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Zeitgeschichte selbst kann man genauso wenig „ausstellen“ wie Geschichte an sich; Museen und Ausstellungen können nur bestimmte historische Artefakte präsentieren und tragen dadurch zur (Re-)Konstruktion von „Geschichte“ bei. Eine Debatte über die Kriterien der Sammlung und Präsentation, wie sie hier angeregt wird, ist dabei zugleich eine über das heutige Museum bzw. die moderne kulturhistorische Ausstellung. Das Museum ist nicht mehr allein die alte „Wunderkammer“, baut aber in seinen Sammlungen historisch und systematisch immer noch auf diesem Prinzip auf. Hinzugetreten ist seit dem 19. Jahrhundert ein zunehmend historisch und an nationalen Konstruktionen orientiertes Präsentations- und Deutungsmuster der Ausstellungen, das eng verknüpft ist mit der Professionalisierung der Ausstellungsmacher. Darüber hinaus sind Museen neuerdings „Informations- und Dienstleistungszentren“ geworden, die die Rekonstruktion von Geschichtsfragmenten mittels Objektarrangements und Textinformationen inszenieren.
Für den „Kalten Krieg“ gibt es eine Vielzahl von Definitionen und historiographischen Zugängen. In der Regel ist die Epoche zwischen 1947 und 1989/91 gemeint, wobei die Zeit ab 1917 als Vorspann oder auch die Transformationsphase nach 1991 mitunter in die Betrachtung einbezogen werden. Der Kalte Krieg wird häufig als ein „Weltanschauungskrieg“ charakterisiert, der durch die Bipolarität der Supermächte und ihrer jeweiligen politischen Allianzen, die atomare Aufrüstung und den stets angedrohten, aber in Europa nie offen ausgetragenen militärischen Konflikt gekennzeichnet war, während gleichzeitig Stellvertreterkriege in der so genannten Dritten Welt entfacht wurden. Die Zeit des Kalten Krieges bzw. des Ost-West-Konflikts und der Teilung Europas ist inzwischen gut erforscht, wegen des wachsenden Zeitabstands in der breiteren Öffentlichkeit aber nicht mehr allgemein präsent. Deshalb hat eine international zusammengesetzte Gruppe von Politikern und Wissenschaftlern im Juni 2008 den Aufruf zur Gründung eines „Museums des Kalten Krieges - Teilung und Befreiung Europas“ formuliert, das am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie eingerichtet werden soll. Auch unabhängig von der Frage, ob dieser Plan letztlich Erfolg haben wird, ist eine Debatte lohnend, wie sich die Epoche des Kalten Krieges museal präsentieren und verständlich machen lässt.
In den über 60 Jahren, die seit den Ereignissen bei Stalingrad von 1942/43 vergangen sind, ist das Geschehen in den Erinnerungskulturen zahlreicher Länder immer wieder neu entworfen, umgewandelt und mit unterschiedlichen Deutungsebenen verknüpft worden. Die Muster der Erinnerung waren und sind eng verbunden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zum Zeitpunkt ihrer Verbreitung, und sie standen bzw. stehen noch immer in einem gespannten Verhältnis zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über „Stalingrad“: So ging der Krieg für die Deutschen bereits im Winter 1941 verloren, und es folgten für Deutschland verlustreichere Kriegsphasen. Dass „Stalingrad“ in der deutschen und sowjetischen Erinnerungskultur bis heute eine herausragende Bedeutung einnimmt, steht dazu in offensichtlichem Widerspruch und kann nur gedächtnisgeschichtlich erklärt werden.
Wie haben sich die Perspektiven auf die NS-Zeit seit 1989/90 verändert? Nach einem knappen Rückblick auf die „historiographische Systemkonkurrenz“ in der Ära des Kalten Krieges werden zunächst wichtige Blickerweiterungen skizziert, die bereits vor 1989/90 einsetzten: die wachsende Aufmerksamkeit für alltagsgeschichtliche Zusammenhänge sowie vor allem für die Verfolgung und Ermordung der Juden. Die Zäsur von 1989/90 brachte für die NS-Forschung einen zusätzlichen Schub, weil sie die Bedeutung von Akteuren in historischen Entscheidungssituationen nachhaltig in den Vordergrund rückte. Der Aufsatz erläutert darüber hinaus drei Stränge der aktuellen NS-Forschung: Ansätze einer integrierten Geschichte, die eine dichotomische Betrachtung von Opfern und Tätern überwinden; die Europäisierung und Globalisierung nicht nur der Erinnerungspolitik, sondern auch der wissenschaftlichen Arbeiten zur NS-Zeit; sowie das übergreifende Phänomen einer verstärkten Medialisierung von Geschichte.
Dieser Film ist eine Historikerfalle. Denn er lädt mit geradezu offenen Armen dazu ein, seine Historizität zu untersuchen, und hat doch mit Geschichte so viel oder so wenig zu tun wie ein Film über die Meuterei auf der Bounty - allerdings mit der entscheidenden Differenz, dass uns Nazideutschland weit näher liegt als der Alltag britischer Seeleute im 18. Jahrhundert. In dieser Ambivalenz zwischen Geschichte als Erzählung und tatsächlichem Geschehen der Vergangenheit, dem sich Historiker mit unterschiedlichsten Fragen und wissenschaftlichen Methoden widmen, bewegen sich „Der Untergang“ und seine Rezeption. Bei einer Preview auf dem Historikertag in Kiel waren die Meinungen geteilt. Einer der großen alten NS-Forscher, Hermann Graml vom Institut für Zeitgeschichte in München, beurteilte den Film als „ganz hervorragend“; nie habe ein Spielfilm mehr „Einsicht in das Wesen dieses Regimes“ vermittelt. Der Kölner Zeithistoriker Jost Dülffer empfand den „Untergang“ dagegen als „Tabubruch“, der die letzten Tage in Hitlers Bunker als „eine Art Opfergang“ inszeniere. Hans Mommsen, der Doyen der NS-Historiker, merkte an, dass mit dem Bemühen, Hitler so lebensgetreu wie möglich darzustellen, noch keine sinnvolle historische Aussage gemacht sei. Einhellig wurde jedoch die Detailgenauigkeit des Films hervorgehoben.
In der aktuellen Debatte um Holocaust, Kolonialismus und Erinnerung hat Per Leo jüngst angeregt, dass Historikerinnen und Historiker irritierende Fragen stellen sollten. Diesem, wie ich finde, klugen Vorschlag folgend, möchte ich hier diskutieren, ob und inwieweit die Rede von der Singularität des Holocaust angemessen, sinnvoll, erkenntnisfördernd ist. Wie ist sie (in der Bundesrepublik) entstanden, und worin könnte heute ihre Aussagekraft liegen? Müsste die Perspektive nicht erweitert werden? Solche Fragen führen in das Zentrum einer Debatte, die hierzulande seit der Auseinandersetzung vom Frühjahr 2020 um den afrikanischen postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe heftig entbrannt ist, dem der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung Felix Klein vorwarf, den Holocaust zu relativieren. Die vor allem in den Feuilletons geführte Debatte verschärfte sich, als der in den USA lehrende Historiker A. Dirk Moses im Mai 2021 mit einem provokanten Essay die deutsche Erinnerungskultur kritisierte: In der Fixierung auf den Holocaust würden die Kolonialverbrechen ausgeblendet. Die Kontroverse um Antisemitismus auf der diesjährigen documenta bildete mit den schrillen Tönen zweifellos den vorläufigen Tiefpunkt dieser Debatte. Nachdenkliche Argumente wie von Micha Brumlik, Sebastian Conrad, Charlotte Wiedemann oder Natan Sznaider scheinen kaum noch Gehör zu finden.
