regional übergreifend
Für dieses Buch muss man sich etwas Zeit nehmen. Ich hatte die gut 700 Seiten umfassende amerikanische Originalausgabe von »Mechanization Takes Command« (den Titel kürzte Giedion in seinen Notizen mit dem Akronym »M.T.C.« ab) im Sommer 2017 im Amtrak California Zephyr auf meiner Reise von Greenriver, UT, nach Chicago, IL, im Gepäck. Diese Reise bot aktualisiertes Anschauungsmaterial zu Giedions Sondierungen der US-amerikanischen Industrialisierungsgeschichte. Sie folgte jener Eisenbahnlinie, welche Kalifornien (wo die Frontier-Gesellschaft Amerikas im ausgehenden 19. Jahrhundert an ihr Ende gelangte) mit Chicago verbindet (der nach dem großen Brand von 1871 zur Industriemetropole avancierten Stadt am Lake Michigan). Dazwischen öffnete sich der Midwest, dessen verrostete und verlassene industrielle Infrastruktur (Bahnhöfe, Fabriken, Brücken, Städte) durch das Zugfenster ins Blickfeld geriet und somit den Endpunkt der von Giedion dokumentierten Entwicklungen brutal vor Augen führte. Die heruntergewirtschafteten Landschaften des Midwest und Giedions Streifzüge in ihre Industrialisierung während des 19. Jahrhunderts flossen ineinander über. Etwa dann, wenn der Zug stillstand und mein Blick bei den Getreide-Elevatoren hängen blieb, wo sich die Eisenbahnlinien kreuzen und der Personenzug den unendlich langen Güterwagen, die von Diesellokomotiven angetrieben werden, den Vortritt lassen musste. Oder wenn ich beim mäandrierenden Durchblättern des Buches und dem Blick aus dem Zugfenster den Faden verlor und eindöste – und dann beim Eindunkeln jäh von den sleeping car attendants, welche die ausklappbaren Sitze für die Nacht mit ein paar Handgriffen zu Betten umwandelten, in die Gegenwart zurückgeholt wurde. Oder im Nachfolgemodell des von George M. Pullman 1869 in seinem Patent beschriebenen Speisewagens, wo die Reisende aus Europa und Wählerinnen des amtierenden Präsidenten sich am gemeinsamen Tisch zum Verzehr von Burger, Steaks und Hot Dogs wiederfanden. Jenes Präsidenten, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Re-Industrialisierung abgehängter Regionen im einst prosperierenden Rostgürtel der USA versprach.
Gendered critiques by historians and feminist international relations scholars have been animating international history for a good thirty years by complicating the supposedly binary relationships between states and societies, private and public, and local and international that traditionally structured the discipline. In this essay we would like to ask what a sensitivity to gender might add to international histories that are shifting their focus away from intergovernmental relations towards a reassessment of internationalisms in the nineteenth and twentieth centuries through studies of transnational social movements, international organizations and norms, or practices of global governance. We are especially interested in how gender might contribute to a major emerging theme of international history today: the history of internationalism and international organizations as a struggle between competing or converging universalisms – ‘imperial and anticolonial, “Eastern” and “Western”, old and new’ – that sought to speak in the name of all humanity, rather than as the triumph of an international order imposed by the “West” on the rest.
