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Fotografien sind in ihrer Bildaussage nicht eindeutig. Sie geben nicht „die Realität“ wieder, sondern einen Augenblick, fotografiert aus einer ganz bestimmten Perspektive, mit einer ganz bestimmten Intention. Wir sollten uns Fotografien systematisch nähern, um diese Perspektiven zu erkennen, um den historischen Kontext und den persönlichen Hintergrund des Fotografen/der Fotografin zu verstehen. Dabei hilft es, sich zwei Fragen zu stellen: „Was sehen wir?“ und „Was sehen wir nicht?“
Mich erreichen in diesen Tagen dramatische Nachrichten aus der Ukraine. Als Historikerin, die seit vielen Jahren über die Geschichte des deutschen Vernichtungskriegs in der Ukraine forscht, bin ich erschüttert mitzuerleben, wie Putins menschenverachtender Krieg mit seiner ganzen Brutalität in den Alltag der Menschen in der Ukraine eingebrochen ist.
Jetzt ist die Rede von einer Zeitenwende. Wie schon 2014 bei der Annexion der Krim und der Entzündung eines Stellvertreterkriegs im Donbass. Trotzdem sind die damaligen Ereignisse in der europäischen Öffentlichkeit schnell wieder in Vergessenheit geraten, genauso wie der Krieg in Georgien 2008. Im Rückblick wächst die Einsicht, dass wir in Deutschland und Europa durch jahrelange Fehleinschätzungen und zögerliches Handeln eine Mitschuld daran tragen, dass Putin die „rote Linie“ immer weiter nach vorne geschoben hat.
Wie aus einer anderen Ära wirken meine Aufzeichnungen und Fotos von Reisen nach Russland und Zentralasien, die ich in diesen Tagen durchgehe. Sie erinnern mich etwa an eine Konferenz der Central Eurasian Studies Society im Sommer 2016. In Kazan trafen sich im Sommer 2016 Wissenschafter:innen und Aktivist:innen aus der Russischen Föderation, Tadschikistan, Kirgistan, Usbekistan, Kasachstan, Polen und Tschechien, aus dem Iran, Indien, den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Italien. Wir Teilnehmer:innen wurden das Gefühl nicht los, dass unsere Gespräche in englischer Sprache vor Ort kaum wahrgenommen wurden. Auch damals schon durchzog der Krieg in der Ukraine die Diskussionen. Es fühlte sich falsch an, diese Konferenz in einem Staat durchzuführen, der seit zwei Jahren einen Teil des Nachbarlandes besetzt hatte. Welches war also unsere Rolle als Wissenschaftler:innen in diesem Staat, in dem muslimische Migrant:innen aus Zentralasien wie Angehörige einer niederen Kaste behandelt wurden, dessen Einwohner:innen sich angesichts der Besetzung der Krim von einem neuen Hurrapatriotismus hatten mitreißen lassen und in dem kürzlich ein Politiker wie Boris Nemcov, der sich offen gegen die Politik Putins gewandt hatte, ermordet worden war?
Dnipro oder Dnjepr? Über die Ortsnamen, die wir wählen, und die Folgen unserer Entscheidungen
(2024)
Die moderne westliche Welt bekennt sich bewusst zu Toleranz, zur Achtung lokaler Stimmen, zur Demonstration der Ideale der Gleichheit, auch auf sprachlicher Ebene. Wichtige Elemente dieses Prozesses sind das konsequente ‘Gendering‘, die Betonung der Tatsache, dass der gewählte Begriff die Gruppenidentität nicht verletzt und keine koloniale Optik reproduziert. Wie sieht die deutsche Terminologie in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Länder Osteuropas aus? In den folgenden Ausführungen geht es nicht um die Nationalisierung der Geschichte, sondern um die Gefahr von Doppelstandards bei der Wahl der Terminologie und die Bedeutung einer angemessenen Darstellung der historischen Vergangenheit und Gegenwart. Eine Darstellung, die allen historischen Akteuren Respekt zollt. Und die Komplexität der Geschichte Osteuropas vermitteln und nicht ausblenden will.
Neu in einer aktualisierten Version 2.0: Bewegungsorientierte Themen liegen im Trend. Unter dem Begriff Mobilitäten/mobilities untersuchen Forscher:innen die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Formen räumlicher Bewegung (von Alpintourismus bis Zwangsmigration) sowie zwischen Bewegung und Stillstand. Das Unterwegssein samt seinen Bedingungen und Folgen avanciert zum eigenständigen historischen Forschungsgegenstand. Der Beitrag stellt Mobilitätsgeschichte als heterogenen Querschnittsbereich vor. Dieser erfasst mehrere Forschungsfelder wie die Verkehrs-, Umwelt-, Migrations-, Tourismus- und Globalgeschichte. Im Beitrag werden theoretisch-methodische Überlegungen aus den interdisziplinären Mobility Studies rekapituliert und Schlaglichter auf aktuelle Forschungsthemen, Potenziale und Grenzen der Mobilitätsgeschichte geworfen.
Historische Erzählungen und Kunstwerke von und über LSBTIQ*s sind in deutschen Museen immer noch unterrepräsentiert. Sind sie doch vorhanden, ist die Darstellung oft einseitig. Wahrlich queere Zugänge zu Ausstellungen und musealen Sammlungen sind noch rarer gesät. Wo das Problem liegt und wie geglückte Versuche aussehen können, davon erzählt dieser Essay.