For centuries, nostalgia denoted homesickness, but current dictionary definitions indicate that these two concepts have parted ways and acquired discrete meanings. However, it is one thing to demonstrate that contemporary definitions of nostalgia and homesickness are distinct; it is another to show that the way people think about nostalgia and its characteristics corresponds to this lexicographic knowledge. In 2012, Erica G. Hepper and colleagues therefore asked laypeople to identify which features they considered most characteristic of the construct ›nostalgia‹ and found that respondents conceptualised nostalgia as a predominantly positive, social, and past-oriented emotion. In nostalgic reverie, one brings to mind a fond and personally meaningful event, often involving one’s childhood. The person tends to see the event through rose-coloured glasses and may even long to return to the past. As a result, he or she feels sentimental, typically happy but with a hint of sadness.
Im Oktober 2007 startete der „Spiegel“ sein eigenes Historien-Portal „einestages“. Die Seite wurde zunächst als lebendige Art der Geschichtsvermittlung und der Konservierung von Erinnerungen überwiegend gelobt und heimste entsprechend auch Preise ein. Dieser Erfolg bewog den „Spiegel“ dazu, ausgewählte Beiträge in einer Printausgabe zu veröffentlichen, die sich jedoch nicht am Markt etablieren konnte. Bei „einestages“ soll es weniger um die großen historischen Fragen gehen, als um Episoden des Alltags, biographische Skizzen und antiquarische Erinnerungsstücke – Geschichten statt Geschichte, lautet das erklärte Ziel. So sollen etwa auch „das Musik-Phänomen Tokio Hotel“ und die „Tapeten der 1970er Jahre“ thematisiert werden. Dabei bedienen sich die Macher des Portals recht großzügig des mittlerweile auch schon in die Jahre gekommenen Memoria-Vokabulars und verkünden ganz unbescheiden den „Aufbau eines kollektiven Gedächtnisses unserer Geschichte“.
Zum internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2011 ging das Fotoarchiv der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem ins Netz. Insgesamt wurden bisher etwa 150.000 Fotos digitalisiert und auf der Website zugänglich gemacht. Das Projekt basiert auf einer Kooperation mit Google. Die enorme Materialfülle eröffnet den Besuchern die Möglichkeit, neben „Ikonen der Vernichtung“ selbst neue „Bilderwelten“ aufzutun – zugleich ist das Projekt nicht frei von Startschwierigkeiten.
Eine empirisch fundierte Gesamtbewertung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses im Kontext des deutschen und europäischen Umgangs mit dem Holocaust steht noch aus. Zweierlei lässt sich jedoch mit einiger Bestimmtheit sagen: Weder handelte es sich bei diesem Strafverfahren um den Wende- oder Höhepunkt einer geläuterten westdeutschen Erinnerungskultur, noch war es in irgendeiner Weise repräsentativ für die NS-Prozesse und Ermittlungen, welche seit Ende der 1950er-Jahre mit vermehrter Intensität betrieben wurden. Exzeptionell war dieses Gerichtsverfahren schon insofern, als es ein einzigartiges Großprojekt in angewandter Oral History darstellte, das weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinausstrahlte. Eine vergleichbar hohe Zahl von Opferzeugen (insgesamt 211) aus verschiedenen Ländern und politischen Systemen dürfte es wohl in keinem anderen NS-Verfahren gegeben haben, und allein dieser Sachverhalt garantierte dem Prozess eine weltweite Medienöffentlichkeit. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der entscheidend am Zustandekommen des Prozesses beteiligt war, verband mit den Ermittlungen gegen die Täter von Auschwitz im Wesentlichen zwei Ziele: Zum Ersten ging es ihm darum, die Deutschen zu einer kritischeren Beschäftigung mit ihrer eigenen Geschichte anzuhalten. Zum Zweiten wollte er den Überlebenden Gelegenheit geben, ihre Erlebnisse nach Jahrzehnten des Schweigens öffentlich zu erzählen. Das eine war unmittelbar mit dem anderen verbunden, waren in Politik, Rechtsprechung, Wissenschaft und Medien doch bis dahin Vergangenheitsdiskurse vorherrschend gewesen, die vor allem aus der Perspektive der Täter argumentierten und deren Sichtweisen teils bewusst, teils unbewusst reproduzierten.
Virtual Reality. Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als Erinnerungskontrolle in den 1930er-Jahren
(2010)
Am Beispiel eines zur Bild-Ikone geratenen Lenin-Fotos aus dem Jahr 1920 untersucht der Beitrag die Praxis manipulativer Eingriffe in das visuelle Gedächtnis der UdSSR vom Stalinismus bis zur Perestrojka. Die Aufnahme, die im Original Lenin und Trotzki vor sowjetischen Truppen in Moskau zeigte, wurde massiven Geschichtsfälschungen unter-zogen, an denen sich prototypisch die Intentionen, Mechanismen und politischen Strukturen der sowjetischen Bild- und Medienzensur seit den 1930er-Jahren rekonstruieren lassen. Die UdSSR gab sich ein neues ideologisches wie visuelles Design, das den Staat im In- und Ausland als Erfolgsmodell darstellen sollte. Dieses Design erforderte nicht nur eine nachträgliche „Optimierung“ der Vergangenheit; in ihm manifestierten sich zugleich stalinistische Visualisierungsstrategien, mit denen Staat und Partei politische Sichtbarkeiten zu kontrollieren versuchten. Trotz des enormen Aufwands war dieser Versuch indes nur teilweise erfolgreich: Es erwies sich letztlich als unmöglich, die Unperson Trotzki flächendeckend aus dem kulturellen Gedächtnis zu eliminieren.
Fritz Bauer und das Radio
(2019)
»Bauer ging nicht gerne in die Öffentlichkeit«, meinte Detlev Claussen rückblickend. Claussen, in den späten 1960er-Jahren Student in Frankfurt am Main, fügte seiner Charakterisierung des hessischen Generalstaatsanwalts jedoch sofort hinzu: »[…] aber die Verfolgung seiner Pflichten nötigte ihn dazu, öffentlich über die von ihm angeregten spektakulären Prozesse zu sprechen und in Hörfunk und Fernsehen, mit Aufsätzen und Vorträgen für eine Reformierung des Strafrechts zu kämpfen.« Der Soziologe Claussen ging noch weiter und urteilte: »Fritz Bauer musste contre coeur aus dem schützenden Schatten der Privatheit eines entre nous heraustreten, um seinen Auftrag zu erfüllen, nämlich Licht auf das Fortleben der Mörder unter uns zu werfen.« Die biographische Forschung unterstreicht das öffentliche Wirken des Juristen mittlerweile durch vielfältige Publikationen. Zu den Editionen von Vorträgen und kleineren Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften gesellen sich seit 2014 die Ausgaben der »Gespräche, Interviews und Reden« aus den Fernseharchiven und seit 2017 ein Hörbuch mit Tondokumenten unter dem Titel »Fritz Bauer. Sein Leben. Sein Denken. Sein Wirken«.
