regional übergreifend
This article explores the variability and the limits of the political in regard to cyclists‘ unions in Germany and the Netherlands between 1900 and 1940. In both countries, cyclists formed national consumer organizations, mixing consumer demands with social and even political im-plications. The Dutch Cyclists‘ Union managed to establish herself as an eminent political actor and „system builder“ with lasting impact on traffic legislation and road construction. While liber-als were loosing the political majority in Dutch parliament, the Cyclists‘ Union became a strong-hold of Dutch liberalism outside the narrow confines of the old institutionalized political arena. In contrast, German cyclists‘ dreams of opening up social elites and fostering social and political change through the bicycle were shattered. The bicycle, which had started off as a luxury good in the 1890s and had become a common means of transport by the 1920s, was more suitable for political communications „from top to bottom“. Old liberal elites in the Netherlands were quite successful in making use of this consumer object in order to reformulate their existing claims to power and create new realms of the political. A transformation of social and political conditions, „from the bottom up“, as it was hoped for by part of the German cyclists‘ movement, however, turned out to be utopian.
»Hitler has won another victory at Bermuda […].« So kommentierte die Zeitung der zionistischen Arbeiterbewegung in den USA, »The Jewish Frontier«, die Bermuda-Konferenz vom April 1943. Was war passiert? Nach der Konferenz von Evian im Juli 1938 (und ihrem ernüchternden Ergebnis) war dies der zweite Versuch, mit einer internationalen Konferenz die Frage der jüdischen Flüchtlinge zu klären. Doch wie bereits 1938 am Genfer See, als sich außer der Dominikanischen Republik alle Teilnehmerstaaten weigerten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, kam auch auf Bermuda keine Lösung zustande, obwohl an den mörderischen Absichten und Praktiken Nazi-Deutschlands 1943 kein Zweifel mehr bestand. Der World Jewish Congress (WJC) hatte für die Gesandten eine Informationsmappe zusammengestellt, die die nationalsozialistische Vernichtungspolitik darlegte und zum entschlossenen Handeln aufrief. Doch die Gesandten der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, die auf der britischen Inselgruppe im Nordatlantik zusammenkamen, um über die Aufnahme europäischer Juden zu verhandeln, begruben die Idee einer groß angelegten Rettungsaktion rasch. Beide Staaten begnügten sich mit Symbolpolitik und kleinteiligen Maßnahmen. Zwar wurde das Intergovernmental Committee on Refugees (ICR) reaktiviert, welches nach der Evian-Konferenz gegründet worden war und sich größtenteils als ineffektiv herausgestellt hatte. Doch blieb das ICR auch für den Rest des Krieges unbedeutend.
»Man erinnert sich nicht, sondern man schreibt das Gedächtnis um, wie man die Geschichte umschreibt. Wie sollte man sich an den Durst erinnern?«, fragt sich der Schriftsteller, Fotograf und Regisseur Chris Marker (1921–2012) in seinem Filmessay »Sans Soleil« (1983). Damit weist er auf die Kluft zwischen Erfahrung und Erinnerung hin, die stets das Ergebnis reflexiver Prozesse ist. Er deutet des Weiteren einen Aspekt an, der für Historiker*innen von beträchtlicher Relevanz ist: den konstruktiven Charakter des Selbstzeugnisses. Nicht erst die historische Erzählung, sondern schon das Elementarteilchen der Geschichtsschreibung, das (Selbst-)Zeugnis, ist seit jeher das Ergebnis eines kontinuierlichen Prozesses der Neu- bzw. Umschreibung. Denn auf der einen Seite unterliegen Zeugnisse selektiven Wahrnehmungs- und Gedächtnismechanismen, auf der anderen ändern sie sich im Laufe der Zeit durch die Interaktion mit neu eingetretenen Erfahrungen und kollektiven Anstößen. Die negative Kehrseite dieser Verformbarkeit kommt bei der Manipulation und Instrumentalisierung von Zeugen durch Politik und Medien ans Licht, worüber Historiker*innen in den letzten Jahrzehnten intensiv reflektiert haben. Jedes (Selbst-)Zeugnis muss daher als eine Momentaufnahme in einem Prozess der Erinnerungsverarbeitung angesehen und entsprechend kritisch im Kontext seiner Entstehung und späteren Rezeption analysiert werden. Ohne Zeugnisse damit dem Bereich des Fiktiven zuzuordnen, bezweckt diese kritische Auseinandersetzung, ihnen die Qualität der Reinheit, Ursprünglichkeit und Beständigkeit, der Unmittelbarkeit des Zugangs zur Vergangenheit und der Individualität abzusprechen und sie in den Horizont sinnbildender Prozesse zurückzuführen.