Methoden queeren Forschens
(2023)
Queere Methoden – der Begriff ist ebenso unklar wie widersprüchlich. Wie kann so etwas wie Methoden, die für Ordnung und Übersichtlichkeit stehen, mit queer in Verbindung gebracht werden, also mit den damit verbundenen flüchtigen, widerspenstigen Praktiken und Subjektpositionen oder gar mit einem Theoriekorpus, der alle normativen Setzungen zu unterlaufen verspricht? Zunächst ließe sich vermuten, dass queeres Forschen sich mit queeren Themen, Lebensweisen und Selbstverständnissen beschäftigt – so wie sich die historische Forschung mit der Vergangenheit auseinandersetzt. Warum sollten dazu andere als die etablierten Methoden des archivalischen, historischen oder ethnographischen Forschens notwendig sein? So einfach liegen die Dinge jedoch nicht. Genauso wenig wie die Geschichtswissenschaft schlicht Vergangenes erzählt, beschreibt queere Forschung lediglich queere Lebensweisen. Schon lange ist queer nicht mehr nur ein Adjektiv, das im Sinne von LSBTIA* ein Feld von Subjektpositionen bezeichnet. Häufig wird queeren auch als Verb gebraucht, das ein aktives Tun meint – zum Beispiel im Umgang mit Methoden und dem Forschen selbst. Es geht also darum, die Art und Weise zu queeren, wie sich Forscher*innen den Feldern ihres Interesses nähern und ihre Themen erkunden.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Benno Gammerl bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2022/23 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Christoph Kalter bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2022/23 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Oral History
(2023)
Seit gut vierzig Jahren bereichert die Oral History die geschichtstheoretischen und methodischen Debatten der deutschsprachigen Zeitgeschichte. Zwar ist die anfängliche Skepsis gegenüber der Oral History längst einer breiten Akzeptanz und (teils unreflektierten) Anwendung gewichen. Doch was diese Methode und Forschungsperspektive genau ist und welchen historiografischen (Quellen-)Wert sie hat, ist noch nicht abschließend geklärt. Unser Beitrag zu dieser Diskussion fragt danach, welche Entwicklung die Oral History genommen hat, welche internationalen und -disziplinären Einflüsse bedeutsam sind, welche theoretischen und praktischen Konzepte ihr zugrunde liegen und was ihre Zukunft prägt.
Armut
(2023)
Allgemein betrachtet, beschreibt Armut einen Zustand am unteren Ende einer sozialen Hierarchie, der sich mit eingeschränkten Ressourcen sowie verminderten Mobilitäts- und Lebenschancen verbindet. In diesem Beitrag wird zunächst ein Überblick über gebräuchliche definitorische Annäherungen gegeben, ehe die bisherigen Schwerpunkte (zeit-)historischer Beschäftigung nachgezeichnet werden. Hiervon ausgehend, werden Perspektiven und Desiderate der gegenwärtigen geschichtswissenschaftlichen Armutsforschung erörtert, und zwar unter Berücksichtigung der methodisch-konzeptionellen wie heuristisch-quellenkritischen Herausforderungen und Chancen, die sich mit einer Zeitgeschichte der Armut verbinden.
Fürsorgediktatur
(2023)
Neu in einer aktualisierten Version 2.0: In seinem Artikel erörtert Konrad H. Jarausch den Neologismus „Fürsorgediktatur“, ein Spannungsbegriff, der den widersprüchlichen Charakter der DDR vor allem unter Honecker auf einen präzisen Nenner bringen sollte. Mit dem Gedanken entworfen, die festgefahrene Auseinandersetzung um die Geschichtspolitik anzustoßen und eine analytische Debatte zu beginnen, beschreibt Jarausch Kritiken und Interpretationsmöglichkeiten des Begriffs.
Geschichte der Zukunft
(2023)
Wie ändert sich unser Blick auf das 20. und 21. Jahrhundert, wenn wir sie durch die „Brille“ der Zukunft betrachten? Welchen Mehrwert an Erkenntnis liefert eine Geschichte der Zukunft? Der Beitrag skizziert die Forschungsgeschichte und Analysekategorien sowie die methodischen Ansätze und Erkenntnispotenziale einer Erschließung des vergangenen Künftigen. Der Fokus liegt auf der deutschen, europäischen und amerikanischen Zeitgeschichte im globalen Rahmen.
Queere Geschichtsschreibung steckt auch 2022 im deutschsprachigen Raum immer noch in den Anfängen. Die Erforschung lesbischer* Geschichte wurde sehr lange hauptsächlich von Aktivist*innen geleistet, die in politischen Projekten oder finanziert durch kleinere Aufträge nach Spuren lesbischen* Lebens suchten und Stimmen von Zeitzeug*innen aufzeichneten. In der universitären Welt ist lesbische* Geschichtsschreibung bisher allenfalls punktuell zu finden. Folgende Ausführungen zur Situation frauenliebender Frauen* in psychiatrischen Kliniken nach 1945 werden mehr Fragen als Forschungsbefunde enthalten, da sich unsere Forschungen noch in den Anfängen befinden.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Kim Christian Priemel bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Frank Trentmann bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Frank Rexroth bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Barbara Stollberg-Rilinger bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Christina Brauner bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Ute Daniel bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Caroline Arni bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Habbo Knoch bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Maren Möhring bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von David Kuchenbuch bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Tim Neu bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Ute Frevert bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Das Lebensthema des Religionsphilosophen, Kulturhistorikers und Politikers Ernst Troeltsch (1865-1923) war die „moderne Welt“. In den großen Neuordnungsdiskursen nach 1918 spielte er eine wichtige Rolle in den westeuropäischen, aber auch in den osteuropäischen Kulturtransfers. Gangolf Hübinger und Johannes Bent stellen sein spätes Hauptwerk „Der Historismus und seine Probleme“ vor und betonen die intellektuelle Bedeutung von Troeltsch sowohl für die Demokratiediskurse der ersten deutschen Republik als auch für die Frage nach der Orientierungskraft von „Geschichte“ für die moderne Gesellschaft, insbesondere für die „Europadiskurse“ des 20. Jahrhunderts.
Die Erforschung der Transformation Ostdeutschlands seit 1989/90. Ansätze, Voraussetzungen, Wandel
(2022)
In seinem Beitrag skizziert Marcus Böick gesellschaftswissenschaftliche und insbesondere zeithistorische Forschungen zu Ostdeutschland nach 1990. Er unterscheidet dabei vier Phasen der Transformationsforschung: eine ältere „DDR-Forschung“; die Konjunktur einer stark sozial-, politik- und wirtschaftswissenschaftlich dominierten Forschung in den frühen 1990er-Jahren; kultur- und literaturwissenschaftliche Zugriffe „von unten“; und schließlich die Grundzüge der jüngsten, etwa ab Mitte der 2010er-Jahre einsetzenden und zunehmend auch zeithistorisch geprägten Transformationsforschung. Abschließend werden übergreifende (Zukunfts-)Perspektiven angedeutet, die das Forschungsfeld ein Stück weit aus den innerdeutsch-introspektiven Selbstbeschäftigungen herausführen könnten.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Frank Bösch bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Anthropozän
(2022)
Seit der Jahrtausendwende wird das „Anthropozän“ in den Natur- und Geisteswissenschaften sowie in Medien und Kunst breit und kontrovers diskutiert. Ariane Tanner erläutert die Begriffsgeschichte und zeigt auf, wie das Konzept Anthropozän der Zeitgeschichte erlaubt, über Zeitlichkeit und Akteur*innen der Geschichte neu nachzudenken und ihre Forschungsfragen, Methoden und Narrative auszuweiten.