The Language of Eichmann in Jerusalem. Nazi German and Other Forms of German in the 1961 Trial
(2024)
The Eichmann trial granted the German language a degree of audibility unprecedented in the short history of the State of Israel, with the defendant, the judges, prosecutors, and witnesses frequently resorting to speaking in German. Drawing on archival materials, protocols, footage, and press reports, this article shows how the Eichmann trial brought to the surface several historical tensions around the postwar status of the German language. The various forms of German heard in the courtroom challenged notions of German as a Nazi language and contributed to a gradual mitigation of its status as a tainted language. The article concludes by reassessing Hannah Arendt’s 1963 Eichmann in Jerusalem and specifically her postulate that Eichmann’s language faithfully reflected his mindset. It is argued that Arendt’s understanding of Eichmann’s language echoed prewar ideas on German’s distinctive power.
Im Frühjahr 2007 veröffentlichte der „Spiegel“ eine Hommage an das „neue Berlin“. Die Titelstory über die „Wiederkehr einer Metropole“ – „Aufgebaut von den Preußen, geschändet von den Nazis, zerstört von den alliierten Bombern, meldet sich Berlin auf der Weltbühne zurück“ – nimmt ihren Ausgangspunkt am „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Zitiert wird aus der Besucherordnung, die ein Begehen im Schritttempo vorschreibt, die Lärmen, lautes Rufen und Rauchen verbietet und somit „eigentlich genau regelt, in welcher Gefühlslage hier in den Abgrund der deutschen Geschichte geschaut werden soll“. Doch die Jugendlichen, „die seit den ersten Frühlingstagen […] wieder das Denkmal bevölkern, denken nicht daran, hier nur Trauerarbeit zu leisten. Eine siebte Klasse aus Fürth, soeben noch ergriffen von den Dokumenten im Souterrain des Denkmals, spielte vergangenen Donnerstag inmitten des Stelenfeldes Fangen. Als sich zwei Schüler plötzlich in die Arme fielen, kreischten sie.“ Diese Szene wird zum Symbol für die neue „Leichtigkeit“, die Berlin im Umgang mit seiner traumatischen Vergangenheit erlangt habe: „Vielleicht gibt es ja im Leben jeder Stadt so etwas wie eine Relativitätstheorie. Jedes Ereignis, auch das finsterste, verblasst demnach mit der Zeit. […] Das neue Berlin ist mehr als nur ein Ort des Gedenkens und Trauerns – fröhlich, frech und manchmal mit dreister Leichtigkeit findet die Preußen-Hauptstadt zu einer neuen Identität.“
Mein Ziel in diesem Essay ist es, die lokale Perspektive zu nutzen, um über die Begriffe »Ostalgie« und »Nostalgie« hinauszugehen. Der genauere Blick auf lokale Räume und Praktiken bietet die Möglichkeit, Erinnerungen, die gemeinhin als Nostalgie qualifiziert werden, als Teil einer schon länger bestehenden örtlichen Erinnerungskultur zu verstehen. Wie das Beispiel des sächsischen Dorfes Neukirch zeigt – vor und nach 1989/90 –, war eine ambivalente Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes ein Mittel, um die Stärke der Gemeinschaft zu beschwören. Entgegen der in Wissenschaft und Öffentlichkeit präsenten Überzeugung erscheint Nostalgie hier nicht als eine Flucht in die Vergangenheit, sondern als ein aktives Auseinandersetzen mit der Geschichte und ihren Auswirkungen in der Gegenwart.
»Alternative Fakten«, »erinnerungskulturelle Wenden«, Konflikte um Museen und Gedenkstätten, historische Sehnsüchte und Ressentiments – es nimmt nicht Wunder, dass der Aufstieg des Populismus1 überall in Europa auch von der Geschichtswissenschaft als Herausforderung verstanden wird. Das gilt in besonderem Maße für Deutschland, wo die politische Ordnung so sehr mit einer spezifischen Geschichtserfahrung und Geschichtsdeutung verbunden ist. Seit den Mobilisierungserfolgen von »Pegida« ab 2014 und der »Alternative für Deutschland« (AfD) ab 2015 steht der liberale Basiskonsens mit seiner um selbstkritische Reflexion und historische Verantwortung modellierten Erinnerungspolitik öffentlich unter Druck wie selten zuvor.
Historische Ausstellungen und Museen haben in der Bundesrepublik seit mehr als drei Jahrzehnten Konjunktur. Seit den 1970er-Jahren häufen sich die Sonderausstellungen zu historischen Themen, und es gibt einen bisher ungebrochenen Museumsboom. Beobachten lässt sich nicht nur eine stetige quantitative Zunahme von und ein wachsendes öffentliches Interesse an historischen Ausstellungen; zugleich bildeten sich auch neue Ausstellungstypen und Präsentationsformen heraus. Schließlich wurden in den 1980er-Jahren die Forderungen nach der Errichtung eines zentralen historischen Museums immer lauter, bis dies zur Gründung von gleich zwei Geschichtsmuseen mit gesamtstaatlichem Anspruch führte (dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und dem Deutschen Historischen Museum in Berlin). Der Trend scheint ungebrochen. Nach der Eröffnung der neuen Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) im Frühjahr 2006, mit der eine fast 20-jährige Planung zum vorläufigen Abschluss kam und mit der erstmals der Versuch einer historischen Überblicksdarstellung von der Römerzeit am Rhein bis zum wiedervereinigten Deutschland unternommen wurde, steht als ein weiteres historisches Großmuseum der Neu- bzw. Umbau eines Militärhistorischen Museums in Dresden an. Dieses wird nicht nur mit den expressiven Bauformen des amerikanischen Architekten Daniel Libeskind auf sich aufmerksam machen, sondern auch mit einem anspruchsvollen inhaltlichen und gestalterischen Konzept.
Die Zeit des Nationalsozialismus, ihre Voraussetzungen und ihre Folgen besitzen noch immer eine große Brisanz. Das gewaltige Medienecho und der große Besucherandrang während der Ausstellung „Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) haben das bestätigt. Die Medien vermittelten teilweise den Eindruck, es handele sich dabei um die bundesweit erste Ausstellung über Adolf Hitler. Darum wurde die Ausstellung sehr bald – und nicht nur aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung – als „Hitler-Ausstellung“ bezeichnet. Die inhaltlich etwas irreführende Verkürzung ist ein Indiz der widrigen Faszinationskraft, die vor allem von der Person Hitlers weiterhin ausgeht.