Der Begriff »Flucht« beschreibt, wie es im Editorial des vorliegenden Hefts heißt, einen »Handlungszusammenhang in asymmetrischen Machtverhältnissen«, aber auch verschiedene Räume und Orte, die verlassen, durchquert oder als Ziele angesteuert werden. Romane und andere literarische Texte zu diesem Thema können dazu beitragen, dem »Eigen-Sinn« mehr Gewicht zu verleihen, aber auch den Flüchtenden selbst und ihrer Wahrnehmung von Flucht, Vertreibung und Akzeptanz oder Ablehnung eine Stimme zu geben. Was genau ist aber der »Eigen-Sinn« der Literatur? Seit 2015 boomt eine unter dem Schlagwort »Flüchtlingsliteratur« verhandelte Prosa, die die Lebenswege von Flüchtenden und Geflüchteten unterschiedlicher Kulturen in den Blick nimmt. Doch welchen Mehr- und Eigenwert hat die Literatur? Sind die Dokumentationen, die zahlreichen journalistischen und wissenschaftlichen Beiträge nicht ausreichend?
Die Pyrenäen bilden eine natürliche Grenze zwischen Frankreich und Spanien, zwischen dem europäischen Hauptland und der iberischen Halbinsel. Dort, wo sie nicht in den Himmel ragen, in ihren Tälern und auf ihren Passhöhen sowie an den Meeren, waren die Pyrenäen auch stets eine tierra de paso, eine Transitzone. An ihren östlichen Ausläufern gibt es zwei bedeutende Übergänge. Einer liegt im sanften, flachen Tal von La Jonquera und quert die Landesgrenze bei Le Perthus. Der andere kreuzt an der Küste am Coll dels Belitres zwischen Cerbère (Frankreich) und Portbou (Spanien). Daneben und dazwischen durchziehen kleine Wege die Landschaft, offizielle und inoffizielle, Pfade für Schmuggler, Verfolgte, Fliehende. Jede Gegend und jede Route hat ihre Konjunktur. Die Hoch-Zeit dieser Transitlandschaft, als sich die europäische Kriegs- und Verfolgungsgeschichte des 20. Jahrhunderts an dieser Grenze kristallisierte, war zwischen dem Winter 1938/39, als der spanische Krieg mit dem Sieg Francisco Francos endete, und den Jahren 1940/41, bevor im Sommer 1941 die systematische Vernichtung der europäischen Juden begann.
