Kommunismus
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Virtual Reality. Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als Erinnerungskontrolle in den 1930er-Jahren
(2010)
Am Beispiel eines zur Bild-Ikone geratenen Lenin-Fotos aus dem Jahr 1920 untersucht der Beitrag die Praxis manipulativer Eingriffe in das visuelle Gedächtnis der UdSSR vom Stalinismus bis zur Perestrojka. Die Aufnahme, die im Original Lenin und Trotzki vor sowjetischen Truppen in Moskau zeigte, wurde massiven Geschichtsfälschungen unter-zogen, an denen sich prototypisch die Intentionen, Mechanismen und politischen Strukturen der sowjetischen Bild- und Medienzensur seit den 1930er-Jahren rekonstruieren lassen. Die UdSSR gab sich ein neues ideologisches wie visuelles Design, das den Staat im In- und Ausland als Erfolgsmodell darstellen sollte. Dieses Design erforderte nicht nur eine nachträgliche „Optimierung“ der Vergangenheit; in ihm manifestierten sich zugleich stalinistische Visualisierungsstrategien, mit denen Staat und Partei politische Sichtbarkeiten zu kontrollieren versuchten. Trotz des enormen Aufwands war dieser Versuch indes nur teilweise erfolgreich: Es erwies sich letztlich als unmöglich, die Unperson Trotzki flächendeckend aus dem kulturellen Gedächtnis zu eliminieren.
Der Aufsatz geht der Frage nach, welche Formen von Armut es in der DDR in den Jahrzehnten nach dem Mauerbau gab und wie über sie kommuniziert wurde. Sozialhistorisch rekonstruiert wird die Unterversorgung zweier ausgewählter Armuts-Gruppen: Rentner und kinderreiche Familien. Auf der Basis von Akten, zeitgenössischen wissenschaftlichen Arbeiten und Medienberichten wird zudem betrachtet, welche Images von „Armut“ zirkulierten. Zwar galt Armut im Selbstverständnis des SED-Staats als überwunden. Dennoch war offenkundig, dass es soziale Ungleichheiten, ja Notlagen auch in der DDR gab, und diese fanden in der damaligen Sozialforschung ein breites Interesse. Die Einkommens- und Wohnverhältnisse von Rentnern, besonders von Rentnerinnen, waren häufig prekär, so dass viele von ihnen eine zusätzliche Arbeit aufnehmen mussten – was mit dem Bild des „rüstigen“ Alten beschönigt wurde. Bei Kinderreichen wurde differenziert zwischen den „würdigen“, „wohlorganisierten“ und den „liederlichen“, „dissozialen“ Familien. So ging es im Hinblick auf beide Gruppen nicht allein darum, ihre Armut zu lindern. Das vorrangige Ziel war vielmehr, sie mit positiven Images zu versehen und abweichendes Verhalten zu sanktionieren.
Wie mehrere aktuelle Konferenzen zeigen, ist das Forschungsfeld der Umweltzeitgeschichte Ost(mittel)europas derzeit stark in Bewegung.1 Dabei werden zum einen Debatten geführt, die sich auf die Entwicklung der einzelnen sozialistischen Gesellschaften, die jeweilige Regimepolitik und die Periodisierung der Zeitgeschichte beziehen. Zum anderen werden Vergleiche zu den westlichen Staaten angestellt. Darüber hinaus steht der Platz Ost(mittel)europas in einer globalen Umweltgeschichte zur Debatte. Die Einordnung in globale Kontexte und eine stärker vergleichende Perspektive versprechen unter anderem eine Relativierung (wenn vielleicht auch nicht Aufhellung) des bislang vorwiegend düsteren Bildes, das von der Sowjetunion und den Ostblockstaaten in Bezug auf deren Umweltprobleme und -politik gezeichnet wurde.