Der »Weltkrieg« oder »Große Krieg« wurde von vielen Zeitgenossen als eines der ruhmreichsten, denkwürdigsten Ereignisse der Weltgeschichte und insbesondere der beteiligten Mächte aufgefasst. So standen auch von Anfang an gestalterische Konzepte zur Ehrung der Gefallenen als »Helden einer großen Zeit« mittels Kriegerdenkmälern, Totenhainen und Ehrenhallen zur Diskussion. Im Gegensatz zu dieser übergreifenden heroisierenden Deutung waren die Erinnerungserzählungen seit 1918 sehr heterogen. Modellhaft für die Bewahrung des Ersten Weltkriegs im »Funktionsgedächtnis« (Aleida Assmann) ist Großbritannien, wo beiden Weltkriegen eine ähnliche Relevanz zuerkannt wird. Der »Armistice Day« am 11. November repräsentiert seit 1920 kontinuierlich die öffentliche Erinnerung an das Ende des »Great War«. Zwei Schweigeminuten »at the 11th hour of the 11th day of the 11th month«, Gedenkveranstaltungen wie jene am »Tomb of the Unknown Warrior« in der Westminster Abbey oder auch historische Fernsehserien, in denen der »Große Krieg« regelmäßig vorkommt, sind Belege für seine Sichtbarkeit und mediale Verbreitung bis heute. Ein Beispiel für das Gegenmodell, in dem der Zweite Weltkrieg den Ersten weitgehend überschrieben hat, ist Österreich, wo nach 1945 dem Ersten Weltkrieg nur geringe Relevanz für aktuelle Identitätskonzepte und Erinnerungserzählungen beigemessen wurde. Zeichensetzungen im öffentlichen Raum beschränken sich (mit regionalen Ausnahmen wie Tirol) weitgehend auf einige Straßennamen und auf Kriegerdenkmäler, die für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs adaptiert wurden. Zwischen diesen Optionen – der Gleichrangigkeit beider Weltkriege oder der Dominanz des Zweiten Weltkriegs – lässt sich die Gedächtnislandschaft in den europäischen Ländern einordnen.
Einer der kühleren Sommertage im August. Durch eine kleine Passage erreiche ich Steibs Hof, wo früher mit Pelzen gehandelt wurde und heute das N’Ostalgie-Museum Leipzig seine Ausstellung zur »Alltagskultur der DDR« präsentiert. Am Eingangstresen, der zugleich als Bar des integrierten Cafés mit dem Namen »1:33« fungiert, begrüßt mich ein Mann: »Guten Tag. Wollen Sie Ihre Erinnerung auffrischen?« Noch bevor ich mein Ticket bezahlt habe, stellt er mir den »jungen Mann« vor, der all die hier präsentierten Objekte zusammengetragen habe. Das Porträt, auf das er weist, zeigt einen älteren Herrn in der Tür eines knallroten Wartburg 311. »In liebevoller Erinnerung« steht darüber, und unter der Fotografie: »Horst Häger. Geb. 24.11.1937, gest. 12.07.2011. Gründete 1999 das N’Ostalgie-Museum und hat über die Zeit bis 2011 alle ausgestellten Exponate zusammengetragen.« Wie ich erfahre, hat eine Enkelin Hägers das Museum 2016 aus Brandenburg an der Havel nach Leipzig überführt. Mit den Worten »Damit Sie wissen, wer Sie heute Abend ins Bett geleitet« überreicht mir der Mann an der Kasse meine Eintrittskarte, auf der das Sandmännchen abgebildet ist, und entlässt mich in die kleine Ausstellung. An diesem Vormittag bin ich die erste Besucherin, doch noch während ich die Objekte im Eingangsbereich betrachte, kommen weitere Gäste. Wie ich werden sie mit der Frage begrüßt, ob sie ihre Erinnerungen »auffrischen« wollen, was jeweils kurze Irritation auslöst. Fast rechtfertigend klingen die Antworten der beiden Paare: »Wir wollen gern das Museum besuchen« und »Wir würden uns gern umschauen«.
Seit dem von Ingrid Gilcher-Holtey 1998 herausgegebenen Sammelband, der das schillernde Ereignisbündel „1968“ erstmals systematisch historisierte, hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft diesem Thema eingehend zugewendet. Zehn Jahre später gibt der Publikationsschub zu dem neuerlichen runden Jahrestag Anlass zu einer Zwischenbilanz. Das auffälligste Ergebnis ist dabei die im Grunde banale Erkenntnis, dass auch die historiographische Perspektive weder „objektiv“ noch homogen ist, sondern von wechselnden, zum Teil konkurrierenden Konjunkturen nationaler und zunehmend auch internationaler Geschichtskulturen beeinflusst wird. Dass der Wissenschaftsanspruch mit der Involvierung der Akteure in die Konflikte der Gegenwartsgesellschaft strukturell kollidiert, gehört zu den Selbstverständlichkeiten zeithistorischer Forschung. Dies gilt nicht nur für ehemalige Akteure, deren Beteiligung häufig bekannt ist und in die Bewertung ihrer publizistischen Produktion einfließt. Auch der angebliche Objektivitätsvorsprung der so genannten „Nachgeborenen“ macht deren empathische Distanz nicht automatisch wett, sondern erweist sich erst in der diskursiv zu ermittelnden Überzeugungskraft des jeweiligen Produkts. Insofern ist die Kontroverse um die aktuellen Neuerscheinungen zu begrüßen, während die immer wieder repetierten Hinweise auf die generationelle Zugehörigkeit ihrer Autoren in den Nebel vager Evidenzen führen. Dass sich beim Thema „1968“ professionelle Intellektualität und autobiographische Motive stark vermischen, ändert daran nichts.
Am 8. Mai 2015 jährte sich die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und damit das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 70. Mal. Dieser Termin ist zugleich der 30. Jahrestag eines gedächtnispolitischen Schlüsselereignisses in der bundesrepublikanischen Geschichte, nämlich der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1920–2015) zum 40. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Deutschen Bundestag in Bonn. In Nachdrucken, Ton- und Filmaufnahmen bald millionenfach verbreitet und zumal an Schulen intensiv thematisiert, wurde sie anlässlich Weizsäckers Tod zu Beginn dieses Jahres noch einmal nachhaltig im öffentlichen Bewusstsein verankert: Von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« bis zum »neuen deutschland«, von der LINKEN bis zur CSU – kaum ein Nachruf verzichtete auf eine Würdigung der Rede, als deren normativer Kern seit jeher die Erklärung des im bundesrepublikanischen Gedächtnisdiskurs traditionell umstrittenen 8. Mai 1945 zum ›Tag der Befreiung‹, ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit einer anhaltenden Auseinandersetzung mit dem NS-Regime sowie des Gedenkens an dessen Opfer gelten.
„Unschuldige Menschen sollten nicht wegen der Nazi-Verbrecher ihr Leben geben müssen.“ Mit diesen knappen Worten begründet die Köchin Martha Wiroth aus der hessischen Wetterau ihre Hilfe für jüdische Nachbarn, denen sie Lebensmittel zusteckte oder sogar Zuflucht gewährte. Sie erzählte dies dem Politologen Manfred Wolfson, der in den 1960er-Jahren als Erster systematisch die Beweggründe von Deutschen untersuchte, die in der Zeit des Nationalsozialismus den Mut hatten, verfolgten Jüdinnen und Juden zu helfen. Wolfson, selbst Jude, war 1939 gemeinsam mit seinem Bruder dank der Hilfe einer jüdischen Hilfsorganisation aus Deutschland entkommen und in die USA geflohen. Nach dem Krieg führte er als „Chief Research Analyst“ unter anderem während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse Recherchen über das Herrschaftssystem der Nationalsozialisten durch. Später richtete sich sein wissenschaftliches Interesse nicht nur auf Täter und Mitläufer, sondern auch auf jene, die jüdischen Nachbarn halfen und sie vor dem Zugriff der Nazis schützten, um so die drohende Deportation in die Vernichtungslager zu verhindern. Im Rahmen eines Forschungsprojektes führte Wolfson, der sich in engem Austausch mit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno vom Frankfurter Institut für Sozialforschung befand, zwischen 1965 und 1967 Gespräche mit 70 Retterinnen und Rettern. Aufgrund unzureichender Forschungsbedingungen war es Wolfson leider nicht möglich, diese Studie und einen zusätzlich geplanten pädagogischen Teil zu vollenden.
