Visual History
Refine
Year of publication
Document Type
- Journal Article (135)
- Online Publication (37)
Has Fulltext
- yes (172) (remove)
Keywords
- Forschungsfelder (4)
- Methoden (4)
Visual History (Version 1.0)
(2010)
(Version 1.0, siehe auch Version 3.0)
In Erweiterung der Historischen Bildforschung markiert Visual History ein in jüngster Zeit vor allem innerhalb der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte sich etablierendes Forschungsfeld, das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst.
Die Bilddiskurse des wiedervereinigten Deutschlands fokussierten zum einen auf die Frage nach dem Umgang mit den Bildern der unmittelbaren deutschen Vergangenheit, denen der NS-Zeit und der DDR wie denen der jüngsten bundesdeutschen Geschichte, zum anderen stellten sie allgemein die Frage nach dem neuen Status der Bilder in der digitalen Gesellschaft.
Anders als während der Weimarer Republik gab es nach 1933 in Deutschland keinen freien Diskurs mehr über die zeitgenössischen Bilderwelten, allenfalls oberflächliche Beschreibungen und zustimmende Kommentare. Diese stammten zum überwiegenden Teil aus dem Umkreis der neuen, sich gerade erst etablierenden Zeitungswissenschaft, begründet u.a. von Emil Dovifat, dem Nestor der Publizistikwissenschaft in Deutschland und Leiter des Deutschen Instituts für Zeitungskunde an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, sowie des von Hans A. Münster geleiteten zeitungswissenschaftlichen Instituts der Universität Leipzig sowie des Münchner Instituts für Zeitungswissenschaft unter Karl d’Ester. Darüber hinaus befasste sich auch die gleichgeschaltete Deutsche Hochschule für Politik in Berlin – eine unmittelbare Reichsanstalt, die mit der Reichspropagandaleitung (RPL) der NSDAP kooperierte und an der u.a. NS-Propagandaexperten wie Hans Weidemann und Fritz Hippler als Dozenten arbeiteten – mit Fragen der Bildpropaganda. Die Themen dieser Institute kreisten vor allem um das Bild als Waffe in Pressefotografie, Karikatur, Plakat und Film.
Von Beginn an wurde das „visuelle Zeitalter“ von Diskursen über Sinn und Unsinn, über Wert und Unwert der jeweils neuen visuellen Erfindungen begleitet – und dies sowohl im Wort als auch im Bild selbst. Diese Diskurse können geradezu als ein Charakteristikum des „visuellen Zeitalters“ gelten. Wissenschaftler beteiligten sich an ihnen ebenso wie Publizisten, Maler und Fotografen. Ihre Stellungnahmen waren sachlicher wie polemischer, systematischer wie sporadischer Art. Fast schon stereotyp finden sich hier Begriffe und Metaphern wie die der „Bilderflut“ und der „müßigen Schaulust“. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten scheinen sich die Diskurse versachlicht und institutionalisiert zu haben.
Um Anerkennung als legitimes Objekt wissenschaftlichen Fragens muss die Populärkultur längst nicht mehr kämpfen. Zwar dürfte es kaum möglich sein, die vielfältigen Ansätze zur Massen- und Unterhaltungskultur auch nur des späten 20. Jahrhunderts auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, aber unter den dabei bevorzugt behandelten Gegenständen müsste wohl den James-Bond-Filmen ein prominenter Platz eingeräumt werden. Mehr als jede andere Filmreihe haben sie ein ganzes Genre des Actionkinos definiert und Standards des Spionage- und Agententhrillers etabliert, die bis heute und noch in ihrer ironischen Brechung als Referenzgröße dienen.
Im Jahr 2012 kam der Film »Fetih 1453« in die türkischen Kinos. Das Heldenepos um den 18-jährigen Sultan Mehmed II., dessen Truppen die oströmische Hauptstadt einnahmen, war unter Einsatz neuester Computertechnik, Animationen und vielerlei Effekten hergestellt worden. Der Kinostart in Istanbul war – damit die geschichtsträchtige Symbolik sich auch jedem Türken deutlich erschließe – um 14.53 Uhr. Der Film entwickelte sich rasch zum Kassenschlager. Er war nicht nur der teuerste in der Türkei jemals gedrehte Film – seine Produktionskosten beliefen sich auf 17 Mio. US-Dollar –, sondern zog auch die meisten Besucher an.
