Visual History
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Von Beginn an wurde das „visuelle Zeitalter“ von Diskursen über Sinn und Unsinn, über Wert und Unwert der jeweils neuen visuellen Erfindungen begleitet – und dies sowohl im Wort als auch im Bild selbst. Diese Diskurse können geradezu als ein Charakteristikum des „visuellen Zeitalters“ gelten. Wissenschaftler beteiligten sich an ihnen ebenso wie Publizisten, Maler und Fotografen. Ihre Stellungnahmen waren sachlicher wie polemischer, systematischer wie sporadischer Art. Fast schon stereotyp finden sich hier Begriffe und Metaphern wie die der „Bilderflut“ und der „müßigen Schaulust“. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten scheinen sich die Diskurse versachlicht und institutionalisiert zu haben.
Angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Bildern für die Erinnerung und insbesondere von Fotos für das »Erscheinungsbild« der jüngeren Geschichte ist es frappierend, dass das Bildgedächtnis zur Zwangsmigration der Deutschen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs und in seinem Gefolge bislang kaum Beachtung gefunden hat. Erst in den letzten Jahren haben einige Historikerinnen und Historiker auf diese wichtige Forschungslücke hingewiesen und versucht, sich den kollektiven Bilderwelten von Flucht und Vertreibung anzunähern. Bislang wurden dabei insbesondere zentrale Bildmotive von ikonischer Qualität eruiert – wie der Flüchtlingstreck und das Mutter-Kind-Motiv –, ihre politisierten Entstehungskontexte untersucht und ihr strategischer Gebrauch in der Vertreibungserinnerung bestimmt.
Der »Weltkrieg« oder »Große Krieg« wurde von vielen Zeitgenossen als eines der ruhmreichsten, denkwürdigsten Ereignisse der Weltgeschichte und insbesondere der beteiligten Mächte aufgefasst. So standen auch von Anfang an gestalterische Konzepte zur Ehrung der Gefallenen als »Helden einer großen Zeit« mittels Kriegerdenkmälern, Totenhainen und Ehrenhallen zur Diskussion. Im Gegensatz zu dieser übergreifenden heroisierenden Deutung waren die Erinnerungserzählungen seit 1918 sehr heterogen. Modellhaft für die Bewahrung des Ersten Weltkriegs im »Funktionsgedächtnis« (Aleida Assmann) ist Großbritannien, wo beiden Weltkriegen eine ähnliche Relevanz zuerkannt wird. Der »Armistice Day« am 11. November repräsentiert seit 1920 kontinuierlich die öffentliche Erinnerung an das Ende des »Great War«. Zwei Schweigeminuten »at the 11th hour of the 11th day of the 11th month«, Gedenkveranstaltungen wie jene am »Tomb of the Unknown Warrior« in der Westminster Abbey oder auch historische Fernsehserien, in denen der »Große Krieg« regelmäßig vorkommt, sind Belege für seine Sichtbarkeit und mediale Verbreitung bis heute. Ein Beispiel für das Gegenmodell, in dem der Zweite Weltkrieg den Ersten weitgehend überschrieben hat, ist Österreich, wo nach 1945 dem Ersten Weltkrieg nur geringe Relevanz für aktuelle Identitätskonzepte und Erinnerungserzählungen beigemessen wurde. Zeichensetzungen im öffentlichen Raum beschränken sich (mit regionalen Ausnahmen wie Tirol) weitgehend auf einige Straßennamen und auf Kriegerdenkmäler, die für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs adaptiert wurden. Zwischen diesen Optionen – der Gleichrangigkeit beider Weltkriege oder der Dominanz des Zweiten Weltkriegs – lässt sich die Gedächtnislandschaft in den europäischen Ländern einordnen.