Gleich nach dem Erscheinen im August 1977 erntete das Buch von damaligen Stars der linksintellektuellen Szene wie Herbert Marcuse oder Ernest Mandel allerhöchstes Lob. Marcuse stellte fest, das Werk des bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung durch die Staatsorgane der DDR nur Insidern bekannten Autors Rudolf Bahro sei „der wichtigste Beitrag zur marxistischen Theorie und Praxis, der in den letzten Jahrzehnten erschienen ist“. Mandel, der führende Denker der trotzkistischen Vierten Internationale, bezeugte, Bahro sei ein „wirklicher Kommunist“ und „Revolutionär“. Keinen Gefallen an Bahros Werk fanden hingegen jene Theoriearbeiter, die dem „real existierenden Sozialismus“ nahe standen. So erklärte beispielsweise der Marburger Politologe Wolfgang Abendroth, Bahro verliere sich „in gelegentlich zutreffender, aber häufig verzerrter und übersteigerter Kritik der sozialistischen Länder“. Ihm hielt der Theologe Helmut Gollwitzer entgegen, Abendroth beschränke sich in seiner Auseinandersetzung mit Bahro auf eine Rechtfertigung des Sowjetsystems und übersehe die Herausforderung der „Alternative“ für die marxistische Theoriebildung: „Die kommunistische Zielsetzung wird hier endlich einmal wieder ernst genommen, wird aus dem Himmel der Ideale heruntergeholt in ‚konkrete Denkbarkeit‘; den schon erreichten Verhältnissen wird die Melodie ihrer Möglichkeiten vorgesungen, und diese wird zum Kriterium der Kritik - zu einem Kriterium, dem keiner sich entziehen kann, dem es um das Ziel des Sozialismus noch ernst ist.“
Drei Bücher haben im 20. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Bild der Deutschen über die Sowjetunion geprägt: René Fülöp-Millers „Geist und Gesicht des Bolschewismus“ aus dem Jahr 1926, Klaus Mehnerts „Der Sowjetmensch“ aus dem Jahr 1958 und Lois Fisher-Ruges „Alltag in Moskau“ aus dem Jahr 1984. Allen drei Publikationen ist gemeinsam, dass sie kaum auf die historischen Ereignisse oder das politische Tagesgeschäft zu sprechen kommen, sondern einen Einblick in die sowjetische Alltagskultur zu geben versuchen. Den Autoren der drei Bücher war von Anfang an klar, dass sie eigentlich Unmögliches vorhatten: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, alle Facetten einer Gegenwartskultur zu erfassen und darzustellen. Im Fall der Sowjetunion kam erschwerend dazu, dass man kaum auf verlässliche Quellen zurückgreifen konnte: Die Kultur teilte sich in einen offiziellen Betrieb und einen verbotenen Untergrund, soziologische Daten waren nicht erhältlich oder manipuliert, die Gesprächspartner mussten immer auf der Hut vor den staatlichen Überwachungsorganen sein. So blieb den Autoren nichts anderes übrig, als sich auf ihre persönliche Erfahrung zu stützen, die naturgemäß nur einen beschränkten Radius aufwies. Der Erfolg der genannten Bücher verdankte sich nicht nur ihrem Inhalt, sondern auch dem Erscheinungsdatum, das jeweils eine Wendezeit markierte: Fülöp-Miller lieferte nach zehn Jahren Sowjetregime eine erste Bilanz, Mehnert dokumentierte das Ende des Stalinismus, Fisher-Ruge gab einen Einblick in die gesellschaftlichen Startbedingungen der Perestrojka.
Anhand von über 100 tschechischen und slowakischen Elternratgebern fragt der Aufsatz nach der Einbindung von Erziehungsnormen in Prozesse der Werte- und Gemeinschaftskonstruktion sowie nach der gesellschaftspolitischen Rolle von ExpertInnen. Die Analyse macht deutlich, dass Inhalte und Formen der Ratgeber nicht immer spezifisch sozialistisch waren. Vielmehr können die vermittelten Normen, die geschilderten Probleme und die vorgeschlagenen Lösungen auch in einen gesamteuropäischen oder globalen Zusammenhang moderner Industriegesellschaften eingeordnet werden. Für die 1950er-Jahre ist dabei eine Mischung aus sozialistischer Aufbaurhetorik und bürgerlich anmutenden Familienidealen markant. Der revolutionäre Ehrgeiz der tschechoslowakischen Politik nach 1948 ist in Elternratgebern nur sehr bedingt wiederzufinden. Für die 1960er-Jahre ist eine Psychologisierung der Kindheit zu beobachten, welche Erziehungsfragen in kritische gesellschaftspolitische Perspektiven einordnete (Mangel an Zeit und Zuwendung für Kinder, einseitig technokratische Medizin etc.). Diese Betrachtungsweise wurde in der »Normalisierungszeit« nach 1968 weitergeführt. Zugleich stiegen die Ansprüche an Elternschaft und Erziehung. Damit wurden Elternratgeber zu Instrumenten der Normen- und Konsensbildung, Disziplinierung und Subjektformung im späten Sozialismus.
Mit grandiosem Erfolg war 1995/96 am gleichen Ort die Vorgängerausstellung „Berlin - Moskau 1900-1950“ gezeigt worden. Diesen Begeisterungsvorschuss haben die Veranstalter nun entschlossen aufs Spiel gesetzt. Die Fortsetzung erinnert daran, was damals so faszinierte: Als eine Art Zeitmaschine machte „Berlin - Moskau 1900-1950“ den Besuchern die politischen und ästhetischen (Alb-)Träume der ersten Jahrhunderthälfte sinnlich-intellektuell erfahrbar. Anstatt aber auch unsere posttotalitären Nachkriegszivilisationen durch ein solches Prisma zu betrachten, präsentierte man im Herbst 2003 eine umfangreiche Zusammenstellung moderner Kunst aus sechs Jahrzehnten.Über Bord geworfen wurde alles andere, was das öffentliche Leben dieser Zeit geprägt hat: Architektur, Kino, Radio, Theater, Presse, Fernsehen, Denk- und Mahnmäler, Freizeitparks, Werbung, Wohnkultur, Sport und Städtebau. Übrig blieben rund 500 Kunstwerke, von denen die meisten zu den Städten Moskau und Berlin in keiner erkennbaren Beziehung stehen.