Bilder von Flüchtlingslagern rufen in der Regel emotionale Reaktionen, ja Bestürzung über die enormen Ausmaße dieser prekären Einrichtungen hervor. Manchmal führen sie gar zur Frage, ob und wie diese Orte überhaupt existieren können. Bei der Betrachtung von Fotos und der gesamten Bildwelt der Flüchtlingslager stellen sich spontan Assoziationen ein: materielle Not, eine offensichtlich nur provisorische Organisation der Räume, schwach ausgeprägte Spuren, die das Lager als Form von der natürlichen Umgebung und dem Boden kaum abheben. All dies vermittelt den Eindruck, dass morgen bereits verschwunden sein könnte, was uns heute vor Augen steht. Wir werden von einem Gefühl der Unwirklichkeit ergriffen, das mit der europäischen Geschichte verknüpft ist, mit den in Europa vorherrschenden Normen der Raumorganisation und den Lebensweisen des Westens. Dieses Gefühl legt eine bestimmte Einordnung nahe. Es mischt sich mit einer von den Themen Ausnahmezustand und Thanatopolitik geprägten Vorstellung des Lagers. Manche Sozialwissenschaftler/innen, Journalist/innen und Fotograf/innen haben sich von dieser stark vereinfachenden Repräsentation täuschen lassen und die Lager der Gegenwart vor dem Hintergrund der Shoah betrachtet. Global gesehen, ist die Wirklichkeit der Lager des 21. Jahrhunderts jedoch wesentlich komplexer und ambivalenter. Einerseits muss das Modell der Ausnahme relativiert werden durch die sowohl globale als auch lokale Kontextualisierung der Lager – selbst wenn sich die für die Sicherheit verantwortlichen oder humanitären Mächte gern von diesem Modell inspirieren lassen. Andererseits prallen im Alltag der Flüchtlingslager zwei unterschiedliche Zeitregime aufeinander, ereignet sich gleichsam ein Schock zwischen der Langsamkeit des Alltags der Ein-Gelagerten (encampés) und der von der humanitären Dringlichkeit bzw. der Brutalität der Sicherheitseinsätze verursachten Hektik und Betriebsamkeit (urgentisme). Aus diesem Grund sind Spannung und Ungewissheit stets Teil des Handelns, der Sinnzuschreibung solcher Orte und ihrer Zukunft.
Während des Zweiten Weltkrieges flüchteten etwa 150.000 Europäer vor Krieg und Besatzung nach Großbritannien. Unter ihnen waren Angehörige der vormaligen europäischen Regierungen, Verwaltungen, politischen Eliten, Militärs und Königshäuser. Aus ihren Reihen bildeten sich Nationalkomitees und Exilregierungen, die die nationale Souveränität ihrer Länder trotz deutscher Besatzung aufrechterhalten und als Alliierte für einen gemeinsamen Sieg über Hitler eintreten wollten. Im Zentrum Londons lebten und arbeiteten sie in enger Nachbarschaft. Rechtlich betrachtet erreichten die Mitglieder der Exilregierungen London meist als individuelle Flüchtlinge; sie verließen die Stadt überwiegend als Angehörige anerkannter Regierungen. Eine genauere Untersuchung des »London Moment«, dieser formativen Phase europäischer Politik, bricht den vermeintlichen Gegensatz zwischen Macht und Ohnmacht auf und trägt so zur Reflexion über Flucht und Flüchtende bei. Der Aufsatz erläutert die Entwicklung des rechtlichen Status der Exilanten und folgt vier Fallbeispielen von der Ankunft zur Etablierung in London.
Umkämpfte Interaktionen. Flucht als Handlungszusammenhang in asymmetrischen Machtverhältnissen
(2018)
Seit 2015 macht sich eine Vielzahl von Männern, Frauen und Kindern in Italien auf den Weg, um die Alpen zu Fuß in Richtung Frankreich zu überqueren. Dazu reisen sie in der Regel über Turin mit dem Zug in das italienische Bardonecchia, warten dort den Einbruch der Dunkelheit ab und brechen anschließend zum Marsch über die Berge auf. Meist handelt es sich um Menschen aus Afrika, die bereits viele Wochen, wenn nicht Monate unterwegs sind und anders, als es die sogenannte Dublin-Verordnung vorschreibt, nicht in ihrem Ersteinreiseland Italien, sondern in Frankreich oder anderswo Fuß fassen bzw. Asyl beantragen wollen. Den strapaziösen und risikoreichen Weg über die Berge nehmen sie nicht zuletzt deshalb auf sich, weil sie der französischen Grenzpolizei (Police aux frontières, PAF) entgehen wollen, die seit den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris und St. Denis die französischen Staatsgrenzen erneut kontrolliert.
