrschbaren, globalisierten Hochgeschwindigkeits-Kapitalismus geschürt; zugleich verweist das seit geraumer Zeit gewachsene Unbehagen an einer anhaltenden »Ökonomisierung« von Arbeitsbeziehungen, sozialen Sicherungs- oder Bildungssystemen auf die Schattenseiten eines hochflexiblen Informations- und Konsumgüterangebots, auf das allerdings kaum jemand verzichten möchte. Wie plausibel solche Zeitdiagnosen auch immer erscheinen mögen, sie dürften immerhin das gewachsene Interesse einer Zeitgeschichtsschreibung, die sich wieder stärker der »Problemgeschichte« oder den »Anfängen der Gegenwart« widmet, an jenen ökonomischen Faktoren miterklären, die in der kulturhistorischen Hochkonjunktur der 1990er-Jahre in den Hintergrund gerückt waren.
Trauer, Patriotismus und Entertainment. Das »National September 11 Memorial & Museum« in New York
(2016)
Downtown Manhattan, 15. Mai 2014: Mit einer würdevollen Feierstunde eröffnen Michael Bloomberg und Barack Obama – in Anwesenheit der nationalen und lokalen Politprominenz, von Überlebenden, Ersthelfern und Angehörigen der Opfer der Anschläge – das National September 11 Memorial Museum. Der Name der Institution am ehemaligen Standort des World Trade Centers (WTC) ist Programm: Sie soll zugleich Gedenkort und Museum sein. Die gemeinnützige Stiftung, die unter dem Vorsitz des ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Bloomberg und der Leitung des Managers und Juristen Joe Daniels die Einrichtung verantwortet, hat es sich zum Ziel gesetzt, diese zentralen erinnerungskulturellen Aufgaben an einem Ort zu vereinen. Hier soll der Toten und der Überlebenden der Anschläge gedacht und an die Ersthelfer erinnert werden, die in den USA als Helden gelten. Die Institution richtet sich an eine breite Öffentlichkeit und soll diese auch historisch-politisch über die Auswirkungen des Terrorismus informieren.
In den 1990er-Jahren ist das Interesse am Ersten Weltkrieg nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch seitens populärer Geschichtsdarstellungen enorm gestiegen – ein Trend, der bis in die jüngste Vergangenheit angehalten hat. So erlebte das Jahr 2014 eine Vielzahl von Publikationen, Diskussionen, Ausstellungen und Fernsehsendungen zum Thema. Dabei fällt es auch Fachleuten schwer, angesichts des historischen Groß- und Medienereignisses die Übersicht zu behalten. Um diesem mannigfaltigen medialen Angebot ein wissenschaftlich fundiertes Überblicksportal an die Seite zu stellen, wurde im Oktober 2014 die Website »1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War« freigeschaltet, die seither stetig erweitert wird. Um es vorwegzunehmen: Sie besticht durch eine Fülle an erhellenden und thematisch neuen Artikeln zum Ersten Weltkrieg. Mit einer dezidiert globalen Perspektive und verschiedenen Zugriffen (inhaltlich, zeitlich, regional) bietet sie nicht nur gezielte Rechercheoptionen, sondern lädt bewusst zum Stöbern und Lesen ein. Dabei weist das Portal eine sinnvolle und nachvollziehbare Systematik auf.
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts verreiste die Mehrheit der Westdeutschen mindestens einmal im Jahr. Die Urlaubsreisen wurden zunehmend als Pauschalreisen ins Ausland unternommen und stellten für die meisten Haushalte auch in Krisenzeiten ein zentrales Konsumgut dar. Um sich dem Reiseverhalten eines Großteils der Bevölkerung anzunähern, werden hier Pauschalurlaube in Spanien untersucht. Dank des wachsenden Flugverkehrs entwickelte sich gerade dieses Land in den 1970er- und 1980er-Jahren zum beliebtesten Auslandsreiseziel der Westdeutschen. Von der zeitgenössischen Konsumkritik wurden Pauschalurlaube in Spanien jedoch häufig negativ bewertet; individuelle Ansprüche spielten bei dieser Urlaubsform angeblich keine Rolle. Anhand der Urlaubspraktiken, wie sie sich indirekt aus den Angeboten der Veranstalter sowie zusätzlich aus Fotoalben und Erinnerungsberichten erschließen lassen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Massentourismus und die Erfüllung individueller Vorlieben schlossen sich nicht aus; zudem waren Pauschalreisen mitunter der Einstieg in eine selbstständigere Begegnung mit dem Urlaubsland. Der Aufsatz verdeutlicht damit auch das Potential praxeologischer Ansätze zur Erforschung des bundesdeutschen Massenkonsums insgesamt.
