Judentum
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Im ersten Teil unseres multimedialen Interviews mit Annette Vowinckel, veröffentlicht im März 2023 auf Visual History, blickten Janaina Ferreira dos Santos und Iulia Sucutardean auf Urlauber auf einem Kreuzfahrtschiff in Richung Kuba, Diplomaten auf einer Tagung des Warschauer Pakts und Models auf einer Leipziger Modemesse. Nun wird eine Fotografie in den Blick genommen, auf der vier Männer zu sehen sind: Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald.
Natürlich gibt es Bilder der Shoa, die voll des Grauens sind und auf den ersten Blick Einhalt gebieten. Die Gewalt, die in ihnen ist – die Gewalt, die die Bilder zeigen und/oder die das Machen der Bilder ausdrückt – springt sofort ins Auge. Der Fotograf oder (viel seltener) die Fotografin war Teil der Tat oder stand den Tätern nahe. Die Kamera war zur Waffe geworden, die die Betroffenen zusätzlich entwürdigte. Oft ist die abgebildete Gewalt solcherart, dass die Betroffenen sie nicht überlebt haben können. Sie können also ihre Zustimmung zum Zeigen der Fotos nicht mehr gegeben haben. Doch wurden auch jene, die überlebt haben, in der Regel nicht gefragt, was sie von einer Veröffentlichung der Fotos halten.
un.sichtbar – Zur Einführung
(2024)
Studierende des Masterstudiengangs Public History der Freien Universität Berlin haben im Wintersemester 2023/24 mit Unterstützung von Christine Bartlitz (ZZF), Christoph Kreutzmüller (Selma Stern) und Theresia Ziehe (Jüdisches Museum) das Fotoalbum der deutsch-jüdischen Familie Lindenberger als zeitgeschichtliche Quelle im Sinne einer Visual History untersucht und sich dabei auf das Spannungsverhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem im Album und bei den einzelnen Bildern konzentriert. In dem Themendossier „un.sichtbar. Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969“ geben wir Einblicke in unsere Arbeit: In 17 Beiträgen nähern wir uns aus ganz unterschiedlichen Perspektiven den Bildern aus dem Album und stellen das Fotoalbum in Gänze sowie einzelne Fotografien im Detail vor, unter der Fragestellung: Was können uns die Bilder zeigen – und was zeigen sie nicht?
Skiurlaube
(2024)
Durch ihre Aufbewahrung und Erhaltung geben die Fotografien einen Einblick in besondere Momente der Familiengeschichte. Die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen die Familie Lindenberger in verschiedenen Lebenslagen, von alltäglichen Szenen bis hin zu ihrer Freizeit. Bemerkenswert im Fotoalbum sind auch die Seiten, die die Bilder der Familie vom Skiurlaub präsentieren. In Deutschland wurde das Skifahren im späten 19. Jahrhundert populär, auch für den Mittelstand. Etwa 35.000-40.000 Deutsche standen auf Skiern. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern war die Zahl sehr hoch, wie eine Münchner Zeitung im Jahr 1912 berichtete. Fotos aus dem Skiurlaub waren daher gleichzeitig auch ein Statussymbol.
Orientalismus
(2021)
Westliche Repräsentationen des „Orients“ gehören zu den zentralen Gegenständen geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung der letzten Jahrzehnte, was insbesondere auf Edward Saids kontrovers diskutierte Studie „Orientalism“ zurückzuführen ist. Felix Wiedemann widmet sich in seinem Docupedia-Beitrag der Said’schen Orientalismus-Theorie, ihrer Rezeption, Kritik und Weiterführung. Im zweiten Teil des Beitrags werden exemplarische Problemfelder der neueren Orientalismusforschung – der deutsche Orientalismus, die Rolle der Altertumswissenschaften, der jüdische Orientalismus, der Zusammenhang von Orientalismus, Rassismus und Antisemitismus – skizziert.
Awkward Object of Genocide: Vernacular Art and the Holocaust in and beyond Polish Ethnographic Museums was a initiative carried out at the Research Center for Memory Cultures at the Faculty of Polish Studies, Jagiellonian University, Kraków, by a group of four scholar-curators. The original aim of the project was to explore public and private Polish ethnographic collections in search of art objects referring to, representing, or commenting on the Holocaust. In our project we propose that this unique genre of the visual document, which has received little attention in studies regarding the Holocaust so far, could offer new insights, as well as forge new arguments, different from those commonly employed in attempts to understand the experience and memory of the Holocaust in Polish provinces.