Zeitzeugin / Zeitzeuge
(2022)
Zeitzeug*innen sind nicht mehr wegzudenken aus der deutschen und internationalen Erinnerungskultur. Der Artikel von Steffi de Jong beschäftigt sich mit der Frage, wie die Zeitzeug*in zu einer derart populären Figur werden konnte. Der erste Teil behandelt den Begriff der Zeitzeug*in, im zweiten wird eine mögliche Genealogie von der Französischen Revolution bis ins digitale Zeitalter vorgeschlagen, und im dritten Teil geht es um die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zeitzeug*in als Quelle, als Untersuchungsgegenstand und als Geschichtsvermittler*in, um schließlich in einem Ausblick nach der zukünftigen Rolle von Zeitzeugenschaft zu fragen.
Keine andere Periode der russischen Geschichte zog derartig grundlegende Veränderungen in Europa und der Welt nach sich wie die Zeit der Perestroika in den Jahren 1985-1991. Trotz der Bedeutung der Reformjahre unter Führung des letzten Generalsekretärs der KPdSU Michail Gorbatschows steht die historische Erforschung dieser Periode in vielen Bereichen noch am Anfang. Corinna Kuhr-Korolev fasst das bestehende Wissen zusammen und plädiert für unterschiedliche historische Zugriffe und Blickweisen, um die Vielschichtigkeit der dynamischen Prozesse in dieser Periode auf der Grundlage bisher noch kaum erschlossener Quellenbestände besser zu verstehen.
Herrschaft und Macht
(2021)
In ihrem Artikel geben Andrea Maurer und Christoph Lau einen Überblick über die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“, wobei sie zunächst wichtige Charakteristika von Herrschaft in Abgrenzung zu Macht und anderen Formen der Über- und Unterordnung (Gewalt) erläutern. Daran anschließend werden Forschungsperspektiven und -desiderata besprochen und die Potenziale einer wissenschaftlich fundierten Herrschaftsdiskussion ausgewiesen.
Die Vorwürfe gegen den Kameruner und in Südafrika lebenden Historiker Achille Mbembe, er sei Antisemit, „Israel-Hasser“ und habe zudem den Holocaust relativiert, lösten eine kontroverse und verbissene Diskussion aus, die in Feuilletons, sozialen Medien, aber auch auf politischer Ebene insbesondere Mitte letzten Jahres heftig ausgetragen wurde. In diesem Zusammenhang gerieten auch die diversen heterogenen, unter dem Signet „postkoloniale Theorie“ firmierenden Ansätze unter Beschuss, für die Mbembe als wichtigster afrikanischer Repräsentant steht, obgleich er sich mehrfach von ihnen distanziert hat. So beklagte er etwa in seinem Buch „On the Postcolony“ (2000) die Gegenstandsferne postkolonialer Perspektiven auf Afrika, die komplexe Phänomene wie Staat und Macht auf Diskurse und Repräsentationsmodelle reduzieren würden.
Zur Bonn-Nostalgie Westdeutschlands gehörte die Anhänglichkeit an das Provisorium der Nachkriegszeit, verbunden mit der Absage an staatliche Symbole und internationale politische Verantwortung. Nach dem Umzug nach Berlin kam die Prussifizierung der deutschen Nation. Sie fand ihr Sinnbild in der Rekonstruktion des Schlosses in der Hauptstadt. Von 2013 bis 2020 konnten sich die Berliner allmählich auf die neue Kulisse einstellen. Zuvor, von 2006-2008 konnte man sich vom Palast der Republik verabschieden. Der Abbau dauerte fast drei Jahre, weil das Gebäude aufgrund seiner hohen Asbestbelastung nicht einfach weggesprengt werden konnte. Mit dem Palast der Republik verschwand mit der DDR Geschichte auch der historische Ort, an dem 17 Jahre zuvor die deutsche Einheit beschlossen wurde.
„Wie sich die Spannungen lösen lassen, hängt letztlich von uns selbst ab“, schreibt der Rechts- und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel in seinem Buch Der Doppelstaat, das 1941 im US-Exil erschien. Das Buch war eine der ersten Analysen des nationalsozialistischen Regimes und ist das bekannteste Werk Fraenkels. Hier soll es aber nicht um den Doppelstaat selbst gehen, dem ein anderer Beitrag in diesem Schwerpunkt gewidmet ist, und auch nicht um die Spannungen, die Fraenkel anspricht. Vielmehr liegt das Augenmerk auf der Handlungsfähigkeit der Menschen, die er ausmacht. Wer ist das „uns“, das er anspricht; ja, warum spricht er überhaupt „uns“ inmitten einer wissenschaftlichen Analyse an?
Die Antwort, die ich auf diese Ausgangsfrage geben möchte, versucht einen methodisch ideengeschichtlichen Ansatz der Politikwissenschaft für die Zeitgeschichte fruchtbar zu machen.
Pünktlich zum 150. Jahrestag der Reichsgründung von 1871 ist die öffentliche Debatte über die Modernität des deutschen Kaiserreichs wieder voll entbrannt. Den Anstoß gaben Eckart Conze und Hedwig Richter mit ihren jüngsten Veröffentlichungen zum Reichsgründungsjubiläum.[2] Über alle Streitpunkte hinweg sind sich die gegensätzlichen Positionen in einem Punkt erstaunlich ähnlich: Das Königreich Preußen war so etwas wie das konservative Bollwerk gegen die Parlamentarisierung und Demokratisierung des Kaiserreichs. Gestritten wird eigentlich nur über die Frage, ob dieses Bollwerk bis 1914 noch unerschütterlich feststand (Eckart Conze) oder ob seine Mauern bereits zu bröckeln begonnen hatten (Hedwig Richter).