Als im Frühjahr 1998 die Ergebnisse des zweiten Wettbewerbs zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas diskutiert wurden und man diese breite öffentliche Debatte sogar als das eigentliche Denkmal für die Opfer des Holocaust bezeichnete, betrat eine „Initiative Denkmal Deutsche Einheit“ die erinnerungspolitische Bühne. In ihrem öffentlichen Aufruf forderte sie die Schaffung eines „Freiheits- und Einheitsdenkmals“, dem die Losung „Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk!“ zugrundeliegen sollte. Das Denkmal sollte die friedliche Revolution in der DDR von 1989 würdigen und einen Ausdruck der Freude über die errungene nationale Einheit im Stadtbild der deutschen Hauptstadt darstellen. Der Kontrast zum jüngeren erinnerungspolitischen Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland war markant: Dem Tiefpunkt deutscher Geschichte im Völkermord an den europäischen Juden wurde ein Höhepunkt des Freiheitswillens der Deutschen und des Ringens um ihre nationale Einheit gegenübergestellt.
Von Bundeskanzler Adenauer in den 1950er-Jahren initiiert, vom Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen (VdH) in den 1960er-Jahren realisiert, stellt die „Friedland-Gedächtnisstätte“ eines der monumentalsten westdeutschen Denkmäler der Nachkriegszeit dar. Der Beitrag rekonstruiert ihre Geschichte, wobei zum einen nach Form und Inhalt des Denkmals gefragt, zum anderen ein besonderes Augenmerk auf den Kontext der Entstehung, auf beteiligte Akteure und auf Konflikte gerichtet wird, die sich zwischen den ersten Plänen im Jahr 1957 und der Einweihung im Jahr 1967 ergaben. Die Planung und Errichtung der „Friedland-Gedächtnisstätte“ fällt in eine Phase, in der sich der Umgang mit der NS-Zeit zu wandeln begann. Neben der bis dahin dominanten, auf Kriegsgefangenschaft, Flucht und Vertreibung, Bombenkrieg und Wiederaufbau fokussierten Erinnerung entstand eine kontroverser und (selbst)kritischer werdende öffentliche Bezugnahme auf die NS-Zeit.
Ein Museum lässt Migranten sprechen. Die Wege jüdischer Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland
(2011)
Die Ausstellung „Ausgerechnet Deutschland!“ dokumentierte die Geschichte von 20 Jahren jüdischer Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Gleichzeitig ging sie über ein rein historisches Projekt hinaus: Das Jüdische Museum Frankfurt hat gezeigt, dass eine museale Darstellung nicht nur dokumentieren, sondern auch lebendige Gegenwartskulturen zum Sprechen bringen kann.
Denkmäler haben wieder Konjunktur – nicht nur in der Kontroverse um Erinnerungs- und Ehrungszeichen im öffentlichen Raum, die einen kolonialgeschichtlichen oder rassistischen Hintergrund besitzen. In der letzten Zeit wurde zwar heftig darüber gestritten, ob derartige Denkmäler, die im Konflikt oder sogar Widerspruch zum heutigen Wertekonsens stehen, erhalten bleiben, kommentiert oder ergänzt werden, ins Museum wandern oder besser ganz verschwinden sollten. Neben der Debatte über die Entrümpelung der deutschen Denkmallandschaft werden aber auch Vorschläge für eine Neumöblierung des öffentlichen Gedenkraumes gemacht. Alternative oder zusätzliche Denkmäler werden ins Gespräch gebracht, initiiert und auch errichtet, die dem gesellschaftlichen Selbstverständnis der Gegenwart besser entsprechen, es genauer zum Ausdruck bringen und gleichzeitig mitprägen sollen. Dazu gehören nicht zuletzt Denkmäler, die an Migration und Zuwanderung erinnern.
Angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Bildern für die Erinnerung und insbesondere von Fotos für das »Erscheinungsbild« der jüngeren Geschichte ist es frappierend, dass das Bildgedächtnis zur Zwangsmigration der Deutschen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs und in seinem Gefolge bislang kaum Beachtung gefunden hat. Erst in den letzten Jahren haben einige Historikerinnen und Historiker auf diese wichtige Forschungslücke hingewiesen und versucht, sich den kollektiven Bilderwelten von Flucht und Vertreibung anzunähern. Bislang wurden dabei insbesondere zentrale Bildmotive von ikonischer Qualität eruiert – wie der Flüchtlingstreck und das Mutter-Kind-Motiv –, ihre politisierten Entstehungskontexte untersucht und ihr strategischer Gebrauch in der Vertreibungserinnerung bestimmt.
Der Text markiert eine Zeitenwende. Mit ihm wurde der gängigen Rede von der „Vergangenheitsbewältigung“, die den politischen und moralischen Diskurs der Nachkriegsrepublik als Cantus firmus begleitete, ein kritisches Konzept entgegengesetzt. Adornos Leistung war es, mit diesem Aufsatz die Unangemessenheit des „Bewältigungs-Diskurses“ aufzuzeigen und ein alternatives Programm der Aufklärung über die NS-Zeit zu etablieren. In seiner Urform war „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ ein im Herbst 1959 vor dem Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gehaltener, im November des Jahres publizierter Vortrag. Seine subkutane Wirkung war immens, nicht zuletzt aufgrund einer historischen Koinzidenz: Kurz nach der Veröffentlichung schändeten Rechtsradikale die gerade neu eingeweihte Kölner Synagoge – ein Akt, der die von Adorno analysierte Persistenz des nazistischen Syndroms in das Bewusstsein der Öffentlichkeit hob. Dass es sich bei der Gewalttat aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Aktion der Stasi handelte, gibt uns heute Anlass – ähnlich wie im Fall Kurras –, neu über das manchmal verwirrende Zusammenspiel ostdeutscher Delegitimierungsstrategien der Bundesrepublik mit den Aktivitäten der westdeutschen intellektuellen Opposition gegen den Adenauerstaat nachzudenken.
Zur Durchsetzung einer Apologie. Hermann Lübbes Vortrag zum 50. Jahrestag des 30. Januar 1933
(2013)
Soll nun schon an das Jubiläum von Vorträgen erinnert werden, ließe sich fragen. In diesem Fall durchaus, denn gerade der Vortrag des Philosophen und Politikwissenschaftlers Hermann Lübbe anlässlich des 50. Jahrestags der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, den er am 15. Januar 1983 im Berliner Reichstagsgebäude hielt, hat in der zeitgeschichtlichen Zunft eine ganz ungewöhnliche Karriere aufzuweisen. Hier, so der weit verbreitete Eindruck, hatte es ein kühl und nüchtern argumentierender konservativer Intellektueller den linken Moralisierern, die den angeblich defizitären Umgang mit der NS-Vergangenheit zur Diskreditierung der bundesdeutschen Gesellschaft funktionalisierten, einmal so richtig gegeben. Der thesenförmige Vortrag, sehr bald und an verschiedenen Orten veröffentlicht, gilt mitunter geradezu als kanonischer Text.