Am 2. Oktober 1985 tagte der Unterausschuss für Sicherheit und Terrorismus des US-Senats anlässlich eines ebenso ungewöhnlichen wie aktuellen Themas: Es ging um die wachsende Zahl so genannter Söldnerschulen und paramilitärischer Ausbildungscamps auf amerikanischem Boden. Am Rande diskutierten die Senatoren über die Verbreitung von Publikationen, die das Söldnerleben glorifizierten. Der demokratische US-Senator Patrick Leahy aus Vermont äußerte sich besorgt über die Entstehung einer »zusammenhängenden Söldnerbewegung«: Bei einigen Mitgliedern dieser Szene möge es sich zwar um »übergewichtige Wochenendkrieger« handeln, doch andere seien »gefährliche Individuen« verschiedener Herkunft und Affiliation – oder US-Bürger, die durch ihre Aktivitäten außenpolitische Schäden verursachten. Die Anhörung war nur eine von mehreren parlamentarischen Untersuchungen, die sich seit Mitte der 1970er-Jahre mit dem Söldnerproblem der USA beschäftigten. Zugleich häuften sich Zivilklagen gegen Söldnerzeitschriften, Anti-Söldner-Komitees von besorgten Bürgern und journalistische Enthüllungsstories. Dies alles waren Reaktionen auf ein Phänomen, das der Autor Peter Tickler als »obsessive amerikanische Begeisterung für den Lebensstil des Söldners« beschrieb.
Man muss dabei gewesen sein. Wer heute »Dr. Strangelove« einem Publikum von unter Dreißigjährigen zeigt, einer Altersgruppe also, die den Kalten Krieg bestenfalls vom Hörensagen kennt, wird vermutlich gelangweilte oder verständnislose Kommentare hören. Oder die Frage, was es denn um Himmels willen zu lachen geben soll in dieser »schwarzen Satire« über die atomare Vernichtung der Welt, die seit ihrer Uraufführung am 29. Januar 1964 hartnäckig als eine der besten Komödien aller Zeiten gehandelt wird und dem virtuosen, gleich in drei Rollen auftretenden Hauptdarsteller Peter Sellers einen Logenplatz in der cineastischen Ruhmeshalle gesichert hat.
Unmittelbar nach dem Bau der Mauer, die West-Berlin zu einer eingeschlossenen Stadt machte, bot das bundesdeutsche Fernsehen, dessen selbstverständlicher Teil auch die Sendungen des Senders Freies Berlin (SFB) waren, einen audiovisuellen Kontakt zur Welt nach ›draußen‹ – oft sogar ›live‹, so dass man als West-Berliner teil hatte am Geschehen der westlichen Welt. Für die innere Gemütsverfassung sorgten jedoch spezifisch West-Berliner Programmbeiträge, die vom sicheren und zugleich idyllischen Leben auf der Insel im DDR-Meer erzählten und die ein Gefühl von Geborgenheit vermittelten. Mein frühester Eindruck stammt aus der Serie »Jedermannstraße 11«, die von einem Berliner Mietshaus handelt und von der ich einige Folgen als 17-Jähriger 1962/63 gesehen habe: mit eingängig wiederkehrender Titelmusik, mit bekanntem Personal wie dem in West-Berlin legendären Volksschauspieler Willi Rose, von dem die Eltern schwärmten; herzhaft und immer gut gelaunt, immer einen Scherz auf den Lippen, von seiner Frau (gespielt von Berta Drews) liebevoll in die Seite geknufft. Das Fernsehen war zu dieser Zeit noch ein neugierig-lustvolles Anschauen der Welt im Familienkreis. Denn wie die Menschen in dieser Serie, so lebten wir auch.