»Leise über den Dächern reisen«, so war im Herbst 2012 ein Artikel zu städtischen Seilbahnen betitelt. Der zentrale Vorteil dieses Transportmittels: Seine Nutzer würden hoch über den verstopften Straßen schweben, ihr Ziel fast lautlos, ohne Verzögerung und beinahe CO2-neutral erreichen. In Europa ist die zu den Olympischen Sommerspielen 2012 in London eröffnete und nach ihrem Sponsor benannte Luftseilbahn Emirates Air Line eines der bekanntesten Prestigeprojekte für diese neue städtische Mobilitätsform. Als Vorbilder dienten die urbanen Seilbahnen in Asien und Lateinamerika, obschon vereinzelt auch westliche Städte wie Barcelona, New York oder Koblenz im ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhundert auf dieses Konzept gesetzt hatten. Gerade in Metropolregionen und Megastädten, die sich mit einem massiven Verkehrsaufkommen und einem immer weiter voranschreitenden Bevölkerungswachstum konfrontiert sehen, entwickelt sich die Seilbahn zu einem Fortbewegungsmittel, das Zukunftsutopien bedient.
Koyaanisqatsi is a cult American movie and a reference point for many viewers. A strong critique of modernity, a manifesto against industrialization, as well as an artist’s view of the brutality of humankind against nature, its enthralling rhythm and music, sublime images and powerful message are still striking today, 35 years after its production. And, in many respects, the movie has become a cultural landmark about the use of modern technology and the destruction of the natural landscape.
Jenseits von Zeit und Raum. Flugreisewerbung in den USA und Westdeutschland während der 1970er-Jahre
(2017)
»Getaway. To places you always wanted to see but never thought you could«, lautete die Überschrift einer Werbekampagne der amerikanischen Fluggesellschaft Trans World Airlines (TWA) im Jahr 1971. In großformatigen, mit Farbfiltern hervorgehobenen Bildern von Sehenswürdigkeiten wie dem britischen Parlamentsgebäude in London, dem amerikanischen Grand Canyon oder dem Taj-Mahal-Mausoleum im indischen Agra bewarb sie Reiseziele auf verschiedenen Kontinenten.
»Verdammt von Moralisten, glorifiziert als Kunst, unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor für die Medien« – so fasste die Journalistin Eva-Maria Burkhardt 1989 in der Zeitschrift »Auto Motor und Sport« die gesellschaftliche Relevanz von Werbung zusammen. Anschließend ging sie auf die massive öffentliche Kritik speziell an der Autowerbung ein. Diese sei verantwortlich für »Rowdytum und Raserei auf den Straßen«, lautete ein vielfach kolportierter Vorwurf von Experten für Verkehrssicherheit, da sie die Symbole »Sportlichkeit« und »Motorleistung« inszeniere. Sicher vereinfachte die zeitgenössische Diskussion den kausalen Zusammenhang zwischen Bildern von rasenden Autos und schweren Verkehrsunfällen; zumindest die Zahl der Verkehrstoten war in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre eher rückläufig. Gleichwohl belegt diese Debatte, wie eng (Auto-)Werbung und öffentlich diskutierte Themen aufeinander bezogen waren. Werbung wirkte dabei als »Zerrspiegel« gesellschaftlicher Realität.
The introduction to this issue on historical surveillance studies argues for an integrated understanding of surveillance that focuses on the interconnectedness of the state, economy and sciences within the context of different forms of technological revolution. It suggests reading contemporary diagnoses of ‘total surveillance’ from a long-term historical perspective beginning in the seventeenth century. In this light, surveillance is not limited to intelligence history or state control. Rather, it produces patterns of order and data that can be deployed for political processes like urban planning, welfare policy, crime prevention, or the persecution of political opponents. Furthermore, surveillance is also part of the economy, encompassing market and consumption research, advertising, and workplace monitoring. Research into the political and the economic aspects of surveillance should be combined. After defining the term ‘surveillance’ and differentiating between security and surveillance studies, the article provides an overview of different empirical studies in this new historiographical field. It concludes with shortsummaries of the articles collected in this issue.