Unternehmensplanspiele entstanden in den USA um 1956 aus militärischen Simulationsprogrammen, Fallstudien an Business Schools sowie Kriegsplanspielen und einer Reihe weiterer Einflussgrößen. Angesiedelt am Schnittpunkt von Unternehmensführung, ökonomischen Paradigmen und Computerisierung, bietet das Feld der Unternehmensplanspiele besonders gute Voraussetzungen, um Transformationen gesellschaftlicher Steuerungslogiken nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nachzuvollziehen. In den »ernsthaften Spielen« wurden Praktiken des Entscheidens sowie die Adaption an ein neues Medium und einen veränderten Rationalitätsbegriff (spielerisch) erprobt. Der Aufsatz nähert sich diesem Feld aus einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive. Der Beitrag fokussiert auf die erste Phase der Verwendung von Unternehmensplanspielen bei der Ausbildung von Führungskräften in der Bundesrepublik seit Beginn der 1960er-Jahre. Näher vorgestellt wird der Einsatz des von IBM entwickelten Planspiels TOPIC 1 bei Hoechst.
Bildagenturen, die zwischen Fotografen und Redaktionen vermitteln, sind zentrale Akteure bei der Produktion massenmedialer Sichtbarkeit. Ihre Rolle im System der NS-Bildpropaganda ist weitgehend unerforscht. Der Aufsatz widmet sich einem brisanten Spezialfall, der amerikanischen Associated Press und ihrer Niederlassung im Deutschen Reich. 1935 unterstellte sich die deutsche AP GmbH dem Schriftleitergesetz und ließ sich damit »gleichschalten«. Bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 hatte sie eine eminente Bedeutung als transatlantischer Bildlieferant für die nationalsozialistische Propaganda. Außerdem durfte AP weiterhin im Deutschen Reich produzieren. Die von der Agentur unter der Ägide des Propagandaministeriums, der Wehrmacht und der SS aufgenommenen Fotos bestückten die NS-Presse, aber die New Yorker AP-Zentrale stellte sie auch der nordamerikanischen Presse zur Verfügung, wo sie mal als scheinbar neutrale Nachrichtenbilder erschienen, mal ausdrücklich als Propagandabilder gekennzeichnet wurden.
Im Sommer 2016 jährt sich der Marsch von 20.000 südafrikanischen Frauen nach Pretoria zum 60. Mal. Am 9. August 1956 besetzten sie das Amphitheater der Union Buildings, des Amtssitzes der Regierung, aus Protest gegen die Ausweitung der diskriminierenden Passgesetze auf nicht-weiße Frauen. Diese Demonstration, organisiert von der Federation of South African Women, war ein Triumph der Opposition. Nur vier Jahre nach dem Marsch der Frauen änderte sich die Lage drastisch – mit dem Massaker von Sharpeville und seinen Folgen. Nach dem Verbot von African National Congress (ANC) und Pan Africanist Congress (PAC) sowie der Verurteilung der Führung von Umkhonto we Sizwe, des militärischen Arms von ANC und Südafrikanischer Kommunistischer Partei (SACP), folgte eine Dekade polizeilich erzwungenen Schweigens. In den 1970er-Jahren nahmen die Proteste gegen die Apartheid weltweit zu, und mit dem Aufstand von Soweto 1976 wurde die »Verwundbarkeit« des Apartheid-Systems sichtbar. Das Interesse der Weltöffentlichkeit sollte nicht nur durch Informationen von »außen« befriedigt werden, sondern verlangte nach möglichst glaubwürdigem Material von »innen«, aus Südafrika selbst. Dieses lieferten in der Bundesrepublik besonders die Anti-Apartheid-Bewegung und die Informationsstelle Südliches Afrika (issa).
»Apartheid tötet – boykottiert Südafrika!«. Plakate der westdeutschen Anti-Apartheid-Bewegung
(2016)
In ganz Nord- und Mitteleuropa bildeten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren Anti-Apartheid-Bewegungen, die durch Aktionen in ihren Heimatländern den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika unterstützen wollten. In der Bundesrepublik Deutschland wurde am 21. April 1974 im niedersächsischen Othfresen (südlich von Salzgitter) der Verein »Anti-Apartheid-Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin« (AAB) gegründet. Zu diesem ersten Treffen eingeladen hatten der Mainzer Arbeitskreis Südliches Afrika (MAKSA) – ein 1971 entstandener Zusammenschluss evangelischer Kirchenmitarbeiter, die selbst einige Jahre in Südafrika tätig gewesen waren und meist wegen ihrer Haltung zur Apartheid das Land hatten verlassen müssen –, die Arbeitsgruppe »Freiheit für Nelson Mandela«, die aus dem MAKSA 1973 unter der Federführung des Stuttgarter Pfarrers Karl Schmidt hervorgegangen war, sowie der Pfarrer Hans-Ludwig Althaus. Sie wollten über die Situation in Südafrika informieren und Protest gegen die Apartheid mobilisieren. Sie kritisierten insbesondere die Zusammenarbeit der Bundesregierung und westdeutscher Unternehmen mit dem Apartheid-Regime. Der Begriff Anti-Apartheid-Bewegung hat aber eine doppelte Bedeutung: Neben dem Namen des Vereins bezeichnet er zugleich allgemein die gesellschaftliche Bewegung derer, die sich gegen die Apartheid in Südafrika engagierten. Diverse Gruppen waren daran beteiligt; im Laufe der Jahre erstellten sie eine Fülle von Plakaten. Dieser Beitrag soll einen Einblick in die verschiedenen Gestaltungsformen der Anti-Apartheid-Plakate in der Bundesrepublik geben.