Auf dem Höhepunkt der internationalen Auseinandersetzung um postkoloniale Restitutionsfragen tagte im Mai 1980 erstmals ein neuer UNESCO-Ausschuss mit der kuriosen Bezeichnung Intergovernmental Committee for Promoting the Return of Cultural Property to Its Countries of Origin or Its Restitution in Case of Illicit Appropriation. Das kurz ICPRCP genannte Komitee sollte als vermittelnde Instanz zwischen Kulturgüter besitzenden und zurückfordernden Staaten tätig werden. Doch seine Gründung wurde, davon zeugt dieser Name, von heftig geführten Deutungskämpfen über die zentralen Begriffe „restitution“ und „return“ begleitet.
Restitution, Rückgabe, oder auch Transfer gehören heute zum Standardvokabular von postkolonialer Museumspraxis und auswärtiger Kulturpolitik, in der medialen Berichterstattung werden sie oft synonym verwendet. Dabei waren diese Termini ursprünglich eng mit divergierenden Interpretationen der kolonialen Vergangenheit, institutionellen Selbstverständnissen und entwicklungspolitischen Interessen verbunden.
Ursprünglich anlässlich der Eröffnung des Humboldt-Forums geplant, fiel die Konzeption dieses Themenschwerpunkts in ein Jahr, das, bereits während es noch stattfand, zum einschneidenden Epochenjahr, ja zur historischen Zäsur erklärt wurde. Geprägt von der Lebens- und Arbeitswirklichkeit, den öffentlichen und akademischen Debatten dieses Ausnahmejahres, dehnte sich auch dieses Dossier aus, und sollte nicht länger allein (zeitgeschichtliche Perspektiven auf) postkoloniale Restitution in Deutschland thematisieren, sondern die Besonderheiten und Schwerpunkte seines Entstehungsjahres spiegeln, das postkoloniale Fragen immer wieder und auf mannigfaltige Weise in den Vordergrund spielte. An dieser Stelle möchte ich den unter erschwerten Bedingungen arbeitenden Autor:innen, deren Texte ich im Folgenden einzeln vorstellen werde, herzlich danken.
Dreißig Jahre nach der deutschen Vereinigung werden vor allem Stimmen lauter, die einen grundlegenden Perspektivwechsel in der Geschichtsschreibung fordern: Erfahrungen und Perspektiven von People of Color, Jüdinnen und Juden sowie Geflüchteten sollten stärker in die Betrachtung der „Wiedervereinigung“ und der anschließenden Transformationsprozesse einbezogen werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der 2020 erschienene Herausgeber*innenband Erinnern stören von Lydia Lierke und Massimo Perinelli.
Ein Blick auf Quellen der Umbruchszeit zu Beginn der neunziger Jahre verdeutlicht: Diese Erfahrungen wurden durchaus zeitgenössisch festgehalten – in Filmen, sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, Fotografien und Interviews. Vor allem dokumentarische Filme wurden von aktivistischen und subkulturell links geprägten Milieus produziert, verblieben aber lange in internen Rezeptionsschleifen, ohne Eingang in größere gesellschaftliche Debatten zu finden. Dabei stellten sie durch die Perspektive auf die Betroffenen Zusammenhänge zwischen alltäglicher Diskriminierung und der Gewalt seitens extrem Rechter her.
[...]
Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, die verstärkt darauf dringt, das Augenmerk auf Rassismus, politischen Nationalismus und Rechtsextremismus zu legen, gilt es, diese Diskursverschiebungen ebenso nachzuzeichnen wie zeitgenössische Quellen in ihrer Entstehung und Rezeption zu historisieren. Exemplarisch soll hier der Dokumentarfilm Stau – Jetzt geht’s los von Thomas Heise (Deutschland 1992) als eine Schlüsselquelle besprochen werden, die verständlich machen kann, welche Perspektiven und Fragen Anfang der neunziger Jahre in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Rechtsextremismus im Vordergrund standen.
„Mit Angst, Hass und entgrenzter Gewalt – und nicht mit Sektflaschen begann die Deutsche Einheit für Linke, Deutsche mit Migrationshintergrund, Ausländerinnen und Ausländer in vielen ostdeutschen Städten“, kommentierte unlängst Christian Bangel den 3. Oktober 2020 in DIE ZEIT. „Das war nicht nur ein schlechter Start der Deutschen Einheit. Es war ein Fanal für die neuen Zeiten.“ Tatsächlich bekamen die rechten Gewalteskalationen im Übergang von der DDR zur vereinigten Bundesrepublik, die von körperlicher Bedrohung und Herabsetzung bis zu tödlichen Angriffen reichten – zuletzt immer mehr Aufmerksamkeit. In manchen Regionen hatte diese „Gewalt der Vereinigung“ vor allem für nicht-weiße Personen, Wohnungslose und Linke eine permanente Bedrohungslage geschaffen.
Unter #Baseballschlägerjahre forderte Bangel vorletztes Jahr dazu auf, die Erinnerungen an die Vereinigungsgewalt zu teilen. Innerhalb einer Woche sammelten sich mehrere hundert kurze Einzelberichte an; im November 2020 veröffentlichte der RBB in Kooperation mit ZEIT ONLINE daran anknüpfend zusätzlich sechs Kurzfilme, die Schlaglichter auf einzelne Orte werfen und Geschichten von Bedrohung, Terror und Angst erzählen. Es gibt aber auch einige autobiographische Romane. Jene, die zu dieser Zeit ihre Jugend in Ostdeutschland erlebten, erzählen davon, wie sie angegriffen, bedroht und zusammengeschlagen wurden: Clemens Meyer in „Als wir träumten“ (2007), Peter Richter in „89/90“ (2015), Manja Präkels in „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (2017).
Die autobiografischen Texte stehen im Mittelpunkt dieses Beitrages, da sie eine neue Perspektive auf die Erfahrung der Transformationsprozesse der Vereinigung eröffnen und sich mit einem anderen Phänomen der postsozialistischen Gesellschaft in Zusammenhang bringen lassen: der Abwanderung. Die enthemmte rechte Gewalt war für die in diesem Beitrag ausgewählten Berichtenden ein wichtiger Anlass, den Osten zu verlassen.