Bis Ende 2015 werden 50 Prozent aller Chinesen über einen Internetzugang verfügen. Die Möglichkeiten für eine größer werdende Anzahl von Chinesen, online zu kommunizieren und zu konsumieren, hat eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dazu inspiriert, sich mit Themen wie Zensur, Überwachung und Nutzung von sozialen Medien zu beschäftigen. Ein Großteil dieser Forschung baut auf der Prämisse einer antagonistischen Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft auf. Allerdings weiß man bisher nur wenig darüber, welche Auswirkungen die staatlich geförderten und internetbasierten Kommunikationskanäle zwischen Regierungsbeamten und chinesischen Bürgern auf die Transformation der autoritären Einparteienherrschaft in China haben. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit dieser Frage, indem er Chinas E-Government-Strategie einerseits zu globalen Entwicklungen in Beziehung setzt, andererseits im Kontext der sich verändernden Anreize untersucht, die politische Reformen in China in den vergangenen zwei Jahrzehnten ermöglicht haben. Es wird gezeigt, dass die Bemühungen der chinesischen Einparteienregierung, die Interaktion zwischen Staat und Gesellschaft zu digitalisieren, großes Potenzial dafür birgt, das Wesen des chinesischen Staates zu verändern. Allerdings stellen diese Veränderungen keinen Paradigmenwechsel dahingehend dar, wie China regiert wird. Der wichtigste Aspekt dieser Veränderungen ist, dass sie die Möglichkeit bieten, das oftmals als „Diktatoren-Dilemma“ bezeichnete Problem zu lösen: Menschen in nichtdemokratischen Regierungssystemen haben Angst davor, den Herrschenden gegenüber ihre Meinung auszudrücken, und entziehen so dem Staat eine wichtige Informationsgrundlage. Es wird gezeigt, dass die Entwicklung hochintegrierter E-Government-Plattformen, wie sie sich die Technokraten der Kommunistischen Partei Chinas vorstellen, bestehender institutioneller Logik folgt und dringende Probleme zu lösen vermag. So wird die Chance darauf erhöht, dass diese Plattformen nachhaltig eingeführt werden.
Der vorliegende Aufsatz analysiert, wie die aus damaliger und heutiger Sicht unerwartet große Flüchtlingshilfe gegenüber den vietnamesischen »Boat People« aufkam und ihre starke Dynamik gewann. Untersucht wird, welche Rolle zivilgesellschaftliche Gruppen, die staatliche Bürokratie, politische Parteien sowie Medien dabei spielten und wie diese bei der konkreten Aufnahme von Flüchtlingen interagierten. Dabei wird erstens gezeigt, dass anfangs vor allem öffentlicher Druck die sozialliberale Regierung zu einer Aufnahme der Indochina-Flüchtlinge bewegte, sich dann aber zivilgesellschaftliches und staatliches Handeln wechselseitig ergänzten. Das zweite Argument lautet, dass der öffentliche Druck insbesondere durch mediale Kampagnen und durch christdemokratische Initiativen aufkam, die entschieden für die Aufnahme der Flüchtlinge eintraten. Eine wichtige Rolle spielte dabei, so die dritte These, dass die »Boat People« diskursiv mit der deutschen Nachkriegsgeschichte verbunden wurden – speziell mit der Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Viertens zeigt der Aufsatz, wie Techniken der Flüchtlingsaufnahme und neue Formen humanitärer Hilfe entstanden, die sich als zivilgesellschaftlicher und bürokratischer Wandel interpretieren lassen.
Millionen von Menschen aus zahlreichen Ländern besuchten im 20. Jahrhundert die Schlachtfelder und Soldatenfriedhöfe des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Die Motive und Praktiken der Reisenden waren dabei durchaus unterschiedlich. In den ersten Nachkriegsjahren und -jahrzehnten fuhren viele Angehörige von Kriegstoten zu Soldatenfriedhöfen, Gedenkstätten und ehemaligen Schlachtfeldern. Aber es waren immer auch andere Personen und Gruppen unter den Reisenden, die keine persönliche Beziehung zu den toten Soldaten hatten. Nach dem Ersten Weltkrieg bezeichneten britische Zeitgenossen die Reisen von Veteranen und Angehörigen gefallener Soldaten zu den von ihnen als heilig betrachteten Schlachtfeldern und Kriegsgräbern als Pilgerfahrten und werteten andere Besucher dieser Orte als »Touristen« ab, die sich an den sakralen Stätten nicht angemessen benähmen und aus reiner Sensationslust angereist seien.