Ein Foto von der US-amerikanischen Flaggenhissung auf der japanischen Insel Iwo Jima vom Februar 1945 entwickelte sich noch während des Zweiten Weltkrieges zu einer national mobilisierenden Ikone für letzte Kriegsanstrengungen. Nach dem Krieg betonte das US Marine Corps mit diesem Foto seine Leistungen und seine Eigenständigkeit. Ein Bronzedenkmal, das 1954 am Rande von Arlington eingeweiht wurde, war gleichsam die dreidimensionale Umsetzung des Fotos und Ausdruck des Selbstbewusstseins des Marine Corps. Dieser Beitrag geht der Konkurrenz nationaler Indienstnahme und sektoraler Interessen bis in die Gegenwart nach. Aufgezeigt werden die unterschiedlichen medialen Repräsentationen der Iwo-Jima-Geste und ihre wechselnden Bedeutungen – beispielsweise die fotografische Aktualisierung im Zusammenhang des 11. September 2001. So entsteht ein Panorama der nationalen Ikonographie der USA seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der „Kalte Krieg“, so er sich denn als sinnvoller Epochenbegriff durchsetzt, sollte vorerst nicht insgesamt musealisiert werden. Eine Darstellung der Teilung Berlins, Deutschlands und Europas, aber auch der wechselnden und fortdauernden Verflechtungen würde einen bescheideneren und angemesseneren Rahmen bilden. Eine Ausstellung könnte dabei ein Kern sein, sollte jedoch vor allem eines leisten: eine vielfältige Erinnerungslandschaft in Berlin, in Deutschland, in Europa erschließen und neugierig auf sie machen.
This article explores the variability and the limits of the political in regard to cyclists‘ unions in Germany and the Netherlands between 1900 and 1940. In both countries, cyclists formed national consumer organizations, mixing consumer demands with social and even political im-plications. The Dutch Cyclists‘ Union managed to establish herself as an eminent political actor and „system builder“ with lasting impact on traffic legislation and road construction. While liber-als were loosing the political majority in Dutch parliament, the Cyclists‘ Union became a strong-hold of Dutch liberalism outside the narrow confines of the old institutionalized political arena. In contrast, German cyclists‘ dreams of opening up social elites and fostering social and political change through the bicycle were shattered. The bicycle, which had started off as a luxury good in the 1890s and had become a common means of transport by the 1920s, was more suitable for political communications „from top to bottom“. Old liberal elites in the Netherlands were quite successful in making use of this consumer object in order to reformulate their existing claims to power and create new realms of the political. A transformation of social and political conditions, „from the bottom up“, as it was hoped for by part of the German cyclists‘ movement, however, turned out to be utopian.
Staudammbauten in Afghanistan, Ahmed Ben Bella und wie er die Welt sah, die Fotos hungernder Kinder in Nigeria und Bangladesch, amerikanische Agrarwissenschaftler, die in Manila Reissorten züchten, Chinas Werben um Afrika, eine UN-Erklärung, niemals umgesetzt, über die Errichtung einer »Neuen Weltwirtschaftsordnung« – wer hätte vor 20 Jahren vorausgesagt, dass diesen Episoden einmal symptomatische Bedeutung zugemessen würde, wenn es um das Verständnis der internationalen Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht. Wie stark sich das geschichtswissenschaftliche Bild des Zeitraums gewandelt hat, lässt sich tatsächlich, noch vor allen interpretatorischen Einordnungen und methodischen Konzeptualisierungen, besonders eindrücklich an der Fülle neuen Wissens ablesen, das historische Studien in den letzten gut 15 Jahren hervorgebracht haben. Weltregionen, über die man wenig wusste, Akteure, die eher im Hintergrund operierten, politische Projekte, die nebensächlich erschienen, Konflikte, die als sekundär galten, sind inzwischen eingehend erforscht.
Die Bedeutung der Apartheid für die internationale Menschenrechtspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegt in ihrer Exzeptionalität: Kein anderes Thema stand so lange auf der menschenrechtspolitischen Agenda, nämlich von den späten 1940er-Jahren bis zum Ende der Minderheitsherrschaft 1994, als der »Kalte Krieg« schon einige Jahre vorüber war. Keine andere Regierung erfuhr in dieser Zeit eine stärkere internationale Isolierung als die südafrikanische. Kein anderes Staatsverbrechen zog in der internationalen Politik, unter zivilgesellschaftlichen Aktivisten und in der medialen Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit auf sich, als es die Rassendiskriminierung am Kap während der Hochphase der weltweiten Entrüstung gegen Ende der 1980er-Jahre tat. Das Faszinosum der transnationalen Geschichte Südafrikas besteht nicht in dem, was an ihr typisch, sondern in dem, was an ihr besonders ist.