Was vor einigen Jahren ein Schreckensszenario war, ist längst eingetreten. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs gilt schon heute: »Quod non est in google, non est in mundo.« Freilich, eine verkürzte Sicht. Der Aufbau elektronischer Findmittel zur Durchforstung von Archiv-, Bibliotheks- und Museumsbeständen hat in den vergangenen Jahren ein starkes wissenschaftliches Interesse gefunden. Die Gesellschaft vernetzte sich, es entstanden viele nützliche Service-Angebote, neue Begehrlichkeiten wurden geweckt. Heute geht es nicht mehr darum, Inhalte nur zu erschließen, sondern darum, sie online zu vermitteln. In sozialen Medien werden diese Inhalte »getaggt«, »geliked«, empfohlen oder gar kommentiert. Die sammelnden Institutionen stehen damit vor einer gewaltigen Herausforderung – technisch, finanziell und vor allem konzeptionell. Mit dem Aufkommen von Bits und Bytes befindet sich die Kulturtechnik des Sammelns und Präsentierens in einem tiefgreifenden Umbruch. Der digitale Wandel impliziert die Frage, ob Gedächtnisinstitutionen künftig noch derselbe Stellenwert zukommen wird, zukommen muss wie heute: Schaffen entmaterialisierte Kulturgüter eine neue Kulturgesellschaft?
Mitten in der Stadt, direkt neben dem Viktualienmarkt, eröffnete im Frühjahr 2007 das Jüdische Museum München. Integriert in ein Ensemble aus der neuen Hauptsynagoge, dem jüdischen Gemeindezentrum und dem Stadtmuseum, soll es nicht nur ein Ort von Geschichte und Erinnerung sein, sondern ein Ort der Gegenwart, Kommunikationsraum und Haus der Begegnung. Jüdisches Leben in den verschiedensten Facetten in Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen - das ist Konzept und Ziel des neuen Museums.
Eine Bildgeschichte der „Flüchtlingskrise“ würde an der Komplexität dieser von Warburg ikonologisch verfolgten „Gegenwartsbedeutung der historischen Psychologie“ zu messen sein. Die Notwendigkeit dazu begründet sich nicht zuletzt durch die näher zu betrachtende, emotional enorm aufgeladene Befehdung der Willkommenskultur seit 2015 in der Bundesrepublik. Mit Warburg besteht für diese „hohe Emotionalität“ der Gegner der Willkommenskultur eine Zuständigkeit der Bildwissenschaft. Als „historische Psychologie“ ist sie zugleich eine Alternative zu national-völkischen Formen der Sozialpsychologie wie der Völkerpsychologie und anderen Vorstellungen des Identitären als Angriffe gegen die integrativen Vorstellungen der Willkommenskultur.
Das Beschreibungs- und Erklärungsmodell der „neuen Kriege“, wie es vor allem der Politologe Herfried Münkler entwickelt und publizistisch äußerst wirkungsvoll vertreten hat, kommt ohne die Berücksichtigung der medialen Faktoren nicht mehr aus. An wesentlichen Stellen seiner scharfsinnigen historischen Phänomenologie des Krieges, die gerade durch die Konfrontation der Aktualität mit den Erscheinungsformen der vormodernen Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts ihre besondere Prägnanz gewinnt, wird immer wieder auf die gewandelte Rolle des Fernsehens verwiesen. In den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten beiden Jahrzehnte werde der Kampf mit Waffen „zunehmend durch den Kampf mit Bildern konterkariert“. TV-Kamerateams seien für die Kriegsparteien inzwischen ein beliebig handhabbares Instrument der Aufmerksamkeitssteuerung, ja die durch Fernsehbilder erst hergestellte „Weltöffentlichkeit“ sei zur „Ressource“ des Krieges geworden. Münklers Argumentation kulminiert dann in der These, die „Verwandlung der Berichterstattung über den Krieg in ein Mittel seiner Führung“ bedeute den „wahrscheinlich größte[n] Schritt bei der Asymmetrisierung des Krieges“. Ein Hauptbefund der Studie, die Ablösung der staatlich monopolisierten Kriege durch radikal asymmetrische Formen der Auseinandersetzung, wird also am Medium Fernsehen festgemacht - alles deutet darauf hin, dass Münklers Konzept der „neuen Kriege“ eine umfassende Theorie ihrer medialen Repräsentation quasi mitformuliert. Doch dieser Eindruck täuscht. Die medialen Spiegelungen der kriegerischen Ereignisse und vor allem der audiovisuelle Diskurs des Fernsehens werden nur am Rande beachtet; Münkler belässt es bei Anmerkungen und Anfügungen. Nur eingestreut wird der Hinweis, man dürfe den „wachsenden Einfluss der Medien auf die politischen Entscheidungsabläufe“ nicht unterschätzen. Dabei bietet Münklers Konzept der „neuen Kriege“ eigentlich alle Voraussetzungen, um eine solche Beiläufigkeit zu überschreiten, denn optisch-visuelle Begriffe fungieren als Grundkategorien: „Erscheinungsformen“ und „Erscheinungsweisen“ der „neuen“ Realitätsformationen sollen aufgezeigt werden. Alles kreist um die Problematik der Sichtbarkeit; eine unübersichtliche „Gemengelage“ wird als das hervorstechendste Charakteristikum der aktuellen Kriege kenntlich gemacht.