Seit einiger Zeit löst sich die Schockstarre, die bei Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums vom Juni 2016 über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs eingesetzt hatte. Mittlerweile wird sie außerdem gelegentlich durch Entwicklungen in den USA, Italien und anderswo überlagert, die alle ihrerseits für die weitere Entwicklung in Bezug auf den Brexit folgenreich sind. Weiterhin ist das Vereinigte Königreich Teil der Europäischen Union, wobei die Perspektive eines Austritts längst ihren Schatten vorauswirft. Viel ist in den vergangenen Monaten international gesagt und geschrieben worden, um das lange Zeit Undenkbare zu erklären. Eine beachtliche Reihe von Kommentatoren hat sich zu Ergründungen des britischen Nationalcharakters hinreißen lassen und etwa Beispiele für ein tief verankertes Sonderbewusstsein und Anzeichen für einen Sonderweg in Kultur und Geschichte bemüht.
My Road to Berlin, or Mein Weg nach Berlin, presents a Willy Brandt that confounds a present-day reader’s expectations. While the 1960 autobiography of the then-mayor of West Berlin links his career with the familiar story of democracy’s development in Germany, this work nevertheless retains an unexpected edge. In one surprising scene, the mayor denounces his East Berlin SED counterparts as a ›Communist foreign legion‹ whom ›the citizens of my city had decisively defeated‹ during the Second Berlin Crisis of 1958 (p. 17). In the book, Brandt comes off as a Cold Warrior of steely determination rather than a Brückenbauer bridging ideological divides. Far from being out of character, however, My Road to Berlin captures Brandt at a pivotal moment in his career, when he sought to offer himself to both West German voters and a global public as a viable alternative to Konrad Adenauer.
Manche Bücher sollte man besser vom Ende her lesen, lässt sich doch so ihr archimedischer Fluchtpunkt rasch entdecken. Gewiss, für Kriminalromane empfiehlt sich eine solche Lesart nicht, wohl aber für diesen Essay-Band Hans Magnus Enzensbergers. Darin schließt der Autor seine Reiseberichte aus sieben Ländern mit einem »Epilog« ab, in dem ein fiktiver amerikanischer Journalist namens Timothy Taylor im Jahr 2006 den ebenfalls fiktiven finnischen EG-Präsidenten Erkki Rintala interviewt, der von seinem Amt freiwillig zurückgetreten ist, nachdem er wegen seiner Erfahrungen in den Korridoren der Brüsseler Politik zu einem Gegner der europäischen Integration geworden war.
Ambivalente Metaphorik. Ein kritischer Rückblick auf Zygmunt Baumans "Dialektik der Ordnung" (1989)
(2017)
Lange vor Baumans »Dialektik der Ordnung« war mir ein Text von Yvonne Hirdman in die Hände gefallen, als ich mich für ein Forschungsprojekt zum »social engineering« in die Forschungsliteratur zur schwedischen Geschichte und Gesellschaftspolitik einzulesen begann. Hirdman, Historikerin, hatte 1989 ein schlankes Buch mit dem aus dem Deutschen abgeleiteten Titel »Att lägga livet tillrätta« publiziert, »Das Leben zurechtlegen«.[1] Die Studie war im Rahmen einer Enquête entstanden, mit deren Hilfe der schwedische Staat sein eigenes Funktionieren untersuchte. Hirdman, die zehn Jahre zuvor eine Geschichte der Sozialdemokratie unter dem selbstsicheren Titel »Wir bauen das Land« verfasst hatte, hielt nun derselben sozialdemokratisch dominierten Gesellschaftspolitik vor, die Menschen systematisch übermächtigt zu haben.