Zwischen Hoffen und Bangen. Südafrika im Blick westdeutscher Intellektueller der 1960er-Jahre
(2016)
In den 1960er-Jahren verbreitete sich die Kritik am südafrikanischen Apartheid-Regime weltweit. Aber die Bundesrepublik unterhielt gleichzeitig hervorragende und privilegierte Beziehungen zu den weißen Rassisten am Kap. Südafrika galt als natürlicher Verbündeter im Kalten Krieg gegen den Kommunismus und als Garant für die Sache des Westens im risikoreichen Dekolonialisierungsprozess auf dem schwarzen Kontinent.
Die Mobilisierungskraft der Anti-Apartheid-Bewegungen, die die als rassistisch kritisierte Politik Südafrikas auf die internationale Agenda brachten, ist eines der zentralen Forschungsfelder für die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Apartheid und den Reaktionen in den westlichen Gesellschaften. Während in den 1960er- und 1970er-Jahren das Aktionsrepertoire der Anti-Apartheid-Bewegungen von Straßenkampagnen und Informationsarbeit geprägt war, wandelte sich in den 1980er-Jahren das Auftreten der US-amerikanischen und europäischen Apartheid-Gegner. Besonders das britische Anti-Apartheid Movement und sein Umfeld hatten erheblichen Anteil an der Etablierung des »Protest[es] gegen die Apartheid als Teil der Massenkultur insbesondere in der Musik«.
Die Bedeutung der Apartheid für die internationale Menschenrechtspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegt in ihrer Exzeptionalität: Kein anderes Thema stand so lange auf der menschenrechtspolitischen Agenda, nämlich von den späten 1940er-Jahren bis zum Ende der Minderheitsherrschaft 1994, als der »Kalte Krieg« schon einige Jahre vorüber war. Keine andere Regierung erfuhr in dieser Zeit eine stärkere internationale Isolierung als die südafrikanische. Kein anderes Staatsverbrechen zog in der internationalen Politik, unter zivilgesellschaftlichen Aktivisten und in der medialen Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit auf sich, als es die Rassendiskriminierung am Kap während der Hochphase der weltweiten Entrüstung gegen Ende der 1980er-Jahre tat. Das Faszinosum der transnationalen Geschichte Südafrikas besteht nicht in dem, was an ihr typisch, sondern in dem, was an ihr besonders ist.
Die Menschenrechte sind ein Konzept der Aufklärung. Ausgehend vom Individuum, waren Rechtsgleichheit, politische Teilhabe und Freiheit frühe Schlagworte. Obwohl angestrebt, gelang eine Verankerung dieser Rechte in staatlichen Verfassungen bis in das 20. Jahrhundert nur selten. Erst die Zeit nach 1945 gilt, mit der Gründung der UNO, als Durchbruch für eine Menschenrechtspolitik als Praxis in internationalen Beziehungen, wobei umstritten war, auf welche Sphären sie sich beziehen sollte. Menschenrechtsgeschichte heißt daher, über die politische Ideengeschichte hinaus, danach zu fragen, wie und mit welcher Wirkung Menschenrechte zum Leitmotiv politischen Handelns wurden – aber auch die strategischen Interessen hinter den damit verbundenen Kontroversen zu verstehen.