Destination Vergangenheit. David Lowenthals Panorama geschichtskultureller Aneignungen (1985/2015)
(2021)
»The Past is a Foreign Country« ist ein Zentralmassiv der Heritage Studies, der Cultural and Historical Geography und der Public History. Das 1985 erschienene Buch nimmt populäre Zugänge und Formen der Bewahrung und Repräsentation der Vergangenheit in den Blick; dabei spannt es den Bogen von der Gegenwart bis zurück in die Renaissance. Lowenthal zitiert mit seinem Titel den britischen Schriftsteller Leslie Poles (L.P.) Hartley (1895–1972), der seinen Roman »The Go-Between« (1953) mit den Worten begann: »The past is a foreign country; they do things differently there.« Schon die Umschlagbilder legen eine Reise in ferne Vergangenheiten nahe und wecken zugleich den mit dem (Geschichts-)Tourismus verbundenen Exotismus, der aus dem Fremden ebenso wie aus dem Vergangenen das unberührt-unverfälscht Natürliche und Authentische macht. Die Destinationen, die Lowenthal bei seiner Reise in vergangene Geschichtskulturen aufsuchte, lagen vor allem im Vereinigten Königreich, in Nordamerika und im westlichen Europa. Das Buch durchzieht die These, dass alle populären Versuche, die Vergangenheit möglichst authentisch zu bewahren, zu rekonstruieren, darzustellen oder wahrzunehmen, auf die eine oder andere Weise zum Scheitern verurteilt sind, dass sich aber gerade aus der Formbarkeit der Vergangenheit ihre identitätsbildende Kraft erschließt.
Erinnerung ist die Pathosformel unserer Zeit. Sie ist eine der wichtigsten Orientierungsmarken für die kulturelle Selbstverständigung in der westlichen Welt der Gegenwart, gleichviel, ob es um den Umgang mit der Vergangenheit des 20. Jahrhunderts geht oder um das Modell eines künftigen Europa. Parteiprogramme und Koalitionsverträge kommen nicht mehr ohne geschichtspolitische Bekenntnisse aus; Gedenkstättenkonzeptionen sind ein wichtiger Aspekt politischen Handelns geworden; städtebauliche Grundsatzplanungen kreisen um die Aneignung der ‚historischen Mitte‘, und noch die öffentliche Diskussion über den Umbau der Berliner Staatsoper vollzog sich 2008 in der ungleichen Auseinandersetzung zwischen Klang und Aura, bei der die historisierende Gestalt eines Baues von 1953 wie selbstverständlich den Sieg über die künstlerische Funktionalität und architektonische Modernität eines Alternativentwurfs davontrug. Ungeachtet aller mit ungebrochener Selbstverständlichkeit erwarteten Fortschritte in den Natur- und Lebenswissenschaften: In der sinnweltlichen Grundorientierung hat die Vergangenheitsvergewisserung des 21. Jahrhunderts die Zukunftsgewissheit des 20. Jahrhunderts in erstaunlichem Maße abgelöst, wie Hermann Lübbe in kulturkritischer Perspektive schon vor 25 Jahren diagnostizierte, als er die Kombination von „Traditionsgeltungsschwund“ und „Zukunftsgewißheitsschwund“ zur Ursache „kompensatorischer Konservierungsakte“ erklärte.
Die (west)deutsche Geschichtsdidaktik hat in den letzten drei Jahrzehnten eine erstaunliche Entwicklung genommen. Fast 100 Jahre in das Gehäuse einer bloßen Methodenkunde der historischen Wissensvermittlung gesperrt, hat sie die Überwindung der Geschichtskrise der 1970er-Jahre genutzt, um sich nachgerade als eine historische Metawissenschaft neu zu begründen. Karl-Ernst Jeismanns programmatische Erklärung auf dem Historikertag 1976, das Interesse der Geschichtsdidaktik gelte „dem ständigen Um- und Aufbau historischer Vorstellungen, der stets sich erneuernden und wachsenden Rekonstruktion des Wissens von der Vergangenheit“, hat eine Neuorientierung ermöglicht, die von der Pragmatik der historischen Wissensvermittlung zu den Normen der historischen Wissensgeltung im Spannungsfeld von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vorstieß. Der Geschichtsunterricht wurde dabei nur mehr „als ein geschichtsdidaktisches Aufgabenfeld unter vielen [...], damit auch als ein Forschungsfeld unter vielen“ betrachtet. Besonders durch die Systematisierung der „Geschichtskultur“ als weiterer Zentralkategorie, deren Über- oder Unterordnungsverhältnis zum Terminus „Geschichtsbewusstsein“ unter Didaktikern selbst umstritten ist, trat die Geschichtsdidaktik aus dem schulischen Klassenzimmer heraus, um sich den übergreifenden Mechanismen der Vergangenheitsvergegenwärtigung in der Gegenwart zu widmen.
Neuzeitliche Kunstwörter entbehren häufig der Anschaulichkeit und semantischen Eindeutigkeit. Was genau unter gegenwartsbezogenen Kreuz- und Kofferwörtern wie »Bionik«, »Glokalisierung« oder »Stagflation« zu verstehen ist, bleibt im allgemeinen Sprachgebrauch diffus, und nicht anders ergeht es fachsprachlichen Neologismen wie »Demokratur« oder »autolitär« in der Zeitgeschichte. Diese Feststellung gilt in noch höherem Maße für Wortschöpfungen an der Schwelle zur Moderne, die erst nach Auswanderung aus ihrem Fachkontext sprachliche Popularität gewannen, während ihre Ursprungsverwendung sich wieder verlor: Mit Monomanie, Neurasthenie und auch Nostalgie werden in der Medizin pathologische Phänomene im Grenzbereich von Gesundheit und Krankheit bezeichnet, die erst durch die Sprachschöpfung als Krankheit konstituiert wurden und heute als »vergängliche Krankheitskonzepte« gelten, stattdessen aber zeitweilig oder dauerhaft Eingang in die Alltagssprache fanden.
Der Nationalsozialismus bzw. der Faschismus sowie der Zweite Weltkrieg sind in den Öffentlichkeiten und Geschichtsschreibungen vieler europäischer Länder zentrale Themen. Aber nicht nur die Ereignisse selbst, sondern auch die Erinnerung an sie und die Geschichtspolitik werden seit etwa 20 Jahren intensiv erforscht. Der Aufsatz stellt die Hauptströmungen der Gedächtnisgeschichte dar und fragt nach dem Verhältnis nationalgeschichtlicher und europäischer Perspektiven. Zweitens wird zu erklären versucht, warum gerade die Erinnerung an den Holocaust in Europa so breiten Raum einnimmt. In einem Ausblick zu Gedenktagen wird das Dilemma der „Europäisierung der Erinnerung“ verdeutlicht, das sich heute zwischen rein künstlichen Konstruktionen eines gemeinsamen Gedächtnisses einerseits und der negativen Fixierung auf den Holocaust andererseits auftut.