Materialität der Erinnerung
(2024)
31 weiße Seiten aus dickem Papier, hochkant nahezu quadratisch, getrennt durch ebenfalls weißes Pergaminpapier, sind eingebunden in mittelbraunen, glatten Kunststoff, welcher einen Ledereinband imitieren soll. Das Album der Familie Lindenberger ist relativ klein: 25 cm hoch, aufgeklappt 45 cm breit und knapp 5 cm dick. 99 Schwarz-Weiß-Bilder in unterschiedlichen Formaten sind vorder- und rückseitig fest eingeklebt auf Seiten – ein Teil der Seiten bleibt leer. Die meisten Bilder sind Einzelabzüge, seltener sind zwei Fotos als Doppelabzüge auf einer Pappe. Die Fotos sind eine Mischung aus professionell aufgenommenen Bildern, wie die Logos der Fotografen am Fotorand zeigen, und spontaneren, selbst gemachten Aufnahmen.
Am 19. April 2023 jährte sich der Beginn des jüdischen Aufstandes im Ghetto in Warschau zum 80. Mal. Es war die erste Erhebung einer unbewaffneten Stadtbevölkerung gegen die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs. Die deutschen Besatzer hatten das Ghetto (1940–1943) in Warschau für ein Drittel der Stadtbevölkerung am 2. Oktober 1940 mitten im Zentrum in unmittelbarer Nachbarschaft zur katholisch-polnischen Bevölkerung innerhalb eines Gebietes errichtet, das sie als „Seuchensperrgebiet“ bezeichneten. Zwischen dem 22. Juli 1942 und dem 21. September 1942 deportierten die Deutschen und ihre Helfer vom sog. Umschlagplatz in der Stawki-Straße ca. 300 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Ghetto in das 100 km von Warschau entfernt und von Feldern umgebene NS-Vernichtungslager Treblinka II. Unter den in Treblinka Ermordeten waren auch deutsche Juden und Jüdinnen, die im März und April 1942 aus mehreren Städten des Deutschen Reiches nach Warschau deportiert worden waren.
Von April 2019 bis März 2022 erschloss das durch die German-Israeli Foundation geförderte Forschungsprojekt „Jewish Photography of Crisis: The German Reality in the Eyes of Jewish Photographers, 1928-1938“ jüdische Perspektiven auf das Ende der Weimarer Republik, den Beginn der NS-Diktatur und die zunehmende Ausgrenzung und Verfolgung von Jüd:innen. Zum Abschluss der dreijährigen Arbeit luden OFER ASHKENAZI (Jerusalem) und ANNETTE VOWINCKEL (Potsdam) zu einem Workshop an der Hebrew University of Jerusalem am 10. und 11. April ein.
During the Holocaust 5.8 million people were killed; most of the victims did not leave behind any record that could help reconstruct their experience. While survivor history has been well studied in the last decades, how millions of voiceless victims experienced their persecutions has remained a terra incognita. Generally, while perpetrator history is well-documented, the voiceless victims’ perspective has resisted any form of documentation; their emotional and mental experiences conveyed through novels and memoirs have remained fragmented and they have often been dismissed as subjective and unreliable. Today Digital History and Digital Humanities offer new forms of inquiry and representations; they can unlock the emotional, mental, and physical realities which voiceless victims of the Holocaust or other genocides were forced to live in.
Fotograf gesucht
(2024)
Immer, wenn man (historische) Fotos und Fotoalben verstehen möchte, ist eine der zentralen Fragen: Wer hat das Foto gemacht? Nur selten geben private Alben darüber direkt Auskunft. Gleichzeitig geben die Fotos Hinweise, um zumindest Vermutungen anzustellen. Die Beziehung zwischen fotografierender und fotografierter Person ist ein wesentlicher Teil des Entstehungszusammenhangs. Sie kann uns Aufschluss über Hierarchien, Freiwilligkeit oder Zwang und Intention(en) des Fotos geben. Versuchen wir, den Fotografen zu finden.
Over recent years, several private photos of the persecution of the Hungarian Jews have been made accessible to the public online. However, due to the lack of historical context and basic metadata, these photographs remain difficult to trace. This problem is particularly significant for international researchers without knowledge of Hungarian.
In 2020, I started examining ways to design and develop online exhibitions, and this short essay outlines the process and results: the online gallery “Forced Labour, Hungary 1940”. The aim of this project was to present and contextualise one small collection of family materials – two photo albums and a diary – to make them accessible for a broader, international public.
Flucht in den Strandurlaub?