„Was machen Sie eigentlich noch außer Afrika?“, fragte mich vor einigen Jahren ein jeder Ironie unverdächtiger Professor für Neuere, also vor allem deutsche Geschichte. Denn noch immer gilt in der „Zunft“ deutscher Historiker zwar als breit ausgewiesen, wer seine Forschungsschwerpunkte etwa im Kaiserreich und in der DDR-Geschichte hat - die Beschäftigung mit fast 50 Ländern südlich der Sahara (oder analog etwa mit Lateinamerika) über mehrere Jahrhunderte hinweg wird in der Regel als exotisches Laster angesehen, dem allenfalls ergänzend zu frönen sei. Nun ist Provinzialismusschelte auf die Dauer für alle Beteiligten ermüdend; der Nachweis etwa, dass hierzulande ausgerechnet methodisch als besonders progressiv daherkommende Fachorgane sich als regional besonders introspektiv, nämlich germanozentrisch erwiesen haben, ist ohnehin längst - und sine ira et studio - geführt worden.
Im Gegensatz zu Teilen Asiens, wo die Unabhängigkeitskämpfe etwa in Indochina und Malaya durch langjährige militärische Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren, kam es auf dem afrikanischen Kontinent nur in Algerien zu einem vergleichbar blutigen Dekolonisationskrieg. Das heißt freilich nicht, dass das Ende der europäischen Empires im Rest von Afrika ein friedlicher Prozess gewesen wäre. In der britischen Siedlerkolonie Kenia etwa mussten im Zuge des so genannten Mau-Mau-Aufstandes Tausende von Menschen ihr Leben lassen. Mehr als 1.000 Afrikaner wurden auf der Grundlage von hastig verabschiedeten Antiterrorgesetzen gehenkt, weit mehr als in jedem anderen kolonialen Konflikt einschließlich Algeriens.1 Doch es war vor allem der Algerienkrieg, welcher sich im Bewusstsein der Zeitgenossen mit spätkolonialer Gewalt und Gegengewalt verknüpfte.2 Und wie kaum ein zweiter Autor hat der intensiv am algerischen Unabhängigkeitskampf beteiligte Frantz Fanon damalige Debatten über den Prozess der Dekolonisation, über die Berechtigung antikolonialer Gewalt sowie über die Zukunft der „Dritten Welt“ geprägt.
Im Frühjahr 2020 tauchten die Begriffe »Postkolonialismus«, »postkoloniale Theorie« und verwandte Kategorien mit ungewohnter Dichte in den deutschen Feuilletons auf, waren Gegenstand von Streitgesprächen im Radio und aufgeregten Twitter-Kommentaren. Zentraler Anlass für die ambivalente Hausse des Postkolonialismus war die Erklärung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, der Kameruner Historiker Achille Mbembe sei wegen antisemitischer Positionen als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale »nicht geeignet«. Daraus entwickelte sich eine heftige und durchaus verwirrende Debatte, in der Klein und gleichgesinnte Mbembe-Kritiker*innen des Rassismus und McCarthyismus gescholten wurden, während andere anhand weniger Passagen aus Mbembes umfangreichem Werk nicht nur darauf insistierten, er sei Antisemit und »Israel-Hasser«, sondern zugleich die »postkoloniale Theorie« anprangerten, als deren wichtiger Vertreter Mbembe gilt. Irritierend daran war nicht allein der Gestus, mit dem beispielsweise so mancher Journalist auftrat, als sei er der erste, der Kritik am Postkolonialismus oder an Mbembe übe. Insgesamt fiel zudem auf, wie sehr die Debatte auf einer bestenfalls oberflächlichen Lektüre relevanter Texte basierte. Dies galt zum Teil auch für jene, die etwa die Antisemitismusvorwürfe gegen Mbembe vehement ablehnten. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, die in der Öffentlichkeit rasch zu einer der führenden Verteidiger*innen Mbembes aufstieg, gestand zunächst freimütig ein, sie könne seiner Theorie eigentlich gar nicht so richtig folgen.