Subjekt und Subjektivierung
(2020)
Wie werden Menschen zu Subjekten gemacht, und wie machen sie sich selbst zu Subjekten? – fragt Wiebke Wiede und stellt in dem Artikel die wichtigsten Theorieansätze zur Funktionsweise von „Subjektivierung” im 20. Jahrhundert vor. Subjekte konstituieren sich im historischen Raum, und sie unterliegen institutionellen Strukturen und Subjektdefinitionen, die historisch kontingent sind. Demnach spiegeln sich auch in den Subjekttheorien die kulturellen Orientierungsbedürfnisse unserer Gegenwart.
Das historische Ereignis
(2020)
Historische Ereignisse gelten als zentrale Elemente bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Nachdem ihre Bedeutung mit dem Aufstieg der Sozialgeschichte in den Hintergrund rückte, hat in jüngster Zeit – auch durch kultur-, medien- und sozialwissenschaftliche Impulse – die Auseinandersetzung mit Ereignissen wieder zugenommen. In dem Artikel wird diskutiert, wie sich das historische Ereignis konzeptionell fassen lässt, wie sich sein Status in der Geschichtswissenschaft wandelte und welche (zeit-)historischen Ansätze sich zur Erforschung anbieten.
Der Prozess der Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit im Nationalsozialismus stellt wohl den radikalsten und in dieser Radikalität „erfolgreichsten“ Umsteuerungsvorgang in der Wirtschaft dar. Christoph Kreutzmüller gibt einen Forschungs-Überblick zum Thema und diskutiert die Reichweite der genutzten Begrifflichkeiten. Am Beispiel Berlins stellt er die Entwicklung der Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit und die Reaktionen der jüdischen Gewerbetreibenden darauf dar und ordnet sie in den breiteren Kontext der Holocaust-Forschung ein.
In der vergleichenden Forschung zu politischer Gewalt in Deutschland spielen Unterscheidungen, die sich auf die weltanschauliche oder strategische Ausrichtung der Gewalt beziehen, eine zentrale Rolle. Gewalt gilt als ‚politisch‘, wenn sie auf die Herstellung oder Veränderung einer gesellschaftlichen Ordnung zielt, oder in diesem Sinne gedeutet wird. Und da es sehr verschiedene politische Visionen und Utopien gibt, erscheint es wichtig, diese begrifflich voneinander abzugrenzen. Der politische Horizont der Gewaltakteure wird dabei häufig zu einem Attribut der Gewalt selbst. So ist etwa von ‚linker Gewalt‘ und ‚rechter Gewalt‘ die Rede, die von ‚sezessionistischer Gewalt‘, ‚djihadistischer Gewalt‘ oder auch ‚ökoterroristischer Gewalt‘ unterschieden wird.
In der Regel dienen diese Formulierungen dazu, den Gegenstandsbereich einzugrenzen. Sie signalisieren, dass hier das (Gewalt-)Handeln jeweils bestimmter Bewegungen untersucht wird, die sich politisch spezifischen Ideologien oder Weltsichten zuordnen lassen. Gewalt gilt als ‚rechts‘, wenn sie von Rechtsextremist:innen verübt wird oder sich in den Horizont rechtsextremistischer Weltvorstellungen einordnen lässt, nicht weil unterstellt wird, die Dynamik der Gewalt selbst weise Merkmale auf, die sie eindeutig als dem rechtsextremen Spektrum zugehörig identifizieren. In der Regel verweisen die zitierten Attribute also auf den Horizont der Gewaltakteure; selten stehen dahinter starke gewalttheoretische Thesen über den spezifischen Charakter der Gewalt der genannten Gruppen.
Subjekt und Subjektivierung
(2019)
Wie werden Menschen zu Subjekten gemacht, und wie machen sie sich selbst zu Subjekten? – fragt Wiebke Wiede und stellt in dem Artikel die wichtigsten Theorieansätze zur Funktionsweise von „Subjektivierung” im 20. Jahrhundert vor. Subjekte konstituieren sich im historischen Raum, und sie unterliegen institutionellen Strukturen und Subjektdefinitionen, die historisch kontingent sind. Demnach spiegeln sich auch in den Subjekttheorien die kulturellen Orientierungsbedürfnisse unserer Gegenwart.
Cultural Turns
(2019)
Wie und nach welchen Kriterien entstehen turns? Doris Bachmann-Medick entfaltet das Spektrum der unterschiedlichen cultural turns und zeigt ihr Potential für eine Veränderung des Kulturbegriffs selbst. Wieweit die cultural turns eine Abkehr von einem übertriebenen Konstruktivismus hin zur Rückgewinnung von Referentialität befördern, wird schließlich an unterschiedlichen Formen von re-turns gezeigt. Von hier aus eröffnet sich ein breiterer Horizont, in dem sich die zukünftige Forschungslandschaft der Kulturwissenschaften ausgehend von cultural turns (und über sie hinaus?) weiterprofilieren könnte.
Welche Impulse kann das Werk Max Webers der Zeitgeschichte liefern? Wie haben sich Zeithistoriker/innen im 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart bei der gedanklichen Ordnung ihrer Probleme von Weber inspirieren lassen? Ausgehend von der „Vielfalt der Perspektiven“, aus denen Webers Themen und Begrifflichkeiten fruchtbar gemacht werden, zeichnet Gangolf Hübinger die Bedeutung Max Webers für wechselnde zeitgeschichtliche Problemstellungen nach und zeigt, was seinen Denkstil letztlich ausmacht: die Verknüpfung von Universalgeschichte und Gegenwartsdiagnose.
Der Beitrag gibt einen Überblick über die Begriffsgeschichte des Antifaschismus und das dazugehörige Forschungsfeld. Ziel der Ausführungen ist es, einige Entwicklungen der internationalen Literatur und Potenziale des „transnational turn“ in Bezug auf das Thema herauszuarbeiten. Räumlich konzentriert sich der Beitrag auf die historischen Ursprungsländer Italien und Deutschland. Zugleich öffnen europäische und globale Seitenblicke vergleichende und beziehungsgeschichtliche Perspektiven.