Eine systematisch verfasste interdisziplinäre Bildwissenschaft bedarf eines Theorierahmens, der die unterschiedlichen Forschungsperspektiven und -ergebnisse aufeinander zu beziehen erlaubt. Der hierfür diskutierte Vorschlag besteht in der These, dass Bilder wahrnehmungsnahe Medien sind. Diese These betont die kommunikativen Aspekte des Bildphänomens: Mit Bildern gibt jemand jemandem (oder auch wir uns selbst) etwas zu verstehen. Da dies bei Bildern in einer spezifischen Weise erfolgt, die wesentlich mit dem Wahrnehmungsaspekt von Bildern zusammenhängt und in besonderer Weise von der Materialität und Medialität der Bilder abhängt, bedarf die Bildwissenschaft einer wahrnehmungstheoretischen Ausrichtung. Eine systematisch verfasste interdisziplinäre Bildwissenschaft impliziert folglich die theoretische Integration von Zeichen-, Medien- und Wahrnehmungsaspekten.
Visual History (Version 3.0)
(2014)
In Erweiterung der Historischen Bildforschung markiert Visual History ein in jüngster Zeit vor allem innerhalb der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte sich etablierendes Forschungsfeld, das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst.
Safer Sex und Solidarität. Die Sammlung internationaler Aidsplakate im Deutschen Hygiene-Museum
(2013)
Plakate sind für die Kommunikation im Vorbeigehen gedacht und wenden sich an ein Massenpublikum. Für die Bildsprache und den Text des Plakats erfordert dies eine Reduktion auf das Wesentliche. Wird diese Technik des Reduzierens erfolgreich angewendet, verdichten Plakate bestimmte Leitideen ihrer Entstehungszeit – und genau das macht sie als Quellen für die Geschichtswissenschaft interessant. In den bedeutenden europäischen Plakatsammlungen liegt das Augenmerk meist auf Ausstellungs- und Filmplakaten, auf Wahl- und Propagandaplakaten sowie auf Werbeplakaten für Markenprodukte des 19. und 20. Jahrhunderts. Einen anderen Schwerpunkt legt die Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden (DHMD)1 mit rund 12.000 Plakaten. Dieser Bestand dokumentiert die deutsche Geschichte von „Gesundheit und Prävention“ sowie einzelne Kapitel der entsprechenden internationalen Geschichte vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Der ostdeutsche Fotograf Christian Borchert (1942–2000) verstand sich als „Chronist seiner Zeit“. Seine Serie „Familienporträts“ wurde schon vor 1989 in der DDR und in der Bundesrepublik im Kontext bildender Kunst gezeigt – trotz oder sogar wegen der sachlichen, dokumentarischen Perspektive auf die DDR-Gesellschaft. Mittlerweile ist Borchert unverrückbar in den kunsthistorischen Kanon eingegangen, und seine Bilder fehlen auf kaum einer Ausstellung zur Fotokunst in der DDR. Besonders 2009 fand anlässlich der 20-jährigen Jubiläen des Mauerfalls und der „friedlichen Revolution“ eine Fülle von Ausstellungseröffnungen zur DDR-Fotografie statt. Sozialdokumentarische Bilder konnten – als vermeintlich ideologiefreie „Wirklichkeitsbilder“ rezipiert – problemlos im Kunstkontext untergebracht und zugleich als aussagekräftige Quellen der Vergangenheit präsentiert werden. Der Interessenschwerpunkt lag dabei auf der „inoffiziellen“ Fotografie aus der DDR. Diese Tendenz hält bis heute an, und so ließ auch die 2012 eröffnete Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“ in der Berlinischen Galerie, wo einige der „Familienporträts“ vertreten waren, die „offiziellen Bildwelten“, den Bereich der angewandten Fotografie und der Amateurfotografie außen vor. Zwar bildete die sozialdokumentarische, erzählerische Fotografie, die sich ab den 1970er-Jahren als Autorenfotografie emanzipiert hatte, in der DDR tatsächlich den Kern der künstlerischen Fotografie, doch haben sich deren Spezifika grundlegend aus der sozialistischen Fotografieästhetik entwickelt. Dass zwischen „non-konform“ und „offiziell“ nicht klar zu trennen ist, lässt sich mit Christian Borcherts Familienbildern sehr gut belegen.