Die Computerindustrie entwickelte sich in den USA und der UdSSR sehr unterschiedlich. Während in den Vereinigten Staaten der Konzern IBM nahezu ein Monopol erlangte, herrschte in der Sowjetunion ein Konkurrenzkampf. Mehrere Akteure verfolgten an unterschiedlichen Standorten eigene Entwicklungslinien; ein Austausch fand kaum statt. Als Reaktion auf eine von IBM 1963 vorgestellte neue Modellreihe kam es in der UdSSR zu einer Diskussion über die Computerindustrie, die den hartnäckigen Widerstand lokaler Entscheidungsträger bei der Durchsetzung zentraler Direktiven offenbarte. Es bedurfte mehrerer Machtworte von führenden Vertretern der Rüstungsindustrie, um das IBM System /360 als Vorbild einer eigenen Reihe durchzusetzen. Dabei berief man sich vor allem auf die Erfolge, die beim Nachbau von IBM-Rechnern in der DDR erzielt worden waren. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Entwicklungsdokumente aus dem Westen beschafft, und diese Wirtschaftsspionage trug wesentlich dazu bei, den innersowjetischen Konflikt zu entscheiden. Der technologische Rückstand der UdSSR gegenüber den USA blieb gleichwohl bestehen.
Die Arbeitsumstände der westlichen Korrespondenten, die während des Ost-West-Konflikts aus der Hauptstadt der Sowjetunion berichteten, waren ein alltäglicher Ausdruck gerade jener widersprüchlichen politischen Entwicklungen, über die sie eigentlich informieren wollten, zu denen ihnen aber oft der Informationszugang und die erforderlichen Übermittlungswege versperrt waren. Der Beitrag beleuchtet die Hindernisse, mit denen die Journalisten um 1960 zu kämpfen hatten und die ihnen selbst nur in zweiter Linie berichtenswert erschienen. Wie gingen die Journalisten an der Schnittstelle zwischen Ost und West mit solchen Schwierigkeiten um? Wenn man die Tätigkeit der westlichen, speziell der westdeutschen Korrespondenten in Moskau näher betrachtet, wird es möglich, ein vielschichtiges und präzises Bild des Ost-West-Konflikts jenseits der außenpolitisch-diplomatischen Ebene zu erhalten sowie die in den westlichen Medien verbreiteten Nachrichten als kontextgebundene Produkte zu analysieren.
Einer der kühleren Sommertage im August. Durch eine kleine Passage erreiche ich Steibs Hof, wo früher mit Pelzen gehandelt wurde und heute das N’Ostalgie-Museum Leipzig seine Ausstellung zur »Alltagskultur der DDR« präsentiert. Am Eingangstresen, der zugleich als Bar des integrierten Cafés mit dem Namen »1:33« fungiert, begrüßt mich ein Mann: »Guten Tag. Wollen Sie Ihre Erinnerung auffrischen?« Noch bevor ich mein Ticket bezahlt habe, stellt er mir den »jungen Mann« vor, der all die hier präsentierten Objekte zusammengetragen habe. Das Porträt, auf das er weist, zeigt einen älteren Herrn in der Tür eines knallroten Wartburg 311. »In liebevoller Erinnerung« steht darüber, und unter der Fotografie: »Horst Häger. Geb. 24.11.1937, gest. 12.07.2011. Gründete 1999 das N’Ostalgie-Museum und hat über die Zeit bis 2011 alle ausgestellten Exponate zusammengetragen.« Wie ich erfahre, hat eine Enkelin Hägers das Museum 2016 aus Brandenburg an der Havel nach Leipzig überführt. Mit den Worten »Damit Sie wissen, wer Sie heute Abend ins Bett geleitet« überreicht mir der Mann an der Kasse meine Eintrittskarte, auf der das Sandmännchen abgebildet ist, und entlässt mich in die kleine Ausstellung. An diesem Vormittag bin ich die erste Besucherin, doch noch während ich die Objekte im Eingangsbereich betrachte, kommen weitere Gäste. Wie ich werden sie mit der Frage begrüßt, ob sie ihre Erinnerungen »auffrischen« wollen, was jeweils kurze Irritation auslöst. Fast rechtfertigend klingen die Antworten der beiden Paare: »Wir wollen gern das Museum besuchen« und »Wir würden uns gern umschauen«.