Die historisch interessierte Forschung zum Rechtsextremismus in der DDR zieht zumeist Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) heran. Dass hier Vorsicht geboten ist, machte Anfang der 1990er Jahre schon Walter Süß deutlich, der in großem Umfang Akten des MfS zum Rechtsextremismus untersuchte. Süß bezeichnete den Versuch, mit diesen Akten den Rechtsextremismus in der DDR nachzuzeichnen, als „Illusion“. Seine Annahmen sind in vielen Punkten für die weitere Forschung zur Wahrnehmung des Rechtsextremismus seitens des MfS maßgeblich: Die Staatssicherheit verfing sich durch die Externalisierung des Rechtsextremismus in den Westen und die Einordnung der Jugendlichen als „gestrauchelte“ Einzelfälle in einer „hilflos-repressiven Bekämpfung von Symptomen“. Selbst ein hauptamtlicher Mitarbeiter erkannte dies und beschwerte sich, die Bekämpfung des Rechtsextremismus könne „nicht alleinige Aufgabe der Untersuchungsorgane sein“, sondern sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.
Gleichwohl können und sollen die Akten des MfS dennoch für die Rechtsextremismusforschung nutzbar gemacht werden. [...] So berichten die Akten der Staatssicherheit nicht nur über das Scheitern der Institution im Umgang mit dem Neonazismus, sondern helfen auch, die sich stärker entwickelnde Neonaziszene zu begreifen. Im Folgenden soll dies am Beispiel der 20-jährigen Sabine P. (Pseudonym) geschehen, einer Frau aus der Neonaziszene im Ost-Berliner Bezirk Lichtenberg, die nach einer Auseinandersetzung in und vor einem Jugendklub im Herbst 1987 als „Rowdy“ über anderthalb Jahre im Strafvollzug in Hoheneck verbrachte. Was wussten die ostdeutschen Sicherheitsbehörden über P.? Wie interpretierten sie ihr Wissen? Und was lässt sich anhand der Akten über Frauen in der Neonaziszene der DDR rekonstruieren?
Das Liederbuch der Bundeswehr war von Beginn an umkämpft. Diese offizielle Liedersammlung, 1958 in erster Auflage erschienen, sollte – und soll bis heute – den „Geist der Truppe“ widerspiegeln. Symbolisch wurde und wird in Debatten um die Liedauswahl verhandelt, was Soldatentum nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus bedeuten und welche Rolle Militarismus in der westdeutschen Gesellschaft einnehmen darf.
Ein Blick auf die Veränderung des Liedguts im Laufe der Jahrzehnte zeigt, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Demokratie verändert haben. Während die Liedsymbolik in der frühen Bundesrepublik mit positivem Kriegsbezug und „Soldatenehre“ brach, fanden entsprechende Lieder im Zuge der Neuauflagen von 1963 und 1976 wieder Eingang in das Liederbuch. Die Entwicklung liegt damit quer zum postulierten Durchbruch demokratischer Vorstellungen nach den langen 1960er Jahren. Sie zeigt auch, dass die aktuellen Vorfälle und Debatten um rechtsextreme Soldaten und Wehrmachts-Memorabilia in den „Traditionsräumen“ der Truppe in eine längere Geschichte des Umgangs mit Vergangenheit in der Institution Bundeswehr eingeordnet werden müssen.
Der Artikel von Rüdiger Hachtmann beleuchtet die Genesis der Polykratie-Theorie – zentral sind dabei die Thesen Franz Leopold Neumanns im Rahmen seiner bahnbrechenden Untersuchung „Behemoth“ –, nimmt die einzelnen Elemente der mit dem Begriff „Polykratie“ verbundenen Überlegungen zur Struktur des NS-Herrschaftssystems kritisch in den Blick und diskutiert deren Defizite.
Moderne (Version 2.0)
(2018)
Version 2.0: Wenige Begriffe dürften für die konzeptionelle Rahmung und Periodisierung zeithistorischer Forschungen, aber auch für die Erfahrungshorizonte, Selbst- und Weltdeutungen vieler Menschen im 20. Jahrhundert von ähnlich zentraler Bedeutung sein wie der Begriff der „Moderne“, den Christof Dipper in seinem Beitrag einer komplexen Historisierung unterzieht. In seiner Skizze der Moderne als einer historischen Epoche, die der Autor um 1880 beginnen und etwa 100 Jahre später enden lässt, betont Dipper die Verschränkung sozialstruktureller Basisprozesse und zeitgenössischer Erfahrungs- und Wahrnehmungsmuster einer grundstürzend neuen Epoche.
Version 2.0: Was genau bezeichnet der Diskursbegriff? Mit welchen Inhalten verbindet sich die Diskursgeschichte? Welche Forschungsthemen sind in diesem Bereich relevant, welche Kontroversen haben sich entwickelt und welche zukünftigen Aufgaben stellen sich? – Achim Landwehr nimmt in seinem Beitrag eine Bestimmung des Diskursbegriffs vor, stellt wichtige Forschungsfelder der Diskursgeschichte vor und zeigt, welchen Nutzen die analytische Kategorie des Diskurses für die Geschichtswissenschaften hat.
Der Beliebtheit generationeller Vergemeinschaftungen stehen forschungspraktische Unebenheiten gegenüber, wenn „Generation” nicht mehr nur als Selbstthematisierungsformel, sondern auch als analytische Kategorie dient. Gerade die begriffliche Unschärfe verweist darauf, wie wichtig es ist, danach zu fragen, was die Rede von den „Generationen” in den Blick bekommt, was sie vernachlässigt oder sogar überdeckt. In einer aktuell überarbeiteten und ergänzten Version 2.0 zeigt Ulrike Jureit, welche theoretischen Unwägbarkeiten damit verbunden sind, wenn der kollektive Selbstentwurf nicht allein als Ausdruck eines gesellschaftlichen Erfahrungswandels gedeutet wird, sondern gruppenspezifische Selbstinszenierungen zum zentralen Erklärungsfaktor für bestimmte politische, soziale oder ökonomische Umbrüche werden.
Heimat
(2017)
Das Konzept „Heimat“ lässt sich als scheinbar genauere Bestimmung vor viele Phänomene setzen. In der Unbestimmtheit des Begriffs zeigt sich seine prominente emotionale Seite, die ihn für Marketingzwecke jeder Art – und damit sind auch politische Absichten eingeschlossen – attraktiv macht. Heimat markiert eine lokale Identifizierung, die andere Identifikationen nicht ausschließt, ob es sich nun um regionale, nationale oder transnationale Institutionen, Ideologien oder Glaubensgemeinschaften handelt. Der Artikel behandelt den Begriff „Heimat“ sowie das grundsätzliche Verhältnis zwischen Individuen zu sozialen und geografischen Räumen.