Während der Apartheid-Ära führten die vielfältigen Verbindungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach Südafrika zu Konflikten im westdeutschen Protestantismus. Einen Streitpunkt bildete die Frage, wie man sich zu Boykotten südafrikanischer Produkte, zu Desinvestitionen und zu Wirtschaftssanktionen verhalten sollte. Dieses Thema wurde in der Bundesrepublik seit Ende der 1970er-Jahre besonders durch die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland und deren Kampagne »Kauft keine Früchte aus Südafrika!« in die Öffentlichkeit getragen. Beeinflusst von der Befreiungstheologie und der »Schwarzen Theologie« forderten südafrikanische Kirchen ihre ausländischen Partner wenige Jahre später dazu auf, sich für umfassende Sanktionen in ihren jeweiligen Ländern einzusetzen, um die Apartheid in Südafrika zu überwinden. Dieser Wandel innerhalb der südafrikanischen Kirchen veränderte den westdeutschen Protestantismus nicht nur auf kirchenpolitischer, sondern auch auf theologischer Ebene, wie die Rezeption des »Kairos-Dokuments« südafrikanischer Theologen von 1985 zeigt.
Rund 50 bundesdeutsche Unternehmen hatten während der Apartheid eigene Produktionsstätten in Südafrika. Wie legitimierten diese Unternehmen ihr Engagement? Nachdem gegenüber der Situation der schwarzen Bevölkerungsmehrheit lange eine Ignoranz vorgeherrscht hatte, wurde ab den 1970er-Jahren die Verbesserung der Arbeitsbedingungen schwarzer Beschäftigter ein erklärtes Ziel – als Folge ökonomischer Probleme (wie dem Fachkräftemangel) und eines steigenden politischen Drucks durch Kirchen und Gewerkschaften in der Bundesrepublik. Seit 1977 bildete der »Code of Conduct«, den die Europäische Gemeinschaft erließ, einen institutionellen Rahmen für die Menschenrechte aller Beschäftigten. Im zerfallenden Apartheid-Staat forderten westdeutsche Unternehmen während der 1980er-Jahre politische Reformen und etablierten mit den schwarzen Gewerkschaften stabile Verhandlungsbeziehungen. Anhand des Volkswagen-Konzerns und seiner Tochtergesellschaft Volkswagen of South Africa (VWoSA) wird dieser Prozess nachgezeichnet. Der Konflikt um die Apartheid zählt zu den Ausgangspunkten für die heutige Corporate Social Responsibility multinationaler Konzerne, mit der soziale Normen und Verpflichtungen auch für Tochterunternehmen festgeschrieben werden.
Die Apartheid-Politik, wie Premierminister Verwoerd (1958–1966) sie umsetzte, war eine Politik der autoritären Modernisierung, die die weiße Herrschaft auf Dauer sichern sollte – und aus Sicht der damaligen Akteure keineswegs rückwärtsgewandt. Die 1959 den »Homelands« in Aussicht gestellte staatliche Unabhängigkeit sollte durch Ausbürgerung der Schwarzen einen weißen Nationalstaat schaffen. Die südafrikanische Regierung interpretierte die internationale Kritik an der Apartheid im Kontext des Kalten Krieges sowie eines weltweiten Rassenkonflikts zwischen Asien und Europa, in dem sich der Westen zu nachgiebig verhalte. Verwoerds Nachfolger Vorster (1966–1978/79) wollte die außenpolitische Isolation Südafrikas durch eine Politik der Entspannung mit den afrikanischen Nachbarn durchbrechen. Nach seinem Scheitern ging Botha (ab 1978 Premierminister, seit 1984 dann Staatspräsident) zu einer aggressiven Politik der regionalen militärischen Hegemonie über. Die hohen Repressionskosten und der wirtschaftliche Niedergang trugen schließlich dazu bei, dass eine Verhandlungslösung angestrebt wurde und die Apartheid 1994 offiziell endete.
Die südafrikanische Apartheid ist zum Bestandteil des »kollektiven Gedächtnisses« nationaler und transnationaler Erinnerungskulturen geworden. Dies betrifft nicht allein die Ereignisse in Südafrika selbst, sondern auch die weltweiten Diskussionen über den Umgang mit der Apartheid, die in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen ebenso wie in einzelnen Ländern geführt wurden. Die seit den 1960er-Jahren zunehmende weltweite Ächtung der Apartheid als rassistisches Regime hing zusammen mit einem Anwachsen von Anti-Apartheid-Bewegungen in zahlreichen Ländern und neuen Legitimationen westlicher Außenpolitiken. Von den sowjetisch kontrollierten, aber auch skandinavischen Ländern wurden die Befreiungsbewegungen – vor allem der African National Congress (ANC) – materiell unterstützt. Die Auseinandersetzungen über Apartheid und den Umgang mit einem Land, in dem Menschenrechtsverletzungen gesetzlich abgesichert waren, trugen in einem erheblichen Maße zur Etablierung der Menschenrechte als international verbindlicher Norm bei. Das Thema Apartheid bietet die Möglichkeit, transnationale Verflechtungen und gesellschaftliche Wahrnehmungen vertiefend auszuloten sowie die Bedeutung der 1970er- und 1980er-Jahre für die Ausbildung einer »reflexiven Moderne« zu erkunden.