Laughing at the Dictator. Franco and Franco’s Spain in the Spanish Blockbuster „Mortadelo y Filemón“
(2004)
The Spanish motion picture “La Gran Aventura de Mortadelo y Filemón” (2003) is not a historical film, no matter what definition of ‘historical film’ one might use. Instead, “Mortadelo y Filemón” (M&F) is the cinematic adaptation of the most successful Spanish comic book series ever published2 its significance to Spanish popular culture reflected by the spectacular box office records achieved by its cinematic counterpart. Moreover, and in contrast to the things we usually understand as ‘historical film’ - as well to the conventions of cinematic realism -, M&F is a cartoon-like histrionic comedy like no other; characters get smashed to the ground by a falling piano, only to later be “inflated” back to life, much in the style of the Warner Brothers’ „Loony Toons.“
Für Alexander Kluge gibt es keine abgeschlossenen Werke: „Bücher halten nicht still. Sie sind auch nie ‚beendet‘“. So ist es auch im Fall der „Schlachtbeschreibung“ nicht bei der Erstausgabe von 1964 geblieben. Kluge versteht seine Bücher als „work in progress“, als „Baustellen“ und als Produkte einer Sammlertätigkeit, die nicht beendet werden kann. Ein Buch wie die „Schlachtbeschreibung“ ist in diesem Sinne lediglich ein kleiner Teil eines stetig wachsenden und sich immer wieder aufs Neue verändernden multimedialen Netzwerks, das nicht nur literarische Texte umfasst, sondern auch philosophische Arbeiten, Kinofilme und Fernsehmagazine. Bis heute sind nicht weniger als sieben zum Teil sehr stark voneinander abweichende – gekürzte, erweiterte, neu arrangierte und um Abbildungen ergänzte – Ausgaben des Stalingrad-Buchs erschienen. Die vorerst letzte (gedruckte) Überarbeitung stammt aus dem Jahr 2000, als Kluge sein erzählerisches Gesamtwerk, ergänzt durch neu entstandene Texte, unter dem Titel „Chronik der Gefühle“ in einer umfangreichen zweibändigen Ausgabe versammelte. Darin findet sich die „Schlachtbeschreibung“ – als ein Kapitel unter vielen – in einen neuen Zusammenhang gestellt.
Der Beitrag untersucht die Genese des Weltkultur- und Naturerbes der UNESCO im breiteren Kontext der Auseinandersetzungen um eine Neujustierung der internationalen Ordnung in den 1960er- und 1970er-Jahren. Die politischen Debatten um die Definition und Auswahl eines „Erbes der Menschheit“ dienen als analytische Sonde, um Veränderungen im Verhältnis von Partikularismus und Universalismus auszuloten. Anhand exemplarischer Konfliktfälle wird gezeigt, dass sich das Kultur- und Naturverständnis zwischen 1950 und 1980 gravierend veränderte, so dass zwei konkurrierende Rationalitäten in das Welterbeprogramm eingingen. Zudem werden die Erwartungen analysiert, die sich an die neue Governance-Institution und ihren weltweiten Anspruch richteten. Aus beiden Aspekten lässt sich die ungleiche regionale Verteilung der Welterbestätten und das bis heute unausgewogene Verhältnis von Kultur- und Naturerbestätten erklären. Der Aufsatz leistet damit auch einen Beitrag zur Historischen Semantik der Begriffe „Kultur“, „Natur“ und „Erbe“ im 20. Jahrhundert.
»Man erinnert sich nicht, sondern man schreibt das Gedächtnis um, wie man die Geschichte umschreibt. Wie sollte man sich an den Durst erinnern?«, fragt sich der Schriftsteller, Fotograf und Regisseur Chris Marker (1921–2012) in seinem Filmessay »Sans Soleil« (1983). Damit weist er auf die Kluft zwischen Erfahrung und Erinnerung hin, die stets das Ergebnis reflexiver Prozesse ist. Er deutet des Weiteren einen Aspekt an, der für Historiker*innen von beträchtlicher Relevanz ist: den konstruktiven Charakter des Selbstzeugnisses. Nicht erst die historische Erzählung, sondern schon das Elementarteilchen der Geschichtsschreibung, das (Selbst-)Zeugnis, ist seit jeher das Ergebnis eines kontinuierlichen Prozesses der Neu- bzw. Umschreibung. Denn auf der einen Seite unterliegen Zeugnisse selektiven Wahrnehmungs- und Gedächtnismechanismen, auf der anderen ändern sie sich im Laufe der Zeit durch die Interaktion mit neu eingetretenen Erfahrungen und kollektiven Anstößen. Die negative Kehrseite dieser Verformbarkeit kommt bei der Manipulation und Instrumentalisierung von Zeugen durch Politik und Medien ans Licht, worüber Historiker*innen in den letzten Jahrzehnten intensiv reflektiert haben. Jedes (Selbst-)Zeugnis muss daher als eine Momentaufnahme in einem Prozess der Erinnerungsverarbeitung angesehen und entsprechend kritisch im Kontext seiner Entstehung und späteren Rezeption analysiert werden. Ohne Zeugnisse damit dem Bereich des Fiktiven zuzuordnen, bezweckt diese kritische Auseinandersetzung, ihnen die Qualität der Reinheit, Ursprünglichkeit und Beständigkeit, der Unmittelbarkeit des Zugangs zur Vergangenheit und der Individualität abzusprechen und sie in den Horizont sinnbildender Prozesse zurückzuführen.
Geschichtsdidaktik als „Wissenschaft vom historischen Lehren und Lernen“ oder als Wissenschaft, die sich die Erforschung des „Geschichtsbewusstseins in der Gesellschaft“ zum Ziel gesetzt hat: Schon diese beiden Definitionen zeigen, dass die Geschichtsdidaktik zwei zentrale, sich gegenseitig bedingende Gegenstandsfelder besitzt, die für eine Betrachtung des Verhältnisses zur Zeitgeschichte1 von zentraler Bedeutung sind: Klassisches Gebiet einer Fachdidaktik und damit auch der Geschichtsdidaktik sind die schulischen Lehr- und Lernprozesse im jeweiligen Fach, in diesem Fall also im Geschichtsunterricht bzw. in relevanten Nachbarfächern. Daneben hat sich die Geschichtsdidaktik seit den 1970er-Jahren aber noch ein zweites Standbein erarbeitet, nämlich die Erforschung der Erscheinungsformen und Funktionen des Geschichtsbewusstseins, heute meist „Geschichtskultur“ genannt - sowohl im Hinblick auf seine gegenwärtige Praxis als auch in historischer Perspektive.
Die westdeutsche Geschichtsdidaktik ist seit ihrer Konstituierung eine akademische und daher theorieorientierte Teildisziplin der Geschichtswissenschaft. Ihre Initialzündung lag Anfang der 1970er-Jahre in der Kritik an dem überkommenen Historismus, der Forderung nach einem Perspektivwechsel und nach mehr Theoriebildung. Mit dem durch die Historische Sozialwissenschaft produzierten Wissen konnten neue Ansprüche auf die Orientierung der Lebenspraxis in der Öffentlichkeit erhoben werden. Forciert wurde eine Geschichtsdidaktik, die diesen Anspruch in neue Strategien des Lehrens und Lernens umsetzte. In den 1980er-Jahren wurden die Makroaggregate der Gesellschaftsgeschichte durch die Betonung subjektiv erfahrener Geschichte ergänzt. Doch auch die Geschichtsdidaktiker kritisierten die aufkommende Laienbewegung aufgrund ihrer Theorieferne und unkritischen Identifikationen mit den zu untersuchenden Objekten als „Barfußhistoriker“. Das war ganz im Sinne einer Disziplin, deren Vertreter sich als Historiker verstanden und keineswegs auch nur in die Nähe von Pädagogen geraten wollten. Mit der neuen Geschichtsdidaktik sollte die ältere Geschichtsmethodik überwunden und in enger Anlehnung an Geschichtstheorie und Fachwissenschaft ein theoretisches Instrumentarium zur Reflexion von Vermittlungsprozessen auch außerhalb der Schule geschaffen werden. Karl-Ernst Jeismann und Jörn Rüsen führten zwei geschichtsdidaktische Fundamentalkategorien ein, das „Geschichtsbewusstsein“ und die „Geschichtskultur“, die aus dem Theoriebestand der Geschichtswissenschaft inzwischen nicht mehr wegzudenken sind.