Antikommunismus
(2017)
Mit der Ausbreitung des Kommunismus, mit der Diffusion von Ideologien und Bewegungen waren Abstoßungseffekte, d.h. die Entstehung von Gegenideologien und Gegenbewegungen verbunden. Der Beitrag von Bernd Faulenbach behandelt „Antikommunismus” als historische Kategorie. Er thematisiert zunächst seine Entstehung seit 1917, dann werden die Epochen des Antikommunismus dargestellt bis hin zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus seit der Epochenwende 1989-91. Abschließend erörtert er den Forschungsstand und offene Fragen.
Version 2.0: In der römischen Republik bezeichnete die Diktatur (lat. dictatura) eine Institution des Staatsrechts: Der Senat verlieh einem Diktator in Zeiten des Notstands temporär außerordentliche Autorität, um die staatliche Ordnung zu verteidigen und wiederherzustellen. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; Diktatur wurde zu einem schillernden Begriff, dessen semantisches Feld sowohl positive Erwartungen als auch moralische Verdammung umfassen konnte.
Zivilgesellschaft gilt als schillernder Projektionsbegriff. Das Konzept wird seit den 1980er-Jahren in den Geistes- und Sozialwissenschaften verwendet und ist fest in der politischen Theorie verankert. Zivilgesellschaft ist im Englischen mit dem Begriff „Civil Society“ verwandt; in Deutschland gibt es enge Verknüpfungen zur „Bürgerlichen Gesellschaft“. Die Global Civil Society untersucht zivilgesellschaftliche Fragestellungen auf globaler Ebene. Die Verwendung der Konzepte ist umstritten, gerade weil die Bürgergesellschaft auf eine gesellschaftliche Mitte abzielt und Distinktionen beinhaltet. Trotzdem lohnt es sich, die normative Seite der Zivilgesellschaft aufzugreifen und diese mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen der Dritten-Sektor-Forschung zu kombinieren.
Nach einem kurzen Überblick über die Forschung und einer Diskussion der Reichweite der dabei genutzten Begrifflichkeiten, soll die Entwicklung der Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit und die Reaktionen der jüdischen Gewerbetreibenden darauf am Beispiel Berlins dargestellt und dabei in den breiteren Kontext der Holocaust-Forschung eingeordnet werden. Für eine solche exemplarische Betrachtung scheint die Stadt nicht nur wegen der Größe der 1933 ansässigen jüdischen Gemeinde, sondern auch wegen des auf den ersten Blick paradoxen Umstands, dass sich dort – in politischem Sinne – Zentrum und Peripherie überlagerten, besonders gut geeignet.
„Bürger” ist ein geschichtlicher Grundbegriff, der auf die politische Verfasstheit und Teilhabe zielte und sich seit dem 18. Jahrhundert um soziale und kulturelle Dimensionen erweitert hat. Manfred Hettling untersucht in seinem Beitrag die Begrifflichkeit des „Bürgers”, die soziale Formation des „Bürgertums” sowie das eigene Kulturmodell von „Bürgerlichkeit” und stellt Ansätze, Zugriffe und Verfahren der historischen Bürgertumsforschung bis heute vor.
Wo immer es um individuelle Verhaltensweisen und Handlungen in ihrer Bedeutung für Macht und Herrschaft, für Unterwerfung und Aufbegehren, für Mitmachen, Widerstehen oder Aussteigen gehen soll, bietet sich „Eigen-Sinn” als historiographisches Konzept an. „Eigen-Sinn” kann in Widerstand gegen Vereinnahmungen und Aktivierungsversuche „von oben” in den alltäglichen Beziehungen wie auch in der großen Politik münden. „Eigen-Sinn” ist jedoch auch, wie Thomas Lindenberger in seinem Beitrag aufzeigt, in der gezielten Nutzung und damit Reproduktion herrschaftskonformer Handlungsweisen zu beobachten.
Die „Dritte Welt“ hat es nur als abstraktes wirkmächtiges zeitgenössisches Ordnungsmuster der Welt gegeben. Der Begriff wurde von imaginären und tatsächlichen Entwicklungen in den Ländern Asiens und Afrikas sowie zum Teil auch Lateinamerikas geprägt. Jürgen Dinkel zeigt die entsprechende Aufladung des schillernden Begriffs ebenso wie das jeweils politische und wirtschaftliche Agieren dieser an sich sehr unterschiedlichen Länder auf, um mit der Historisierung von Geschichte und Semantiken der Dritten Welt zu beginnen.
Die Zeitgeschichte ist ein Kind des „Zeitalters der Extreme“. Über die aktuellen Probleme einer zeitlichen und definitorischen Einordnung des Begriffs der Zeitgeschichte schreibt Gabriele Metzler und weist dabei gleichzeitig auf die andauernde Hochkonjunktur zeithistorischer Themen in den Medien und der Öffentlichkeit hin. Die Autorin plädiert für eine unbedingt nötige Neupositionierung der Disziplin. Denn die Zeitgeschichte sieht sich angesichts technischer Neuerungen, der Verfügbarkeit neuer Ressourcen für die Forschung sowie von gewandelten trans- und interdisziplinären Verflechtungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Postsozialismus
(2013)
Der Beitrag von Petra Stykow befasst sich mit „Postsozialismus“- bzw. „Postkommunismus“-Konzepten, die sich in sozialwissenschaftlichen (Anthropologie, Wirtschaftssoziologie/Politische Ökonomie, Politikwissenschaft, Geografie) sowie in kulturwissenschaftlich-philosophischen Diskursen nach dem Ende des Kalten Kriegs entwickelt haben. Sie bezeichnen historische Gemeinsamkeiten der Länder im östlichen Europa und (re-)konstruieren damit eine Geschichtsregion, die traditionell als „Osteuropa“ und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als „Ostblock“ firmierte.