(2024)
Das Fotoalbum der Familie Lindenberger enthält – für ein solches keineswegs unüblich – auch einige Fotografien aus Urlauben am Meer. So sieht man dreimal Joseph Lindenberger am Strand, einmal im Badeanzug lesend auf einer Decke sitzend, ein weiteres Mal im Bademantel in einem Boot sitzend und zu guter Letzt in Hemd und Krawatte sich auf ein Boot stützend. Im Hintergrund der ersten beiden Bilder, die in einem Doppelabzug vorliegen, sieht man ein auf Stelzen gebautes, langes Strandhaus, das vermutlich zu einer Landungsbrücke weiter ins Meer hinein führt. Eine ebensolche kann man im Hintergrund des dritten Bildes sehen, dessen Aufnahmeperspektive auf das Meer gerichtet ist. Die drei Bilder eignen sich für eine über das Biografische hinausreichende Betrachtung.
Die Kuratorin des Jüdischen Museums Berlin trägt Handschuhe, während sie die 31 Seiten des Fotoalbums umblättert. Sie hat das Album der Familie Lindenberger für unser Projekt im Rahmen des Public History-Studiengangs ausgewählt. Wir, Studierende und Dozentin, stehen im Kreis um sie herum und betrachten die 95 dort eingeklebten Fotografien. Eine Woche später sehen wir uns im Seminarraum der Freien Universität Berlin die Fotografien des Albums noch einmal an. Biografische Angaben zur Geschichte der Familie haben wir aus dem Jüdischen Museum erhalten. Sie ermöglichen die Identifikation und familiäre Zuordnung vieler Bilder. Langsam werden uns die auf den Fotografien dargestellten Menschen vertraut, und wir erkennen schließlich die engsten Familienmitglieder auf den ersten Blick.
Was macht ein Foto privat oder öffentlich? Laut Fachliteratur ist dies abhängig vom Kontext: der Entstehung und Verwendung des Bildes. Entscheidend für die Bestimmung sind demnach der Fotograf, das Motiv, die Absicht des Fotografen sowie die Intentionen der abgebildeten Personen und nicht zuletzt der nachfolgende Gebrauch der Fotografie.
Ein jüdisches Fotoalbum!?
(2024)
Joseph und Helene Lindenberger kommen aus jüdischen Familien. Im Jahr 1938 flohen sie mit ihren Kindern vor den Nazis nach Palästina. Damit handelt es sich um ein Fotoalbum aus jüdischer Perspektive! Doch wo finden sich vermeintlich jüdische Symbole, Orte oder aber das Wort „jüdisch“? Und wo zeigt sich die Verfolgung durch die Nazis? Welche Hinweise geben uns die eingeklebten Fotos oder die Bildunterschriften darauf, dass es sich um das Fotoalbum einer jüdischen Familie handelt?
Ein Familienfest
(2024)
Welche Geschichte kann ein Bild erzählen? Am Beispiel eines Fotos aus dem Album der Familie Lindenberger, auf dem sich mehrere Generationen der Familie zu einem besonderen Anlass versammelt und diesen Moment für die Erinnerung künftiger Generationen festgehalten haben, möchte ich eine kurze Geschichte dieser Familie erzählen. Trotz wechselnder Lebensumstände ist es der Familie gelungen, ihre Geschichte fotografisch zu dokumentieren.
Ein Album – eine Erzählung?
(2024)
Jedes Fotoalbum hat eine Erzählung, sie verläuft auf zwei Ebenen. Eine ist im Fotoalbum selbst enthalten, und die Fotos sind ihre Eckpunkte. Die Anordnung im Album setzt die Bilder mit ihren Protagonisten, Orten und Ereignissen in Beziehung. Doch erst die betrachtende Person verbindet diese Bilder zu einer Geschichte, zu einer zweiten, die aber mit der ersten verbunden ist.
Zu Beginn der Ausstellung fällt der Blick auf zwei Fotografien. Sie sind prominent inmitten des einleitenden Wandtextes im Eingangsbereich platziert, der Ausstellungsbesucher:innen ebenso empfängt wie Angestellte des Dubnow-Instituts oder Menschen, die in der Goldschmidtstraße 28 in Leipzig anderweitig arbeiten oder zu Besuch sind. Erstere bleiben stehen, lernen, welche Rolle die beiden Bilder spielen und in welchem Kontext sie stehen, nehmen wohl an einer Führung von Julia Roos oder Monika Heinemann teil, beide vom Dubnow-Institut, die neben Agnieszka Kajczyk vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau die Kuratorinnen der Ausstellung sind.
The word "anti-Semitism" serves on the one hand as a generic term for every type of hostility towards Jews. More specifically on the other hand, as a term formed in the final third of the 19th century, it characterizes a new, pseudo-scientific anti-Jewish prejudice that no longer argued religiously but employed qualities and characteristics associated with "race". A distinction needs to be drawn between the older religiously-motivated anti-Judaism and modern anti-Semitism.