Mitten in der Stadt, direkt neben dem Viktualienmarkt, eröffnete im Frühjahr 2007 das Jüdische Museum München. Integriert in ein Ensemble aus der neuen Hauptsynagoge, dem jüdischen Gemeindezentrum und dem Stadtmuseum, soll es nicht nur ein Ort von Geschichte und Erinnerung sein, sondern ein Ort der Gegenwart, Kommunikationsraum und Haus der Begegnung. Jüdisches Leben in den verschiedensten Facetten in Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen - das ist Konzept und Ziel des neuen Museums.
Im Jahr 2012 kam der Film »Fetih 1453« in die türkischen Kinos. Das Heldenepos um den 18-jährigen Sultan Mehmed II., dessen Truppen die oströmische Hauptstadt einnahmen, war unter Einsatz neuester Computertechnik, Animationen und vielerlei Effekten hergestellt worden. Der Kinostart in Istanbul war – damit die geschichtsträchtige Symbolik sich auch jedem Türken deutlich erschließe – um 14.53 Uhr. Der Film entwickelte sich rasch zum Kassenschlager. Er war nicht nur der teuerste in der Türkei jemals gedrehte Film – seine Produktionskosten beliefen sich auf 17 Mio. US-Dollar –, sondern zog auch die meisten Besucher an.
Mit keinem anderen Bild verbindet sich der Schrecken des Vietnamkrieges und der Schrecken des Krieges im Allgemeinen so sehr wie mit dem Foto des Mädchens Kim Phúc. Die Aufnahme machte der vietnamesische Fotograf Nick Ut am 8. Juni 1972 in der Nähe des Dorfes Trang Bang. Sein vielfach ausgezeichnetes Bild wurde zu einer zentralen Ikone des 20. Jahrhunderts. Als solche führt sie im kollektiven Gedächtnis mittlerweile ein eigenes Leben und konstituiert eine Wirklichkeit, die mit der ursprünglich abgebildeten nur noch wenig gemein hat. Immer wieder ist das Bild politisch, kommerziell und religiös funktionalisiert und in neue Kontexte gestellt worden. Der Aufsatz rekonstruiert die politischen und medialen Zusammenhänge, in denen das Bild entstand. Zugleich verfolgt er den jedem großen Krieg nachfolgenden Prozess der Überzeichnung und Überschreibung der ursprünglichen Bilder sowie der mit wachsendem Zeitabstand zunehmenden Legenden- und Mythenbildung.
Der Aufsatz skizziert die Geschichte und die Veränderungen eines der bedeutendsten Porträts der Zeitgeschichte: des Mao-Porträts auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) in Peking. Er spannt den Bogen von 1949 bis in die Gegenwart und untersucht dabei die unterschiedlichen Funktionen und Gebrauchsweisen des Bildes als Herrschaftssymbol, als Ikone der studentischen Protestbewegungen des Westens und der Pop Art um 1968, als kollektivem Protestobjekt im Frühjahr 1989, als Motiv der chinesischen Gegenwartskunst sowie als Bestandteil des Alltagskults. Ein besonderer Akzent wird dabei auf die immanenten Wirkungspotenziale des Bildes und den Ort seiner Präsentation gelegt. In allgemeinerer Perspektive versteht sich der Aufsatz als Plädoyer für eine Visual History von Herrscherbildern der Zeitgeschichte.
Viele amerikanische Präsidenten haben ihre Amtszeit unter ein prägnantes Motto gesetzt. John F. Kennedys Leitmotiv, die „New Frontier“, hat sich tief in das amerikanische Gedächtnis eingegraben. Es wurde zum Schlüsselbegriff für die Ziele seiner nur rund 1.000 Tage währenden Präsidentschaft; für jene Zeit, die in den Augen vieler Zeitgenossen das Ende der langen Nachkriegsjahre verkörperte. Mit jugendlichem Elan und Charisma sowie einem informell-charmanten, medienwirksamen Politikstil stand „JFK“ für ein neues Amerika. Bei der „New Frontier“ ging es somit weniger um neue Grenzen als um das grenzenlos Neue im Rahmen einer imperialen Präsidentschaft.
„Lach über alles und vergiss es.“ Dieses Motto stellte der Holländer Aart M. an den Beginn eines Fotoalbums, das seine bildlichen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den Einsatz als Zwangsarbeiter in Berlin festhält. Es zeigt die Widersprüchlichkeit privater Fotoalben: Werden die Bilder aufbewahrt, um zu erinnern oder zu vergessen? Hilft ein solches Album dem Besitzer dabei, über die Erfahrungen der Zwangsarbeit zu lachen? Und wie kann die Geschichtswissenschaft die oft so ‚fröhlich‘ wirkenden Fotoalben als historische Quellen interpretieren?
Seit einigen Jahren lässt sich in der Historiographie ein gesteigertes Interesse an der Geschichte von Luft- und Raumfahrt beobachten, das sich auch in Museumsaktivitäten und Ausstellungsprojekten niederschlägt. Zugleich erlebt die Beschäftigung mit dem Thema „Imperium“ einen Aufschwung, insbesondere das Interesse an den USA als imperialer Macht. Die folgende Besprechung der Dauerausstellung des National Air and Space Museum (NASM) bringt beide Untersuchungsfelder zusammen und legt die Untersuchungskategorie „Imperium“ an die Musealisierung von Luft- und Raumfahrt an. Dabei werden zunächst die Sammelschwerpunkte des Museums sowie die Charakteristika der Präsentation betrachtet; in einem zweiten Schritt werden verschiedene Themenfelder der Ausstellung diskutiert, bevor abschließend die Bedeutung des NASM als imperial museum ausgelotet wird, in dem sich der amerikanische Aufstieg zur Weltmacht widerspiegelt.
What have been the contributions of social memory studies to the discourse of German history, particularly about the Nazi past? This essay seeks to distinguish between the memory boom in politics and culture and the more durable insights of social theory and historiography about memory, including insights about this memory boom itself. In particular, it explores mythologies of ‘turning points’ in the discourse of memory, arguing that the attribution of such turning points is often overstated. To be sure, 1989 did mark significant ruptures. But comparing present debates to the Historikerstreit (historians’ dispute) of the mid-1980s, and the Historikerstreit to earlier debates shows that as much has stayed the same as has changed. We remember not just the Nazi past, but the previous ways in which we have remembered the Nazi past, and our mnemonic practices are as much comments on earlier practices as on the event itself.
Die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten sowie aus Ostmittel- und Osteuropa ist seit den 1990er-Jahren wieder zu einem bedeutenden Thema der breiteren Öffentlichkeit geworden. Dies zeigen verschiedene Publikationen, Fernsehfilme und nicht zuletzt die Debatte um ein „Zentrum gegen Vertreibungen“. Die Hinwendung der Öffentlichkeit zu diesem Thema war von einem Perspektivwechsel in der Geschichtswissenschaft begleitet. Auch hier fand und findet das Thema ein verstärktes Interesse, das sich in zahlreichen Tagungen und oftmals vergleichenden fachwissenschaftlichen Publikationen niederschlägt.