Wertewandel
(2012)
Wie haben sich Normen und Werte in modernen Industriegesellschaften verändert? Isabel Heinemann beschäftigt sich in ihrem Beitrag über den Begriff des „Wertewandels“ mit der Frage, welche Möglichkeiten für eine kritische Historisierung des ursprünglich sozialwissenschaftlichen Konzepts bestehen. Sie plädiert dafür, den Begriff aus seiner vorherrschenden Fixierung auf die 1960er- und 1970er-Jahre als vermeintlicher Kernphase des Wertewandels zu lösen, um durch den Vergleich von Phasen intensiven Wandels mit Perioden von größerer sozialer und normativer Kontinuität die Bedeutung und Reichweite von Wertewandelprozessen besser erschließen zu können.
Die klassische Begriffsgeschichte hat als Historische Semantik eine Renaissance erfahren. Kathrin Kollmeier widmet sich zunächst der lexikografischen Begriffsgeschichte, insbesondere den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ und ihren theoretischen und methodischen Voraussetzungen. Ansätze hingegen, die unter dem Oberbegriff Historische Semantik firmieren, beschränken sich nicht mehr allein auf die Analyse der Historizität von Begriffen, sondern untersuchen den Bedeutungsgehalt und -wandel von Worten, Begriffen, Sprachen und Diskursen sowie kultureller Codes wie Bilder, Rituale, Habitus und Performativa. Zudem verweist der Artikel darauf, dass eine Historische Semantik des 20. Jahrhunderts sich sowohl dem semantischen Wandel im Zuge von politischen, sozialen und kulturellen Brüchen und Diskontinuitäten als auch den relativ stabil bleibenden Bedeutungen „langer Dauer” im gesamten 20. Jahrhundert widmen sollte.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0) Der Begriff Diktatur stammt aus dem römischen Staatsrecht, wo er die temporäre Herrschaft eines Diktators bezeichnete, der zur Verteidigung der Republik über dem Gesetz stand. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; der moderne Diktaturbegriff entstand als Eigen- und Fremdbezeichnung für die kommunistische, faschistische und nationalsozialistische Herrschaft. Der Artikel unseres Autoren Jan C. Behrends rekonstruiert die Geschichte des Begriffs im 20. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt auf den russischen und deutschen Fall und blickt abschließend auf die zeithistorische Forschung der Gegenwart.
Authentizität (Version 2.0)
(2012)
„Sei authentisch!” – diese Anforderung an das moderne Selbst ist insbesondere in alternativen Milieus der 1970er- und 1980er-Jahre geprägt worden und findet heutzutage in einer zunehmend medialisierten und digitalen Welt neue Bedeutung. Der schillernde Authentizitätsbegriff, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem allseits verwandten Schlagwort und vielbeachteten Phänomen in den Kulturwissenschaften geworden ist, gewinnt sowohl in methodologischer Hinsicht als auch als Forschungsgegenstand zunehmend an Bedeutung für die zeithistorische Forschung.
Wer oder was ein Intellektueller sei und worin seine politische und gesellschaftliche Aufgabe bestehe, war während des 20. Jahrhunderts stets ein umkämpfter Gegenstand intellektueller Debatten. Daniel Morat plädiert in der Auseinandersetzung mit der bisherigen Intellektuellengeschichtsschreibung für eine formale und wertneutrale Definition des Intellektuellenbegriffs, die auch unabhängig von den Selbstbeschreibungen als wissenschaftliche Analysekategorie tragfähig ist. Daran anschließend widmet er sich der Entstehung des Intellektuellen als moderner Sozialfigur im internationalen Kontext und stellt wichtige Forschungstendenzen und Themenfelder vor. Die Frage nach dem Tod des Intellektuellen in der Postmoderne verneint er klar, denn schon die anhaltende Debatte darüber sei ein Zeichen für sein Weiterleben – unabhängig davon, ob das Medium der Intellektuellen nun der klassische Leitartikel, die Fernsehshow oder aber heute der Internet-Blog ist.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Die klassische Begriffsgeschichte hat als Historische Semantik eine Renaissance erfahren. Kathrin Kollmeier widmet sich zunächst der lexikografischen Begriffsgeschichte, insbesondere den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ und ihren theoretischen und methodischen Voraussetzungen. Ansätze hingegen, die unter dem Oberbegriff Historische Semantik firmieren, beschränken sich nicht mehr allein auf die Analyse der Historizität von Begriffen, sondern untersuchen den Bedeutungsgehalt und -wandel von Worten, Begriffen, Sprachen und Diskursen sowie kultureller Codes wie Bilder, Rituale, Habitus und Performativa. Zudem verweist der Artikel darauf, dass eine Historische Semantik des 20. Jahrhunderts sich sowohl dem semantischen Wandel im Zuge von politischen, sozialen und kulturellen Brüchen und Diskontinuitäten als auch den relativ stabil bleibenden Bedeutungen „langer Dauer” im gesamten 20. Jahrhundert widmen sollte.
Erinnerung und Gedächtnis
(2010)
Gedächtnis und Erinnerung gehören heute zu den Schlüsselkategorien der Geistes- und Sozialwissenschaften.Gedächtnis und Erinnerung sind geläufige Begriffe, die in der Regel nur dahingehend differenziert werden, als dass das Gedächtnis die Erinnerung erst ermöglicht. Das Gedächtnis beinhaltet in diesem Sinne eine virtuelle und manifeste Infrastruktur. Menschen brauchen dabei nicht nur ein Gehirn als organische Basis, sondern sie sind in hohem Masse auf externe Erinnerungsspeicher unterschiedlichster Art angewiesen, um jene fragilen Bewusstseinsakte zu erzeugen, die gemeinhin Erinnerung genannt werden.
Herrschaft
(2010)
Herrschaft ist in modernen Gesellschaften ambivalent. Auf der einen Seite finden wir in allen gesellschaftlichen Handlungsfeldern anerkannte hierarchische Formen der Handlungssteuerung wie das moderne Unternehmen oder den Staat; auf der anderen Seite beobachten wir überall Bürokratieversagen, Korruption oder die Auflösung von Herrschaftsstrukturen und deren Übergang in komplexere Regelungsmechanismen.
Moderne
(2010)
Darstellungen zur Diskursgeschichte setzen nahezu immer am selben Punkt an (und müssen dies wohl auch tun): beim Begriff des Diskurses selbst. Während in romanischen Sprachen oder im Englischen discours, discorso, discourse etc. zur Alltagssprache gehören, ist dies im Deutschen nicht der Fall – oder: noch nicht.